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Das Album der Woche


Thees Uhlmann & Band – 100.000 Songs Live in Hamburg (2022)

-erschienen bei Grand Hotel Van Cleef-

Es ist eigentlich unwichtig, auf welcher Bühne der passionierte Bahnreisende und Jeansjackenträger, der in manchem Moment wirkt wie der Vorstandsvorsitzende der bundesdeutschen Berufsjugendlichen (und das ist keineswegs despektierlich gemeint!), auftaucht. Und es ist genauso unwichtig, ob er zum Singen, Vorlesen oder einer Mischung aus beidem diese Bühne betritt: Thees Uhlmann macht einfach, Thees Uhlmann liefert verlässlich ab. Und sieht sich wohl auch deshalb stets mindestens gut gefüllten Sälen, Hallen oder Open-Air-Locations gegenüber. Dort präsentiert er dann, in beiderseits bester Laune und lautstark gefeiert, eine Mischung aus Songs (alleine oder in Begleitung von Freunden oder seiner Band), Anekdoten (über Freunde, seine Band, Kölner, Düsseldorfer oder seine Familie), Büchern (eigene Romane oder über befreundete Düsseldorfer) und – ja eben, man kann’s kaum oft genug tippen! – weltbester Feierlaune. Auch wenn die Bücher dieses Mal keine Rolle spielen: Die Nachricht über eine relativ kurzfristige Veröffentlichung in Form eines amtlichen Live-Albums von Thees Uhlmann & Band kann nur für strahlende Gesichter bei all denen gesorgt haben, die in den letzten Jahren einem dieser Auftritte beigewohnt haben.

Foto: Sebastian Igel

Von außen und im Gesamten betrachtet dürfte es selten so simpel und gleichzeitig so schwer gewesen sein, ein Live-Album beschreibend und bewertend in Worte zu fassen, denn Konzerte von Thees Uhlmann umfassen einfach so viel mehr als die reine Musik, die nun eben aus der Konserve tönt. Es sind auch die Stories zwischen den Songs, die der gebürtige Hemmoorer und Wahl-Berliner so wunderbar einzigartig und in weltexklusiver Uhlo-Manier erzählt, die Momente im singenden Publikum oder einfach nur das Bild, wenn dieser so nonchalant zwischen Mittelmaß und Einzigartigkeit changierende Typ nach der Show nassgeschwitzt da oben steht oder mal eben spontan den Mittelfinger in die Luft reißt. Klar, das mag bei anderen Künstler*innen freilich nicht groß anders sein, doch um die geht es ja gerade mal nicht. „Das Album ist einfach genauso großartig wie die Konzerte!“ mag der eine oder die andere in Fankreisen rufen. Das stimmt, und doch scheint es zu einfach, um diese Konzerte für alle greifbar zu machen. „Es ist die Mischung aus guter Musik und erzähltem Quatsch!“ ist schon ein etwas präziserer Ausruf, und dennoch nicht ausreichend um wirklich eine Vorstellung davon zu geben, was die 23 Songs auf „100.000 Songs Live in Hamburg“ alles zu bieten haben. Also versuchen wir mal etwas ins Detail zu gehen…

Die sechsköpfige Band um Thees Uhlmann, die der bekennende Springsteen-Fan sich für die Support-Konzerte seines dritten, 2019 erschienenen Solo-Albums „Junkies und Scientologen“ in bester E-Street-Manier zusammengestellt hat (und selbst meist knapp mit „TUB“ abkürzt), betritt im Dezember 2019, als „Corona“ nur der Name irgendeiner Biermarke war und Masken vor allem in Krankenhäusern getragen wurden, unter großem Applaus die Bühne der Hamburger Großen Freiheit 36, um die Show mit „Fünf Jahre nicht gesungen“ zu eröffnen. Passender? Geht’s nicht. Was übrigens auch auf das anwesende Publikum zutrifft, das sich von Anfang an textsicher zeigt und mit Jubel ’n‘ Applaus nicht geizt. Wer in der letzten Zeit selbst das ein oder andere TUB-Konzert besucht hat, dem bieten sich während der knapp zwei Stunden so einige Déjà-Entendu-Erlebnisse, denn freilich kann Uhlmann bei den Ansagen und Geschichten das Rad (beziehungsweise seine Erlebnisse) ja nicht neu erfinden, sodass den Besuchern der Konzerte das eine oder andere natürlich bestens bekannt vorkommt. Das muss jedoch kein Nachteil sein, denn aus den küchentischenen „Also gestern hat er auch irgendwas von seiner Tochter erzählt und hat die so nachgeäfft“-Erzählungen am Morgen danach wird jetzt ein „Hier, hör‘ mal! So war das, was ich da damals meinte…“. Und endlich können alle Uhlmanns so norddeutsch-sympathisches, so herrlich selbstironisches Frei-von-der-Leber-weg-Gesabbel nachvollziehen, ohne sich auf wohlmöglich verkatert-wirre Erinnerungen anderer verlassen zu müssen: wie er den Hamburger „Gefangenenchor“ antreibt und zum Mitsingen animiert, von einem verlorenen Streit mit seiner Tochter erzählt, den Literaturnobelpreis für Stephen King fordert oder das Publikum zu dessen Dorfherkunft befragt. Interaktion? Geht bestenfalls genau so.

