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Singen mit den Engeln – Jeff Buckleys „Grace“ wird Zwanzig


Jeff-Buckley front

Eine der tragischsten Erkenntnisse des Lebens ist wohl, dass dem Gros der Menschen etwas erst richtig und wahrhaftig ans Herz wächst, wenn es plötzlich (oder schon längst) nicht mehr da oder nahbar ist und sie diesem vermeintlichen „Schatz“ nicht mehr habhaft werden können. Insofern ist es auch kaum verwunderlich, dass vor allem Künstler nach deren Ableben zu ikonischen Heroen verklärt werden – und das dann nicht selten von ebenjenen Personen, die kurz vorher noch zu deren schärfsten Kritikern zählten…

Beispiele findet man freilich zur Genüge: Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin, Elvis Presley, John Lennon, Kurt Cobain, Amy Winehouse… you name it. Zu Lebzeiten noch kritisch beäugt, bedrängt und verspottet, erhebt man die Toten zu Säulenheiligen und spült jegliche Kritik den Lokus herunter. Als eine der zweifellos tragischsten Geschichten eines (zu) jung verstorbenen Talents darf jedoch die von Jeff Buckley gelten, der am 29. Mai 1997 im Wolf River, Mississippi im Alter von 30 Jahren ertrank. Warum? Nun, zum einen war sein Vater (den er jedoch nur ein Mal im Alter von acht Jahren mehr oder minder „kennen lernte“) kein Geringerer als der kaum weniger jung und tragisch verstorbene mystische Experimentalfolkmusiker Tim Buckley, zum anderen ruhten Mitte der Neunziger nicht wenige popmusikalische Hoffnungen auf Jeff Buckley, der 1994 mit der Veröffentlichung seines Debütalbums „Grace“ für allerlei Furore in der Musikszene gesorgt hatte. Zur Einschätzung der Tragweite muss der interessierte Hörer nur einmal kurz Wikipedia bemühen:

jeff-buckley-grace„Das Album ist dem Alternative Rock zuzurechnen, die Gitarre ist das dominierende Instrument. Bemerkenswert ist die stilistische Brandbreite, die Buckley und seine Band auf dem Album verarbeiten: neben dynamischen Post-Rock-Balladen wie ‚Mojo Pin‘, Jazz-Klassiker wie ‚Lilac Wine‘ (bekannt durch Nina Simone) lassen sich ein Stück von Benjamin Britten, zügigem Folk-Rock wie ‚Last Goodbye‘, eine Solodarbietung von Leonard Cohens ‚Hallelujah‘ (dessen Arrangement er von John Cale übernahm und stark reduzierte) und Dream Brother, das von klassischer indischer Musik beeinflusst ist. Ebenso lässt sich ein Lied im zeitgenössischem Grunge-Stil ausmachen (‚Eternal Life‘).

Neben der stilistischen Vielfalt beruft sich Buckley auf zahlreiche Einflüsse, die sich auf dem Album wiederfinden: unter anderem Nina Simone, Nusrat Fateh Ali Khan, Morrissey, Bob Dylan, Leonard Cohen, Alex Chilton, Led Zeppelin, Joni Mitchell, Van Morrison, Stevie Wonder, Edith Piaf, Judy Garland und Freddie Mercury.

Beim größten Teil der Lieder handelt es sich um längere Balladen (durchschnittlich fünf Minuten) in mäßigem Tempo, die vor allem dazu dienen, Buckley einen Raum für seinen Gesang zu geben, um den das Album klar konstruiert ist. Die Lieder sind auf Buckleys enormen Stimmumfang (etwa vier Oktaven) sowie auf sein klares Falsett und die Alteration zwischen verschiedenen Registern hin ausgelegt. Buckleys Stimme ist als hoher Tenor und als Countertenor zu klassifizieren. Die metaphorischen Texte des Albums handeln von der Allgegenwärtigkeit des Todes, von hingebungsvoller Liebe, vom Verlassen werden und auch von der Beziehung zu seinem entfremdeten Vater.“

