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Abgehört…


Mumford & Sons – Wilder Mind (2015)

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Es ist und bleibt ein altbekanntes Dilemma um Löwenkäfig Musikgeschäft: Als Künstler (slash: als Band) darfst du weder so bleiben, wie du bist, noch dich großartig verändern. Viele so altgediente Namen wie Bob Dylan, Bruce Springsteen, David Bowie, aber auch Bands wie Pearl Jam oder die Rolling Stones können ganze Heerscharen von Liedern davon pfeifen. Die einen (Springsteen, Pearl Jam) gehen’s auf die stoische Tour an und stehen seit eh und je für aufrechten Working-Class-Rock, die anderen (Dylan, Bowie) geben stets den Hasen, der selbst der Veränderung selbst chamäleongleich immer einen Schritt voraus zu sein scheint, während die Igelschar aus Fans und Musikjournalie noch staunend glotzend hinterher blickt. Und die Stones bringen eh seit Jahr und Tag nur Best-Of-Compilations zur diesmal definitiv letzten Farewell-Tournee… Fakt ist: Wenn Hörerschaft und Kritiker von einem immerzu gleichzeitig Kontinuität, Qualität und Weiterentwicklung erwarten, kannst du als Künstler freilich viel gewinnen, aber immer auch noch mehr verlieren.

Genau dort – in diesem Dilemma aus keinen Meter vorwärts, bitte, und bloß nicht zurück! – stecken auch Mumford & Sons fest. Immerhin brachte das 2007 in London um Frontmann Marcus Mumford zusammengefundene Quartett das Kunststück fertig, im Jahr 2009 mit dem Debütwerk „Sigh No More“ so etwas wie ein Folk-Revival auf die großen Bühnen dies- wie jenseits des Atlantiks zurückzurufen. Banjo und Standup-Bass waren wieder en vogue und trés chic, während sich vier junge Männer in Leinenhosen und Flanellhemdchen in immer größer werdenden Konzertvenues herzhaft schmachtend das Herzeleid und Fernweh von der Seele sangen und ihnen abertausende Kehlen die Zeile von Instant-Hits wie „The Cave“ oder „Little Lion Man“ zurück schmetterten. Ja, für einen laaaaaangen Sommer lang war’s wirklich Liebe, hätte man das flotte Banjo-Plinkplink wohl gegen kaum ein anderes Instrument in den Gehörgängen eingetauscht. Spätestens mit dem drei Jahre darauf veröffentlichten Zweitwerk „Babel“ hatte die Band merklich einen – ihren – Zenit diesbezüglich erreicht. Mehr Banjo-Folkpop, mehr emphatischer Refrain als dort ging wahrlich nicht. Größere Bühnen, dickere Headliner-Shows ebenso kaum. Doch der Erfolg gab ihnen recht: Spitzenpositionen ihm ruhmreichen heimischen UK, gar in den US of A, während in Deutschland, Österreich und der Schweiz immerhin Silberplätze drin waren. Doch wie bei der leckersten Süßspeise stellte sich auch bei den Songs von „Babel“ schnell Sättigung ein. No more banjo, guys – please! (Ganz zu schweigen davon, dass immer mehr Bands wie The Lumineers, Of Monsters And Men, Edward Sharpe & The Magnetic Zeros, The Head and the Heart oder Noah and the Whale mit auf den Revival Train aufsprangen.)

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Das sah die Band um Frontmann Marcus Mumford wohl ganz ähnlich. Sie alle, die sich als Straßenmusikanten und in spontanen Sessions erste Sporen verdient hatten, waren längst im Mainstream angekommen, ihr Sänger ist seit 2012 gar mit der britischen Hollywood-Actrice Carey Mulligan verheiratet. Das mag ja per se nichts Schlechtes sein, immerhin gibt es auch viele andere Beispiele fern des krediblen Indie-Bizz, die einerseits gut und sorgenfrei von ihrer Kunst leben können, andererseits auch den Anstand (slash: ihr Ansehen) bewahren. Aber die Vehemenz, mit der Mumford & Sons nun jegliche Vergangenheit von sich weisen, sorgt doch für Stirnrunzeln. „Wir waren immer eine Rockband, die die falschen Instrumente gespielt hat. Jetzt haben wir die richtigen Instrumente“, sagte Bassist Ted Dwane unlängst im Interview mit dem dem britischen „New Musical Express“, und der vom Banjo zur Gitarre gewechselte Winston Marshall ergänzt: „Wir haben uns nie wirklich für eine Folkband gehalten.“ Wie meinen? Sollte all das – die große Folk-Emphase, die frenetischen Refrains, die spirituell und tief empfundenen Indien-Reisen-Kurzfilme – nur Wirren – oder schlimmer: nur Show – gewesen sein? Und was jetzt? Leinenhosen, Flanellhemden, Banjos, Standur-Bass, Marcus Mumfords Kick-Bassdrum – alles plötzlich scheiße und von gestern? Ein Richtungswechsel mit Ansage, in jedem Falle.