Foto: via Facebook

Doch natürlich gibt es zwischen Thees Uhlamnns unterhaltsamer Sabbelei noch allerhand Songs aufs Ohr. Die recht bunt durchgemischte Setlist fokussiert Uhlos 2011er Solodebüt sowie das damals neue „Junkies und Scientologen„, die es beide nahezu komplett zu hören gibt. Da muss die zweite, 2013 veröffentlichte und simple „#2“ betitelte Soloplatte, welche lediglich mit „Zugvögel“ vertreten ist, etwas zurückstecken (und hätte doch zumindest noch mit „Am 7. März„, der tollen Hommage an Mama Uhlmann, repräsentiert werden dürfen), Dennoch folgt hier Hit auf Hit auf Hit, sodass die Platte gut und gern als eine Art Live-Best-Of durchgehen dürfte: von „Danke für die Angst“, der Musik gewordenen Verbeugung vor Horrorautor Stephen King, über „& Jay-Z singt uns ein Lied“, bei dem Uhlmann den Rap-Part von Benjamin „Casper“ Griffey in voller Länge mal eben selbst übernimmt, der herrlich alltäglichen Sozialstudie „Das Mädchen von Kasse 2“, Mittelmäßigkeits- und Heimat-Oden („Was wird aus Hannover“ und „Lat: 53.7 Lon: 9.11667“), etwas ruhigeren („Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop-Videodrehs nach Hause fährt“ oder „Ein Satellit sendet leise“) oder fieberhaft-ruppigeren Nummern („Katy Grayson Perry“) bis hin zu „Römer am Ende Roms“, bei dessen Ende der Blondschopf mal eben die Mundharmonika auspackt, sowie unverblümt hittigen Immergrün-Songs wie „Avicii“ oder „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“. Doch Solo-Schaffen hin oder her, die viel umjubelten echten Highlights bilden hier „Ich sang die ganze Zeit von dir“, „Korn & Sprite“, „Schreit den Namen meiner Mutter“ und „Die Schönheit der Chance“ aus Uhlmanns Tomte-Zeit – allesamt deutschsprachige Manifeste allererster Hamburger-Schule-Güte, welche auch mit einigen Lenzen auf dem Buckel noch so großartig tönen wie anno dazumal (wenngleich hier zwei von ihnen, nämlich „Korn & Sprite“ und „Schreit den Namen meiner Mutter“, eventuell etwas zu zahm abgemischt wurden). Dementsprechend darf „Die Schönheit der Chance“, diese frontale Emotionalität, diese ewiglich funkelnde Ode an das Leben, welche mit immer weniger Instrumenten, aber sämtlichen Publikumsstimmen ausklingt, schließlich das auf Platte festgehaltene Live-Erlebnis abschließen und alle Anwesenden selig gestimmt in die Nacht entlassen – wenn Uhlmann nicht noch ein letztes Mal in bester St. Pauli-Manier dazwischen grätschen würde: „Das war ein geiles Konzert!“, schreit der Bandleader zum Ende ins Mikrofon, das er dann noch hörbar droppt. Nun, Rock’n’Roll neigt ja bekanntlich ebenso selten zu Understatement wie Uhlo selbst…

Zwanzig Jahre! Eine „Schnapsidee“, wie Thees Uhlmann, Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff (die letztgenannten dürften die meisten als Frontmann respektive Bassist von Kettcar kennen) die Gründung ihres Hamburger Labels Grand Hotel Van Cleef gern nennen, trägt sich nicht nur bereits seit nunmehr zwei Jahrzehnten, sondern steht heutzutage sogar renommierter denn je innerhalb der von nicht wenigen Krisen gebeutelten bundesdeutschen Musikbranche dar. Ein solches Jubiläum, eine solche Leistung hat sämtliche Glückwünsche absolut verdient. Was Uhlmann und seine Label-Mitmacher dabei über all die Jahre seit 2002 auf dem Boden hielt, sind bei aller Arbeit und Mühe, bei allem Punk-Ethos und Idealismus vor allem die gemeinsame Freundschaft sowie eine bedingungslos-leidenschaftliche Liebe zur Musik. Und eine zumindest angetäuschte, sympathische Unprofessionalität – das Bodenständige, die nordisch-trockene Selbstironie eben. Und vor allem Uhlmann trägt sein Herz eh auf der Zunge, teilt seine Leidenschaft für Musik und Popkultur mit jedem, der es (nicht) wissen möchte. Das mag manchmal auch nerdig-aufdringlich wirken und nicht jedem und jeder schmecken, aber, verehrte internetaffine Leserschaft, der Uhlo ist einer von uns: nicht nur Künstler, sondern auch und vor allem Fan. Und in diesem Sinne macht er mit „100.000 Songs Live in Hamburg“ nicht nur, er liefert amtlich ab, sodass alle geneigten Ohren, die diese Live-Platte hören, sogleich mächtig Bock auf Konzerte und Festivals, auf den Sommer, das Leben bekommen – und in jeder Sekunde spüren, dass es den Typen und Typinnen da auf der Bühne genauso geht. Ein größeres Kompliment kann’s ja im Grunde kaum geben, oder?

Wer übrigens nicht genug von Thees Uhlmanns gleichsam sprunghaftem wie unterhaltsamem Gesabbel bekommen mag, dem sei „Amara & Uhlmann“ ans Herz gelegt, eine bisher 3-teilige Gefilmter-Podcast-Reihe (ein 4. Teil soll in den könnenden Tagen erscheinen), in welcher er sich mit Broilers-Frontmann Sammy Amara nicht nur über ihre jeweils neuen Live-Platten, sondern auch (und vor allem!) über das Leben und die Musik unterhält:

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Sophie Hunger – The Rules Of Fire (2013)

Sophie Hunger - The Rules Of Fire (Cover)-erschienen bei Two Gentlemen Records/Rough Trade-

„Akzeptiere, dass Du nie Jesus oder Leonardo Da Vinci sein wirst! Rechtfertige Dich nie für Deine Arbeit! Denk immer daran, dass Charlie Chaplin ein großartiger Geschäftsmann war und Bob Dylan so aussehen wollte wie er. Versuch niemals zu gefallen! Geh nie mit einem Drink auf die Bühne!“  Oha! Willkommen in der Dogmenschreinerei?

