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Song des Tages: Betterov – „Dussmann“


Oft und lange ist über sie in den letzten Monaten gesprochen worden: Die Bedeutung von Kunst und Kultur. Über ihre enorme Wichtigkeit gerade in schlechten Zeiten. Und darüber, was in der Gesellschaft passiert, wenn sie mal nicht mehr da ist. Wenn Museen schließen, Theatersäle leer bleiben, Konzerthallen und Musikclubs das Licht ausmachen und auch dem Rest des kulturellen Lebens – mal mehr, mal weniger abrupt – der Stecker gezogen wird. Mit seiner neuen Single „Dussmann“ veröffentlicht der Berliner Indie-Newcomer Betterov nun seine ganze persönliche Ode an die Kultur und an die Schönheit der Dinge im tristen Alltagsgrau.

Schon mit seiner Debüt-EP „Viertel vor Irgendwas“ sowie der ein oder anderen nachfolgenden Single (man höre etwa das tolle „Platz am Fenster„!) hatte der 27-jährige Wahlberliner mit Wurzeln im beschaulichen Thüringen, der mit richtigem Namen Manuel Bittorf heißt, im März letzten Jahres (s)eine Visitenkarte als eine der spannendsten neuen Stimmen innerhalb der deutschsprachigen Musiklandschaft abgegeben sowie Auftritte beim Reeperbahn Festival oder bei „Inas Nacht“ einheimsen können. Verpackt in einen sympathisch ungeschliffenen Mix aus Indie Rock und Post Punk, welchem man durchaus die Handschrift von Produzent Tim Tautorat, der sonst durch seine Arbeit mit Faber, Provinz oder AnnenMayKantereit Lorbeeren vom Deutschpop-Baum pflückt, anhört, verhandelt Betterov die Themen, die nicht nur seine Generation momentan am meisten bewegen: Gentrifizierung, Leistungsdruck, Zukunftsangst. Und ein gefräßiges Monster namens kulturelle Verödung, vor dem der ursprünglich aus einem kleinen Dörfchen bei Eisenach stammende Musiker vor seinem Umzug in die deutsche Hauptstadt selbst flüchten musste. Musikalisch liefern seine Songs freilich keine vollumfängliche Neuerfindung des Rades, dafür jedoch den ein oder anderen nonchalanten Knicks vor Bands wie den Smiths sowie insgesamt eine Ode an Dark Wave und Post Punk der späten Siebziger mit einem Schuss Neue Deutsche Welle. Wer Vergleiche braucht: Man denke an eine weniger affektierte Version von Drangsal oder an die deutsche Antwort auf Sam Fender (so es die denn benötigt). Irgendwie nun also nur konsequent, dass Betterov mit „Dussmann“ dem gleichnamigen Berliner Kulturkaufhaus ein akustisches Denkmal setzt.

Seit Ende der 1990er-Jahre stellt das zwischen der berühmten Berliner Friedrichstraße und der feinen Flaniermeile Unter den Linden gelegene Kulturkaufhaus Dussmann für die Kultur dar, was man postmodern wohl als „Flagship“ bezeichnet: Eine standhafte Bastion für das gesammelte Wissen und die Schönheit; verewigt in Bild, Schrift und Ton. Eine städtische Oase für Feingeist und Intellekt, auch abseits plattgetretener Mainstream-Tendenzen. Auf seiner neuen Single inszeniert Betterov die wichtige Frage nach der Wertschätzung all dessen als philosophischen Gang durch das vierstöckige Haus. Denn selbstverständlich ist absolut gar nichts mehr in „der neuen Normalität“ – nicht einmal, schon gar nicht mehr Kunst und Kultur… leider.

„Die Kultur hilft uns, die Welt zu deuten“, so Betterov über seine Single. „Und wer die Welt nicht mehr versteht und gar nicht mehr weiter weiß, für den gibt es hier auch noch eine weitere Option: Denn wer den allerletzten, metaphorischen Sprung seines Lebens aus der 4. Etage von Dussmann wagt, sieht nochmal all diese Monumente der Kunst an sich vorbeiziehen. Die Welt ist unverständlich und diffus, wenn man sie genau betrachtet. Realität und Fiktion verschwimmen. Permanent und immer mehr. Die Helden von Früher werden mit merkwürdigen Denkmälern überhäuft. Es werden Straßen nach ihnen benannt, in denen ausschließlich hässliche, graue Wohnungen gebaut werden. Lieb gemeint. Aber wer möchte das? Einst wurde Tarantino ein Monument gebaut, für seinen Film ‚Pulp Fiction‘. Er bekommt drei Oscars und wird in der Nacht der Nächte zum ultimativen Gott ernannt. Jetzt läuft der Film nachts auf RTL 2, direkt nach ‚Temptation Island- Versuchung im Paradies‘. Apropos Gott: Wer der Schöpfungsgeschichte der Bibel glaubt, dass eben genau der die Welt in sieben Tage erschaffen hat, der kann bei dieser Betrachtung nur zu dem Schluss kommen: So richtig zu Ende gedacht ist das ja irgendwie alles nicht. Passt aber eigentlich auch wieder ganz gut in die Zeit.“

Das DIFFUS Magazin hat den Indie-Newcomer kürzlich Das DIFFUS Magazin hat den Indie-Newcomer kürzlich für eine siebenminütige Kurzdokumentation in seiner Heimat Thüringen und in Berlin begleitet. Sehenswert:

Rock and Roll.

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Flimmerstunde – Teil 37


What Drives Us“ (2021)

Das Timing von Foo Fighters-Frontmann Dave Grohl könnte einerseits kaum eigenartiger, andererseits jedoch kaum besser sein. Seine neuste Dokumentation „What Drives Us“ ist eine Liebeserklärung an das Tourleben und dadurch ein Statement für die Livemusik. Denn mal ehrlich: Einen besseren Zeitpunkt als eine weltweite Pandemie, die nahezu jeglichen Vis-à-vis-Konzertbetrieb unterbindet, könnte es für diesen Film nicht geben.

