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Song des Tages: Frank Turner – „Miranda“


Nachdem Frank Turner bereits die Singles „The Gathering„, „Haven’t Been Doing So Well“ und „Non Serviam“ veröffentlicht hat, folgt nun mit „Miranda“ der wohl persönlichste Song seines kommenden Albums, schließlich besingt der britische Musiker in dem Stück die schwierige Beziehung zu seinem Vater. Nach jahrzehntelanger Funkstille zwischen den beiden berichtet er davon, dass sie nun wieder miteinander sprechen – was auch daran liegt, dass sein Vater nun als Frau lebt.

Das zerrüttete Verhältnis liegt bereits in Turners Kindheit begründet. Der ehemalige Million Dead-Frontmann und punkrockende Singer/Songwriter wurde mit acht Jahren auf ein Internat geschickt, wo er sich „jede Nacht in den Schlaf weinte“, bis er sich „innerlich tot“ fühlte. Erst durch eine kürzlich durchgeführte Therapie wurde ihm klar, wie „wirklich beschissen“ diese Zeit für ihn war. In einem Interview mit dem „Guardian“ erläutert er: „So wurde mein Vater erzogen, und von mir wurde irgendwie erwartet, dass ich denselben Weg gehen würde. Aber ich fand es extrem traumatisch.“ Turner führt aus: „Ich hatte als Kind eine lange Vorgeschichte mit Selbstverletzungen und psychischen Problemen, die vollständig darauf [auf jene Zeit] zurückzuführen waren, und ich habe noch immer Narben, die das beweisen.“ 

Wohl auch deshalb verließ Turner früh sein Elternhaus, sein Vater, ein ehemaliger Banker und Buchhändler, wandte sich fast vollständig von seinem Lebensstil in der Londoner Punk-Szene ab und kam auch etwa „nie zu Konzerten“. Zudem gab Turner ihm die Schuld am Scheitern der Ehe seiner Eltern, sein Vater schien bereits zu Lebzeiten für ihn gestorben. Als er seine jetzige Ehefrau kennenlernte, sagte er zu ihr, dass er „nicht zu seiner Beerdigung gehen würde“. Im Jahr 2015 trafen die beiden bei einer Beerdigung kurz aufeinander, wo sein Vater ihm offenbarte, dass er darüber nachdenke, den Prozess des Transitioning zu beginnen. Turner war zwar erstaunt, tat aber ansonsten kaum dergleichen: „Ich dachte nur: ‚Okay, cool, whatever‘ – und ging weiter.“ Auch zu dieser Zeit sprachen die beiden nicht miteinander – ein Fakt, an dem er sich im Rückblick zumindest eine Teilschuld gibt, denn „ich war nicht gut drauf“. Aber als grundsätzlich integrativer Mensch – Turner arbeitet unter anderem mit der US-amerikanischen LGBTQ+-Wohltätigkeitsorganisation The Ally Coalition zusammen und sammelt bei seinen Auftritten häufig Geld für sie – wich seine Hitzköpfigkeit bald dem Verständnis: „Offensichtlich war es von Anfang an so: ‚Wenn das ernst gemeint ist, dann werde ich es unterstützen'“. Dennoch trafen sich die beiden erst 2018 auf Wunsch seines todkranken Onkels wieder. Sein Vater trat da bereits als Miranda in der Öffentlichkeit auf.

Für Frank Turner war dabei sofort klar, dass er nun einer anderen Person gegenübersteht: „Sie war sich der Menschen um sie herum und ihrer Wirkung auf andere Menschen bewusster. Weniger langweilig männlich und deutlich offener. Miranda ist ein wirklich netter Mensch und mein Vater war ein Arschloch.“ Seitdem hat sich das Verhältnis der beiden merklich verbessert, auch wenn eine große Aussprache noch aussteht. Miranda interessiert sich für die Arbeit ihres Sohnes, geht nun zu dessen Konzerten und sogar DJ-Gigs, um neben dem Pult zu tanzen. „Sie interessiert sich dafür, wer ich bin und was ich mache, was mein Vater nie getan hat. Wir werden immer an unserem Verhältnis arbeiten müssen, aber wir kommen ganz gut zurecht“, freut sich Turner heute. „Es hat sich von der Aussage, dass ich nicht zur Beerdigung von jemandem gehen würde, dahin entwickelt, dass wir uns zu Weihnachten sehen werden. Und darüber freue ich mich sehr.“ 

