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Song des Tages: Pascow – „Wunderkind“


Foto: Promo / Andreas Langfeld

Schon seit dem zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt wissen wir, dass Jade wie folgt umschrieben wird: „Jade ist Schönheit im Stein mit fünf Tugenden: Ihr warmer Glanz steht für Menschlichkeit, ihre makellose Reinheit für sittliche Lauterkeit, ihr angenehmer Klang für Weisheit, ihre Härte für Gerechtigkeit und ihre Beständigkeit für Ausdauer und Tapferkeit.“

Neunzehn Jahrhunderte später wissen wir aber:  „Jade“ steht auch für das 2019 erschienene sechste Album von Pascow. Und wir sollten festhalten, dass sich über die Jahrhunderte recht wenig verändert hat – obwohl manch eine(r) mit der „sittlichen Lauterkeit“ noch immer so seine (oder ihre) Probleme haben dürfte… Natürlich lässt, großzügig ausgelegt, der Text aus dem großartigen „Schmutzigrot„, einen tatsächlich Pop-infizierten Beziehungssong,  genügend Raum für Interpretationen: „Gut war der Wind, wir haben‘s einfach nicht geschafft“ – ein bisschen mehr Fantasie, bitteschön! Attribute wie Menschlichkeit, Gerechtigkeit oder Weisheit finden sich neben Gesellschafts- und Kapitalismuskritik gleich mehrfach in den Songs des bereits seit 1998 bestehenden Punkrock-Viergespanns aus dem beschaulichen rheinland-pfälzischen Gimbweiler wieder. „Kriegerin“, „Track der Toten“ oder auch „Heute Jäger, morgen Taucher“ kommen satte fünf Jahre nach dem vielerorts gefeierten Album-Achtungserfolg „Diene der Party“ mit gewohnt-rotziger Wucht rüber, lassen keinerlei Lethargie zu, schlagen vielmehr eine derbe Schneise direkt ins Hörerhirn. Aber wer die Vorgänger kennt, der durfte von Alex, Swen, Flo und Ollo, die – in bester Ramones-Manier – natürlich alle den Nachnamen „Pascow“ tragen, auch kaum etwas anderes erwarten. Eher ungewöhnlich dagegen für Pascow: das Einbeziehen persönlicher Inhalte. Die Liebeserklärung „Marie“ etwa birgt die Gefahr, dass du nachts, wenn du Schlaf suchst, im Stillen von einer anderen Frau summst als von der, die da gerade neben dir liegt. So selbstzerstörerisch wie die depressive Geige zu Beginn, die Grenzen des Punkrocks großzügig gedehnt bis hin zu Ska mit russisch anmutendem Folk.

Und dann kommt kurz vor Schluss noch eine formvollendete Überraschung. Als alter Hippie weiß man freilich, dass diese Generation der Jade eine gewisse Magie zugeschrieben hat. Und jene „Magie“ findet sich in dem ungewöhnlichen, jedoch gänsehautwundervollen „anderen“ Song „Wunderkind“ wieder, schließlich wagen sich hier vier Punks an eine persönliche Piano-meets-einsame-E-Gitarre-Ballade (die wiederum kaum zu verkennende Ähnlichkeit zu Bushs “Glycerine” aufweist). Leise, mit Bedacht, greifen die stillen Töne dieser Außenseiter-Hymne ohne Umschweife nach deiner Seele. Und du? Du weißt eigentlich nicht, warum. Verdammt! Dunkle Edelsteinmagie, anyone?

Unterm Strich ist das zusammen mit Ex-Blackmail-Gitarrist Kurt Ebelhäuser produzierte „Jade“ die wohl bislang interessanteste Produktion von Pascow, die allen, die im Plattenregal zwischen Kapellen wie Frau Potz und Muff Potter noch ein wenig Platz frei haben, bestens munden dürfte. Eine gelungene Punkrock-Einheit und doch voller Abwechslung – sowohl im Songwriting, als auch in der Textgestaltung, werden hier doch kleine Geschichten erzählt, von einer Punk-Jugend, von Liebe und dem Ausbrechen aus der piefigen Kleinstadt-Idylle.

