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„Allemagne Zero Points“ – Nicht ganz, aber fast.


Hach ja, der ESC. Da kann sich der Gesangswettbewerb formally known asGrand Prix Eurovision de la Chanson“ noch so sehr wandeln und häuten und rundumerneuern, ein paar Dinge haben schonbar seit Jahr und Tag Bestand: Peter Urban moderiert die ganze Chose in der übertragenden ARD zwar stets etwas großväterlich, aber mit ehrlicher Pathosbefreitheit runter, die Wettbüros behalten mit ihren Prognosen nahezu immer recht – und Deutschland, Germany, l’Allemagne holt sich mit hinterletzten Plätzen beim Lied- und Gesangswettstreit der Europäischen Rundfunkunion, an welchem aus unerfindlichen Gründen seit 2015 auch der zwar ferne, jedoch scheinbar gefühlt nahe Nachbarstaat Australien teilnehmen darf, alljährlich immer neue peinliche Nackenschläge ab (freilich nur kurz vom erstaunlichen Sieg anno 2010 mit Lena Johanna Therese Meyer-Landruts Stefan-Raab-Überhit „Satellite“ sowie den rückblickend überaus respektablen 8. beziehungsweise 4. Plätzen für Künstler wie Roman Lob und Michael Schulte unterbrochen, die dann wiederum 2012 und 2018 stattfanden). Nagt’s am teutonischen Selbstverständnis, dass man für solche Niederlagen nicht mal mehr einen Fussball oder irgendwelche Wirtschaftsprognosen benötigt? Dass man über die potentiellen Gründe für die scheinbare Abneigung gegen „uns Deutsche“ ganze Bücher lang vortrefflich mutmaßen und debattieren könnte? Ach, lohnt nicht, Darling! Ein, zwei Traditionen sollten sich bewahren…

Und dieses Jahr? Triumphierte gestern eine Frau, die ein fleischfarbenes, wohl aus ihrer eigenen Lederchaiselongue zusammengeschustertes Outfit, Henna-Verzierungen und sehr, sehr lange Fingernägel trug, selbst in den Momenten der größten Spannung wie Billie Eilishs von Schlaftrunkenheit und nebulösen Stoffen achtsam sedierte ältere Schwester wirkte und sich auf der großen Bühne aus einer engen „Sonnenbank“ (Peter Urban) befreite. Loreens Lied „Tattoo“, mit viel Zielbewusstsein von ganzen sechs Autoren geschrieben, beginnt nicht gänzlich ohne Absicht mit einer fast schon Abba’schen Wendung: „I don’t wanna go / But baby, we both know/ This is not our time / It’s time to say goodbye.” – noch mit das Beste an der auf Finalsieg getrimmten Drei-Minuten-Nummer. Sei’s drum, die schwedische Musikerin ist jetzt der einzige Mensch neben Johnny Logan, der den Eurovision Song Contest zweimal gewonnen hat – erstmals 2012 mit „Euphoria“ (welches, so viel Ehrlichkeit sollte im Vergleich mit dem diesjährigen Stück nunmal sein, doch deutlich mehr Ohrwurmpotential besaß).

Und dahinter? Belegte der Finne Käärijä, rein optisch ein irrer Hybrid aus dem teutonischen Hippe-di-Hopp-Rapper Haftbefehl und CSD-Techno-Freund, mit der populistischen Gaga-Tanzroutine „Cha Cha Cha“ den zweiten Rang. Noch weiß man, dass diese ulkige Type sich zu Beginn des Bühnenvortrags mit irrem Blick und massig Elan aus einer Bretterbude befreite und, schenkt man dem vorangegangenen Vorstellungseinspieler Glauben, scheinbar recht gern in einer Riesenradkabine sauniert. Wird wohl alles schnell vergessen werden… Apropos „raus aus dem Hirn-Zwischenspeicher“: Auf dem dritten Platz landete die Israelin Noa Kirel mit „Unicorn“, deren auf ansehnliches Tanzspektakel gemünzte Inszenierung irgendwo zwischen J.Lo, Shakira und Ariana Grande zwar wahrscheinlich die überzeugendste des diesjährigen Show-Wettbewerbs war. jedoch offen ließ, was all das nun mit „Female Empowerment“, also mit weiblicher Selbstermächtigung, zu tun hatte. Andererseits: Einhörner will einem ja auch keiner näher erklären, also sei’s drum, is‘ alles nur schön anzuschauende Schau für den juxen Moment. Und: genau diese Treppchen-Platzierungen wurden von den Buchmachern eben vorher angekündigt. Gähn.

Praktisch war außerdem, dass der „Eurovision Song Contest“ ausgerechnet bei den Brexitern in good ole England stattfand, schließlich hatte sich das Augenmerk der gut behüteten Promi-und-Unterhaltunsgwelt ja erst eine Woche zuvor für die lang geplante Inthronisierung von Prinz, ähm… König Charles III. dahin gerichtet. Kaum waren also die Krönungsfeierlichkeiten in London abgeschlossen, verlagerte das öffentliche Interesse einfach den Schauplatz etwas weiter nördlich: Der ESC wurde von der BBC in Liverpool stellvertretend für die im Vorjahr – wohl auch mit einem guten Überpfund Solidarität – erfolgreiche Ukraine ausgerichtet, da solch ein Wettbewerb in einem im Krieg befindlichen Gebiet wohl keine allzu gute Idee abgegeben hätte. Daher erfuhr der geneigte Zuschauer eine Woche lang, dass Liverpool die Geburtsstadt der Beatles ist (ach nee!) und dass die Bürger von Liverpool keine Engländer, sondern „Liverpudlians“ und „Scousers“ sind – und stolz darauf (ach so!). Außerdem sind sie herzlich (ach ja?). Und hierzulande wurde die Stadt am River Mersey nur in einem Satz erwähnt, wenn dieser daraufhin auch „Jürgen Klopp“, neben Ratebespaßler Günther Jauch aktuell Deutschlands sympathischstes Werbemaskottchen Nummer eins, enthielt.