Wenig verwunderlich, dass diese zu Herzen gehende Geschichte auch Auswirkungen auf die dazugehörige Musik hat. In seinem neuen Song singt Turner „Miranda, it’s lovely to meet you“ und „My father is called Miranda these days / She’s a proud transgender woman and my resentment has started to fade“. Dabei kehrt er im Gegensatz zu den punkrockig krachenden Singleauskopplungen zuvor wieder zu seinem ruhigerem Singer/Songwriter-Sound zurück.

Das kommende Album „FTHC„, welches auf den 2019 erschienenen achten Langspieler „No Man’s Land“ folgt, ist für den 11. Februar 2022 angekündigt und kann bereits in diversen Versionen und Bundles vorbestellt werden. Zudem spielt Frank Turner im kommenden September sein eigenes Festival „Lost Evenings“ in Berlin und unterstützt die Donots bei ihren Konzerten in der Halle Münsterland – so diese Shows denn stattfinden können.

„My father’s called Miranda these days
She’s a proud transgender woman
And my resentment has started to fade
‚Cause it was never about who she was
Just the way that he behaved
Now my father is Miranda, we’re ok

All the years we were estranged
I was always hoping you would find a way to change
And after everything that we’ve been through
Miranda, it’s lovely to meet you

When I was young, he always seemed so filled with rage
Hе was angry at my clothes, my hair, my music, my teen age
But one sunny aftеrnoon she was dancing next to me on stage
I felt my anger drain away from inside my ribcage

And all the years we were estranged
I was always hoping you would find a way to change
And after everything that we’ve been through
Miranda, it’s lovely to meet you

The problem with carrying hate
For someone who doesn’t know
‚Cause you’re the only one carrying the weight
Better just let it go and get to know you for who you are
Who you really are
Who you really are
And who you’ve always been
Who you’ve always been

And all the years that we have left
Let’s be our best selves and let’s be friends
I’ll be me, promise me, you’ll be you
Oh, Miranda, it’s lovely to meet you
Oh, Miranda, it’s lovely to meet you
It’s lovely to meet you“

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Frank Turner – Positive Songs For Negative People (2015)

positive-frank-erschienen bei Vertigo/Universal-

Frank Turner – jedem Freund bierseligen Pub-Punksrocks mit akustischer Schlagseite (und nicht nur denen!) dürfte längst klar sein, wofür der mittlerweile 33-jährige Musiker seit Jahr und Tag steht: Authentizität, Bodenständigkeit, Herzlichkeit, britische Working-Class-Consciousness – und, ja, neben all diesen für Lau verschleuderten Schimpfwörtern (das Augenzwinkern denkt ihr euch bitte) auch ein wenig sympathische Naivität. Denn wie sonst kann man es sich erklären, dass ein Mensch diesseits der Vierzig all seine Energie in ein Leben von, mit und für die Musik steckt?