Keine Angst, so weit kommt’s bei Sophie Hunger noch lange, lange nicht! Denn wer die 30-jährige Schweizer Musikerin – besser: ihre Alben und Songs – kennt, der weiß, dass diese Grenzen nur die äußere Hülle berühren. Und doch hat die aus Bern stammende Emilie Jeanne-Sophie Welti, die sich damals, 2006, zu Zeiten der Veröffentlichung ihres ersten Soloalbums „Sketches On Sea„, den Künstlernamen „Sophie Hunger“, zusammengesetzt aus ihren zweiten Vornamen sowie dem Geburtsnamen ihrer Mutter, verlieh, ihr erstes offizielles Livealbum ausgerechnet „The Rules Of Fire“ getauft. Was es mit dem Titel auf sich hat, erklärt die Künstlerin denn auch im begleitenden 60-minütigen Dokufilm des französischen Regisseurs Jeremiah, der Hunger hierfür auf ihrer zurückliegenden Tournee begleitetet, selbst: Zehn Regeln für den Künstler. Zehn Regeln zur Wahrung der Würde und Freiheit. Der Rest? Ist Intuition, ist wandelbar…

Sophie Hunger (Augustin Rebetez)

Dabei weiß Sophie Hunger, ihres noch recht jungen Alters zum Trotz, wovon sie spricht. Bereits seit ihrer Jugend macht die Schweizerin, die als Tochter eines Diplomaten nicht selten Länder und Wohnorte wechseln musste, Musik, spielt anfangs in Bands, kollaborierte mit so einigen Künstlern (etwa mit der Schwytzerdütsch-Rapperin Big Zis, dem französischen Jazztrompeter Erik Truffaz oder jüngst mit dem Ex-Freundeskreis’ler Max Herre), verfolgte ansonsten stringent ihre Solokarriere – und sorgte gar als Schauspielerin und Filmmusikkomponistin – wenn auch in kleinerem Rahmen – für Aufsehen (im Zuge der Indie-Produktionen „Der Freund“ und „Der Fremde“). Schon ihr zweites, 2008 erschienenes Album „Monday’s Ghost“ bot einen Großteil der Eigenarten und Faszinationen auf, die Hunger noch heute ausmachen: brillante Dramaturgien zwischen zuckersüßen, süchtig machenden Melodien, kleinen Experimenten und schwermütigen Ernsthaftigkeiten. Die Musikerin legte damit einen Senkrechtstart ins Bühnenlicht der breiten Öffentlichkeit hin, die sich mehr als einmal verwundert die Augen reiben durfte ob der Tatsache, dass eine so weltgewandte und uneitle Person ausgerechnet aus der sonst so kleinlauten und neutralen Schweiz kommen sollte (erinnert sich wer an DJ Bobo?). Bereits zwei Jahre darauf legte Hunger mit „1983“ den nächsten Albumstreich nach, der noch reifer, noch formvollendeter, noch toller, verspielter und ernsthafter ums Eck lugte. Wer Zweifel hegte, der durfte besonders beim absolut zeitgeistig ausformulierten Titelstück oder dem grandiosen Noir Désir-Cover „Le vent nous potera“ (ANEWFRIEND schrieb hier bereits darüber) eines Besseren belehrt werden. Die Qualität blieb denn auch im Ausland nicht verborgen. So waren Sophie Hunger und Band 2010 die erste (!) Schweizer Kombi auf der Bühne des altehrwürdigen Glastonbury Festivals, während man andererseits auch ausverkaufte Ränge beim trés sophistiqué Montreux Jazz Festival oder dem legendären Paris Klub „Cigale“ bespielte. Die Musikerin konnte das, durfte das, denn ihr Mix aus Singer/Songwritertum, Jazz, Pop, Blues und Rock gab es her. Und dennoch schlug sie im vergangenen Jahr mit ihrem bislang letzten Studioalbum „The Danger Of Light“ wieder in eine andere stilistische Kerbe. Mehr den je hieß die Losung des irgendwo zwischen Los Angeles, Montreal und der heimatlichen Schweiz aufgenommenen Songverbunds, auf welchem unter anderem auch der virtuose Red Hot Chili Peppers-Gitarrist Josh Klinghoffer zu hören ist: „Alles kann, nichts muss“. Mal melancholisch, mal bedrohlich, mal beschwingt und mal weltweise – Sophie Hunger wechselte und wechselt Stimmungen wie die Sprachen, in denen sie singt. Und bereits da hat sie von Englisch über Französisch bis zu Deutsch und Schwytzerdütschen Mundarten so Einiges in petto…