Wie schon bei seinen vorangegangenen Musik-Dokumentationen wie „Sound City“ oder „Sonic Highways“ sind auch hier von der ersten Sekunde an die Liebe und das Herzblut spürbar, welche Grohl für das Thema mitbringt. Auf effektive Weise stellt der kreative Tausendsassa Szenen seiner frühen Band Scream jenem Moment gegenüber, in dem er den ersten Touring-Van der Foo Fighters zurück erhält und sich damit erneut auf eine Reise begibt. Nur dass es bei dieser Reise gerade nicht darum geht, Konzerte zu spielen…

Stattdessen macht er sich damit auf, faszinierende Tour-Stories zu sammeln. Die Liste der Gäste ist mehr als beeindruckend. Beatles-Trommler Ringo Starr, Metallicas Lars Ulrich, Aerosmith-Frontmann Steven Tyler, Slash und Duff McKagan von Guns N‘ Roses, U2-Gitarrist The Edge, AC/DC-Stimme Brian Johnson, Red Hot Chili Peppers-Bassist Flea, Ian Mackaye von Fugazi, Slayer-Schlagzeuger Dave Lombardo oder L7-Bassistin Jennifer Finch sind nur einige der illustren Namen, die diesem Film mit ihren Geschichten zwischen Rock’n’Roll und Punk Rock füllen.

Allesamt erinnern sie sich auf sympathische, oft herzerwärmende Art an ihre musikalischen Anfänge, ihre frühen Einflüsse und natürlich ihre ersten Tourerfahrungen – auch wenn Lars Ulrich scherzt, dass er zum eigentlichen Van-Touring-Thema des Films nicht viel beitragen könne: „I realized, I actually never toured in a van. So… can I go now?“ Grohl verbindet die Interviews mit zahlreichen Archivaufnahmen aus den frühen Tagen von Bands wie den Foo Fighters oder No Doubt, bei welchen man sich oft genug fragt, wo er die wohl aufgetrieben hat. Sehr unterhaltsam gerät zudem die Animation der Hardcore-Legenden von Black Flag und. D.O.A., welche das Van-Touring in den US of A mit einer Menge DIY-Spirit quasi einst aus den Angeln gehoben haben.

Doch Grohl wäre nicht Grohl, wenn er bei all den großen Namen die junge Garde ignorieren würde. In einer kurzen Sequenz erzählt er davon, wie frühe Foo Fighters-Interviews vor allem daraus bestanden, Fragen zur Vergangenheit der Mitglieder zu beantworten (beziehungsweise nach seiner Vergangenheit als Nirvana-Drummer) – und zeigt derweil, wie man’s besser macht. Obwohl das Schwelgen in den eigenen Historien logischerweise einen guten Teil der 90 Minuten einnimmt, gerät „What Drives Us“ nämlich mitnichten zur reinen Nostalgieveranstaltung, die nur dazu dient, von vermeintlich besseren, längst vergangenen Zeiten zu schwärmen.

Mit Radkey holt Grohl – neben Starcrawler, die er in seinem alten Tour-Van durch Los Angeles chauffiert – auch eine vergleichsweise neue, unbekannte Band vor die Kamera, die erst in den 2010ern zusammenfand. Die drei Jungspunde aus St. Joseph, Missouri zeigen, dass sich die Punk-Rock-Geschichte – digitaler Über-Nacht-Ruhm hin oder her – in manchen Fällen glücklicherweise eben doch wiederholt. Während etablierte Namen in der Vergangenheit schwelgen, leben Radkey, die seit Jahren von ihrem Vater/Manager/Mercher durch die Vereinigten Staaten gefahren werden, genau den Van-Lifestyle, der für alte Recken wie AC/DC-Sänger Brian Johnson längst nur noch eine Erinnerung ist. Auffallend ist, dass sich am Grundlegenden kaum etwas geändert hat. So lässt sich die Kunst des Van-Packens der Bad Brains perfekt mit dem heutigen tetris’esken Verstauen von Instrumenten in einem viel zu kleinen Gefährt vergleichen – wenn auch mit etwas mehr technischen Standards.

„Es kommt ein Moment im Leben eines jeden Musikers, in dem sein Engagement auf die Probe gestellt wird. Wenn ihr Wunsch, Musik für andere zu spielen, zu einem fast irrationalen Akt blinden Glaubens wird. Es ist kein Job, es ist eine Berufung. Der erste Schritt, um sich und der Welt zu beweisen, dass man in diesen Club gehört, ist, in den Van zu steigen. Du lädst deine Instrumente, dein Talent und deinen Mut ein, und bringst deine Musik in die Welt. Es spielt keine Rolle, ob du die Beatles oder Billie Eilish bist, oder irgendein bekannter oder unbekannter Künstler dazwischen. Du musst in den Van steigen, um herauszufinden, ob du das Zeug dazu hast. Das ist der Rock ’n‘ Roll-Ritus des Übergangs…“ (Dave Grohl über das Touren und Musikmachen)

Während der Interviews kommt Grohls Stimme immer wieder aus dem Off, um Nachfragen zu stellen. Manchmal schwenkt die Kamera sogar auf sein Gesicht, während der 52-Jährige zwischen dem Drehequipment sitzt. Das mag vielleicht nicht dem güldenen Handbuch für Dokumentationsinszenierung entsprechen, gibt „What Drives Us“ aber genau das nahbare Gefühl von Authentizität und Verbindung, von welchem Grohl und all die anderen Musiker*innen vor der Kamera sprechen. Es gibt keine Trennung zwischen dem Interviewer und den befragten Personen. Grohl ist als Musiker schließlich selbst Teil dessen, von dem er in seinem Film erzählt. Und: Alle Beteiligten sind sich weitestgehend einig, dass die Erfahrung, ständig und rund um die Uhr mit seinen Bandkollegen auf engstem Raum zusammengelebt zu haben, die einzelnen Mitglieder näher zusammengebracht hat. „Es ist nicht glamourös darüber zu reden. Aber es braucht wirklich eine gewisse Unreife und Unschuld, um in einem Van unterwegs zu sein. Aber auch eine gewisse Reife, um vieles tolerieren zu können, das große Ganze zu sehen, Geduld zu haben, seinen Mitmenschen gegenüber freundlich zu sein, die vielleicht Probleme haben“, wie es L7-Bassistin Jennifer Finch ausdrückt.