Aber ich schwof einmal mehr ab… Camilla und Charles eröffneten also die prall mit Fahnen wedelndem Publikum gefüllte Arena bei den Royal Albert Docks, und am Anfang der Fernsehübertragung spielten unter anderem Herzogin Kate und Andrew Lloyd Webber auf dem Piano einige Kadenzen von „Stefania“, dem ukrainischen Gewinnersong des letzten Jahres, bevor das experimentell gekleidete Kalush Orchestra das Lied auch noch einmal in der Halle aufführte. Und jetzt haben wir genug von der Flöte – und zwar auch von selbiger, die der kleinwüchsige Mann zwischen Trommlern und Amazonen für Moldau blies! (Ein „Skandal“ ist übrigens nur das, worüber man, bei allem Irrsinn dieser Tage, nicht selbst mit einem Auge zwinkern kann…)

So kommentierte sich Peter Urban in seiner letzten ESC-Sendung vier Stunden lang tapfer durch die Postkartenansichten von Rathäusern, Brücken und Bibliotheken von Großbritannien, den jeweiligen 26 Finalbetragsländern und der Ukraine. Die Toiletten, hatte Urban vorher angemerkt, lagen dicht an der Sprecherkabine. Pickepackene 240 Minuten, 14.400 Sekunden dauerte die Show, die durch das Abfragen der sogenannten Jury-Stimmen aus jedem Land traditionell einmal mehr gen Ende etwas in die Länge gezogen wurde (obwohl die Verantwortlichen hier mittlerweile gewinnbringend gekürzt haben). Wenig überraschend einigten sich diese „Experten-Jurys“ mit überwältigender Mehrheit auf Schwedens Loreen – und dieses Votum wurde, ebenso wenig überraschend, auch von der öffentlichen Meinung, den Publikumsstimmen, der Vox Populi, nicht wirklich gewendet. Hinter Loreen und Finnlands technoider Antwort auf Haftbefehl, Käärijä: ein großer Abstand zum israelischen Pop-Sternchen Noa Kirel und dem Italiener Marco Mengoni mit „Due Vite“, nebst dem hübsch anzuhörenden Schweizer Betrag einem der wenigen traditionellen Lieder im Wettbewerb.

Apropos „Zum ESC bestellen wir uns ’ne Pizza!“: Italien ist das einzige Land der „Big Five“, also der immer schon qualifizierten europäischen Staaten, das schlußendlich auf dem Tableau reüssierte. Frankreich und Spanien, Großbritannien und Deutschland scheiterten mal mehr, mal minder spektakulär mit – wie soll man’s schreiben? – gewollten Beiträgen, die am Ende nahezu keiner wollte. Chris Harms, der Sänger von Lord Of The Lost, liest immer die letzte Seite eines Buches zuerst. Daher hätte auch er gern vorher gewusst, wie der Wettbewerb schlussendlich ausgeht. Mit dem letzten Rang für selbige Lord Of The Lost nämlich. Die Dark-Rock-Band aus Hamburg-St. Pauli wirkte wie aus Versehen in die große Arena geraten. Harms rief „Liverpool, make some noise!“ in eine Halle, in der seit zwei Stunden nur ausgelassener Lärm herrschte. Am Ende waren „Blood & Glitter„, rote Lack’n’Leder-Outfits (die vor allem den Frontmann wie eine neu entdeckte Moskito-Abart aussehen ließen), Feuershow, an der stählernen Rammstein-Fibel geschulte Rrrrrrock-Rifferei und Screamo-Einlagen mickrige 18 Pünktchen wert – da kann die fünfköpfige Truppe wohl, bei aller Mittelmäßigkeit ihres Songs, am wenigsten für. (Noch lustiger war übrigens der Fakt, dass zwei der insgesamt drei Jury-Punkte ausgerechnet aus dem verschrobenen Island kamen und der Präsentator der Punkte seine astreine S&M-Vermummung nicht ablegte. Ach, Island…) Vielleicht war die Reimbarkeit des Titels auf „Glatt und bitter“ zu sehr böses Omen? So nämlich kommentierten Olli Schulz und Jan Böhmermann, ja nicht erst seit gestern beste „Fest & Flauschig“-Podcast-Buddies, das Stück ahnend für den österreichischen ORF. Vielleicht hätte der NDR, anstatt Lord Of The Lost (die den Vorentscheid knapp vor Ikke Hüftgold gewannen und Liverpool somit nur hauchdünn vor einer Überdosis Ballermann-Verblödung bewahrten), wohl eher Böhmermann und seinen tatsächlich verdammt guten, einmal mehr ebenso toll musikalisch ausstaffierten wie mit einem Augenzwinkern garnierten Songbetrag „Allemagne Zero Points„, der mit seiner Veröffentlichung vor ein paar Tagen freilich bewusst zu spät kam, gen England schicken sollen? Nun, verehrte bundesdeutsche Auswahljury: der „blasse dünne Junge“ wäre doch ’ne Idee fürs kommende ESC-Jahr! Schlimmer kann’s nun eh kaum noch kommen… Und nehmt Barbara Schöneberger bitte, bitte endlich den Schlüssel zu ihrem Kinderkirmes-Ankleidezimmer weg! Und bitte, bitte, bitte haltet es nie, nie, nie wieder für eine gute Idee, Elton die Jury-Punkte präsentieren zu lassen, schließlich mag nun mindestens halb TV-Europa denken, dass der ehemalige Raab-Sidekick der schönste und witzigste Mann aus Teutonien sei. Wie wär’s denn mit Ingo Zamperoni? Oder meinetwegen eben Günther Jauch oder Jürgen Klopp?