Und Turner tut dies freilich nicht erst seit Gestern. Immerhin ist der Mann, 1981 in Bahrain zur Welt gekommen, im sehr indie-lastigen englischen Hardcore gewachsen – ob nun in ferner zurück liegender (Million Dead) oder jüngerer Vergangenheit (Möngöl Hörde). Trotzdem wird der Turner-Frank den meisten mehr als Solo-Künstler ein Begriff sein, sei es nun durch seine zwischen 2007 und 2013 auf den Markt geworfenen fünf Alben, oder vielmehr durch seine fast durchgängig überzeugenden Liveshows. Der Mann war in den letzten Jahren derart emsig am Aufnehmen oder Touren, dass man sich als Freund gitarrenlastiger Festivals beinahe wundern durfte, wenn der Mann mal nicht auf einem Dreitagesakt in der prallen Mittagssonne zu sehen war… Und da Turner das offenbar noch nicht genügte, ging er auch noch unter die Autoren und veröffentlichte in diesem März seine Quasi-Autobiografie „The Road Beneath My Feet“ (zu der er sich übrigens vor allem durch Henry Rollins‘ 1994 erschienene Black-Flag-Memoiren „Get In The Van“ inspirieren ließ). Ein nimmermüder Tausendsassa mit ordentlich Arbeitsethos unterm Hintern? Aber hallo!

FRANK TURNER 2015 PROMO IMAGE HANDOUT ...

Freilich mag sich Frank Turner längst einen Namen als hervorragender (Live)Musiker gemacht haben. Allerdings war der Weg dahin ein steiniger. So war der britische Songwriter seit seinem 19. Lebensjahr mehr oder minder pausenlos on the road irgendwo in kleinen bis mittelgroßen Kaschemmen zwischen London und Tokio, führte ein unstetes Nomadenleben, lebte sprichwörtlich von der Hand in den Mund und schlief nicht selten gar auf den Couches von Freunden und Bekannten. Seit dem 2007 veröffentlichten Solo-Debüt „Sleep Is For The Week“ (welch‘ programmatischer Titel!) war der Musiker auf Ochsentour zwischen Bühne, Studio und immer mehr Bühnen. Der lange Lohn: im Rahmen der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2012 in London durften er und seine Begleitband The Sleeping Souls vor mehr als 80.000 Zuschauern auftreten (ganz zu schweigen von den Millionen Fernsehzuschauern) und Songs wie den Gassenhauer „I Still Believe“ performen. Und: Mittlerweile kann sich der Mann im Londoner Stadtteil Holloway eine kleine aber feine zweigeschossige Eigentumswohnung leisten – selbst, wenn er da auch in Zukunft kaum sein sollte (Festivals, Studio, die Bühnen, die Ochsentouren – Sie verstehen).

Trotzdem ist in Turners Leben längst nicht alles eitel Sonnenschein. Gerade im Rückspiegel wirkt sein vor zwei Jahren erschienenes fünftes Album „Tape Deck Heart“ wie das musikalisch verarbeitete Scherbenauflesen einer zu Bruch gegangenen Beziehung – ein Breakup-Album von britischer Couleur (wer mag, darf beispielsweise gern in den noch immer tollen Song „Tell Tale Signs“ hinein horchen). Doch wer Frankies Werdegang verfolgt, der weiß, dass der Engländer ein durchaus positives Stehaufmännchen ist. Von daher war auch (und gerade) für das neue, sechste Werk eine direkte Antwort zu erwarten…