Damit sich nicht alles lediglich um das selige Schwelgen in den „good old days“ und um den heilen Tourwelt-Protz dreht (etwa dann, wenn No Doubt-Bassist Tony Kanal berichtet, dass sich die Touren von No Doubt von Mal zu Mal vergrößert haben und sich schlußendlich jedes Bandmitglieder seinen eigenen Luxusliner leisten konnte), schlägt Grohl zwischendurch auch den ein oder anderen ernsteren Ton an. So spricht etwa der ehemalige Dead Kennedys-Schlagzeuger D.H. Peligro über den schwelenden Rassismus, welcher ihm als einzigem schwarzem Bandmitglied bei frühen Shows der kalifornischen Punk-Ikonen immer wieder entgegenschlug, oder von seiner Drogenabhängigkeit während seines kurzen Intermezzos bei den Red Hot Chili Peppers.

Mit dieser Sprunghaftigkeit zwischen Leichte und Tiefe erzeugt „What Drives Us“ ganz ähnliche Gefühle wie die besten Konzerte – ganz gleich, ob diese nun im Station oder im kleinen Indie-Club stattfinden. Obwohl das Publikum stets auf gewisse Weise eine andere Position einnimmt als die Bands, die da auf der Bühne stehen, sorgen grandiose, erinnerungswürdige Shows dafür, dass sich eben doch alle im Saal miteinander verbunden fühlen. Selbst wenn der Austragungsort ein Stadion mit 50.000 Zuschauenden ist.

Dieses Stadiongefühl beschwört Grohl (der ja im Laufe seiner Karriere so einige Erfahrungen mit ebenjenen „Stadiongefühlen“ sammeln durfte) ebenfalls in der Eingangssequenz von „What Drives Us“ herauf: einen Zusammenschnitt diverser Tour- und Konzertaufnahmen unterlegt er mit AC/DCs „For Those About To Rock (We Salute You)“. Wer schon einmal selbst die brachialen, ikonischen Kanonenschläge erlebt hat, die den Song in der Live-Situation flankieren, der weiß, warum gerade diese die Konzertfaszination perfekt symbolisieren. Passenderweise beschließt denn der Foto Fighters-Evergreen „Everlong“, welches live ebenso zu fesseln und euphorisieren weiß, die Dokumentation. So saugt einen „What Drives Us“, dieser kleine Liebesbrief an das Leben auf Tour und für die Musik, förmlich ein – und unterhält mit einer Fülle aus Kurzweil, Anekdoten und teilweise recht persönlichen Geschichten aus dem Musiker-Leben bis zum Schluss.

Rock and Roll.

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Scheitern als Chance – Die Doku-Serie „Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusik-Geschichte“


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„Fremd bin ich einge­zogen,
Fremd zieh’ ich wieder aus…“

(aus „Winter­reise“ von Franz Schubert & Wilhelm Müller)

Aljoscha Pauses kürzlich erschienene fünf­tei­lige Dokuserie „Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusik-Geschichte“ beginnt mit einem Zitat aus Schuberts „Winter­reise“. Und sie ist genau das: eine Reise. Eine tatsäch­liche, eine persön­liche und eine kreative.

Wie-ein-Fremder-Plakat-DinA4-RGB-RZ-724x1024Der „Fremde“ im Zentrum der knapp vierstündigen Serie dürfte den meisten tatsäch­lich fremd sein: Roland Meyer de Voltaire. Der 1978 in Bonn geborene Musiker, der einen Teil seiner Kindheit in Moskau verbrachte, war der Kreativ­kopf hinter der 2011 aufgelösten Band Voltaire, die Mitte der Nuller-Jahre von der Kritik als aussichts­reiche deutsche Newcomer gefeiert wurden. Komplexe, herrlich verkopfte deutsch­sprachige Texte, ein Sound mit poppiger Attitüde, indierockigen Gitar­ren­riffs und Brüchen, dazwischen de Voltaires gerne auch in die Kopflagen lavie­rende Stimme. Dass der deutsche „Rolling Stone“ die Band als „schönste Aussicht auf das Jahr 2006“ neben die britischen Indie-Rocker der Arctic Monkeys stellte, half aller­dings eben so wenig wie der unverhoffte große Plat­ten­ver­trag beim Major-Label  Universal. Nach zwei Alben (von denen vor allem das Debüt „Heute ist jeder Tag„, welches kürzlich sein Re-release mit Bonus Tracks erfuhr, auch heute noch wärmstens ans Hörerherz gelegt sei) erleidet der Kopf der Band finanziellen und mentalen Schiffbruch und steht nach jahrelangem Komplettfokus auf sein kreatives „Baby“ vor dem vollumfänglichen Nichts.

„Ich glaube, dass die meisten sich nicht vorstellen können, wie wenige Musiker eigent­lich von ihrer Musik leben können“, fasst es SWR-Mode­ra­torin Chris­tiane Falk nüchtern zusammen. Sie ist, neben einigen Musikjournalisten und musikalischen Weggefährten wie Schiller, Madsen, Alina, Desiree Klaeukens, Megaloh oder Enno Bunger, eine der Stimmen dieser Dokuserie, für die Pause den Musiker sechs Jahre lang beglei­tete. Die beiden kennen sich schon länger, de Voltaire hat, neben anderen Projekten, die Sound­tracks für Pauses Fußball-Dokus, zuletzt etwa für „Inside Borussia Dortmund, beigesteuert. Der Bonner Regisseur hat zuvor mit seinen Lang­zeitstu­dien „Tom Meets Zizou – Kein Sommer­mär­chen„, „Trainer! oder „Being Mario Götze – Eine deutsche Fußball­ge­schichte die Fußball-Szene durch­leuchtet. Jetzt gewährt er einen Einblick in das Leben eines Musikers und in den deutschen Popmu­sik­zirkus.