Natürlich, erst hinterher ist man wirklich schlauer, und auch die diesjährigen geprügelten Hunde von Lord Of The Lost wissen, zumal als Söhne Hamburgs, nun: Du kannst vieles planen, aber der wandlungsfähige Eurovision Song Contest ist in manchem Moment wie die hohe See.

Und wo, kurz vor Ende dieses von Zeitgeist geprägten Artikels erneut der Name der Hansestadt fiel, hier noch etwas Wissensvermittlung: Mit insgesamt 2.500 Brücken ist Hamburg Europas Stadt mit den meisten Brücken und stellt Venedig, welches über lediglich rund 400 Brücken verfügt und damit in dem Ranking nur den fünften Platz belegt, klar in den Schatten. Wusste man? Oha, Chapeau! Und bei aller Nähe zum Wasser sei mir da noch ein letzter Brückenschlag gestattet, denn nun geht – ohne eine Träne, dafür mit amtlicher Würde – der deutsche Kommentatoren-Bootsmann, der jede Ausgabe des ESC seit 1997 mit seiner bestens bekannten Stimme sowie mit dem ein oder anderen zutiefst ehrlichen Einwurf begleitete, von Bord – und das sei ihm, auch schon stolze 75 Lenze alt, freilich gleichsam gestattet wie gegönnt. Passenderweise verabschiedete sich der noble Peter Urban daher gestern ohne Umschweife: „Es war mir ein Vergnügen und eine Ehre. Ihr Peter Urban.“ Wegen zweier Dinge wird er ab dem kommenden ESC-Jahr vor allem fehlen: Peter Urban war niemals borniert. Und er war (beinahe) niemals pathetisch. Im Zweifel waren das die bemerkenswertesten deutschen Leistungen beim wohlmöglich pathetischsten Fest der Welt (nach der Krönung).

  
  

Rock and Roll.

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Mein Senf: Harry, Dianas postume Zeitbombe


Lady Di und Charles mit Harry (links) und William im Jahr 1995 (Foto: afp)

Am Tag, als Diana Frances Spencer starb, waren ihre Söhne William und Harry 15 und 12 Jahre alt. Mit ihrem Sterben am 31. August 1997 in einem Tunnel in Paris, an der Seite ihres letzten Liebhabers Dodi al-Fayed, geschah etwas Unbegreifliches: eine Geschichte, die so tragisch war, dass man sie kaum einem Romanautor abnehmen würde, wurde Wirklichkeit. Aufstieg und Leiden der Prinzessin Diana hatten die Welt über fast zwei Jahrzehnte träumen und trauern, staunen und schäumen lassen. Im Nachhinein mag man das grausame Ende als fast zwangläufige Volte des Schicksals sehen. Damals aber löste sie eine Schockwelle auf, die den Globus erzittern und süffisant schluchzen ließ wie zuvor vielleicht nur das Attentat auf John F. Kennedy.

Die damals ohnehin fast absurde Heiligenansehung der ehemaligen Kindergärtnerin, die es kurzzeitig bis zur zukünftigen Königsgattin geschafft hatte (und postum als „Königin der Herzen“ noch berühmter wurde als ohnehin schon), überdeckte dabei wie glitzernder Mehltau die wahre Geschichte einer dysfunktionalen, aber in ihrem Scheitern im Grunde auch nicht sonderlich außergewöhnlichen Familie. Gut, es war ein Kostümdrama (welches unlängst für die „Netflix“-Serie „The Crown“ in Skandaleskem badend ausgeweidet wurde), es gab als besondere Ereigniskarten die strengen und vielleicht bizarren Regeln der Monarchie. Im Grunde genommen aber war es so: Eine Ehe scheitert. Zurück bleiben der Gatte und die Gattin, die einander die Schuld geben – und eben zwei kleine Söhne.

Eine Alltäglichkeit? Natürlich, schließlich müssen Millionen Familien landein, landaus mit solchen Situationen leben und kommen damit zurecht – mal mehr, mal weniger gut. Selten scheitert das Leben danach so brachial wie im Falle Windsor gegen Spencer. Die Erschütterungen sind bis heute spürbar, also auch nach mehr als 25 Jahren noch. Der Rache – und der Geldgierfeldzug, den Dianas jüngerer Sohn, Harry, gerade mit dem lautest denkbaren Kampfgebrüll gegen seine abseits bekannte royale Rest-Familie führt, wäre ohne das Schicksal der Prinzessin für ein Jahrzehnt und ihre seltsam und doch so erfolgreich kaschierte Egomanie nicht denkbar. Um es auf den Punkt zu bringen: wäre Diana eine gute Mutter gewesen, würde ihr Sohn heute vielleicht nicht der Ego-Berserker sein, der er eben ist.