So klingt denn auch Album Nummer drei, „Wilder Mind„: wie ein Richtungswechsel, eine Neujustierung. Gut, Acid House darf man von Mumfords Söhnen nun nicht erwarten. Trotzdem macht sich bereits im Opener „Tompkins Square Park“ eine seltsame Stimmung breit. Ein richtiges Schlagzeug, im Hintergrund flirrende Synthie-Flächen, auf und ab schwellende Gitarrenfiguren – so etwas war man sonst eher von Stadionrockbands wie Coldplay, U2 oder den Kings Of Leon gewohnt, jedoch nicht von den Folkies von Mumford & Sons. Da haben die ausgedehnten US-Tourneen und die ersten Demo-Sessions in den New Yorker Studios von The National-Gitarrist Aaron Dessner wohl deutliche Spuren hinterlassen. Überhaupt: New York, Los Angeles – vor allem diese beiden Städte klingen sowohl bewusst (der Tompkins Square Park ist ein Park im Big Apple) als auch unterbewusst in vielen der zwölf neuen Stücke durch, überlagern urbane Großstadt-Irrlichter die ehemals heimelige Fernweh-Atmosphäre. Vieles ist neu und ungewohnt: die Konsequenz, mit der Akustikgitarren und Banjos, Upright-Bass und Kick-Bassdrum aus dem Programm verbannt wurden, um stattdessen auf konventionelleres Instrumentarium aus E-GitarreSchlagzeugBassSynthesizer umzusteigen. Der Zwang, auf Teufelkommraus plötzlich eine Rockband sein zu müssen. Freilich, das dürfen Mumford & Sons gern – das können sie unter Umständen auch, immerhin brachten sie in den vergangenen Jahren allabendlich das Kunststück fertig, dass tausende von Besuchern bei Livedarbietungen erst ordentlich mitgerissen wurden, um dann mit einem seligen Grinsen nach Hause zu watscheln (dokumentiert etwa im Konzertfilm „The Road To Red Rocks„). Leider bleibt nur kaum ein neues Stück beim ersten, beim zweiten, beim dritten Hördurchgang von „Wilder Mind“ wirklich hängen. Und ungewohnt Bräsiges gibt’s auf dem neusten Album obendrein: die vorab veröffentlichten Single „The Wolf“ ist ein platter High-Energy-Klopper ohne Charme und Form, „Just Smoke“ gemahnt mit peinlich billigen Stadion-Refrain-Handclaps gar an schlimmste Reamonn-Zeiten (wobei Marcus Mumford deren Frontmann Rea Garvey stimmlich bedrohlich nahe kommt). Und auch viele andere Songs machen’s kaum besser. Da wird erst lange angetäuscht, Minute für Minute mit den Hufen geschart und Stimmung aufgebaut, bevor das ein großer Plopp!-Rock ertönt und ein ums andere Stück im Nichts verhallt. Positive Ausbrecher: das atmosphärisch treibende „Snake Eyes“, das herzhafte „Ditmas“ oder das sanft ins Nirgendwo fließende „Only Love“. Ansonsten muss man trotz der im Grunde guten Handarbeit von Produzent James Ford (Florence & The Machine, Arctic Monkeys) das traurige Fazit ziehen, dass die Band mit dem besonders für sie heiklen klanglichen Neustart zwar viel riskiert, sich mit der Entledigung jeglicher Erfolgstrademarks aber mit Kunstpass gekonnt ins Abseits spielt. Denn wenn man schon alles Alleinstellungsmerkmal für die Studiotür karrt, sollte man wenigstens einen guten Plan B (sprich: ordentliche Songs) parat haben. Außerdem ärgerlich: die stetig zwischen Bibelstunde und juvenilem Tagebuchschmöker pendelnden Texte von Pastorensohn Marcus Mumford, die a) von der Liebe schmachten, b) den Mond liebestoll anheulen oder c) von der Liebe schmachten. Nervt, auf Dauer. Oder, um zu zitieren: „I don’t even know if I believe“ (aus ebenjenem „Believe“).