„Wunderkind“ war im vergangenen Jahr – zwischen „Silberblick & Scherenhände“ und dem Titelstück – die zweite Singleauskopplung aus „Jade“. Einerseits mutig, andererseits jedoch irgendwie auch konsequent, dass eine Punkrock-Band ausgerechnet eine gefühlige Stinkfinger-Ballade als eines der Aushängeschilder ihres Albums wählt…

„Du hast Wunden und Narben
Durchs Leben getragen
Wie die meisten auch
Nur schlechter versteckt

Echte Wunden heilt die Zeit nicht
Und meistens fragt die Welt nicht
Was du schaffst
Und was nicht

Konntest nie sein, wie alle sind
Selbst wenn du es wolltest
Zehntausend Mal
Zehntausend Mal

Echte Wunden heilt die Zeit nicht
Und meistens weißt du selbst nicht
Was du schaffst und was nicht
Was du schaffst und was nicht

Weil du weißt
Dass du alleine stirbst
Wie es all die Deinen tun
Sacred Wunderkind
Das raucht und hurt und trinkt

Weil du weißt
Dass du alleine stirbst
Wie all die andern auch
Und die Spinner sind nicht besser
Nur weil einer mehr sie braucht

Wurdest geboren als Geist
Und solltest so leben
Doch wer nichts hat
Dem kann man auch nichts nehmen

Und die Deppen auf der Straße
Die sich nie nach dir umdrehen
Die kennen nicht dein Strahlen
Und werden‘s niemals, niemals sehen

Was sie in hundert Liedern singen
Dieses Leben kennst du nicht
Doch niemand wird je glücklicher
Als du‘s gerade bist

Weil du weißt
Dass du alleine stirbst
Wie es all die Deinen tun
Sacred Wunderkind
Das raucht und hurt und trinkt

Weil du weißt
Dass du alleine stirbst
Wie all die andern auch
Und die Spinner sind nicht besser
Weil du sie jetzt nicht mehr brauchst

Rock and Roll.

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Song des Tages: TWINS – „Bathroom“


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Foto: Facebook

Es ist noch keine zehn Lenze her, da galt eine Band aus der sächsischen Provinz als Newcomer-Speerspitze wenn es darum ging, juvenile Emo-Gefühligkeit mit ausreichend verqueren Elementen aus Punk, Indie Rock, Screamo und Post Hardcore zu einen: MIKROKOSMOS23. Im Jahr 2005 in der recht beschaulichen Porzellan-und-Hahnemann-Stadt Meißen gegründet, entwickelt sich das aus Peter Löwe (Gesang, Gitarre), Tom Pätschke (Schlagzeug), Mathias Starke (Gitarre) und Steffen Oks (Bass) bestehende Quartett schnell zum potenten Geheimtipp der bundesdeutschen Alternative Rock’n’HC-Szene, produziert bereits den 2010 erschienenen zweiten Langspieler „Memorandum“ mit niemand Geringerem als Blackmails Sechs-Saiten-Schwinger Kurt Ebelhäuser, tourt fleißig durch die Indie-Clubs und AJZs der Republik, schiebt alsbald, 2013, mit „Alles lebt. Alles bleibt.“ Album Nummer drei nach (beide Werke gibt’s übrigens via Bandcamp im Stream sowie als „name your price“-Download). Gerade jenes wusste mit seiner Mischung aus frühen Kettcar und Captain Planet, mit seiner klanglichen Melange aus Blackmail, Muff Potter oder Adolar und den mal persönlich anmutenden, mal intellektuell müffelnden Texten, bei denen sich damals nicht nur die VISIONS fragte, „was so schief gelaufen ist, dass man sich sein Leben von einem anti-altklugen Campuspoeten wie Löwe erklären lassen muss“ (obgleich die anderswo gezogenen Vergleiche zu Kettcar-Vorsteher Marcus Wiebusch wohl nicht allzu weit an den Emotional-Harcore-Härchen herbei gezogen waren), zu überzeugen. Ja, da war man sich allerorten unisono einig: MIKROKOSMOS23 dürfte eine vielversprechende Zukunft bevorstehen. Nur kam Löwe, Pätschke und Co., die ihre musikalische Homebase mittlerweile ins deutlich größere, deutlich bekanntere, indie-szenisch deutlich besser vernetzte Dresden verlagert hatten, wohl der schnöd-unrockenrollige Alltag dazwischen, was dazu führte, dass der Vierer zwar mal hier, mal da versprach, an Album Nummero vier zu werkeln, schließlich allerdings – eine One-Time-Show bei der Hochzeit ihres Schlagzeugers mal außen vor – ihre gemeinsamen Aktivitäten bis heute aufs kreative Abstellgleis schob. „Life is what happens to you while you’re busy making other plans.“ – das wusste schon der olle Lennon-John…