Foto: © Marco Zanoni, 2007

Foto: © Marco Zanoni, 2007

Nun also zieht Sophie Hunger nach vier Alben Revue. Dabei teilt sich „The Rules Of Fire“ in zwei Seiten: „The Live“ mit zwölf Favoriten aus ihrem Liverepertoire einerseits, „The Archives“ mit elf Raritäten, unveröffentlichten und frühen Stücken andererseits. Am Ende der über 90 Minuten bleibt unterm Strich wohl Hungers größte Stärke hängen, denn wenngleich ihre Studioalben schon eine Menge Virtuosität, Talent und Hintergründigkeit versprühen – auf der Bühne wird all das noch um ein Vielfaches intensiver. Klar sind es auch hier die Albumfavoriten, die herausragen. Über das clevere „Das Neue“ („Dreißig ist das neue Zwanzig / Der Mann ist die neue Frau / Freiheit ist das neue Gefängnis / Und reich ist das neue Schlau / Islam ist die neue katholische Kirche / Und Deutschland die neue Türkei /…/ Zuckerberg ist der neue Kolumbus / Der Bankmann die neue Aristokratie / Gesundheit ein neuer Exorzismus / Et la fatigue c’est la nouvelle follie / Nichtraucher sind die neuen Raucher / Alte fühlen sich neu, immer jünger / Intelektuelle sind neu völlig unbrauchbar / Frei zum bestehlen ist neu,  Sophie Hunger“) könnten sowohl Philosophie- als auch Germanistikstudent ganze Abhandlungen schreiben. Die noch immer großartig apokalyptische Zäsur „1983“ trägt die Musikerin auch hier mit einer Menge Intensität vor – und stellt ihr wohl nicht eben zufällig das beschwingte „LikeLikeLike“ nach. Denn obwohl auch im Bühnengewand von „The Rules Of Fire“ die akustisch reduzierten Instrumente wie Gitarre, Piano oder Upright Bass dominieren, wird schon mal die Posaune losgelassen („Souldier“), setzt das Piano zu einem kurzen Hechtsprungversuch in Richtung Freejazz an („Das Neue“), setzten E-Gitarrensoli kurze, prägnante – und wichtige! – Akzente („Citylights Forever“, „My Oh My“), bei denen sich denn auch Hunger kurze Pausen gönnt. An den Enden der jeweiligen Seiten stehen dann die Stimmen für sich: im schwytzerdütschen – genauer: berndeutschem – „Z’Lied vor Freiheitsstatue“ träumt die Künstlerin zu Gesangsharmonien von der großen weiten Welt, während sie im Gedicht „A Letter To Madonna“ der einstigen „Queen Of Pop“ boshaft augenzwinkernd all ihre Übelkeit ins Gesicht schreibt „I don’t like how you speak to yourself when you speak to someone else. Dear Madonna, changing your clothes every day does not make you special – it just makes you change your clothes a lot…“. Klasse, wem Klasse berührt…

Sophie Hunger (Augustin Rebetez)

The Rules Of Fire“ bietet in Kombination mit dem Dokufilm und dem 48-seitigen Bild- und Wortband einen gelungenen Einblick ins bisherige Schaffen der Schweizer Musikerin. Dabei sind Hungers Songs weltweise, ohne zu belehren (wie schrieb das SRF so schön: „Hungers Texte tragen Frage-, eine Ausrufezeichen“), sind nachdenklich, ohne in unnötig dunkle Gefilde zu verschwinden, sind virtuos, feinsinnig und luftig, jedoch nie gekünstelt oder gar künstlich. Denn bei allem Weltbürgertum hat sich Sophie Hunger noch immer ihre Bodenständigkeit bewahrt, nimmt zwar ihre Musik ernst, sich selbst jedoch nicht – Ironie, Authentizität und die gewisse nötige Prise Anarchie müssen sich schließlich keinesfalls ausschließen. Man darf Vergleiche wie den des „größten Schweizer Exports“ oder den der „Poplyrik in vier Sprachen für emanzipierte Bob Dylan-Freunde“ getrost ad acta legen, denn Sophie Hunger hat längst mehr als das zu bieten. „Never try to please!“ Gefallen, ohne gefallen zu wollen? Wenn’s dann noch gut geht – reife Leistung…

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Hier gibt’s einen kurzen Trailer zum begleitendenden Dokufilm…

 

…sowie die Musikvideos der jüngsten – und meines Erachtens höchst gelungenen – Zusammenarbeit mit Max Heere in Form des Stückes „Fremde“…

 

…zu „LikLikeLike“, in welchem Miss Hunger fussballkickend wie einstweilen David Beckham durch Paris spaziert…

 

…und dessen filmischer Fortsetzung „Souldier“ (bei beiden Videos führte übrigens der Doku-Verantwortliche Jeremiah ebenfalls Regie):

 

Außerdem findet ihr hier Sophie Hungers Interpretation des Noir Désir-Evergreens „Le vent nous portera“…

 

…und ihr komplettes Gastspiel beim diesjährigen „Haldern Pop“-Festival:

 

Rock and Roll.

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Die Woche in Bild und Ton…


Damit ihr nicht vollkommen den Überblick über alle hörens- und sehenswerten Neuerscheinungen der letzten Woche(n) verliert, hat ANEWFRIEND hier wieder einige der Video- und Songneuerscheinungen der letzten Tage für euch aufgelesen…

 

Frightened Rabbit – Holy

Holy

Das Jahr 2013 nähert sich stetig seinem Ende und zumindest für mich steht mit Sicherheit fest, dass „Pedestrian Verse„, das vierte Album meiner liebsten schottischen Angsthasen, einen Podestplatz der persönlichen Alben des Jahres innehaben wird.

Und selbst auf diesem nicht eben an Highlights armen Album ragt „Holy“ noch einmal heraus. Im dazugehörigen Musikvideo lassen Frightened Rabbit die Protagonistin aus der piekfeinen Enge ihres Alltags ausbrechen und durch wunderschöne Landschaften hin zum Meer wandern… „Don’t mind being lonely / Don’t need to be told / Stop acting so holy / I know I’m full of holes….“ Passt.