Aber sie war es nicht, im Gegenteil. Denn anstatt sich in angemessenem Maße um ihre Kinder zu kümmern, beschäftigte sie sich vielmehr mit einer anderen, ihr wohlmöglich viel wichtigeren Person: mit sich selbst. Steile Thesen? Gibt’s anderswo.

Doch zurück zu jenem verhängnisvollen Augusttag im Jahr 1997: Den Morgen ihres Todestages hatte die damals 36-Jährige noch vor Sardinien begonnen, mit Croissants und Konfitüre auf einer Luxusyacht. Von dort aus trat Diana die verhängnisvolle Reise nach Paris an, wo sich die ehemalige Prinzessin mit ihrem neuem Liebhaber Dodi al-Fayed weiteren Zerstreuungen hingeben wollte. Denn Paris und auch Sardinien waren nur kurze Etappen eines heiteren Sommers, den Diana – fernab ihrer britischen Heimat und ihrer Kinder – verbrachte. Sicher: in deren Schulferien hatte man -wohlmöglich aus Pflichtschuld, wohlmöglich aus tatsächlicher Mutterliebe – gemeinsame Tage verlebt, aber anschließend begann Diana eine vielwöchige Reise durch Europa. Sie flog nach Mailand zur Trauerfeier für den ermordeten Modeschöpfer Gianni Versace, dann weiter zum Mittelmeer, wo sie auf der Yacht des Harrod´s-Erben al-Fayed eincheckte und in See stach. Zwischendurch lag ein Besuch in Bosnien-Herzegowina für eine Kampagne gegen Landminen.

Letzteres ist ehrenvoll, keine Frage, wie viele Charity-Projekte, die die ehemalige Princess of Wales anführte. Immer dabei, natürlich, denn wer Aufmerksamkeit braucht, benötigt die Presse: Paparazzi, Kamerateams, Journalisten. Das symbiotische Verhältnis zwischen Spencer und den Medien hatte sich seit ihrem Eintritt ins britische Königshaus in den frühen Achtzigern stetig entwickelt und war für beide Seiten äußerst lukrativ. Vor allem in den Jahren des Scheiterns ihrer Ehe mit Charles hatte Diana gelernt, wie man mit der Öffentlichkeit umgeht. In dem 1992 erschienenen Buch „Diana – ihre wahre Geschichte“ ließ sie sich von Andrew Morton als betrogene Unschuld vom Lande portraitieren, die, vom Gatten verhöhnt und vom Palast schikaniert, Jahre der Qual hinter sich hatte. Doppelmoral, ick hör‘ dir trapsen, denn ihre eigenen inner- und später außerehelichen Beziehungen zu unter anderen einem Reitlehrer und einem Herz-Chirurgen wurden ihr von der Öffentlichkeit verziehen. Und als ihr Image etwas ins Wanken geriet, gab sie Martin Bashir im Jahr 1995 ein legendäres Tränen-Interview. Das hörte sich dann – sie spricht über Charles – so an: „Ja, ich habe ihn vergöttert. Ja, ich war verliebt in ihn. Aber ich bin schrecklich im Stich gelassen worden.“ Dazu ihr Signature-Blick, ganz scheu und unschuldig, Kulleraugen nach oben, hollywoodreifes großes Kindchenschema-Kino.

Tatsächlich war Diana die Hohepriesterin der Meinungsbildung und der zufällig bestellten Fotos – man erinnere sich etwa an die sinnierende Bikini-Di im Bugspriet der Dodi-Yacht. Klatsch funktioniert durch immense Aufmerksamkeit, funktioniert dadurch, dass Menschen ihre eigenen Gefühle mit denen derer abgleichen, die es (vermeintlich) zu etwas gebracht haben – beispielsweise vom Kindergarten nach Kensington. Dieses Foto von Irgendwo in Jetsetistan sagt: Ja, sie bewegt sich zwar seit jeher in anderen Sphären und ist jetzt zwar mit einem etwas extrovertierten Multimillionär zusammen, aber, seht her – sie ist eine nachdenkliche Frau in den Dreißigern, die sich nichts vorschreiben lässt! Diana ließ sich von den besten Fotografen der Welt ablichten, in allen Rollen, die ihr gerade hilfreich erschienen: mal in der großen Robe der Society-Lady, mal mit kugelsicherer Weste. Diana, die Poserin. Ready as fuck for Instagram before it was even invented. Von Menschen wie ihr, sagte sie einmal, würden nur Bilder übrig bleiben. Damit könnte sie durchaus recht haben. Naja, und eine nun ihr gewidmete Schnulze von Elton John, die dieser ursprünglich 1973 in Gedenken an Marilyn Monroe (noch so eine gleichsam tragische wie polarisierende Persönlichkeit) geschrieben hatte…

Obwohl die Bilder höchst selten die ihnen zugedachte Wirkung verfehlten, war Diana Spencer – man kann’s kaum oft genug erwähnen – immer sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie, die vorher haargenau und detailliert gewusst hatte, welche besonderen Anforderungen die Ehe mit Charles Philip Arthur George, nun König Charles III., an sie stellen würde, begann bald, sich über ihr Schicksal zu beklagen. Das Königshaus wusste damals nicht damit umzugehen – und weiß es heute angesichts des Flächenbombardements von Harry und seiner Ehefrau Meghan, einer ehemaligen amerikanischen Serien-Nebendarstellerin, kaum besser.