„Nach meinen jüngsten Doku-Serien für Amazon und DAZN geht es mit dieser Serie einerseits wieder back to the roots: diese Doku ist Independent von Kopf bis Fuß, wie einst mein Film ‚Tom meets Zizou’. Andererseits geht es auch zu neuen Ufern: Popmusik.“ (Aljoscha Pause)

Bei den ersten Begeg­nungen im Jahr 2014 wirkt Roland Meyer de Voltaire wie ein Gestran­deter, wie er da in seinem Kölner WG-Zimmer wohnt und am Exis­tenz­mi­nimum herum­krebst. Die Miete muss er teils mit Instru­men­ten­ver­käufen zusam­men­kratzen, teils von Familie und Freunden leihen, teils vom Dispo aus besseren Zeiten finanzieren. „Da gibt es kein Mandat für einen tollen Musiker, dass er da irgend ’ne Berech­ti­gung hätte“, erklärt Musikjournalist und Musik­ex­press-Redakteur Linus Volkmann. In Rück­bli­cken zeigt Pause Musik­vi­deos und Live-Auftritte aus den good old days und lässt Exper­tinnen und alte Band­mit­glieder ihre Verwun­de­rung darüber zum Ausdruck bringen, dass der Mann nicht völlig durch die Decke gegangen ist.

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Die Serie gibt sich gerade zu Beginn viel Mühe, ein wenig Mythen­bil­dung zu betreiben: Roland Mayer de Voltaire, die zarte Künstler-Seele, das verkannte Genie! Das mag an mancher Stelle eine Spur zu dick aufge­tragen sein und soll wohl der Drama­turgie dieser recht klassisch geratenen Doku-Serie dienen. Die kommt in manchen Momenten konse­quen­ter­weise, wie man ergänzen muss, selbst wie ein Popsong daher. Es braucht halt eine Prise Pathos, ein bisschen Drama…

Und doch folgt man de Voltaire gern bei seinem persön­li­chen und vor allem kreativen Wandel. Ist da anfangs noch ein Stör­ge­fühl, wenn der zunächst über­idea­lis­tisch wirkende Mann, unter­stützt noch von seinen Eltern, sich als für die Musik geboren betrachtet, kommt im Laufe der Seri­en­mi­nuten immer mehr die Erkenntnis: Das ist völlig ernst gemeint, das kommt aus tiefstem Künstlerherzen – und zwar mit aller Konse­quenz!

Von Köln verschlägt es de Voltaire irgendwann nach Berlin, wo er sich ohne festen Wohnsitz und in einem noma­di­schen Dasein in verschie­denen Wohnungen von Freunden und Bekannten neu sortiert. Wir folgen ihm nicht nur bei Alltäglichkeiten, sondern auch zu Gesprächen mit Produ­zenten und Managern oder in den Proberaum der deutschen Rockband Madsen, die fast zeit­gleich mit Voltaire bekannt wurde, sich aller­dings bis heute gehalten hat. Wir sehen den Kompo­nisten und Soundf­rickler in seinem kleinen Heim-Studio vor neuen Produk­tionen, an denen er arbeitet, als Ideen­geber für eine Bekannte, bei der er schließ­lich einzieht und auch im Studio von Rapper Uchenna van Capel­le­veen alias Megaloh, für den de Voltaire schon länger als Gast­sänger arbeitet. Was fast schon als Sinnbild für den hart umkämpften deutschen Musikmarkt herhalten kann: Trotz musi­ka­li­scher Erfolge muss sich auch der Rapper nebenbei im Lager eines großen Paket­lie­fe­ranten verdingen, um sich „genug Zeit und Sicher­heit für seine Musik“ zu verschaffen, wie er erklärt.

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„Wie ein Fremder“, das visuell zwar nicht an vergleichbare Musik-Dokumentarfilme der jüngeren Vergangenheit wie „20.000 Days On Earth“ (2014), „Cobain: Montage Of Heck“ (2015) oder „Amy“ (2015) heranreichen mag, sich stattdessen jedoch auf seinen Protagonisten sowie dessen Auf und Ab und Hin und Her konzentriert (und dabei das nötige Quäntchen Glück hat, dieses Mal mit dem gleichsam ruhigen, mitfühlenden, bescheidenen wie talentierten – und auch oft genug phlegmatischen – Roland Meyer de Voltaire einen spannenderen Charakter als den vermeintlich aalglatten Medienprofi Mario Götze vor der Kamera zu haben) ist einer­seits die in Serie gegossene Entro­man­ti­sie­rung des (nicht nur bundesdeutschen) Popmusik-Traums. Eine zuge­spitzte Botschaft mag lauten: Für wirkliche Krea­ti­vität ist im auf Radiotauglich­keit und ökono­mi­sche Inter­essen gebürs­teten Showbusi­ness wenig bis gar kein Platz und Geld verdienen am Ende die wenigsten. Ande­rer­seits hat es zugleich etwas Roman­ti­sches, wie Pause dem selbst­kri­ti­schen, teils unschlüssig herum­sto­chernden, aber doch ziel­stre­bigen Sound­per­fek­tio­nisten de Voltaire dabei zuschaut, wie er alternativlos versucht, seinen Traum zu leben.