 

 

Wie so oft gibt’s das Stück noch einmal in der reduzierten Sessions-Variante…

 

…und wer kann, der sollte sich eines der folgenden Daten rot im Kalender markieren, denn Frightened Rabbit spielen in Kürze ein paar Konzerte auf deutschen Bühnen:

-Frightened Rabbit live-
22. November 2013 – Köln, Gebäude 9
29. November 2013 – Hamburg, Knust
01. Dezember 2013 – Dresden, Beatpol
02. Dezember 2013 – München, Ampere
07. Dezember 2013 – Frankfurt, Zoom

 

 

Biffy Clyro – Sounds Like Balloons

Sounds Like Balloons

Auf Frightened Rabbit folgen mal wieder Biffy Clyro – so weit, so offensichtlich. Doch auch „Opposites“ steht nach x-maligen Durchläufen noch erstaunlich gut – immerhin veröffentlichten Simon Neil und seine beiden Bandkumpane hier ein opulentes Doppelalbum – mit beiden Beinen in meiner Heavy Rotation-Playlist…

Für das Video zu „Sounds Like Balloons“ baten die Schotten ihre Fans, ihnen Filmmaterial von Konzerten zuzusenden, aus welchem am Ende ein vierminütiger Clip entstand. Und für alle, die entweder nicht die Gelegenheit hatten, in diesem Jahr bei einem der Konzerte von „Mon the Biff“ vorbeizuschauen oder diese noch einmal für dem inneren Auge Revue passieren lassen möchten, gibt es am dem 29. November neues Futter: Biffy Clyro veröffentlichen – zunächst exklusiv in Deutschland, Österreich und der Schweiz – mit „Opposites – Live from Glasgow“ den 14 Songs starken Mitschnitt des gefeierten „Homecoming“-Konzerts. (Ich persönlich hoffe, dass die Nachproduktion dieses Livealbums nicht ganz so glattgebügelt ausfällt wie beim eigentlich tollen „Revolutions//Live at Wembley“…)

 

 

 

Okkervil River – Stay Young

Okkervil River - Stay Young video

Leichte Irritationen dürften wohl nicht wenige befallen haben, die sich das Anfang September erschienene neue Okkervil River-Album „The Silver Gymnasium“ zu Gemüte geführt haben. War das da wirklich noch die gleiche Band, die sich vor Jahren – und auf großartig zu Herzen gehenden Alben wie „Black Sheep Boy“ oder „The Stage Names“ – noch so unbarmherzig in ihren eigenen Wunden suhlte? Aber keine Angst, Will Shelf und seine Mitmusiker haben sich keineswegs der seichten Popmusik verschrieben! Auch „The Silver Gymnasium“ steckt immer noch voller kleiner schwarzhumorigen Anekdoten über Lieben und Leben – nur kommen diese nun eben mit ein paar mehr hoffnungsvollen Sonnenstrahlen mehr um die Ecke.

Wie so viele der Stücke, die zum Großteil von Will Shelfs Kindheit und Aufwachsen im heimatlichen New Hampshire erzählen, kommt auch das Musikvideo zum bläserdurchtränkten Song „Stay Young“ um die Ecke. „Four-wheelers and snowmobiles were the coolest things going for NH young people when I was a kid, and I thought it would be fun to make a video that was just this total four-wheeler and ATV fantasia“, wie Sheff kürzlich dem US-amerikanischen Rolling Stone erzählte. Und das gibt’s denn auch zu sehen: eine einzige spätsommerliche Sonnenuntergangsszenerie aus Quad- und Wasserskifahrten, während der Rest des Freundeskreises lächelnd, quatschend und bierselig vom Ufer- und Wegesrand zuschaut. „Young, stay young / Stay strong, don’t get on with it…“ Da werden Erinnerungen wach…

 

 

 

The National – Lean

The National

Keine Frage: The National sind eine der Bands des Jahres (und wäre das ganze seltsame aufgeblähte Bohei um Arcade Fire und deren neues Werk „Reflektor“ nicht gewesen, so stünden The National wohlmöglich auf einsamer Flur als „größte Indie-Band im Mainstream“). Ihr im Mai erschienenes sechstes Album „Trouble Will Find Me“ bedeutete für Sänger Matt Berninger & Co. den endgültigen – und höchst verdienten – Durchbruch, nach Jahren des Tourens, Produzierens und Arschabspielens am Rande des Masseninteresses. Dass die Band nun auch – neben Künstlern wie Coldplay, Christina Aguilera, Ellie Goulding oder The Lumineers – mit einem neuen Stück namens „Lean“ auf dem Soundtrack zum epischen Kinderkriegsfilm „The Hunger Games: Catching Fire“ vertreten sein wird, dürfte wohl einerseits für ihr aktuelles Standing sprechen, ihnen jedoch auch den ein oder anderen Hörer zuspülen. Denn wer bitteschön wäre so herzlos, Matt Berningers getragenem Bariton, der schwelgerischen Melancholie und Zeilen wie „Everybody needs a pray, needs a friend / Everybody knows the world’s about to end…“ zu widerstehen? Eben! Massenkompatibel, auf die beste Art und Weise.

 

 

 

Thirty Seconds To Mars – City Of Angels

30 seconds to mars - city of angels

Okay, für viele dürften Jared Leto und seine Band Thirty Seconds To Mars am unteren Ende der „Larger than life“-Rockstarschiene agieren, für die meisten dürften die mit Pathos und Produktion nur so überschütteten Stücke des neusten Albums „Love Lust Faith + Dreams“ (alleine er Titel sagte wohl schon alles) die Grenze zur unglaubwürdigen Lachnummer ihrer Selbst längst überschritten haben. Wenn man jedoch bedenkt, dass die Band ernsthaft hinter ihrem typisch US-amerikanischen „vom Bordstein zur Skyline“-Traum steht, diesen lebt und verteidigt, stellt dies die ein oder andere (freilich überhöhte) Pose Letos eventuell in einem neuen Licht dar…

Passend zum Stück hat der schauspielernde Sänger für das gut elfminütige Kurzfilmmusikvideo zu „City Of Angels“ auch auf dem Regiestuhl Platz genommen, sein Adressbuch Eselsohren schlagen lassen und Buddies wie Kanye West, Juliette Lewis, Lindsay Lohan, Olivia Wilde, Steve Nash, Ashley Olsen, James Franco, Selena Gomez, Shaun White, aber auch ein Michael Jackson-Double und Obdachlose vor die Kamera gelotst, um ihre Geschichte über die „Stadt der Engel“ zu erzählen, während die Band in Zwischenteilen ihre pathetische Show – natürlich vor atemberaubender Kulisse! – abzieht… Großes Kino, allemal.