buckley

Der Kenner von Buckleys Kunst jedoch weiß: Viel mehr als im unterkühlten Interieur von Studios wusste Jeff Buckley live und auf kleinen Bühnen zu überzeugen. Bereits seit Anfang der Neunziger – kurz nach Buckleys Umzug von sonnigen Orange County, Kalifornien in die vor allem dazumal kulturell überbordende Metropole New York City – nutzte der aufstrebende Musiker nahezu jede sich bietende Chance, seine Kunst zu verfeinern und mit anderen Musikern in Kontakt zu treten. Kaum eine noch so kleine Coffeeshop-Bühne zwischen dem Manhattaner East Village, Greenwich Village, Williamsburg und Brooklyn blieb von ihm unbespielt. Tagsüber schlug er sich als gesprächsfreudiger Kaffeekocher hintern Tresen durch, abends stöpselte er seine elektrische Gitarre an den bereit stehenden Verstärker, um allein mit der am Rock, Blues und Jazz geschulten Fingerkunst und seiner glockenhellen Stimme ein immer größer werdendes Publikum zu begeistern – wohlgemerkt in einer Zeit, als das weltweite Netz noch in den Kinderschuhen steckte und Facebook, Twitter und ihre Kumpane noch feuchte Träume in den Hirnen von Eliteuniversitätsstudenten waren. Näher als auf dem 2003 erstmalig komplett als Doppel-Live-Album erschienenen Kaffeehaus-Konzert „Live at Sine-É“ (seine Erstveröffentlichung erfuhr es als sträflichst verknappte EP im Jahr 1993 als Appetizer auf das Debüt „Grace“) wird man Buckleys Kunst und Talent – ja: seiner Seele – nicht kommen. Kaum ein Hauch im Publikum, kaum je ein Gläser- oder Kaffeetassenklirren durchbricht die Stille in den Pausen zwischen den Songs, während der Verstärker verschwörerisch brummt und der Musiker mal launige, mal eigenartige Kommentare zu seinem Leben und seinen Idolen vom Stapel lässt und ebenso eigene Kompositionen („Grace“, „Mojo Pin“, „Eternal Life“…) zum Besten gibt wie für sich vereinnahmte Fremdkompositionen (Bob Dylans „Just Like A Woman“ und „I Shall Be Released“, der gespenstische Jazzklassiker „Strange Fruit“, natürlich Leonard Cohens „Hallelujah“). Große Kunst, die von Können und Begabung zeugt und – ebenso wie der postum veröffentlichte zweite Albumentwurf „Sketches For My Sweetheart The Drunk„, an dessen Songs Buckley buchstäblich bis zu seinem Tod gearbeitet hatte (er kam gerade aus einem Aufnahmestudio in Memphis, Tennessee, als er sich spontan dazu entschloss, ein Bad im Wolf River zu nehmen) – eine leise Ahnung davon vermittelt, was noch alles von Jeff Buckley hätte kommen können. Das Schicksal hatte jedoch seine eigenen Pläne…

Am gestrigen 23. August jährte sich nun die Veröffentlichung von Buckleys einzigem zu Lebzeiten veröffentlichtem Album „Grace“ zum 20. Mal. Der Begriff „Klassiker“ mag gültig erscheinen, stellt aber im Licht der zehn Songs, von denen ausgerechnet und vor allem Buckleys Variante des Leonard Cohen-Songs „Hallelujah“ (danach tausendfach im Filmen und Serien verwandt und gar vom Urheber selbst als „besser als dessen eigene Version“ geadelt, jedoch stets unerreicht) alle anderen überstrahlt, eine glatte Untertreibung dar. Obwohl so oft versucht, ist dem Mysterium Jeff Buckleys – und hier wären wir wieder am Anfang angelangt – mit Worten schwerlich beizukommen. Und auch wenn man nicht selten dazu geneigt ist, zu viel in die Songs des Musikers herein zu interpretieren, so spiegelt sich in Buckleys mal lauten, mal leisen, jedoch immer melancholiegetränkten Stücken der Abschied im Leben. Es ist nunmal so: Manchmal verleiht erst der Tod selbst der schaurig-schönen Tragik des Lebens die rechte Würze. Der Rest ist Vermissen. Der Rest ist Lauschen…

Jeff Buckley In NYC

Zum 20. Jahrestag von „Grace“ hat David Chiu, einer der Autoren der Seite brooklynbased.com, kürzlich einen Streifzug durch New York City (und seine eigene Biografie) unternommen und elf Orte, die Buckleys Karriere und Wirken im „Big Apple“ maßgeblich mitbestimmt haben dürften, besucht – und so – leider – auch allerhand (unvermeidliche) Veränderungen in der „Stadt, die nie schläft“ festgestellt… Nachzulesen hier.

 

 

 

Rock and Roll.