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Man mag der Band nichts Schlechtes wünschen, immerhin sind sowohl die Weiterentwicklung und die Suche nach Neuem löbliche Ziele. Allerdings gibt es Bands wie Coldplay oder U2 bereits – und selbst die stecken ein ums andere Mal in kreativen Sackgassen fest. Für den Moment dürfte Mumford & Sons „Wilder Mind“ wohl ausreichen, und selbst nach all der herben Kritik, die das Werk schon in seinen ersten Tagen einstecken musste, dürfte es für die Band ein erneuter (kommerzieller) Erfolg werden. Und auch all die Banjo-Hymnen will wohl kaum einer als x-te Kopie der Kopie zurück. Fakt ist: wer Mumford & Sons schon immer nervig und *hust* scheiße fand, findet nun ausrechend Argumente, um dem Quartett mangelnde Qualität und Bandbreite anzukreiden. Und auf Dauer frisst hier das Folk-Revival seine abtrünnigen Kinder – Kunstlederjacken und berechenbaren Rock inklusive.

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Hier gibt’s „Tompkins Square Park“, „Believe“ und „The Wolf“ in einer Live-Session-Varianten…

 

Rock and Roll.

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Die Woche in Bild und Ton…


Damit ihr nicht vollkommen den Überblick über alle hörens- und sehenswerten Neuerscheinungen der letzten Woche(n) verliert, hat ANEWFRIEND hier einige der Videoneuerscheinungen der letzten Tage für euch aufgelesen…

 

Mumford & Sons – Whispers In The Dark

Mumford & Sons - Szene aus "W.i.t.D."

Zu behaupten, dass die vier Briten von Mumford & Sons derzeit auf der Sonnenseite des Musikgeschäfts durch die Welt reisen, ist zweifelsohne alles andere als Übertreibung. Ihr zweites Album wurde bei den Grammy-Awards kürzlich als „Album des Jahres“ ausgezeichnet (und setzte sich damit gegen nicht eben schlechte Werke von den Black Keys, Jack White oder Frank Ocean durch), die aktuellen Konzerte sind durchgängig ausverkauft, Sänger Marcus Mumford hat sich gar in Hollywood eingeheiratet und arbeitet momentan gemeinsam mit Justin Timberlake (!) am Soundtrack des neuen Coen Brüder-Films „Inside Llewyn Davis“. Läuft? Läuft!

Und auch wenn das Video zu „Whispers In The Dark“, der nächsten Single des Erfolgsalbums „Babel„, evozieren mag, dass die vier Mumfords sich außerhalb ihrer Pflichttermine (aka. Konzerte und Studioaufenthalte) kaum sehen (können) – alles Quatsch, Marcus Mumford, Winston Marshall, Ben Lovett und Ted Dwane sind natürlich Buddies by heart. Und: das Video enthält einen kleinen Gastauftritt der Damen von Haim, welche ja in der letzten Zeit – und das nicht nur hier auf ANEWFRIEND – zu einer der größten Hoffnungen für 2013 erklärt wurden: die drei Schwestern treten als Rock’n’Roll-Stylistinnen von Banjo-Spieler Winston Marshall auf.

 

 

 

Biffy Clyro – Biblical

Biffy Clyro - Szene aus "Biblical"

Und auch das schottische Trio von Biffy Clyro kann momentan kaum über Erfolglosigkeit klagen. Das kürzlich erschienene Doppelalbum „Opposites“ wurde von Fans wie Kritikern – trotz seiner nicht zu leugnenden Opulenz – fast durchgängig überschwänglich aufgenommen, und die Band drauf und dran, nun auch das US-amerikanische Rockpublikum für sich zu vereinnahmen – was ja auch passen würde, immerhin entstand „Opposites“ im sonnigen Santa Monica, Kalifornien.