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Trotzdem weist „Angel Islington“, die gut zweiminütige Eröffnung von „Positive Songs For Negative People„, ein wenig auf die falsche Fährte: zu sanftem Aktmusik-Gezupfe gibt Frank Turner noch einmal den Melancholischen, den Geschundenen und Geläuterten: „By the waters of the Thames / I resolve to start again / To wash my feet and cleanse my sins / To lose my cobwebs on the wind / To fix the parts of me I broke / To speak out loud the things I know / I haven’t been myself“. Schon „Get Better“, bei dem seine Begleiter der Sleeping Souls dazu stoßen, macht mit kaum mehr Laufzeit ungleich mehr Dampf unterm Kessel. Zu kraftvollem GitarreSchlagzeugBass schlägt Turner flugs neue Kapitel auf und wischt mir nichts, dir nichts allen Trübsal beiseite: „So try and get better and don’t ever accept less / Take a plain black marker and write this on your chest / Draw a line underneath all of this unhappiness / Come on now, let’s fix this mess / We could get better / Because we’re not dead yet“ – fast klar, dass solche Zeilen in Gangshouts münden müssen. Und ähnlich positiv und uptempo geht es weiter: „The Next Storm“ ist der reine musikalische Frühling (der dann in „The Opening Act Of Spring“ schon im Titel vor der Tür wartet), das toughe „Out Of Breath“, welches Punkrock mit Cabaret Rock kreuzt, trägt seinen Namen vollkommen zu recht („When you meet death / Be out of breath / And say you’re pleased to see him ‚cos you’re tired“), „Demons“ trägt nicht nur die ein oder andere weitere tolle Tattoo-Idee in sich („If life gives you demons, make demands“), sondern entleiht sich gleich mehrere Hooks bei den Foo Fighters und in „Love Forty Down“ macht Turner noch einmal klar, dass er gerade jetzt so viel zu gewinnen und so wenig zu verlieren hat: „I’m battered and I’m bruised / And I can’t afford to lose“. Die Highlights stechen jedoch auf diesem an Enttäuschungen armen Album (einzig „Josephine“ klingt mit seinen Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Zeilen und den E-Street-Gedächtnisriffs mehr nach B-Seiten-Material) trotzdem besonders hervor: „Glorious You“ feiert gut drei Minuten zu nahezu perfekten Melodien die Unvollkommenheit („Be glorious you, glorious you, glorios you / With your mixed-up metaphors, your messed-up makeup / Glorious you / With your tongue-tied tragedy, your too-small t-shirt / Glorious you“), „Mittens“ zeigt als großer Popsong dem Herzscherz den Mittelfinger, „Silent Key“, zu welchem die US-amerikanische Folksängerin Esmé Patterson ein paar Gesanglinien beisteuert, berichtet vom tragischen Unglück des Space Shuttles „Challenger“ im Jahr 1986, bei dem auch die im Song erwähnte gelernte Lehrerin Christa McAuliffe ums Leben kam. Und es darf wohl als programmatisch für „Positive Songs…“ stehen, dass Turner selbst dieser Tragik noch eine Sonnenseite abgewinnen kann: „I see this as a positive song, in the sense that it’s about appreciating the luck of even having lived, or been an astronaut…“. Nur einmal, beim letzten Stück „Song For Josh“, muss wohl jeder, der ein Herz und zwei Ohren hat, ganz tief schlucken. Frank Turner trägt diesen Tearjerker, der einem Freund, dem ehemaligen Clubmanager Josh Burdette, der sich im September 2013 das Leben nahm, allein zur Akustischen vor. Noch besser: das Stück wurde im Juni 2014 live im renommierten „9:30 Club“ in Washington D.C. mitgeschnitten – eben jenem Konzertvenue, dessen Manager besagter Josh noch wenige Monate zuvor war. „Why didn’t you call? / My phone’s always on / Why didn’t you call? / Before you got gone“ – jede Zeile ist Gänsehaut, danach kann, soll, darf nichts mehr kommen! Bewegender wird wohl in diesem Jahr kein Album zu Ende gebracht.

Auch wenn es komisch klingen mag, liefern Frank Turner und seine Sleeping Souls mit dem gemeinsam mit Produzent Butch Walker (u.a. Taylor Swift, Pete Yorn, Pink, Weezer) innerhalb weniger Wochen im US-amerikanischen Nashville aufgenommenen „Positive Songs For Negative People“ das gleichzeitig vielseitigste und geschlossenste Werk in der Diskographie des 33-jährigen Musikers ab, vereint es doch so ziemliche alle Beispiele und Namen, die sich derzeit auf mittelgroßen bis riesigen Konzertbühnen die Finger an Saiten und Tasten wund spielen können: Foo Fighters (zu hören an vielen Ecken und Enden, etwa „Demons“), Mumford & Sons (der Banjo-Anschlag bei „The Opening Act Of Spring“), Bruce Springsteen und seine E Street Band („Josephine“), die Dresden Dolls (die völlig atemlose Punk-Cabaret-Nummer „Out Of Breath“), Biffy Clyro (das chorale Finale von „Demons“), The Hold Steady etc. pp. Das Gute dabei ist, dass Frank Turner, der von Album zu Album mehr und mehr von der „Punkrock-Lagerfeuervarinate eines Billy Bragg“ zum „britischen Dave Grohl“ mutiert (im besten Sinne, natürlich!), dabei ganz sich selbst treu bleibt. Toll auch, dass der Deluxe Edition des 40 Minuten kurzen Albums zehn der zwölf Stücke (minus dem ersten und letzten Song) als Solo-Akustik-Versionen beiliegen (und hierbei vor allem „Glorious You“ und „Mittens“ als Gewinner in reduziertem Gewand vom Feld gehen). So (in Band-Version) oder so (als allein vorgetragene Akustik-Varianten) ist Frank Turner mit „Positive Songs…“ ein feines Album gelungen – und das bislang positivste seiner Karriere sowieso. Oder wie unlängst in einem Forum zu lesen war: „Es ist Sommer und das ist passende Musik hierfür.“ Jawollja!