a1551146331_16Umso überraschender, dass MIKROKOSMOS23 nun irgendwie und ebenso unerwartet ihr Comeback feiern. Obwohl: mit Tom Pätschke und Steffen Oks sind lediglich zwei Viertel der einstigen Anfangszwanziger-Indie-Radau-Hoffnungsträger bei den Quasi-Newcomern TWINS mit am Start. Und ebenjenes Vierergespann mit Zentrale in der sächsischen Landeshauptstadt und weiteren kreativen Zelten in Leipzig und Berlin knüpft mit (s)einer Mischung aus Indie-, Noise- und Mathrock sowie Hardcore gleich auch bestens an die gesteckten Pfade der Vorgänger-Band an. Hinter jeder Ecke lauert eine weitere Ecke und dann noch eine und dann brüllt einer heiser und dann twinkeln die Gitarren ein bisschen und dann ist man bereits nach den ersten Vorboten „Library“ und „Bathroom“ schnell überzeugt: Mit dem für den 14. Februar angekündigten Debüt „Soon“  kommt eine der vielversprechendsten Platten des noch jungen Musikjahres auf die versammelte Post-Hardcore-Gemeinde zu. Bekannteste Verwandte: Blood Brothers, At The Drive-In, die alten Pianos Become The Teeth. Ja klar, meinetwegen könnte der Gesang ein bisschen cleaner sein, ansonsten gefällt’s: sehr.

 

Schlagzeuger Tom meint zur Entstehung des frisch veröffentlichten Musikvideos zu „Bathroom“: “Für unser erstes Musikvideo, welches wir komplett selbst geschrieben und produziert haben, sind wir 3 Tage voll beladen, mit Greenscreens unter den Armen zwischen unzähligen Locations hin und her gesprungen. Und dank all der Szenen, die dabei entstanden – irgendwo zwischen Supermärkten, Basketballfeldern, Clubs, Bibliotheken, Wäldern usw. – ist das ganze Video nun eine Art Kaninchenbau geworden, der letztlich wunderbar zu uns passt: alles ist wild und durcheinander – wie ein komischer, mitreißender Strudel. Und tatsächlich ist das sogar eine ganz gute Analogie für die gesamte Art wie wir als Band denken und schreiben: durchdenken, ausprobieren, verwerfen, von vorn anfangen, neu denken, wiederholen. Wie kreisende Gedanken – Viel. Zu. Kompliziert.”

 

 

Rock and Roll.

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Der „deutsche Steve Albini“ – Guido Lucas ist tot.


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Ein herber Verlust für die hiesige Indie-Szene: Guido Lucas, Besitzer des Blubox Tonstudios in Troisdorf, Mitte der Neunziger Gründer des Indie-Labels bluNoise Records und vor allem selbst auch Musiker aus Leidenschaft, ist überraschend im Alter von 53 Jahren gestorben.

Lucas hatte unter anderem Platten von Blackmail, Muff Potter, Donots, Urlaub in Polen, Thomas D, Union Youth oder Harmful produziert und selbst von 2000 bis 2008 als Bassist bei den Indierockern Scumbucket sowie bei Ken, Genepool und weiteren Truppen wie Les Hommes Qui Wear Espandrillos gespielt. Seiner direkten, nicht selten knochentrockenen Produktion wegen wurde der Rheinländer, den man gut an seinem breiten Schnauzer und der altmodischen Hornbrille erkennen konnte, nicht selten als „deutscher Steve Albini“ bezeichnet, sein Zögling Kurt Ebelhäuser (Blackmail, Scumbucket) nannte ihn einst ehrfürchtig den „deutschen Indie-Pabst“.

Zu den Umständen wurde zunächst nichts bekannt, Lucas‘ Tod scheint aber selbst für enge Freunde und langjährige Weggefährten, die die Nachricht in den sozialen Medien verbreiteten, völlig unerwartet gekommen zu sein.

Mach’s gut, Guido.

 

Ein kurzes Videoportät über Guido Lucas aus dem Jahr 2013 könnt ihr euch hier anschauen:

 

Rock and Roll.

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