Und das neue Video zu „Biblical“ weiß, wie bereits seine Vorgänger, wieder mit cineastischen Szenen zu überzeugen. Sänger Simon Neil erhält darin immer wieder einen mysteriösen Anruf auf dem Telefon seines Motelzimmers, stürmt heraus – und setzt damit eine Kette tragischer Ereignisse in Kraft, an deren Ende er sich wieder auf dem Bett des Motelzimmers befindet. Alles geht von Neuem los – Murmeltiertag in der Version von Mon the Biff

 

 

 

Dear Reader – Down Under, Mining

Szene aus "Down Under, Mining"

Der erste Vorbote zum neuen Album der Band von Frontfrau Cherilyn MacNeil war auf ANEWFRIEND bereits vor einigen Wochen zu hören. Bevor „Rivonia„, das dritte Album von Dear Reader, am 5. April in die Plattenläden kommt, kann man sich nun „Down Under, Mining“ als liebevoll in Szene gesetztes Scherenschnitt-Video zu Gemüte führen…

 

 

 

Mire Kay – Reverse

Still aus "Reverse"

Was macht eigentlich die schwedische all-female Post Rock-Band Audrey gerade? Nun, seit dem zweiten, 2008 erschienenen Album „The Fierce and the Longing“ liegt die Band – offiziell – auf Eis. Deshalb braucht man jedoch nicht auf neue Musik von ihnen zu verzichten, denn Emelie Molin und Victoria Skoglund, immerhin zwei Viertel von Audrey, veröffentlichen (ebenfalls) am 5. April „A Rising Tide Lifts All Boats„, das Debütalbum ihrer neuen Band Mire Kay. Wer mag, kann sich schon jetzt einen Vorgeschmack in Form der ersten Single „Reverse“ holen, dessen Video in einem alten Gemeinderaum in Stockholm aufgenommen wurde. Solange sich der Frühling noch nicht gänzlich zum Bleiben entscheiden kann, sind Stücke wie dieses hier doch die nahezu perfekte Spaziergangsuntermalung, werden einem der kalte Wind durch graue Wolken ins Gesicht bläst…

 

 

Mehr gefällig? Klar! Das Duo bietet mit „Beat“ auch einen weiteren Song des Debüts, welches der vor zwei Jahren veröffentlichten EP „Fortress“ nachfolgt, zum Stream und freien Download an…

 

…und kommen im April und Mai für einige Konzerte in deutsche Gefilde:

 

10.04.2013 – DE – Hamburg – Hasenschaukel
11.04.2013 – DE – Leipzig – Kaffic
12.04.2013 – DE – Erfurt – Franz Mehlhose
14.04.2013 – DE – Berlin – Ackerstadtpalast
05.05.2013 – DE – Hamburg – Aalhaus
05.05.2013 – DE – Köln – Wohngemeinschaft
10.05.2013 – DE – Frankfurt/Main – Zoom

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Mumford & Sons – Babel (2012)

-erschienen bei Island/Cooperative Music/Universal-

Nein, „klein“ ist diese Band wahrlich nicht mehr. Wie könnte sie auch? Bereits das Debütalbum führte das Vierergespann Anfang Zwanzig heraus aus den Pubs und kleinen Klubs, in denen sie Anfangs noch für ein paar Pints, Verpflegung, eine Schlafmöglichkeit und Spritgeld spielten, und hinaus zu den großen Hallen, den Stadien, den Headliner-Slots namenhafter Festivals, zu gemeinsamen Auftritten mit ihren Idolen wie Bob Dylan oder Bruce Springsteen, vor nicht all zu langer Zeit sogar ins Weiße Haus, um dem US-amerikanischen Präsidenten und seiner Gattin auf deren Wunsch ein privates Ständchen zu spielen. Bereits das Debütalbum verkaufte sich in Zeiten, in denen die Plattenindustrie stetig über sinkende Absätze und „Untergebene“ ohne ausreichend Identifikationspotential lamentiert (beides hausgemachte Probleme, fürwahr), weltweit über acht Millionen Mal und konnte Gelegenheits-und-wenn-dann-Radio-Hörer, Indierocker, Reformhausjünger, Bildungsbürger und Althippies auf sich vereinigen. Sie tragen Bärte und Klamotten, mit denen sie aussehen wie der wirre feuchte Traum eines jeden Mark Twain- oder Charles Dickens-Fetischisten, und trotzdem lässt sich die Crème de la Crème Hollywoods mit stolzgeschwellter Brust auf die Gästelisten ihrer Konzerte setzen (kürzlich durfte der Frontmann sogar die aus Filmen wie „Drive“ bekannte Schauspielerin Cary Mulligan ehelichen). Obwohl, oder gerade weil, Marcus Mumford, Winston Marshall, Ben Lovett und Ted Dwane so Rock and Roll sind wie das sonntägliche Kaffeekränzchen bei Oma, sind sie die Band der Stunde. Und „Traditionalismus“ heißt der Grund, aus welchem sich Presse wie Hörerschaft ebenso sehr auf „Babel“, den Nachfolger zu „Sigh No More“, stürzen (werden).


