
Punkrock, der das Leben feiert: Das 2014 ins Leben gerufene Ein-Mann-Folk-Punk-Projekt des Portugiesen Nelson Graf Reis entwickelt sich auf dem dritten Album von We Bless This Mess zu vollem Bandsound. Karohemd und gereckte Faust inklusive.
Wer sich direkt im ersten Track (welcher passenderweise „Before You Play This Record, Listen To This“ tituliert ist) so aufrichtig für die Aufmerksamkeit bedankt und proklamiert, dass das Album als „an ode to life“ begriffen werden soll, der meint das wohl auch so. Der Tattookünstler Nelson Graf Reis hat seine Wurzeln in der DIY-Punkszene Portos und hat dort neben seinem eigenen Projekt auch noch das Label „Oh Lee Music“ gegründet. Man muss keine hellseherische Begabung besitzen um zu merken, dass der Mann offenbar ein außerordentlich hohes Level an Leidenschaft und Kreativität besitzt, woran auch ein zwischenzeitiger Umzug nach Großbritannien nichts geändert hat. Denn „Enlightened Fool“ ist der musikalische Sprung in die vorderen Reihen des melodischen Punk Rock.
Folgten die zwei Vorgängeralben „Volume 1“ und „Awareness Songs And Side Stories“ noch dem Anspruch, Punk in alter Frank-Turner-Manier möglichst reduziert und folkig zu halten, ist der Sound von We Bless This Mess nun voll elektrifiziert. Der zumeist stampfende Rhythmus und die sich immer wieder einschleichende Akustikgitarre halten die Verbindung zum troubadourenden Folk aber noch genügend aufrecht, um – neben dem Turner-Frank, freilich – an Kaliber wie (frühe) The Gaslight Anthem oder Cold Years zu erinnern. Beachtlich ist dabei der Umstand, dass Reis bis auf das Schlagzeug sämtliche Instrumente selbst eingespielt hat (kreativ, ich schrob’s ja).
Mit ihrem Anliegen halten Nelson Graf Reis und seine Band-Buddies keineswegs hinterm portugiesischen Berg: Bewusstsein schaffen sowie Licht und Liebe an die Mitmenschen verteilen. Was im ersten Moment hippiesk anmutet, ist tatsächlich das Konzept hinter „Enlightened Fool“. Menschen müssen viele Phasen durchleben, bis sie zu einem höheren Bewusstsein gelangen und verstehen, was es bedeutet, ein erleuchteter Dummkopf zu sein. Sokrates lässt grüßen. „Niemand hat die richtigen Antworten oder einen Zaubertrank, um dabei erfolgreich zu sein“, kommentiert die Band. „Aber glücklicherweise könnten diese Songs jemandem helfen, das Leben anders zu betrachten – sich friedlich zu fühlen und wahrzunehmen, dass wir am Leben sind.“
Zwei Dinge fallen außerdem direkt auf: Zum einen zeigt schon der Beginn von „Good That You’re Letting It Go“, dass Reis eine nicht nur für Genreverhältnisse grandiose Stimme sein Eigen nennt. Zum anderen strahlt einem die schon angesprochene Positivität so sehr aus sämtlichen Texten – und der eingangs erwähnten akustischen Dankesnote – entgegen, dass man entwaffnet allen Widerstand fallen lässt und mitgerissen wird. In Verbindung mit den hochmelodischen Gitarrenleads mögen gewieften Genre-Kennern hier etwa die Get Up Kids, Promise Ring oder die US-Punkrocker von Latterman in den Sinn kommen – Vergleiche, die durchaus funktionieren, wenn man beispielsweise das (fast) rein instrumentale „Humanity.Wake.Up“ hört. Apropos sehr gut funktionieren: das lässt sich ebenfalls über das fröhliche „Messy Hair: Red Lipstick”, welches wie Robert Smith mit selten-schöner Frühlingseuphorie tönt, oder den gnadenlosen Ohrwurm „Happy Monsters In My Closet“ behaupten. Der Großteil der mit acht „echten“ Songs recht kurzen Platte bewegt sich im beschwingten Midtempo, nur das augenzwinkernd betitelte „Almost Straight Edge“ drückt ziemlich aufs Gas und geht dank der Stop&Go-Parts und der Crewshouts gar als ziemlich gelungener Melodic Hardcore durch. „Still Water“ ist introspektiver 2000er-Emo par excellence, wie ihn etwa die Münsteraner Pop-Punks Idle Class früher zelebrierten. Weitere Highlights stellen der Mini-Hit „Solitude“ und „Find.Unfold.Accept“ dar, dessen Gänsehautklimax auch ein Chris Carrabba zu Dashboard Confessional-Hochzeiten nicht umwerfender hätte schreiben können. Mit dem stimmungsvollen Klavieroutro „Now And Today“ läuft „Enlightened Fool” nach einer guten halben Stunde im Ziel ein, ohne sich dabei einen wirklich schwachen Moment geleistet zu haben. Das Album nahm die in Norwich und Porto beheimate Band bereits 2019 im sonnigen Kalifornien auf, nur um im Anschluss, wie so viele aufstrebende Bands, von der Pandemie ausgebremst zu werden. Ohne Frage – We Bless This Mess sind spätestens jetzt Pflicht für alle Freunde von melodischem Karohemden-Punk Rock sowie mehrspurigem Heartland Rock mit dem unbeugsamen Willen zum himmelsstürmenden Refrainmelodie-Bogen und einer ausreichenden Menge an Melancholie im Tank.
Klar mag man das ein oder andere schon tausendundein Mal gehört haben, aber wer diese abgrundtiefe Liebe zum Leben so gebündelt, so herzlich nicht ertragen mag, der muss hier – wie durch das Leben selbst – trotzdem durch. Das hier ist einfach zu gut, zu sympathisch, um es an die Zyniker und miesepetrigen Stinkstiefel zu verlieren. Danach überlegt man sich wohlmöglich Wörter mit vier Buchstaben, die man sich die Fingerknöchel tätowieren lassen könnte – eventuell ja von Nelson Graf Reis höchstselbst.
Rock and Roll.