Außerhalb der Palastmauern wurde Dianas dauerndes Wehklagen allenthalben mit nach zerstreuendem Klatsch gierendem Genuss und offen kundgetanem Verständnis aufgenommen: War nicht genau dies der dunkle Punkt der in die Jahre gekommenen, angestaubten Monarchie, der Beweis dafür, dass, sich eine Königin zu halten, ihre Familie und Hofstaat zu unterhalten, absolut unmodern war? Brauchte es nicht ebensolche Frauen wie Diana? Brauchte es überhaupt noch eine Monarchie?

Rückblickend darf man durchaus feststellen, dass Diana ihre Mission Disruption des britischen Königshauses Jahrzehnte bevor der Begriff zum Allerweltswort wurde, begonnen und erfolgreich durchgeführt hat. Ihre Söhne, einer von ihnen (William) als zukünftiger König bestimmt, waren ihr dabei Instrument, jedenfalls nach der Scheidung. Vor allem Harry, ihr im Charakter ähnlicher, übernahm früh ihre Missgunst gegenüber dem Hof und dessen engem Reglement. Fotos zeigen Diana mit ihren Söhnen als fröhliches Trio, Botschaft: nur bei der Mama geht es den jungen Prinzen wirklich gut. In Wahrheit verbrachte Diana mehr Zeit mit sich selbst, als es ihre Kinder wohl gebraucht – und in jedem Fall verdient – hätten. Sie machte William und Harry zu Spielbällen zwischen sich und dem Hof, obwohl sie sie davor hätte bewahren müssen.

Als nach der Scheidung im August 1996 die offiziellen Gala-Auftritte beendet waren, schuf sich Diana eine Welt, in der sie selbst der Mittelpunkt war – und alle folgten ihr. Die Charity-Prinzessin der Herzen war geboren und wurde zur beste Auflagen und Einschaltquoten versprechenden weltweiten Mega-Marke. Vom Palast großzügig versorgt und ausgestattet, ging es dabei weniger um Geld als um die mächtigste Währung der Welt: Aufmerksamkeit. Heute wären es Klicks bei Instagram und Co, damals waren es Cover auf Klatschillustrierten und Modemagazinen. Die vor allem in England gleichsam omnipräsenten wie einflussreichen Yellow-Press-Tabloids musste man in Kauf nehmen.

Ihre Söhne waren im Internat, so ist das mit Königssöhnen (ihr Vater etwa verbrachte einen Großteil seiner Schulzeit auf einem Internat in Schottland). Aber es ist hart für Kinder aus gescheiterten Ehen. Erst recht, wenn beide Eltern voll berufstätig sind, beide in zeitraubenden Jobs. Der Vater als künftiger Thronfolger gut eingespannt im Königshaus-Business, die Mutter auf der nie endenden Ego-Tour. Diana jettete um die Welt, mal in wohltätiger, mal in Lust-und-Laune-Fotomission. Liebhaber kamen und gingen, sieben von ihnen listet etwa das Expertenmagazin für gehobenen Klatsch, der „Stern“, auf. Jeder ermöglichte der gewesenen Prinzessin einen Lebensstil, der den unermesslichen Reichtum der Windsors nicht konterkarierte, sondern spiegelte. Nein, Diana mag wohlmöglich ein Herz für die Armen, die Benachteiligten besessen haben, war jedoch keineswegs bescheiden. Sie war eine junge Frau, die Genuss hatte am süßen Leben des Jetsets.

Wo blieben da William und Harry? Wo blieben die Söhne? In Eton, dem Internat, beim Vater, bei der Großmutter und natürlich – wenn Ferien waren – auch bei Diana. Doch wie oft mögen sie ihre Mutter vermisst haben, in den alltäglichen Nächten? Sicher, man konnte telefonieren. Aber ersetzt das die Umarmung? Selbst der tröstende Satz „Wenn es ganz schlimm wird, komme ich dich holen“ konnte kaum fallen, wenn Diana gefühlt am anderen Ende der Welt, vielleicht mit ihrer „großen Liebe“ Hasnat Khan, weilte. Liebe ist Nähe. Vor allem die zwischen Mutter und Kind.

Nein, natürlich ist die Rabenmutter Diana nicht für alles verantwortlich, was vor allem Harry in späteren Jahren trieb und jetzt munter und PR-trächtig und einträglich in seiner Jammerographie „Reserve“ berichtet: Das Kiffen, das Koksen, die Entjungferung hinter dem Pub, die Nazi-Uniform als selten dämlicher Kostümpartyspaß, der Kampfeinsatz als britischer Soldat in Afghanistan, der immerfort schwelende, latente Rassismus hinter Palastmauern, die Prügelei mit seinem blaublütigen Bruder. Das meiste geschah, als die ehemalige Prinzessin, als ihre Mutter schon tot war. Doch die erzieherischen Grundlagen zur Wesensbildung werden früh gebildet. Sicher, Charles möchte man nicht zum Vater, Camilla kaum zur Stiefmutter gehabt haben. Aber wäre nicht gerade deshalb Dianas Aufgabe gewesen, da sie den beiden ja in Abneigung verbunden war und deren Gefühlskälte sie immer beklagt hatte, sich um ihre Söhne zu kümmern?