Doch wie kam das alles? Nun, ein Selbstläufer war all der sagenhafte Erfolg selbst für Mumford & Sons nicht. Die 2007 im Westen Londons gegründete Band profitierte freilich von der damals in ihrem Umfeld florierenden Folkszene, der unter anderem auch Johnny Flynn, Noah & The Whale oder Laura Marling angehörten. Mit letztgenannter Dame teilte Sänger Marcus Mumford zu dieser Zeit das Bett, zusammen mit seiner musikalischen Freunden Winston Marshall, Ben Lovett und Ted Dwane bildete er die Backing Band von Marling und sammelte so erste Erfahrungen auf größeren Bühnen (tagsüber bespielte er sonst etwa die Bürgersteige der Londoner Kings Road). Bald schon nahm das nun schlicht Mumford & Sons betitelte Quartett eine erste EP, welche auf Konzerten vertrieben wurde, auf. Ihre sehnsuchtsvollen Songs, gepaart mit wahrhaft energiegeladenen Live-Darbietungen und Melodien, in denen sich so ziemlich jeder Zuhörer wiederfinden konnte, riefen alsbald Radiostationen und Labels auf den Plan. Die Band ergatterte 2008 einen Auftritt beim renommierten Glastonbury Festival, unterschrieb bei Island Records (welches Künstler von John Cale über Keane und Bon Jovi, bis hin zu Justin Bieber beheimatet) und veröffentlichte im Oktober 2009 ihr Debütalbum „Sigh No More„. Wahren Ochsentouren über den kompletten Globus ist es zu verdanken, dass sich erstmals seit Coldplay eine britische Band ernsthaft auch auf dem – nicht eben unwichtigen – US-amerikanischen Musikmarkt durch- und festsetzen kann (das Album erreicht sowohl in den USA als auch in England Platz 2 der Charts, in Deutschland lediglich Platz 29).
Wobei: sieht – und vor allem hört! – man genauer hin, so ist dieser Fakt wenig verwunderlich. Trotz ihrer britischen Herkunft (Sänger Marcus Mumford wurde zwar in Kalifornien geboren, wuchs jedoch in England auf) sind sie kosmopolitische Vertreter einer kompletten Generation junger Folkmusiker, denen neben der bereits genannten Laura Marling auch Vertreter wie die Fleet Foxes oder Grizzly Bear (um nur einmal zwei zu nennen) zuzurechnen sind, und welche sich, ihrer Jugend zum Trotz, freimütig „alter“ Ideale, Traditionen und Vorbilder bedienen, ohne gleich Gefahr laufen zu müssen, als frühzeitig vergreiste Traditionalisten gebrandmarkt zu werden. Mumford & Sons sind – ganz im Gegensatz etwa zu ihren (noch) im Bruderzwist dahingeschiedenen Landmännern von Oasis – bescheiden, gebildet (der Albumtitel etwa ist einem Stück von Shakespeare entliehen), bodenständig und höflich. Die Band verknüpft geschickt Live-Qualitäten wie die der Pogues mit einem Instrumentarium, welches amerikanischer kaum sein könnte: Akustikgitarren, Upright Bass, Akkordeon, Banjo, Fusstrommel. Dazu Harmoniegesänge á la Simon & Garfunkel. Fertig ist die Mixtur, der weder Hörer dies- noch jenseits des Atlantiks widerstehen können und die von weiten Reisen genauso zu erzählen vermag wie vom Heimkommen. Lagerfeuerromantik, Kerzenmeere, Aufbruchsstimmung. All das machte Songs wie „Little Lion Man“, „The Cave“ oder „White Blank Page“ vom Debütalbum über Jahre hinweg zu treuen Begleitern durch Sommer und Winter, und irgendwann zu guten Freunden.
(Wer mehr dazu erfahren mag und verstehen möchte, warum Mumford & Sons und die USA so treffend zusammenpassen und sich die Band so gut und nahtlos in die dortige hippie’eske Musikszene einfügt, dem sei an dieser Stelle die kürzlich auf den Markt gebrachte etwa einstündige Dokumentation „Big Easy Express“ von Regisseur Emmett Malloy ans Herz gelegt, welche die Band 2011 zusammen mit Old Crow Medicine Show und Edward Sharpe and the Magnetic Zeroes in einem Zug auf der Konzertreise von Kalifornien nach New Orleans begleitet.)