Die kreative Reise, auf der wir ihn begleiten, scheint eine vom Licht ins produk­tive Dunkel: von ehemals deutschen Texten hin zu engli­schen, von akus­ti­schen Sounds hin zu elek­tro­ni­schen. „SCHWARZ“ nennt sich das Projekt, das sich langsam – und auch begleitet vom ein oder anderen Rückschlag – aus der Serie heraus­schält. Inspi­riert von der „Dunkel­heit, bevor der Film losgeht“, so de Voltaire, vermischt er 80er-Jahre-Synthe­sizer mit Sound­s­capes, die Radio Head-Krea­tiv­motor Thom Yorke in seinen Solo­pro­jekten eingehend karto­gra­fiert hat. Mehr Kraft als auf Platte entwi­ckelt SCHWARZ live. Es sind starke Momente der Serie, wenn de Voltaire ausgerechnet mit dem Stück „Home“ ein neues Erfolgshoch gelingt, oder der Musiker, gemeinsam mit einer Cellistin und einer Pianistin, erstmals seit Langem wieder auf der Bühne steht und vor kleinem Publikum ein Akustik-Arran­ge­ment des Songs „Shine“ zum Besten gibt. Auch davon erzählt die Serie: Musik gehört auf die Bühne.

Wie es ihm heute, im Angesicht der Coronakrise (welcher auch die für Anfang Juni in Berlin geplante Premierenfeier von „Wie ein Fremder“ zum Opfer fiel), vieler abgesagter Konzerte und geschlossener Veranstaltungshäuser geht, ist ungewiss. Man wünscht ihm, diesem großartigen Menschen und begnadeten Künstler, jedoch nur das Beste (und wer mag, der findet hier oder hier aktuelle Interviews mit Roland Meyer de Voltaire).

 

 

Rock and Roll.

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„Vinyl lebt!“ – Eine Dokumentation über die hippe Rückbesinnung aufs Analoge


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Nicht mehr ganz taufrisch, aber aufgrund des auch im vergangenen Jahr weiterhin anhaltenden Vinyl-Revivals noch immer interessant: Für ZDFinfo wurde 2015 die 45-minütige Dokumentation „Vinyl lebt!“ über Schallplatten, Plattenläden und die anhaltende Rückbesinnung einer stetig wachsenden Hörerschaft auf die „guten alten Polyvinylchloridrillen“  produziert. Größtenteils und erwartungsgemäß zwar mit dem ein oder anderen üblichen Verdächtigen zum Thema (die „Vinylfetischisten“ sind halt wie alle ein Völkchen für sich), aber alles in allem doch sehr nett und informativ anzusehen…

 

Vinyl ist hip, Vinyl ist modisch. Doch Vinyl war nicht immer so erfolgreich wie im Moment. In den letzten 30 Jahren hat die Industrie sogar immer wieder den Untergang der Schallplatte prophezeit.

Der Verkauf von Vinylplatten ist 2014 in den USA um 52 Prozent gestiegen, mehr als 9 Millionen Mal ging Vinyl über den Ladentisch. Die Schallplatte ist der einzige physische Tonträger, dessen Umsatzzahlen noch wachsen.

Und er ist damit auch längst wieder ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor. Kaum ein angesagter Künstler kann es sich leisten, sein aktuelles Werk nicht auch auf Vinyl zu veröffentlichen. Die Dokumentation macht sich auf die Spur dieses Phänomens: Warum taucht Vinyl wieder aus der Versenkung auf? Wer profitiert davon?

In 45 Minuten geht Filmautorin Lisa Simonis der Frage nach: Was ist eigentlich an dem viel beschworenen Klang der Schallplatte dran? Ein analoger Tonträger, dessen Technik in der digitalen Ära doch völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Das Filmteam besucht Europas größte Plattenbörse in Utrecht, lässt sich im Presswerk von Optimal Media den komplizierten Herstellungsprozess einer Platte erklären – und schaut einfach mal nur beim Plattenauflegen zu.

 

 

Die Dokumentation findet man hier in der ZDF-Mediathek.

 

Rock and Roll.

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Der Jahresrückblick 2014 – Teil 2


Während man bei all den beindruckenden Bildern, die vor allem US-amerikanische Serien Woche für Woche abliefern (von „The Walking Dead“ über „Lost“ bis hin zu „Breaking Bad“, „Game Of Thrones“ oder „House Of Cards“ waren da ja in der Vergangenheit massig Bespiele dabei) und die stets qualitativ auf höchstem Niveau erzählten BBC-Fernsehserien („Luther“, „Sherlock“) auch den „alten Kontinent absolut würdig dastehen lassen, bekommt man spätestens bei den Aufzählung all jener namenhaften alten und neuen Hollywood-Recken, die sich mittlerweile beinahe ins Serienfach zu flüchten scheinen, den Eindruck, dass Hollywood im Jahre 2014 einer der Kulissen gleichen müsse, durch die Clint Eastwood einst im 50 Jahre jungen Italowesternklassiker „Für eine Handvoll Dollar“ ritt – imaginäre Heuballen und Mundharmonikamelodien inklusive. Dass aber auch die großen Leinwände in diesem Jahr so einiges zu bieten hatten, zeigen einige von ANEWFRIENDs Filmhighlights der letzten zwölf Monate (den letzten „Hobbit“-Teil exklusive, da mir als Fanboy eine Bewertung kaum möglich erscheint)….

 

 

Guardians Of The Galaxy“ (2014)

18b149286ca6f2920e017bd5d2ffcbf5Ein mit mehr Glück als Verstand ausgestatteter Mensch, ein in verführerisches Grün getauchter weiblicher Killer-Cyborg, ein Kopfgeldjäger-Duo bestehend aus einem vorlauten Waschbären und einem äußerst wortkargen Baummenschen und ein auf Blutrache sinnender muskelbepackter, volltätowierter entflohener Sträfling mit wohlgewähltem Wortschatz – dass solch‘ eine Bande den auch sonst nicht eben wenig kreativen Köpfen der Marvel-Studios entspringt, ist freilich keine all zu große Überraschung. Dass „Guardians Of The Galaxy“ am Ende des Filmjahres 2014 aber ein derart großer Erfolg sein würde, der selbst die „Avengers“ in den Schatten stellt, war keineswegs selbstläuferisch abzusehen. Denn etwas spinnert kommt die Storyline schon daher. Das Beste: selbst dort weiß James Gunns (vorher u.a. „Dawn Of The Dead“, „Super – Shut Up Crime!“, „Scooby Doo“) Regiestück irgendwie zu überzeugen.