 

 

 

Rock and Roll.

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Abgehört…


Nix los gewesen in meinen Gehörgängen in der letzten Zeit? Weit gefehlt! Hier mehr oder minder kurz die ein oder andere interessante Beobachtung…

 

The Australian Pink Floyd Show – Live at the Hammersmith Apollo 2011 (2012)

Australian Pink Floyd-erschienen bei Blackhill/Edel-

Mit Coverbands ist das ja so ’ne Sache… Bei den meisten merkt man bereits nach wenigen Minuten, dass hier ein paar sehr enthusiastische Jungspunde (respektive: bierbäuchige, gestandene Mannsbilder mittleren oder gesetzteren Alters – man gestatte mir diese kleine Persiflage) zusammen gekommen sind, um – mehr schlecht als recht – ihren großen Idolen im Kleinen nachzueifern. Dass dabei Einsätze verpasst und kaum eine Tonlage getroffen oder gehalten werden kann – scheiß drauf, der Wille zählt!

Nun sollte man annehmen, dass sich eine – vor allem in ihrer Spätphase, und Dank ihres Ex-Kopfes Roger Waters – derart auf künstlerische Perfektion konzentrierte Band wie Pink Floyd als nahezu uncoverbare „heilige Art Rock-Kuh“ ausnehmen würde. Nix da! The Pink Floyd Sound (holländische Tribute Band), Pink Project, Pink Floyd Project, Echoes (die bekannteste deutsche Tribute Band), Brit Floyd (unverkennbar: aus Großbritannien), Pink Noise, Eklipse, The Floyd Sound – die Liste ist lang und könnte gern noch um einige Namen verlängert werden (wenngleich die polnische Kombo Pink Freud trotz ihres preisverdächtigen Namens nicht dazu zählt). Die weltweit beste Pink Floyd-Coverband sind jedoch ohne Zweifel The Australian Pink Floyd. Warum? Nun, wer je ein Konzert von „Aussie Floyd“ besucht hat, der merkt sofort, dass hier keine Kerle ans Werk gehen, die nur mal eben so, bei ein, zwei, drei Feierabendbieren, zusammenstehen, um die größten Schmonzetten ihrer Jugendhelden nachzuklimpern. Nein, die gut zehnköpfige Band um Leadsänger Steve Mac setzt seit ihrer Gründung 1988 im australischen Adelaide alles daran, ein möglichst perfektes Ebenbild der ewig großen Pink Floyd abzugeben – musikalisch wie visuell. Und das hört man, und das sieht man. Egal, welchen Song „Aussie Floyd“ sich zu eigen machen, es sitzt jede Note, (beinahe) jede Harmonie und jeder Akkord am angestammten Floyd’schen Platz. Dazu flimmern, ebenso wie damals bei den Originalen (oder nun bei Roger Waters Soloshows), kunstvolle Visuals über große LED-Leinwände, bevor ein überdimensionales Känguru am Bühnenrand erscheint (analog zum Floyd’schen Schwein – aber: hey, soviel Heimatverbundenheit hat Charme!).

australian pink floyd #1

Einen ersten, umfassenden Eindruck hiervon kann man sich anhand des vor zwei Jahren in London mitgeschnittenen Livealbums „Live at the Hammersmith Apollo 2011“ machen. Die Setlist umfasst ebenso die unvermeidlichen Klassiker („Shine On You Crazy Diamond 1-5“, „Money“, „Breathe“, „Wish You Were Here“, „Another Brick In The Wall, Part 2“, „Comfortably Numb“…) wie kleine Obskuritäten wie „Careful With That Axe, Eugene“ oder die Syd Barrett-Komposition „Arnold Layne“ (aus dem Jahr 1967 und damit Pink Floyds erste Single überhaupt!). Keine Frage, hier sind begeisterte Könner am Werk. Die stilbildende Gesangsachterbahn „Great Gig In The Sky“ wird ebenso souverän bewältigt wie die – live! – ewig große Tour de Force „Comfortably Numb“ (als eindeutig an der Waters-Version geschulter Dreizehnminüter). Wer Unterschiede oder gar eigene Noten heraushören möchte, der muss – selbst als Floyd-Kenner – schon sehr genau zuhören. Ob „Aussie Floyd“ am Ende mehr sind als eine mächtig professionelle Tribute Show? Nun, zumindest wurde ihnen bereits vor einiger Zeit der Segen von den Original-Floyd-Mitgliedern erteilt, die Band spielte (und jamte!) gar auf dem 50. Geburtstag von Gitarrist David Gilmour. Analog zum Livealbum sei jedem jedoch die visuelle Variante (ob nun als Blu-ray oder DVD) ans Herz gelegt, denn ebenso wie bei Pink Floyd macht auch bei The Australian Pink Floyd erst der Gesamteindruck aus allen Komponenten das Bild richtig rund… Und bei nächster Gelegenheit heißt’s dann: live dabei sein!

 

(Wer mag bekommt anhand der halbstündigen Dokumentation „Welcome To The Machine“ einen Einblick ins Innenleben der höchst professionellen Coverband…)

 

 

Lee Ranaldo And The Dust – Last Night On Earth (2013)

Lee Ranaldo And The Dust - Last Night On Earth-erschienen bei Matador/Beggars-

A propos „ausschweifende Gitarrenhuldigungen“: Schlussendlich scheint der Quasi-Split der ewig krediblen New Yorker Rockinstitution Sonic Youth, dem am Ende schlicht und ergreifend das Beziehungsaus der beiden Köpfe Kim Gordon und Thurston Moore zugrunde lag, doch etwas Gutes bewirkt zu haben… Okay, der eine Teil (Moore) schrammelt sich mit ehemals coolem Indie-Krach der neuen Kapelle Chelsea Light Moving konsequent an den Rand der Beachtung, über den der andere Teil (Gordon) mit den feministisch beschmierten Feedback-Orgien des Projekts Body/Head per se bereits hinaus geschlittert ist. War da aber zu seligen Sonic Youth-Zeiten nicht noch jemand?