Nun, drei Jahre nach der Erstling, bringen Mumford & Sons „Babel“ auf den Markt. Und wo sich viele Bands bereits mit ihrem Zweitwerk in allzu künstlerischen Spagatübungen versteigen oder erste Auflösungserscheinungen an den Tag legen, machen Marcus Mumford & Co. einfach da weiter, wo sie aufgehört haben. Und bedenkt man einmal, dass nicht wenige der zwölf Songs in den letzten Jahren auf Tournee entstanden sind und somit bereits gut 30 Monate und tausende Kilometer auf dem Buckel haben, ist dies kaum verwunderlich. Das Quartett ist in den gemeinsamen fünf Jahren zusammengewachsen und gut eingespielt. Und genauso klingen die Lieder nun auch.
Bereits „I Will Wait“, die erste Single, beinhaltet alle bandtypischen Trademarks: Akustikgitarrenunterbau, temporeiche Begleitung im Bandkonstrukt, Harmoniegesang, ein Finale Grande und Mumfords sehnsuchtsvolle Textzeilen („Raise my hands, paint my spirit gold / Bow my head, keep my heart slow / ‚Cos I will wait, I will wait for you“). Überhaupt: die Texte. Zwar verweigert sich Mumford standhaft näheren Erläuterungen, jedoch lässt „Babel“ – schon der Titel ist da vielsagend – noch mehr Religiösität einfließen als noch sein Vorgänger. Der Sänger, dessen Eltern Anhänger des evangelikalen Vineyard Movements sind, bedient sich immer wieder dem ewig währenden Kampf zwischen Gott und dem Teufel, von Licht und Schatten, von Liebe und (Selbst)Aufgabe, von Stärke und Schwäche. Viele Lieder scheinen ruhiger, geerdeter, wagen jedoch gegen Ende große Ausbrüche – exemplarisch hierfür sind etwa „Broken Crown“ und „Below My Feet“ am Ende des Albums zu nennen, zwei Songs, welchen durch Bläsersätze und Backgroundchöre zu wahrhaft cineastischer Größe verholfen wird. Bei „Ghosts That We Knew“ sieht man schon jetzt sich tausende Feuerzeuge und Handykameras gen Konzerthimmel richten, „Lover Of The Light“ klingt bereits beim ersten Hören weitestgehend so vertraut, dass man glaubt, die Band habe einen ihrer „alten“ Gassenhauer heimlich mit auf’s zweite Album gepackt und bietet einige tolle, wenn auch kurze, instrumentale und stimmlich-euphorische Ausbrüche. „Reminder“ ist ein simples, kurzes Liebeslied, das vom Piano getragene „Hopeless Wanderer“ holt sich seine Dynamik von einer E-Gitarre am Ende. Die letzten Zeilen des regulären Albumabschlusses „Not With Haste“ (die Deluxe Version bietet drei zusätzliche Songs, wie etwa da gemeinsam mit Jerry Douglas dargebotene Simon & Garfunkel-Cover „The Boxer“) darf man getrost als eines von Mumfords Kredos betrachten: „And I will love with urgency, but not with haste“.
Wie bereits erwähnt sind auf dem Zweitwerk Neuerungen im Klangkosmos der Band im Detail suchen: etwa die nicht eben selten – jedoch stets überlegt – eingesetzten Bläsersätze, welche nicht eben dramaturgiearme Abschnitte noch zusätzlich erhöhen. Und auch das Banjo von Winston Marshall hat eine größere Rolle zugewiesen bekommen (bei welcher die Jungs aufpassen müssen, es nicht zu überreizen). Hier ein paar Höhen, da ein paar Tiefen mehr, dazu mehr aus einem Guss und stets für die bald wieder durch die „Gentlemen of the Road“ zu bespielenden Konzertbühnen rund um den Globus ausgelegt – das ist „Babel“, ein weltoffener Trostspender in verwirrenden Zeiten. All jene, die sich bereits in „Sigh No More“ kuschelig einrichten konnten, werden auch mit dessen Nachfolger schnell warm werden. Der Winter steht ja bereits vor der Tür.

 

Hier das Video zur aktuellen Single „I Will Wait“…

 

…sowie zu „Little Lion Man“…

 

…dem in Indien aufgenommenen „The Cave“…

 

…und „Winter Winds“ vom Debütalbum „Sigh No More“…

 

…plus der Trailer zur empfohlenen Dokumentation „Big Easy Express“:

 

Rock and Roll.

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