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WasFrank Turner selbst über sein neustes Werk denkt? Das seht und hört ihr hier:

 

Freilich darf man via Youtube auch einige Songs hören. Hier kann sich das Musikvideo zu „The Next Storm“, Lyric-Videos zu „Get Better“ und „Mittens“ sowie einen Live-Mitschnitt des großen, bewegend ehrlichen „Song For Josh“ ansehen:

 

Und zum Schluss noch ein kleiner aber feiner Download-Tipp: Auf „Niko Records“ kann man sich Frank Turners gut einstündigen Akustik-Auftritt beim österreichischen „Acoustic Lakeside Festival“ vom Juli 2014 kostenlos und unverbindlich aufs heimische Abspielgerät laden – in bester Soundboard-Qualität, selbstverständlich. Zugreifen, bitte!

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Frank Turner – Tape Deck Heart (2013)

Tape Deck Heart (Cover)-erschienen bei Vertigo/Universal-

Schon surreal: da spielt man sich jahrein, jahraus die Finger in Bars und kleinen Kaschemmen blutig, vergrößert mit ein wenig Spritgeld als Lohn stetig die Fanschar jener, die schon beim nächsten Auftritt in diesem oder jenen Winzclub stolz das frisch gestochene Tattoo mit dem geliebten Songtextzitat vorzeigen und mit geschlossenen Augen textsicher jede Zeile mitsingen. Da nächtigt man im Schlagsack im nasskalten Backstagebereich, hechelt sich gedrängt sitzend im alten Tourvan von Auftrittsort zu Auftrittsort, nur um mancherorts quasi jeden Besucher mit Handschlag begrüßen zu können – und plötzlich findet man sich als Secret Act der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in London wieder, einer Show, die beinahe der komplette zivilisierte Erdball verfolgen wird – und durfte vorher beinahe keinem vom eigenen unverhofften Glück berichten… Liest sich wie der wahr gewordene feuchte Rock’n’Roll-Traum? Nun, Frank Turner ist genau das passiert!

Frank Turner live...

Doch wer glaubt, dass der 1981 in Bahrain geborene Engländer mit Harcore-Vergangenheit (bis 2005 war er Teil des Londoner Kollektivs Million Dead) danach abheben und sein Glück buchstäblich in den seelenlosen Versprechungen von Sex, Drugs and Rock’n’Roll suchen würde, der hat die Karriere des 31-Jährigen aus Winchester nicht aufmerksam genug verfolgt. Denn obwohl er mittlerweile keinerlei Mühe hat, große Hallen wie die 12.000 Besucher fassende Londoner Wembley Arena auszuverkaufen, so weiß er doch genau, dass er dieses Privileg nicht nur den stetigen eigenen Ochsentouren, sondern auch seiner ihm zu großen Teilen noch immer treu ergebenen Fanschar zu verdanken hat. Klar gibt es jene, die sich vor zehn Jahren bei ihm noch gern gern Schrammen im Hardcore-Moshpit holten, Turner jedoch mittlerweile nur allzu gern als Waschlappen abstempeln und ihm aufs Griffbrett seiner Akustikgitarre spucken würden. Doch da gibt es sich keinerlei Illusionen hin und nimmt’s mit Pragmatismus: „Denen bin ich mittlerweile viel zu hip. Aber das ist mir völlig egal. Ich mache, wozu ich Lust habe und wem meine Musik nicht gefällt, der muss ja nicht hinhören.“ Feel free to call this punkrock attitude…