Harrys Buch, das in dieser Woche erschien, heißt „Reserve“ – und der Titel belegt schon all den Kummer des ehemaligen Prinzen darüber, eben – sowohl optisch als auch gefühlsmäßig – nicht in der ersten Reihe zu stehen, sondern hinter seinem Bruder, William. In dem Buch beschreibt es Harry, der auch bei seinem Vater den Spitznamen „Spare“ (also „Reserve“) trug, so: „Der ‚Heir‘ und der ‚Spare‘, der Erbe und die Reserve – es lag keine Wertung darin, aber auch nichts Missverständliches. Ich war der Schattenmann, die Stütze, der Plan B. Ich wurde geboren für den Fall, dass William etwas zustieß. Wurde hierher beordert, um ihm Ablenkung und Zerstreuung zu verschaffen und, wenn nötig, ein Ersatzteil. All das wurde mir schon zu Beginn meines Lebensweges glasklar zu verstehen gegeben und auch später regelmäßig aufgefrischt.“ So wie sich seine Mutter nicht mit ihrer Rolle am Hofe abfinden konnte, kann es auch ihr jüngster Sohn nicht. Eine Zeitlang sah es aus, als ob Harry klüger sei als die Mutter, auch, um seine eigenen Kinder zu schützen. Doch seine (mehr oder minder) stille Flucht aus dem Königshaus – mit der sich alle abgefunden hatten – war nur die Ouvertüre zu einem multimedialen Schlag gegen seine Familie und damit die Institution, die ihm bis dahin ein vergleichsweise sorgenfreies Leben ermöglichte. Erst war da, im Jahr 2021, ein tränenreiches Interview bei „Oprah“, dann unlängst die unter großem Tamtam angekündigte „Netflix“-Serie, eine Art verfilmte „Bunte“ mit Harry und vor allem seiner ach so bemitleidenswerten Gattin aus den US of A. Dann leakte – ob nun durch einen Fehler oder eben skandalträchtiges Kalkül – das Buch ein paar Tage im Voraus, dann kam ein weiteres Interview. Seit „God Save The Queen” von den Sex Pistols und Andrew Mortons Skandal-Biografie über Lady Di dürfte keine Veröffentlichung mehr royal müffelnde Schockwellen durch das altehrwürdige United Kingdom gejagt haben als die just erschienenen „Enthüllungen“ von Prinz Harry. Und nun? Ist der Schaden nicht mehr abzuwenden – für alle.

Frappierend ähnlich erscheinen hierbei die Parallelen im Umgang mit der Wirklichkeit von Mutter und Sohn. Beide betonten immer wieder, wie fatal für sie der Verlust von Privatsphäre in den Strukturen des Königshauses war. Nur um dann, diesem güldenen Käfig endlich entkommen, mit einer Macht in die Öffentlichkeit zu streben, wie man es sonst nur von Kandidaten bei Unterschichtenunterhaltungsformaten wie „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ kennt, und sich lauthals über das eigene Schicksal auszumären. Komm‘ her, geh‘ weg. We love to entertain you. Diana war auch hier für Harry, der sie verehrte, ein schlechtes Beispiel. Oder, etwas robuster geschrieben: Die Zeitbombe, die Diana – ohne Rücksicht auf das Seelenheil ihres Sohns – den verhassten Royals zum Abschied in den Palast gelegt hat. Shot’s fired.

Rock and Roll.

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Neue Runde, neue Chance – Willkommen in 2023.


Ach, guck mal – wieder ein Jahr rum… Natürlich würde dem voraussehbaren Anlass auch Gisbert zu Knyphausens „Neues Jahr“ ausgezeichnet zu Gesicht stehen. Oder auch Death Cab For Cuties ewiggrüner Jahresanfangseinläutungssong „The New Year„, welcher hier schon des öfteren die folgenden zwölf Monate einläuten durfte.

Aber warum nicht einmal mit ebenjenen Traditionen brechen und 2023 mit etwas lauteren und – die letzten Jahre waren ja in vielerlei Belang doch schon dezent suboptimal – übellaunigeren Tönen beginnen? Kannsteeigentlichnixgegensagen. Gerade auch, wenn selbige von Thursday stammen und im vergangenen Annum rundes zwanzigstes Jubiläum feierten (sowie zudem auch stimmungsmäßig viel von der aktuell vorherrschenden Grundstimmung widerspiegeln, wie die Ankündigung dieser Live-Version belegt). Jau, da macht das kleine Emo-Herz glatt ’nen Dreisprung! We call it a Klassiker.

Ja denn also: Einen ganz uneitlen Toast auf ANEWFRIEND, schließlich feiert dieser mein bescheidener Blog heute sein nunmehr 11. digitales Wiegenfest. Und auf uns. Und, natürlich: auf euch. Bleibt gesund und ganz ihr selbst – und schaut ab und an mal hier vorbei, wannimmer ihr Böcke auf etwas Zerstreuung habt… Merci vielmals, von Herzen. 🖤

Don’t even take a breath
The air is cut with cyanide
In honor of the new year

The press gives us cause to celebrate:
These air raid sirens
Flood barbed-wired skylines
By artifical night
As we sleep to burn the red
From our bloodless lives
Tonight we’re all time bombs
on fault lines

Have we lost everything now?
Walking like each others ghosts
Around these silent streets (the seditatives tell you everything is alright)
Like calendars dying at new year’s eve parties
As we kiss hard on the lips
And swear this year will be better than the last

Jet black – the ink that spells your name
Jet black – the blood that’s in your veins
Jet black – We say, ‚how long can we take this chance not to celebrate?‘

There’s music playing
But we dance to the beat
Of our own black hearts
And draw diagrams
Of suicide on each others wrists
Then trace them with razorblades

Fire to flames
’strike match.‘
Burn these words from our lips
As the dagger screams
‚Love is dead.‘
and it’s a ’newspaper tragedy.‘

Have we lost what we love?
Have we said everything?
Does it change everything?
Stare at the clock
Avoid at all costs
This emptiness

Have we lost everything now?
Walking like each others ghosts
Around these silent streets (the seditatives tell you everything is alright)
Like calendars dying at new year’s eve parties
As we kiss hard on the lips
And swear this year will be better than the last

Have we lost everything now?
Walking like each others ghosts
Around these silent streets (the seditatives tell you everything is alright)
Like calendars dying at new year’s eve parties
As we kiss hard on the lips
And swear that this year… this year…

Ten seconds left
until midnight
nine chances to drown ourselves
in black hair dye
eight faces turned away
from shock
seven windows and six of them are locked
five stories falling
For ever and ever
three cheers to the mirror
now there are two of us.
Can we have one last dance?