Klar, Lee Ranaldo, der dauerdienliche Gitarrist, der Gordon und Moore als Frontpaar stets die Indie-Bühnen überließ! Stattdessen spielt er die Saiten stets aus dem Schatten heraus und veröffentlichte damals unter eigenem Namen immerzu obskure, beinahe unhörbare Solo-Sachen – avantgarde as avantgarde can be. Dass ausgerechnet er nun der zugänglichste Soloaktivist der Sonic Youth-Bande sein würde, hätte wohl kaum jemand ahnen können… Umso überraschender fiel das im vergangenen Jahr erschienene „Between The Tides And The Times“ aus, für das sich Ranaldo keine Geringeren als Wilco-Saitenderwisch Nels Cline, Ex-Sonic Youth-Schlagmann Steve Shelley, den ebenfalls von Sonic Youth bekannten Bassisten Jim O’Rourke sowie Jazzer John Medeski zur Seite nahm. Heraus kam ein vor Fern- wie Heimweh wimmerndes, jedoch stets angriffslustiges Indierock-Gebräu, das den DIY-Bodensatz von Sonic Youth mit den mal zugänglichen, mal ausufernden Seiten/Saiten von Neil Youngs Crazy Horse, R.E.M., The Byrds oder Dinosaur Jr. vermengte. Überraschung? Definitiv gelungen!

Lee Ranaldo And The Dust

Und genau da setzt nun auch Ranaldos nächster Streich „Last Night On Earth“ an. Der apokalyptisch anmutende Titel kommt dabei nicht von ungefähr, entstand das Grundgerüst eines Großteils der neun neuen Stücke doch im Oktober 2012, als der von Hurrikan Katrina betroffene Musiker für eine Woche von Leitungswasser, Heizung und Elektrizität abgeschnitten war und lediglich auf seine Akustikgitarre zurückgreifen konnte. Umso erstaunlicher, dass  man nun ausgerechnet diesen Fakt eben nicht hört. Klar, die Endzeitstimmung, die fragile Ruhe vor dem Sturm, sie strömt dem Album quasi aus jeder musikalischen Pore. Und doch vernimmt man den Akustik-Unterbau nur sehr, sehr selten, während die nun eigenes mit Namenszusatz „And The Dust“ aufgeführte Backing Band aus Steve Shelley, Alan Licht und Ted Young in fast jeder der knapp 65 Minuten (mit Songlängen zwischen dreieinhalb und zwölf Minuten) ein wahres Jam-Feuerwerk abfackelt. Dass man sich beim Spinett in „Last Descent #2“ kurz an den Hof des französischen Sonnenkönigs  versetzt fühlt und einem das feinen Titelstück genüssliche Gänsehaut bereitet („The last night on earth / The last thing we wanted / Was to see the sunrise / The last thing we wanted / The last night on earth / Was seeing daylight in your eyes“), während sich der Rest in einen klaustrophobischen Rockrausch steigert, der in der finalen Existenzialismus-Endlosschleife „Blackt Out“ mündet, sind da gern genommene Nebeneffekte. Alles in allem hatte zwar der Vorgänger („Between The Tides…“) die besseren, kompakteren Einzelsongs – mit Ranaldo als Vordenker und Nels Cline als gekonntem Saitenmaler. „Last Night On Earth“ ist der Soloversuch eines Bandalbums des 57-jährigen Ex-Sonic Youth-Gitarristen, das von Furcht und Zuversicht in Zeiten von Occupy, nahenden Weltwirtschaftskrisen und allabendlichen Protestkundgebungen berichtet und nicht im Traum daran denkt, sich kompakt zu fassen. Darauf ein Saitensolo! Und allen, die neue, harmonisch getränkte Gitarrenschleifen als potentielle Folterinstrumente suchen, sei dieses Werk wärmstens empfohlen… Effekthascherei mit allerhand Effektgeräten.

 

Hier gibt’s den Albumopener „Lecce, Leaving“ in der „Buzzsession“-Variante:

 

 

Louise Distras – Dreams From The Factory Floor (2013)

Louise Distras - Dreams From The Factory Floor-erschienen bei Street Revolution Records-

Man lasse sich einmal folgendes Bild zart schmelzend und genüsslich grinsend vor dem inneren Auge zergehen: Der auf ewig unbelehrbar gut vom Klassenkampf klampfende Britenbarde Billy Bragg und die Ex-Distillers-Röhre Brody Dalle hätten auf einer besudelten Backstage-Couch heimlich Nachwuchs gezeugt und den seligen Clash-Frontmann Joe Strummer postum als Taufpaten bestimmt. Okay, zwischen Bragg und Dalle mögen ein, zwei Jährchen Altersunterschied liegen… Okay, der eine mag sittsam wirken, die andere im Rückspiegel der Inbegriff für die rockgewordene Gift-und-Galle-Spuckerei sein (und es mittlerweile wohl leider vorziehen, das Herdheimchen für die Brut von QOTSA-Frontmann Josh Homme zu geben)… Okay, dann würde der Nachwuchs kaum selbst schon auf der Bühne die Faust zur Akustischen erheben… Aber: Man nehme all dies einmal an. Und genau so klingt Louise Distras.