Peter Quill (Chris Pratt), der als Kind in den späten Achtzigerjahren von der heimischen Erde entführt wurde, hält sich für den größten Outlaw der Galaxie und nennt sich hochtrabend „Star-Lord“. Doch nachdem er eine geheimnisvolle Kugel gestohlen hat, steckt er plötzlich so richtig im Schlamassel, wird er doch das Opfer einer unerbittlichen Kopfgeldjagd. Ronan the Accuser (Lee Pace) hat es auf das von Quill auf einem Wüstenplaneten entwendete Artefakt abgesehen und nichts Gutes damit im Sinn – die Ziele des mächtigen Bösewichts bedrohen nicht weniger als die Sicherheit des gesamten Universums! Um dem hartnäckigen Ronan und seinen Schergen zu entgehen, ist Quill gezwungen, einen nicht gerade einfach einzuhaltenden Waffenstillstand mit einem Quartett von ungleichen Außenseitern einzugehen. Dazu gehören der waffengeile Waschbär Rocket (im englischen Original gesprochen von Bradley Cooper), der ebenso wortkarge wie gutmütige Baummensch Groot (hier lieh Von Diesel Groots wiederholten Onelinern seine Stimme), die gleichsam tödliche und rätselhafte grüne Cyborg-Grazie Gamora (Zoë Saldaña) und der rachsüchtige entflohene Sträfling Drax the Destroyer (Dave Bautista). Als Peter dann die wahre, äußerst gefährliche Macht der begehrten Kugel kennenlernt, muss er sein Bestes geben, um die vom Schicksal zusammengewürfelten Rivalen für einen letzten, verzweifelten Widerstand zur Rettung der Galaxie zu vereinen…

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Am Ende der äußerst unterhaltsam und kurzweilig geratenen 120 Minuten weiß man gar nicht, was man am neusten – und bislang besten – Zelluloidwerk der Marvel-Studios (u.a. „The Avengers“, „Thor“, „Hulk“, „Iron Man“) zuerst loben soll: Den Mut, eine derart abgefahrene und selbstverliebt mit SciFi-Nostalgie-Zitaten spielende Storyline aufs Kinopublikum loszulassen? Die schiere Masse an Witz, die beinahe jede der dazu auch noch actionreichen Minuten versprüht? Den Unterhaltungswert, den diese gelungene Hauptfigurenkonstellation („I Am Groot!“ als Filmzitat des Jahres? Nehmich!) bietet? Die dazu noch tolle 3D-Umsetzung? Die Comic-Adaption „Guardians Of The Galaxy„, welche bereits in den ersten drei Monaten seit ihrem Kinostart im August mehr als 750 Millionen US-Dollar eingespielte, hat – dies ist zumindest meine bescheidene Meinung – im Grunde alles, was Popcornkino 2014 im positivsten Sinne ausmachen sollte. Macht unterm Schlussstrich nah dran an „perfekt“ und meinen persönlich unterhaltsamsten Film des Jahres. „I Am Groooooooot!“

 

 

 „Stereo“ (2014)

stereoIns ländliche Idyll, mitten ins Wald-und-Wiesen-Nirgendwo, hat sich Erik (Jürgen Vogel) zurückgezogen. Er betreibt eine kleine Motorradwerkstatt, die freie Zeit verbringt er mit seiner neuen Freundin Julia (Petra Schmidt-Schaller) und deren kleiner Tochter. Doch diese scheinbar heile Welt aus Vater-Mutter-Kind findet ein jähes Ende, als der mysteriöse Henry (Moritz Bleibtreu) auftaucht und sich rücksichtslos in Eriks Leben drängt. Damit aber nicht genug. Bald melden sich weitere zwielichtige Gestalten, eiskalte Verbrecher, die vorgeben, den vermeintlich freundlichen Mechaniker zu kennen und ihn auffordern, alte Schulden zu begleichen. Erik zweifelt an seinem eigenen Verstand, denn einerseits kann scheinbar nur er Henry wahrnehmen, andererseits haben diese „Schulden“ so gar nichts mit ihm zu tun. Oder doch? Und: er muss handeln – ob er will oder nicht.

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Vor dem Hintergrund des deutschen Kinos mag die Behauptung wohl erst einmal mutig erscheinen, aber: „Stereo“ ist ein Biest von einem Thriller. Einerseits mutet die zweite Filmregiearbeit von Maximilian Erlenwein („Schwerkraft“) wie der deutsche Bastard aus David Finchers monumentaler Kapitalismus-Apokalypse „Fight Club“ und „Face/Off – Im Körper des Feindes“ an, denn ebenso wie Brad Pitt und Edward Norton (in „Fight Club“) beziehungsweise John Travolta und Nicolas Cage (in „Face/Off“) liefern sich Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu ein mit viel fiebrigen Wahnfantasien geführtes böser Alter Ego-Duell, dessen Ausgang wohl nur die Wenigsten erahnen. Beide liefern in ihrem ersten gemeinsamen Film, dessen Drehbuch Erlenwein sowohl Vogel als auch Bleibtreu im wahrsten Sinne auf den Leib geschrieben hat, gewohnt großartige Leistungen ab, sodass der kundige Freund deutschen Genre-Kinos, das beide Schauspieler seit Jahren mit nicht selten großen und mutigen Leistungen füllen (etwa Vogel in seiner Rolle als Vergewaltiger in „Der freie Wille“ von 2006, für die er mit dem Silbernen Bären der Internationalen Filmfestspiele Berlin ausgezeichnet wurde), voll auf seine Kosten kommen wird. Allein dass der Regisseur in seiner Hommage an den Hollywoodklassiker „Mein Freund Harvey“ (1950), in dem James Stewart mit einem imaginierten menschengroßen Hasen spricht, etwas zu zwanghaft versucht, mit immer unglaublicheren Wendungen zu überraschen, und dabei Milieu- und Charakterzeichnungen etwas außer Acht lässt, kann man dem Film ankreiden. Ein recht düsterer Mindfuck mit Vogel und Bleibtreu entschädigt aber in jedem Falle auch hierfür.

