(gefunden bei Facebook / das komplette SPIEGEL-Interview gibt’s hier)
Felix Kummer und seine Band Kraftklub mögen nicht jedermanns Sache sein (meine zum Beispiel sind sie nicht, bin aber wohl auch leicht über Zielgruppen-Alter), die politische Haltung des Chemnitzer Musikers, Baujahr 1989, ist jedoch in jedem Fall unterstützenswert. Denn einerseits vertreten Kummer und seine Klaftklubber diese klar und deutlich, zum anderen engagiert sich das recht erfolgreiche Punk-Pop-Indie-Rap-Irgendwas-Quintett auch immer wieder: So initiierte die Band am 3. September 2018 als Protest gegen die rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz ein Openair-Konzert unter dem Motto „Wir sind mehr“ vor schätzungsweise 65.000 (meist jungen) Besuchern und konnte auch andere musikalische Größen fürs Line-up gewinnen: neben ihnen spielten dort auch unter anderem Die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet, K.I.Z., Marteria und Casper. Props also für so viel ehrliche klare Kante von Felix Kummer, der kürzlich mit der Solo-Single „9010“ seiner sächsischen Heimatstadt einmal mehr die Ehre erwies. 👍
Insgesamt und in Albumform kann ich eher wenig mit Kraftklub anfangen. Ehrlich, ich hab’s probiert, oft genug. Ist wohl einfach so.
Trotzdem muss man Felix „Brummer“ Kummer, Till „Brummer“ Kummer, Steffen „Israel“ Tidde, Karl Schumann und Max Marschk Einiges zugute halten:
Die Band hat – zumindest auf Bühnenbrettern – ordentliche Entertainerqualitäten. Das haben die fünf nicht zuletzt bei der diesjährigen Ausgabe von „Rock and Ring“ bewiesen, wo sie als „Latenight-Special“ auftraten (ein Videomitschnitt der Show geisterte zwar in den letzten Tagen durchs weltweite Netz, wurde jedoch – bis auf eine Performance des Songs „Fenster“ – leider wieder entfernt…).
Die Band hat Chemnitz (oder, in Hipster-Deutsch: Karl-Marx-Stadt) wieder zurück (?) in die oberen Chartregionen der bundesdeutschen Musikszene gehievt: jedes ihrer bislang drei Album sicherte sich den ersten Platz der Albumcharts. Was wiederum dazu geführt hat, dass ein Kultursender wie arte die Berliner *hust* „Rüpelrapcombo“ K.I.Z. in die beschauliche sächsische 250.000-Einwohner-Stadt einlud, um eine durchaus amüsante Ausgabe von „Durch die Nacht mit“ zu drehen…
Die Band hat bereits 2013 selbst ein ansehnliches Festival aus dem Boden gestampft: das „Kosmonaut Festival“ findet seitdem alljährlich am Stausee Oberrabenstein unweit von der heimischen Fanbase Chemnitz statt, und hatte mit Künstlern wie Frittenbude, Casper, Bosse, AnnenMayKantereit, Fettes Brot, Materia, den Beatsteaks, Thees Uhlmann, den Fantastischen Vier, Haftbefehl, K.I.Z. (was sich wohl auch aus Punkt 2 ergab), Turbostaat, Prinz Pi, Olli Schulz, Boy oder Alligatoah bereits fast das komplette Who-is-Who der bundesdeutschen Musikszene zu Gast.
Die Band mag zwar im Gros auf durchweg tanzbare Indiediskogutelaunestampfer setzen, traut sich jedoch ab und an auch etwas. Etwa auf dem aktuellen, jüngst erschienenen dritten Album „Keine Nacht für Niemand“ (jaja, schon der Albumtitel fängt mit einer nur eben halb witzigen Hommage an Ton Steine Scherben an): so ist der zuerst vorgeschobene Song „Dein Lied“ eine zwar böse, jedoch unterhaltsame Abrechnung mit der Ex, die Frontmann Felix Brummer gleich mal eben – Rap-Cred wollen auch gesammelt sein – als „verdammte Hure“ bezeichnet – unterstützt von einem Piano und einer Armada aus Streichern. Und auch die erste offizielle Singleauskopplung „Fenster“ lässt sich durchaus hören, hat diese doch als bittersüße Abrechnung mit all den verschworbelt-hasserfüllten Paranoiker-Gedankenwelten all der sogenannten „Wutbürger“ und „Verschwörungstheoretiker“ einen recht ernsthaften Hintergrund, welcher zum Nachdenken anregt. Plus: das gut versteckte Bonusfeature vom potentiell besten bundesdeutschen Freizeit-Musikarzt(aus Bärlin! auuuus Bärlin!) gegen Ende des Songs.