Jet black – the ink that spells your name
Jet black – the blood that’s in your veins
Jet black – We say, ‚how long can we take this chance not to celebrate?‘

Jet black – the ink that spells your name
Jet black – the blood that’s in your veins
Jet black – We say, ‚how long can we take this chance not to celebrate?'“

Peace. ✌️

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Merry Weihnachten, allerseits!


(gefunden bei Facebook)

ANEWFRIEND wünscht allen Lesern und Leserinnen Welt beste Weihnachtsfesttage. Habt vergnügliche Stunden im Kreise eurer Liebsten (oder in der von euch gewählten Gesellschaft), esse viel und gut, erholt euch gut und besinnt euch auf die wesentlichen Dinge: Liebe, Gesundheit und Frieden, sowohl außen als auch im Inneren. Und natürlich Musik. Viel Musik. Weltbeste Musik. Wir lesen uns? Audjedenfall.

Rock and Roll.

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Moment! Aufnahme.


(gefunden bei Facebook)

So streitbar – und im Grunde doch recht dämlich – einer wie Kanye „Ye“ West sein mag, seine „Fans“ wissen im Zweifel noch einen auf Mount Facepalm oben drauf zu setzen. Wieso sonst käme man auf die reichlich bekloppte Idee, einem vormals – bestenfalls – visionären Musiker und Selbstvermarktungskünstler, der sich mit allerlei teils zweifelhaften, teils größenwahnsinnigen, teils einfach strunzdümmlich-verachtenswerten Äußerungen und Aktionen innerhalb weniger Tage um einen guten Teil seines so oder so immensen Vermögens gebracht hat, dabei „helfen“ zu wollen, seinen Milliardärsstatus zurückzuerlangen? Eben, soviel mentaler Vollsuff kann kaum gesund sein. Umso lustiger ist, dass dieses so oder so hirnrissige Vorhanden ruckzuck gescheitert ist… Somit trifft’s der obige Kommentar der Cardigans schon ganz gut: „The last idiot is yet to be born“. 🤦

Rock and Roll.

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„A Monument To Commemorate Our Time: A Tribute to Lifted by Bright Eyes“ – Ein Sampler zum 20. Geburtstag des Bright Eyes-Durchbruchalbums


Herrschaftszeiten, wo ist all die Zeit geblieben, Teil 5.839: Dieser Tage feiert „Lifted or The Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground„, seines Zeichens die vierte Langspielplatte von Conor Obersts Haupt- und Herzensband Bright Eyes, bereits sein 20. Veröffentlichungsjubiläum.

Seitdem ist logischerweise so einiges passiert: In der Band-Heimat US of A war ein gewisser George W. Bush anno dazumal gerade einmal etwas länger als ein Jahr im Amt des US-Präsidenten, zudem war die Nation noch mitten dabei, die weltverändernden Ereignisse des 11. September 2001 zu verarbeiten (leider ohne dabei ihr eigenes Selbstverständnis als vermeintliches „home of the brave and land of the free“, geschweige denn die immanente Waffen- und Kriegsvernarrtheit angemessen zu hinterfragen). Zwei aus recht unterschiedlichen Gründen bemerkenswerte US-Staatsoberhäupter namens Barack Obama und Donald Trump später mögen sich in den US of A zwar so einige Dinge gewendet haben, jedoch keineswegs zum Besseren – ganz im Gegenteil: das Land mit seien 331 Millionen Einwohnern scheint in vielerlei Hinsicht tiefer gespalten denn je; ganz egal, ob man sich auf die Grenzen zwischen Arm und Reich, Bleichgesichtern, Migranten und People of Color, Demokraten- und Republikaner-Wählerschaft oder Abtreibungsgegner und -befürwortern bezieht. Ein Land, das nach eigenem Selbstverständnis das lebenswerteste, demokratischste und schlichtweg obertollbeste der Welt sein mag, hat sich ohne jeglichen Zweifel innerhalb eines Vierteljahrhunderts hinein in die steinzeitliche Geistesgegenwartsecke meilenweit entfernt vom einstigen „American Dream“ manövriert. Und hierzulande? Sieht es nach immerhin 16 Jahren Bundeskanzlerinnenschaft von Angela Merkel mitsamt rautenschem „Wir schaffen das!“-Allesaussitzen kaum besser aus – minus bescheuerter Waffengeilheit, logischerweise. Dutzende klimatische Brandherde, etliche Naturkatastrophen, eine weltweite Pandemie und immer mehr unzufriedenem Rumoren innerhalb nahezu aller Bevölkerungsschichten (das sich etwa in spinnertem Verschwörungsschwurbelertum Bahn bricht) später ist die Welt – gefühlt, gefühlt – dem Rand einer unsicheren Zukunft näher als dem friedefreudeeierkuchenen Happy-go-lucky. Und dass ausgerechnet Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder unbeirrt zu Intimkumpel und Russland-Präsident Wladimir Putin hält, der Anfang des Jahres einen Angriffskrieg vor der Haustür der EU und Nato vom Zarenzaun gebrochen hat, ist nur ein klitzekleines Beispiel von vielen, die aufzeigen, was hier in wemauchimmers Namen so verdammt falsch läuft…

Aber zurück zur Musik.