Frank Turner

Doch selbst jemand wie Frank Turner braucht allen Klassikern zum Trotz, die von Langzeit-Fans bei Konzerten bereits nach den ersten Akkorden erkannt und frenetisch bejubelt werden, immer wieder einen kleinen Anlass für die nächste Tournee dies- wie jenseits des Atlantiks. Und welchen besseren Anlass gäbe es da als ein neues Album? Denn davon hat der nimmermüde Punkrock-Singer/Songwriter seit 2007 mittlerweile ganze vier Stück unter eigenem Namen zu Buche (respektive: im Plattenregal) stehen – und kürzlich kam mit „Tape Deck Heart“ Nummer fünf hinzu…

Wer mit dem bisherigen Schaffen Turners vertraut ist und nun die zwölf neuen Stücke (der regulären Version) hört, der wird sich zurecht fragen: Was gibt’s Neues? Doch andererseits war und ist es dem Grundsympathen nie daran gelegen, sich irgendwo komplett neu zu erfinden. Bereits der Opener „Recovery“ dürfte dem ein oder anderen Backkatalog-Connaisseur ein wissendes Lächeln auf die Lippen zaubern, wird doch das Gros der Turner’schen Trademarks ohne Umschweife auf den Plattenladentisch gepackt: bittersüße, mit Ironie und Witz gewürzte Texte, die von gefällig rockenden bis mitreißenden Melodien ummantelt werden. Textlich scheint der Engländer nach seiner letzten Veröffentlichung, der im vergangenen Jahr erschienenen Werkschau „Last Minutes and Lost Evenings„, welcher neben 15 Songs aus dem bisherigen Backkatalog auch das komplette Konzert in der Wembley Arena auf DVD beilag, einiges an Erinnerungen und Erlebnissen für sich ad acta legen zu wollen. So singt er in „Recovery“ vom Gesunden und Vergessen, erinnert sich in „Losing Days“ an die eine oder andere seiner bereits zahllosen Tätowierungen und deren Anlässe („I remember well the day that I got my first tattoo / I was so scared before and after I was so proud when it was new / But these days I’ve gone and got me many more / And sometimes I get more when I get bored“), macht in „Plain Sailing Weather“ Zugeständnisse an die wiederholte eigene Fehlbarkeit („Just give me one fine day of plain sailing weather / And I can fuck up anything, anything“) oder überzeugt in „The Way I Tend To Be“ mit feiner Melodie und lebensweisen Textzeilen: „Because I’ve said ‚I love you‘ so many times that the words kinda die in my mouth / And I meant it each time with each beautiful woman but somehow it never works out / You stood apart in my calloused heart, and you taught me and here’s what I learned / That love is about the changes you make and not just three small words“. „Good & Gone“ unternimmt Midtempo-Streifzüge hin zu perfekt ausgemalten Zukunftsträumen à la Hollywood, über einsame Tanzflächen, Hotelflure und hektische Flughafenhallen, und lässt dabei persönliche guilty pleasures wie Mötley Crüe endgültig gen Hair Metal-Hölle fahren – nur um nach knapp vier Minuten festzustellen, dass alle Träume für lange Zeit vor der heimatlichen Haustür gewartet haben. Die Akustische-zu-Schlagzeug-Ballade „Tell Tale Signs“ dürfte ab sofort eines der Mitsing-und-Mitwipp-Highlights von Frank Turner-Konzerten werden, denn Textzeilen wie diese bringt selbst der gewiefte Lyriker selten zustande: „God dammit Amy, we’re not kids any more / You can’t just keep waltzing out of my life / Leaving clothes on my bedroom floor / Like nothing really matters, like pain doesn’t hurt / You should be more to me by now than just heartbreak in a short skirt“.  Gleiches trifft auch auf „Four Simple Words“ zu, das zuerst eine kleine Bar-Revuenummer antäuscht („I’d like to teach you four simple words / So the next time you come to a show / You could sing those words back at me / Like they’re the only ones that you know“), nur um unvermittelt Fahrt aufzunehmen, als amtlicher Punkrock-Brecher für Bewegung im bierselig eingeleiteten Circlepit zu sorgen, und allen Szenefashionistas den erhobenen Mittelfinger zu präsentieren: „Somebody told me that music with guitars was going out of fashion and I had to laugh / This shit wasn’t fashionable when I fell in love / If the hipsters move on why should I give a fuck?“. „Polaroid Picture“ erzählt von längst vergangenen Tagen in der englischen Hauptstadt und davon, dass sich bereits im Entwicklungsprozess eines Polaroids das soeben noch Fotografierte dermaßen verändern kann, dass man es selbst nicht mehr wieder zu erkennen scheint („So in the stillness of the moment / Make sure you take a Polaroid picture / And keep it with you forever to / Remind yourself that everything changes“). „Anymore“ glimmt als fatalistische Heartbreak-Ballade still vor sich hin, bevor das abschließende Doppel aus „Oh Brother“ und „Broken Piano“ sich in groß aufgefahrenen Bandversionen dann noch einmal zu den Tagen voller Unbekümmertheit zurück träumt, als man – angestachelt durch die rohe, pure Energie von Bands wie Nirvana – mit Freunden leidlich gut klingende Bands gründete und sich in der Gewissheit verabschiedete, sich irgendwann wiederzusehen („Oh Brother“), nur um plötzlich mutterseelenallein durch den englischen Nebel streunen zu müssen („Broken Piano“).