Louise Distras - Press-2

Nun hat die Mittzwanzigerin aus dem englischen Wakefield, die ANEWFRIEND im August bereits vorstellte, ihr Solodebüt in die Regale gestellt. „Dreams From The Factory Floor“ setzt dabei alles auf eine Punkrock-Karte und agiert ohne Netz und doppelten Boden. Und erzählt mal zur kämpferisch angeschlagenen Akustischen, mal zu munterem drauf los rockendem, pubseligem Punkrock Geschichten, die zwar am Bordstein beginnen, jedoch kaum in den höheren Etagen der trés chicen, very expensive Londoner Skyline enden. Stattdessen: graue Realitäten, soziale Missstände, herbe Rückschläge und die Aussicht auf die nächste Nine-to-Five-Schicht am Fabrikfließband. Und doch sind die innerhalb von 33 Minuten durchgerockten zwölf Stücke keine Tearjerker, denn ständig bleibt bei Distras die Erkenntnis, dass da am Ende der langen Nacht irgendwo irgendjemand da draußen ist, dem es genauso gehen mag – „Stand Strong Together“. Da darf dann schonmal die Mundharmonika gezückt („Black And Blue“), am Piano geklimpert („Love Me The Way I Am“), das Titelstück als Gedicht vorgetragen und mit viel Pathos und seltsam niedlichem Idealismus zu Werke gegangen werden. „Dreams From The Factory Floor“ ist kein Ausnahmealbum. Dafür ist es das Debüt einer realitätsnahen Träumerin, die – gefühlt – einer altvorderen Rockröhre wie Bonnie Tyler mal eben das rostige Abflussrohr der Punkschuppentoilette an den Hinterkopf zimmert. Sympathisch, das alles. Mit der Dame möchte man doch gern mal eine Kneipentour starten, oder?

 

 

 

Lissie – Back To Forever (2013)

Lissie - Back To Forever-erschienen bei Columbia/Sony Music-

A propos „Kneipentour“: Auch Lissie wäre wohl eine nicht eben unangenehme Kandidatin für eine ausschweifendes Saufgelage zu nächtlicher Stunde…

Gute drei Jahre ist es bereits her, dass die 31-jährige, aus dem US-amerikanischen Hinterland (aka. Illinois) stammende Musikern erst mit einer vielversprechenden EP, dann mit ihrem von Jacquire King (u.a. Kings Of Leon) und Bill Reynolds (Band Of Horses) in Form gebrachten Debütalbum „Catching A Tiger“ auf sich aufmerksam machte. Darauf zu hören: viel sonniger Middle Of The Road-Rock der besten Sorte, der auch gern mal ein genüsslich-nächtliches Melancholiebad nahm und Road Trips initiierte, bis der Tank des Oldtimers leer war und über einem nur noch die Sterne schienen. Dabei konnte die Dame auch noch so herrlich und nach Jungen-Manier fluchen, derbe drauf los rocken und brachte superbe Coverversionen – etwa von Lady Gagas „Bad Romance„, Metallicas „Nothing Else Matters„, Kid Cudis „Pursuit To Happiness“ oder Led Zeppelins „Stairway To Heaven“ – zustande, die sich beileibe nicht hinter den Originalen zu verstecken brauchten… Cool.

LISSIE

Dass Lissie nun mit ihrem zweiten, „Back To Forever“ betitelten Wurf nach Größerem greift, mag man ihr dabei nicht einmal jemand verdenken. Trotzdem benötigen die von Garett „Jacknife“ Lee (u.a. R.E.M., U2, Bloc Party) produzierten Songs den ein oder anderen Durchgang mehr als noch der Vorgänger, um ihren Weg ins Hörergehör zu finden. Und das hat seine Gründe, denn anders als bei „Catching The Tiger“ finden hier mal Folk-Rockpop mit angezeichneten 70er-Jahre-Disco-Vibes („Further Away (Romance Police)“), mal recht blasse Country-Pop-Durchschnittsware („I Don’t Wanna Go To Work“), mal aufgeblasene Powerpop-Ballade („They All Want You“) zusammen. Dass all das am Ende trotzdem funktioniert, liegt wohl an Lissies ausgeprägtem Gespür für tolle, eingängige Melodien sowie ihrem nicht nur – aber vor allem! – in „Sleepwalking“ an Fleetwood Mac-Ausnahmesirene Stevie Nicks erinnernden Gesangsorgan. Mit einer Stimme wie der nimmt man der Dame dann sogar die ausgefahrenen Krallen der (für sie) höchst ungewöhnlichen Vorab-Single „Shameless“  („I don’t want to be famous / If I got to be shameless / If you don’t know what my name is, name is / So what, so what?“) ab, lässt sie das ein oder andere genüssliche „Fuck“ oder „Shit“ in Richtung der vorderen Chartsregionen spucken oder mit „Mountaintop Removal“ einen Song – inklusive hymnischem Solo! – abliefern, der wie geschaffen ist als Abschlussstück eines großen Blockbusters (im besten Sinn).

Nein, „Back To Forever“ ist weder Lissies großes Rockalbum noch die Enttäuschung von in sie gesetzten Erwartungshaltungen. „Back To Forever“ macht es allen recht – und dabei paradoxerweise ebenso viel richtig wie falsch. „Back To Forever“ ist ein Album für lange Autofahrten bei zarten Sonnenstrahlen, zum Jahresende und dann wieder im nächsten Sommer. Aber Lissie, dieses feine All American Girl mit Mädchencharme und Gitarrengurt, in Holzfällerhemd, mit Grashalm im Mundwinkel und Diplom im Weitspucken, darf das. Denn Lissie ist ’ne Gute. Und wenn sie will, dann trinkt sie euch starke Männer wohl gern unter den Tisch…

 

Hier gibt’s die Videos zu „Further Away (Romance Police)“…

 

…und „Shameless“:

 

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,
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