 

 

Gone Girl – Das perfekte Opfer“ (2014)

Gone-Girl-DE-PosterNorth Carthage, Missouri. Amy Dunne (Rosamund Pike) verschwindet an ihrem fünften Hochzeitstag spurlos. Alle Indizien rücken den Ehemann Nick Dunne (Ben Affleck) ins Zentrum der mutmaßlichen Straftat, sein eigenartiges Verhalten trägt zu den sich mehrenden Verdachtvermutungen seiner Umgebung und der Medien nicht unwesentlich bei. Eigentlich galt er in ihrer Heimatstadt als perfekter Ehemann und die beiden als „nette, junge Nachbarn von nebenan“, doch mit dem Fortgang der polizeilichen Ermittlungen wird klar, dass dieses Bild zwar nur allzu trügerisch und oberflächlich war, doch auch Amy, Nicks verschwundene Ehefrau, nicht die sanfte Person gewesen zu sein scheint, die ihre Umgebung kannte. Mit dem Fund von Amys Tagebuch und einer mysteriösen, silbernen Geschenkbox, die sich gut versteckt in ihrem Schlafzimmer befand und offensichtlich geleert wurde, geraten die Ermittler in einen Strudel aus Lügen und Täuschungen. Doch während die gesamte Kleinstadt an der zerstörten Illusion einer perfekten Ehe zu verzweifeln droht, beteuert Nick weiterhin ebenso standhaft wie verzweifelt seine Unschuld…

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Kann David Fincher enttäuschen? Nun, mit „Gone Girl“ fügt er seiner ohnehin schon beeindruckenden Regie-Vita – „Alien 3“ (1992), „Sieben“ (1995), „The Game“ (1997), „Fight Club“ (1999), „Panic Room“ (2002), „Zodiac – Die Spur des Killers“ (2007), „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ (2008), „The Social Network“ (2010), und „The Girl With The Dragon Tattoo“ (2011) – einen weiteren großartigen Film hinzu. Klar gerät auch die Adaption des Bestseller-Thrillers aus der Feder von Gillian Flynn mit satten 150 Minuten nicht eben kurz – unter zwei Stunden und mal eben kurz und knackig geht eben nicht mit dem 52-jährigen Regisseur. Dafür überzeugt der Film mit derart wuchtigen Storytwists, dass schon bald nicht mehr klar ist, wer hier Täter ist und wer Opfer. Außerdem erneut an Bord: Nine Inch Nails-Mastermind Trent Reznor und Atticus Ross, welche sich zum dritten Mal seit „The Social Network“ (damals gabs für beide ja zurecht eine Oscar-Auszeichnung) gewinnbringend für den Soundtrack eines Fincher-Zelluloidwerks verantwortlich zeichnen, sowie „How I Met Your Mother“-Darling Neil Patrick Harris, der als Amy Dunnes irrer Ex-Freund Desi Collings beweist, dass sein Schauspiel eben deutlich mehr her gibt als den „ewigen Barney Stinson“. Und ich mag mir nicht helfen: Ben Affleck, der in Kürze als neuer „Batman“ auch den schwarzen Ritter mit seit jeher fehlender Schauspielkunst mutmaßlich zugrunde richten wird, wirkt in seiner Rolle als von allen Seiten attackierter Ehemann reichlich hilf- und haltlos. Aber wer Fincher, dieses alte, detailversessene Regieass, diesen Künstler und Großmeister der cineastischen Wendungsführung, kennt, den würde auch nicht verwundern, wenn selbst das eventuell ja im Drehbuch auch so vorgesehen war… Auf eine erste echte Enttäuschung durch Fincher durfte man also auch 2014 nicht wetten.

 

 

Auch toll…

Her-poster-417x586Her“ (2013)

Joaquín Phoenix verliebt sich in Spike Jonzes neustem SciFi-Märchenstreich, in dem der eh schon längst auf Charaktere abseits der Spur abonnierte Hollywood-Schauspieler den introvertierten, beziehungsgescheiterten Liebesbriefschreiber Theodore Twombly ein schnauzbärtiges Teddybärimage verleiht, in Scarlett Johansson – oder besser: in deren Stimme. Denn „Samantha“ ist in gar nicht allzu fern erscheinender Zukunft eben nicht aus Fleisch und Blut, sondern lediglich ein durchaus menschliches AI-Computerprogramm, das Menschen wie Twombly über ihr traurig-tristes Alleinsein hinweg helfen soll… Verträumt, dramatisch, märchenhaft und in schönen, weichen Bildern – all das geht bei Jonze Hand in Hand. „Her“ ist da nur der neuste Beweis.

 

DBCOS_156_V7Dallas Buyers Club“ (2013)

Keine Frage, sowohl der diesjährige Oscar als „Bester Hauptdarsteller“ für Matthew McConaughey als auch der des „Besten Nebendarstellers“ für Jared Leto gehen absolut in Ordnung, denn beide spielen in Jean-Marc Vallées aktuellem Film „Dallas Buyers Club“ sprichwörtlich um ihr Leben – McConaughey als mit HIV infizierter Redneck Ron Woodroof, Leto als an AIDS erkrankte Transferau Rayon, beide (anfänglich) mehr vom Schicksal aneinander gekettet als von irgendwelchen Idealen und Wertvorstellungen. Umso bewegender sind ebenjene zwei Stunden für den Zuschauer, sodass am Ende wohl kaum ein Auge trocken bleiben wird. Das, ja das vermag nur wahre Schauspielkunst…