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„Drown in my own tears“ – zum 16. Todestag von Jeff Buckley


Jeff Buckley

Vor 16 Jahren entschied sich ein junger Mann, im Wolf River (Memphis, Tennessee) schwimmen zu gehen, während aus dem Radio des in der Nähe geparkten Wagens Led Zeppelins „Whole Lotta Love“ tönte, und ihm ein Freund am Ufer dabei zusah, wie er sich treiben ließ und lauthals mitsang. Plötzlich wurde er von der Bugwelle eines nahenden Schiffes erfasst und unter Wasser gezogen. Sein lebloser Körper wurde erst fünf Tage später gefunden. Dieser junge Mann hieß Jeff Buckley

jeff buckley newsNatürlich mag ein nicht unerheblicher Teil der Bekanntheit und Verehrung Buckleys darin begründet liegen, dass dieser so jung (er war zum Zeitpunkt seines Todes gerade einmal 30 Jahre alt) und unter so mystischen wie tragischen Umständen ums Leben kam. Natürlich mag manch einer aus dessen nicht weniger tragischer und geradezu „Rockstar-liker“ Familientragödie (sein leiblicher Vater, der bekannte Folk- und Jazzsänger Tim Buckley, starb 1975 im Alter von 28 Jahren an einer Überdosis Heroin) oder aus Jeff Buckleys durchaus tränenreicher Musik in Nachhinein verhängnisvolle Zukunftsomen lesen. Doch am Ende bleibt uns „Grace“ – jenes einzige Album, das Buckley zu Lebzeiten fertig stellte (als er starb, befand er sich mitten im Schreibprozess für den Nachfolger „Sketches For My Sweetheart The Drunk„, dessen Demo-Aufnahmen nach seinem Tod von Freunden und Verwandten vervollständigt wurden und 1998 postum veröffentlicht wurden). Klar, Buckleys Version des (zu) oft gecoverten Leonard Cohen-Stückes „Hallelujah“ wird wohl auch in 100 Jahren noch jeglichen anderen Interpretationsversuch mit Leichtigkeit überstrahlen (und nicht nur Cohen selbst ist sich sicher, dass diese Version besser ist als das eigene Original!). Dennoch besitzen die zehn Stücke der regulären Albumversion (2004 erschien die überaus empfehlenswerte und um etliche Bonus Tracks sowie eine DVD mit Musikvideos erweiterte „Legacy Edition“) auch 19 Jahre nach Erscheinen eine annähernde Perfektion, Emotionalität und Strahlkraft, die wohl keinen Hörer kalt lassen kann. Jeff Buckley sang mit der markerschütternden Stimme eines in die Gosse gefallenen Engels, spielte Gitarre, als hätte er es Robert Johnson – der Legende nach – gleichgetan und dem Teufel seine Seele an jener Kreuzung im ländlichen Mississippi ebenso im Tausch für zehn bluesgetränkte Finger vermacht – und trotz allem war er auch im Punk, im Grunge, in der Weltmusik, dem Jazz und dem Songwritertum Dylans tief verwurzelt. Die eierlegende musikalisch-manische Wollmilchsau, quasi. Auf Konzerten vor und nach dem Erscheinen seines Debütalbums (hier sei besonders auf die 2003 erschienene Komplettversion des „Live At Sin-é“-Konzertes verwiesen, wo man Buckleys Genialität während eines mehr als zweieinhalbstündigen Solo-Auftritts bewundern kann) deutete der meist scheue und in sich gekehrte Musiker all die Großtaten, die wohl noch von ihm zu erwarten gewesen wären, oftmals an…

Heute jährt sich der Todestag von Jeff Buckley zum 16. Mal. Ohne Frage war er zu Lebzeiten ein aufstrebender Musiker, ein Talent, das seinesgleichen suchte (und wohl nichts und niemanden weit und breit gefunden hätte). Wer weiß – vielleicht würden Gitarrengrößen wie Eric Clapton, Jimmy Page, Jeff Beck oder Keith Richards heute neidvoll auf das Schaffen und Können des Kaliforniers herabblicken. Doch uns bleibt lediglich „Grace“. Und die Legende von einem jungen Mann, der sich vor 16 Jahren dazu entschied, im Wolf River schwimmen zu gehen…

jeff-buckley-telecaster2

 

Natürlich sollten und müssen beim Gedenken an Jeff Buckley die Töne für sich sprechen. Hier also seine Version des Cohen-Klassikers „Hallelujah“ in Bild und Ton…

 

…sowie meine persönlichen Favoriten „Dream Brother“…

 

…“Last Goodbye“ (in einer 1995 für MTV aufgenommenen Live-Variante)…

 

…und „Forget Her“:

 

(Einen guten Überblick auf das leider zu geringe Schaffen Buckleys bietet außerdem die 2007 – also zum 10. Todestag – erschienene Zusammenstellung „So Real: Songs from Jeff Buckley„.)

 

Rock and Roll.

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