Frank Turner & The Sleeping Souls

Natürlich sticht auch auf dem fünften Frank Turner-Album nicht jeder Song gleichermaßen ins Auge (respektive, natürlich: Ohr). Dennoch ist „Tape Deck Heart“ in seiner Gesamtheit – und trotz der Tatsache, dass der tätowierte Singer/Songwriter hier ein wenig introspektiver zu Werke geht als noch auf dem 2011 erschienenen Vorgänger „England Keep My Bones“ – um einiges schlüssiger geraten als das ein oder andere bisherige Werk. Und auch wenn an der einen Stelle schon mal positive Erinnerungen an Billy Bragg, die verblichenen R.E.M. (die Peter Buck-Gedächtnis-Mandoline in „Losing Days“!) oder ein leicht schaler Bon Jovi’scher Beigeschmack (man höre „The King Fisher Blues“) aufkommen mögen, so bleiben sich Frank Turner, der sich übrigens mit seiner im vergangenen August ins Leben gerufenen neuen Zweitband Möngöl Hörde erneut auf ausgetreten geglaubte Hardcore-Pfade begeben wird, und seine Begleitband The Sleeping Souls auch auf dem fünften Album treu. „Tape Deck Heart“ hebt in gefühlter Mixtape-Manier wehmütig das Pint-Glas in Richtung der eigenen Vergangenheit – nur um im nächsten Moment wieder ironisch lächelnd in die Saiten zu greifen und das Leben zu feiern. Keine Frage: auch aus dem aktuellen Album dürfte sich der ein oder andere Song als fester Bestandteil in künftige Setlists schleichen. Und Frank Turner? Lebt seine eigene Version des englischen Rock’n’Roll-Traums. Und liefert ab. Und tourt jahrein, jahraus. Und liefert ab. Und tourt jahrein, jahraus. Und…

(Allen, die trotz allem noch einen Nachschlag wollen, sei hier die Deluxe Edition von „Tape Deck Heart“ ans Herz gelegt, die ganze sechs Bonus Tracks enthält – vier Mal Frank Turner solo an der Akustischen, zwei Stücke im vollem Bandumpfang.)