Komplett ernst nehmen kann ich Kraftklub trotzdem nicht. Liegt es daran, dass ich mich mit Ü30 knapp außerhalb der potentiellen Zielgruppe befinde? Liegt es daran, dass ich einen Teil der Band noch kenne, als diese als schulpflichtige Dreikäsehochs durch den elterlichen Chemnitzer Musikclub „Atomino“ hüpften? (Zur Erklärung: Die Eltern von Felix und Till Kummer, Jan und Ina Kummer, spielten zu DDR-Zeiten in der *hust* „kultigen“ Elektropop-Band AG. Geige. Der Vater, Jan Kummer, ist heute Leiter des „Atominos“, welches gerade in Chemnitz auch 2017 noch einen ausgezeichneten Ruf als schmissige Indie-Disse und Konzertlocation besitzt.) Liegt es daran, dass mich durchgängig auf Tanzbarkeit und Hurra geklöppelte Indiediskostampfer generell schnell kalt lassen? Oder: bin ich auch einfach zu alt?!?
Und: wenn ich mich schon „zu alt“ für die Musik und das Gehabe von Kraftklub fühle, wie fühlen sich dann erst die grauhaarigen Semester?
Diese Frage beantwortet der YouTube-Kanal „Digster OnFleek“ in der neusten Ausgabe der Reihe „Opas scheuen Musik“, in welcher sie älteren rüstigen Herrschaften, die sich oftmals bereits erfolgreich für die Dritten, für Gehhilfen und Zivildiensthelfer qualifiziert haben, die „Musik der Jugend“ vorsetzen. Und dieses Mal eben Kraftklub. Aber schaut am besten selbst…
Jammern auf einem verdammt hohen Thron. Genau so – oder zumindest: so ähnlich – könnte Benjamin Griffeys Situation ausgesehen haben, als er sich nach der Endlostour zu seinem vor zwei Jahren erschienenen dritten Album „XOXO“ so seine Gedanken machte. Wie geht’s nun weiter? Eine durchaus berechtigte Frage…
Immerhin hatte er, der als Casper für Furore gesorgt hatte, es geschafft, auch den Feuilleton mit Songs, denen – HipHop hin oder her – eine vor nicht all zu langer Zeit noch vorherrschende kleingeistige „Ghetto Gangster“- und „Fick deine Mutter und alle deine Freunde“-Attitüde eines Fler, Bushido oder Haftbefehl (allein die Namen sprechen Bände) völlig abging, von sich zu vereinnahmen. Dass der Wunsch, als ehemaliger Underground-Rapper endlich vom liebsten Hobby leben zu können, auch bedeutete, dass einem die eigene Visage fortan von „Bravo“-Covern entgegen griente und nun die ersten Konzertreihen von nicht selten minderjährigen Mädchen, die nach Konzertschluss pünktlichst von ihren besorgten Eltern vor der Halle abgeholt wurden, bevölkert wurden – fair enough. Viel wichtiger scheint jedoch, dass Griffey/Casper sich auf „XOXO“ in einem Maße freischwamm, welches zumindest im deutschsprachigen HipHop seinesgleichen suchen dürfte. Gemeinsam mit seiner Band (!) bastelte der ehemalige Bielefelder, der nun wie jedermann freilich in der Hauptstadt wohnt und lebt, jahrelang an Sounds und Songs – und verließ die Proberäume und Aufnahmestudios erst, als er mit „XOXO“ ein Ergebnis in seinen Händen hielt, dass sich kaum fundamentaler vom vor allem in Fankreisen höchst beliebten, 2008 erschienenen Vorgänger „Hin zur Sonne“ unterscheiden konnte. „XOXO“ war groß, hymnisch, mitreißend und positiv – jedoch auch melancholisch, introspektiv und unvermittelt. „XOXO“ hatte Aufruhr im Sinn und Veränderungen im Blick, verknüpfte Beats mit klassischem Rock-Instrumentarium aus GitarreSchlagzeugBass zu nahezu durchgängig unwiderstehlichen Popmomenten, während Griffey in den Texten nicht selten die mal salzigen, mal schmutzigen Finger in die Wunden der Zeit legte: „Und bin weg, weit weg, da wo dir Fehler verzeihbar sind / An den Ort, wo wir mit 16 dachten, wo wir mit 30 sind / Kein Ärger und Mist, denn als merkten wir’s nicht / Alltag ist Treibsand, du steigst ab, je stärker du trittst / Immer nur lang leben von Mahnung zu Mahnung und Ratenabzahlung / Für ein Mal im Jahr 14 Tage Malle / Ich bin raus, kann schon nach dem Ende ’nen Anfang sehen / Ganz egal, wie lang‘ der Fall, solange die Landung steht / Vielleicht Saint Tropez / Vielleicht weit hinter den Bergen / Vielleicht nur Bielefeld, doch dort, wo noch Grinsen was wert ist“ (aus „Auf und davon“). War das, wozu sich da plötzlich Lederjacken-Indierocker und Übergrößenklamotten-Hiphopper unisono über die Tanzflächen der Studentendiskos bewegten, eigentlich noch HipHop? Wenn nicht – was zur Hölle dann? Raprock? Poprockhop? Indiehippostrock? Fest