Seit „Lifted…“ haben Bright Eyes mittlerweile sechs weitere Alben veröffentlicht, zuletzt 2020 das tolle „Down in the Weeds, Where the World Once Was„. Conor Oberst, damals zarte 22 Lenze jung, hat, wie die Band auch, in der Zwischenzeit der von ihm mitbegründeten Labelheimat Saddle Creek den kreativen Rücken gekehrt, nebenbei eine durchaus beachtliche Solo-Karriere hingelegt und mit 42 Jahren den Titel des „spokesman for a generation“ ebenso final ad acta gelegt wie die optische Erscheinung des grüblerischen Holden-Caulfield-Lookalikes – Bürden, an denen er zwischenzeitlich ein ums andere Mal beinahe zu zerbrechen drohte, denen er jedoch andererseits auch so einige auch heute noch über nahezu jeden kritischen Zweifel erhabene Meisterwerke wie den 2005 zeitgleich veröffentlichten Album-Doppelschlag „I’m Wide Awake, It’s Morning“ und „Digital Ash in a Digital Urn“ abrang.

Eine Sache, auf die man sich bei neuen Releases aus dem Hause Bright Eyes, zu deren Kern neben Oberst noch immer Mike Mogis und Nate Walcott zählen, stets verlassen konnte, ist, dass man in die Werke Stück für Stück eintauchen konnte, Zug um Zug in aller Seelenruhe in deren Zentrum schwimmen konnte, darin versinken durfte – und bei jedem Durchgang noch stets Neues, Faszinierendes entdecken konnte – sowohl in der Musik als auch in den Texten. Hier die große, sinnstiftende Weltumarmung, da die nihilistische Abscheufratze der Einsiedelei – drunter ließen es Oberst, Mogis, Walcott und ihre vielen Mitmusiker selten geschehen. Das galt damals für die vielen tollen Stücke von „Lifted…“, für „Lover I Don’t Have to Love“, „Method Acting“, „Bowl of Oranges“, „Waste of Paint“ oder „Let’s Not Shit Ourselves (To Love and to Be Loved)“, die freilich nur als zu erlebendes Ganzes einen wirklichen Sinn ergaben, das gilt ebenso noch heute, zwanzig Jahre später.

Man selbst mag merklich älter geworden sein, sich Dutzende Male ver- und entliebt, graue Haare und mehr Lebensfalten bekommen, eventuell sogar eine Familie gegründet haben. Legt man jedoch ein Kleinod wie „Lifted…“ mit seinen zig alles andere als perfekten – und ebendarum so sympathischen – Ecken und Kanten ein (oder eben auf), so sind all die Erinnerungen, welche damals, 2002, vorm inneren Cinemascope-Auge an einem vorbei schwirrten, wieder da. Freilich mögen Conor Oberst und seine Musiker*innen-Gang noch ähnlich gelungene Werke im Oeuvre-Köcher haben, nur war eben dieses das, in welches sich nicht wenige (wie etwa ich) zuerst verlieben durften. Und an die erste Liebe erinnert man sich mit etwas Sentimentalität im Knopfloch auch in unbeständigen Zeiten wie diesen nur allzu gern.

Passend zum Zwei-Dekaden-Jubiläum hat das US-Indie-Label Take This To Heart Records einige durchaus namenhafte Künstler*innen und Bands wie Kali Masi, Sarah and the Safe Word, Snarls oder Future Teens versammelt, um „Lifted…“ in Gänze covern zu lassen. Noch lobenswerter ist, dass es das Ergebnis via Bandcamp als „Name your price“-Download gibt und alle Einnahmen karitativen Zwecken zugute kommen. Reinhören, Zugreifen und nach Möglichkeit einen kleinen Spenden-Betrag da lassen lohnt sich also in jedem Fall!

„Released twenty years ago this month, ‚Lifted or The Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground‘ suspends the Bright Eyes project at a fascinating pivot point. Midway between the lauded ‚Fevers and Mirrors‘ and the one-two punch of ‚I’m Wide Awake It’s Morning‘ and ‚Digital Ash in a Digital Urn‘ three years later, ‚Lifted‘ accentuates Conor Oberst’s fascination with expansive arrangements. Twinklings of chamber pop, dusted-up country, and the band’s propulsive and influential indie-folk roots abound. (Bright Eyes’ gaze upon mainstream popularity would begin its laser focus on this cycle, earning the group its first Billboard 200 placement and late-night TV cred.)

Take This to Heart Records presents ‚A Monument to Commemorate Our Time‘, a full-album toast to Bright Eyes’ breakthrough. Each featured artist offers their spin of each towering moment and simmering comedown that aligns with their main output and elevates the source material. Where else can you find glitterbomb electropop reworks side-by-side with tributes worthy of the original’s anguish and wanderlust? Fans of the 2002 LP, come for a celebration. Newcomers: here’s a reason to dive in. 

A Monument to Commemorate Our Time‘ is benefitting the National Multiple Sclerosis Society, with all proceeds being donated in perpetuity.“

Rock and Roll.

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