TDH

 

Hier gibt’s die Videos zum Albumopener „Recovery“…

 

…zum Album-Highlight „Plain Sailing Weather“…

 

…und die gut 15-minütige Dokumentation „The Way I Tend To Be“, welche Turners Werdegang beleuchtet:

 

Immer noch nicht genug? Kein Problem! Auf nyctaper.com findet ihr einen Mitschnitt (Soundboard!) des Frank Turner & The Sleeping Souls-Konzerts im New Yorker Bowery Ballroom, welcher – in etwas kleinerem Rahmen als mittlerweile bei Turner gewohnt – am 4. März diesen Jahres stattfand – und natürlich vom Künstler selbst abgesegnet wurde…

Hier gibt’s den Song „Photosynthesis“ als Hörprobe:

 

Rock and Roll.

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Vom Rocken, Wachsen und Kassettenherzen – Neues Frank Turner-Video zu „Recovery“ und mehr…


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Wem es noch nicht aufgefallen sein sollte: ANEWFRIEND hat ein Herz für – man entschuldige die Wortwiederholung – herzhaft rockende Grundsympathen. Und als solche spielt Frank Turner mindestens in der Champions League…

Immerhin schafft es der 31-jährige Engländer mit Hardcore-Band-Vergangenheit (bis 2005 war er Teil des Londoner Kollektivs Million Dead) nahezu spielend, sein Publikum von Jahr zu Jahr zu vergrößern, bei der Eröffnungsveranstaltung der letztjährigen Olympischen Spiele in London (!) aufzutreten, Konzerte wie das in der Wembley Arena auszuverkaufen – und doch jede Show so anzugehen, dass man glaubt, er singe diesen einen Song gerade für einen selbst.

Und auch wenn die bierseligen Tage, an denen Turner vor 50 zahlenden Zuschauer in kleinen Punkrock-Kaschemmen spielte, der Vergangenheit angehören dürften, so darf doch als gesichert gelten, dass der englische Weltenbummler, der 1981 in Bahrain das Licht der Welt erblickte, auch in Zukunft ein grundhemdsärmlicher Musiker zu Anfassen bleiben wird.

Frank Turner - Tape Deck Heart

Dass auch Turners Songs nicht von schlechten Eltern sind, sollte hinlänglich bekannt sein. Unter Beweis stellt der Folkrocker dies in den kommenden Tagen mit der Veröffentlichung seines fünften Soloalbums „Tape Deck Heart„, in dessen zwölf (Standard Edition) beziehungsweise achtzehn (Deluxe Edition) Songs er erneut kleine und große Geschichten vom Leben und Lieben dies- und jenseits der Tourbusse dieser (Musik)Welt erzählt, und dessen Textzeilen sich in Zukunft erneut als Tätowierung auf der ein oder anderen Fanhaut  wiederfinden werden… (ANEWFRIEND hat es übrigens bereits vorgehört und – einem ersten Eindruck nach – befunden, dass es sogar um Längen besser als der zwei Jahre alte Vorgänger „England Keep My Bones“ geraten ist…)

Anhand des Videos zum Albumopener „Recovery“ könnt ihr euch hier nun selbst einen Eindruck vom 2013er Frank Turner verschaffen:

 

 

Wer einen Überblick über das bisherige Solo-Schaffen des Engländers bekommen möchte, dem sei die im vergangenen Jahr erschiene Werkschau „Last Minutes and Lost Evenings“ ans Hörerherz gelegt, bei der der Künstler selbst 15 Stücke aus seinem bisherigen Backkatalog auswählte, und der sogar noch das komplette Konzert seiner Wembley Arena-Show auf DVD beiliegt.

Außerdem zu empfehlen ist diese 15-minütige, kürzlich veröffentlichte Dokumentation von, mit und über Frank Turner mit dem schönen Titel „The Way I Tend To Be“:

 

Rock and Roll.

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