 

charles_bradley_soul_of_america_xlgCharles Bradley: Soul of America“ (2012)

Ein neuer Interpret, das alte Lied: Ein nur allzu böser Wink des Schicksals (ihr wisst schon: die „falsche Zeit“, der „falsche Ort“) verhindert zu unrecht, dass ein im Grunde grandioser Künstler eine faire Chance erhält. Dass diese durchaus prädestinierte Hollywood-Drehbuchidee eben nicht aus den imaginativen Traumfabriken von Los Angeles stammen muss, sondern sich tatsächlich so noch und nöcher und bereits zigtausendfach in US-amerikanischen Groß- und Vorstädten abgespielt hat, haben bereits die beiden preisgekrönten und nach wie vor absolut sehenswerten abendfüllenden Musik-Dokumentationen „Searching For Sugar Man“ und „A Band Called DEATH“ bewiesen (beide Stories trugen sich kurioserweise in Detroit zu). Mit „Charles Bradley: Soul of America“ kommt nun eine weitere hinzu. Dabei ist weniger ausschlaggebend, wie Regisseur Poull Brien die Geschichte des heute 66-jährigen R&B- und Soul-Sängers, der in Armut im New Yorker Stadtteil Brooklyn aufwuchs, mehrfach und an verschiedenen Orten seinen Durchbruch als Sänger suchte, immer abgewiesen wurde und schließlich als sich als billig-günstiger James Brown-Imitator und mit Gelegenheitsjobs durchschlagender Nobody fast jede Hoffnung verloren hatte, bevor ihm vor wenigen Jahren – Charles Bradleys fabelhaftes Debütalbum „No Time For Dreaming“ erschien 2011 (!) – doch noch der verdiente Durchbruch gelang. Es gibt sie noch, die Gerechtigkeit – in einer Welt, in der tausend kleine Justin Bieber-Klone aus ihren Elfenbeintürmen stürzen, vor deren Toren so liebenswerte, herzenswarme – und an all dem Unrecht nie verbitterte – wahre Charaktere wie Bradley warten. Sie kommt spät, die Gerechtigkeit, aber es gibt sie. Karma, Baby. Ansehen, unbedingt!

(Kleiner Tipp: in voller Länge gibt’s die Musikdokumentation hier bei Youtube…)

 

 

Rock and Roll.

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„The Kate Bush Story: Running Up That Hill“ – ein feministisches Enigma im BBC-Portrait


Kate Bush in concert, 1986. Foto: Fotex/REX

Kate Bush in concert, 1986. Foto: Fotex/REX

Kate Bush? Klar, sollte jedem Pop-Aficionado ein Begriff sein. Ich selbst kam ausgerechnet durch eine Coverversion – Placebos 2003 veröffentlichte Variation von „Running Up That Hill“ – zum ersten Mal bewusst mit der 1958 in englischen Bexleyheath, Kent geborenen Musikerin in Berührung (oder zwei Jahre später durch das „Hounds Of Love“-Cover der Futureheads). Doch wer versteckt sich hinter so oft als Referenzen für heute Künstlerinnen wie Florence and the Machine, Tori Amos St. Vincent oder Bat For Lashes ins Feld getragenen Alben wie „The Red Shoes„, „The Kick Inside“ oder „Hounds Of Love„? Wer ist die Sirene hinter solch einprägsamen Songklassikern wie dem bereits erwähnten „Running Up That Hill“, hinter „Wuthering Heights“, „Babooshka“, „Cloudbusting“ oder dem Peter Gabriel-Duett „Don’t Give Up“ wirklich? Schwer zu sagen, denn immerhin ist es seit den für Bush äußerst produktiven Achtzigern still um die Künstlerin geworden. Lediglich 1993 erschien mit „The Red Shoes“ noch ein einziges Album, auf das nächste – „Aerial“ (2005) – mussten Fans ganze zwölf (!) Jahre lang warten…

Noch rarer als im Plattenregal machte sich Kate Bush nur auf Konzertbühnen. Umso erstaunlicher war also die Meldung vor ein paar Monaten, dass die bis heute die Öffentlichkeit weitestgehend meidende und zurückgezogen lebende Künstlerin zum ersten Mal seit 35 Jahren (!) wieder eine Reihe von 22 (!) Konzerten in London geben würde – alle Karten waren freilich nach rekordverdächtigen 15 Minuten ausverkauft. Und auch im Vorfeld der Konzerte machte Bush ihrem Ruf als scheue Exzentrikern alle Ehre, bat sie ihr Publikum doch, möglichst auf Fotoapparate und iPads zu verzichten

Die BBC nahm sich das am heutigen 26. August im Londoner Hammersmith Apollo stattfindende erste Kate Bush-Konzert seit mehr als drei Dekaden zum Anlass, einen kurzen Blick hinter die Fassade und Historie der heute 56-jährigen Engländerin zu werfen. In den erfreulich kurzweiligen 60 Minuten von „The Kate Bush Story: Running Up That Hill“ kommen dabei ebenso frühe Förderer (etwa Pink Floyd-Gitarrist und Entdecker David Gilmour) wie ehemalige Weggefährten (ihr Exfreund Del Palmer, ihr Tanzlehrer Lindsey Kemp) und Bewunderer (Tori Amos, Annie „St. Vincent“ Clark, Natasha „Bat For Lashes“ Khan, der ehemalige Sex Pistols-Frontmann John „Johnny Rotten“ Lydon, Fantasy-Autor Neil Gaiman…) zu Wort, um die Wichtigkeit und den Einfluss der Künstlerin auf die heutige Popmusik zu unterstreichen. Auch wenn am Ende des einstündigen Portraits das Enigma der Kate Bush (erneut) nicht gelöst werden konnte, so macht die BBC-Doku  – zumindest mir – auf jeden Fall Lust, sich etwas tiefer in die Diskografie der faszinierenden, vielfältigen Musikerin hinein zu hören…

Kate-Bush

 

 

 

 

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