stand: Da hatte ein junger Mann, ein ehemaliger Medienpädagogik- und Psychologiestudent mit – Obacht! – „Migrationshintergrund“, mal eben die komplette deutsche Musikszene gefoppt und sich mit dem gefühlten Debütalbum „XOXO“ nachhaltig auf dem ersten Platz der Albumcharts breitgemacht, während Songs wie „Auf und davon“ oder „So perfekt“ massig Radioairplay erhielten und gestandene Künstler wie Thees Uhlmann oder Madeira ihm auf dem Album mit Gastbeiträgen ihre Aufbietung machten… Und wer je ins Gespräch mit dem nicht selten „Emorapper“ titulierten Endzwanziger kam (der sich selbst ironietriefend als „Vater des Hipster-Raps“ bezeichnet), der stellte fest, dass dieser zwar durchaus seine Wurzeln im westfälischen HipHop hatte, dass Griffey jedoch ebenso einen Gedichtband von Rainer Maria Rilke unter dem „Black Album“ von Jay-Z auf seinem Nachttisch liegen haben könnte. Außerdem schienen dem Herrn Genregrenzen völlig fremd zu sein. Gepflegte Punchlines zu Tom Petty’esken Akkorden? Rapsalven über Endhaltestellen und Auswege, über Depression, Tode und die Lichter am Tunnelende, gekreuzt mit dem Rockismusgeist von Springsteen oder den Counting Crowes, während sich die Gitarren in ungeahnte Post Rock-Höhen á la Explosions In The Sky schrauben (man höre und staune noch immer über die bewegenden Songs „Michael X“ oder „Kontrolle/Schlaf“!)? Geht, alles. „XOXO ist das Ergebnis einer positiven Dialektik aus HipHop und Hardcore, Zerstörung und Erneuerung, Lachen und Weinen, Zurücklassen und Wiederfinden, Liebe und Wut, Depression und Hoffnung, alles geht fließend ineinander über“, wie die TAZ damals in ihrer Kritik schrieb. Unterschrieben.
Foto: Paula Winkler; Alexander Gehring
Was also sollte nach „XOXO„, diesem unverhofft genreübergreifenden Statement, kommen? Die Kehrtwende zurück zum Purismus des HipHop? Weiter in Richtig Pop? Oder gar: noch mehr Handwerk, noch mehr Songwriting? Hört man nun „Hinterland„, Album Nummer zwei in der „neuen Casper’schen Zeitrechnung“, Album Nummer vier in der Gesamtdiskografie des mittlerweile 31-Jährigen, so dürften die elf neuen Stücke bei vielen zunächst einmal für Verwunderung sorgen, denn Griffey setzt genau da an, wo einen „XOXO“ vor zwei Jahren zurück ließ. Und macht doch alles anders.
Rein oberflächlich wäre da schon einmal das Coverartwork: Ein schwarzer Priester scheint wie in Trance himmlische Mächte zu beschwören, während er als Täufer eine vormals Ungläubige in sonnenbeschienene Gewässer taucht. Wo waren die einsamen Wölfe geblieben, die einen noch bei „XOXO“ vom Plattencover – beziehungsweise zu Anfang der begleitenden Konzerte als leuchtende Masken bei allen Bandmitgliedern – Ehrfurcht einflössend anstarrten? Passend dazu präsentierte sich Griffey mit Redneckkappe und amtlichem Vollbart. Ein shoutender Indie-Jesus? Wohl kaum. Vielmehr begab sich der deutsch-amerikanische Musiker, der zwar in Ostwestfalen zu Welt kam, dank seines amerikanischen Vaters, einem US-Soldaten, jedoch die ersten elf Lebensjahre in Augusta (nahe Atlanta, US-Bundesstaat Georgia) verbrachte, bevor seine Mutter mit ihm und seiner älteren Schwester nach Deutschland zurückkehrte, klanglich auf Spurensuche. Die größte Rolle bei der musikalischen Neujustierung dürften dabei wohl die beiden als Produzenten fungierenden Studioasse Konstantin Gropper und Ganter gewesen sein – der eine (Gropper), als Vorsteher der international angesehenen, am Ende doch stets leicht größenwahnsinnig aufspielenden Get Well Soon, das „ewige Wunderkind“ des deutschen Indiepop, der andere (Ganter) bislang bekannt für seine dubstepaffinen Produktionen für Elektropopper wie Sizarr. Dazu ein Haufen offener Kreativlinge wie Griffey und Band. Was für eine Melange!
Und so ist es kaum verwunderlich, dass bereits der erste Song, „Im Ascheregen“, ohne Umschweife in die Gehörgänge rutscht. Erst noch von einsamen Pianonoten eingeführt, mischen sich alsbald treibende Schlagzeugschläge, flirrende Gitarren und „Ohoho“-Chöre ins Geschehen ein, während Griffey die Parole ausgibt: „Dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen / Will auf und davon und nie wiederkommen / Kein Lebewohl, will euch nicht kennen / Die Stadt muss brenn‘, brenn‘, brenn‘, brenn‘ „. Ist dies etwa – und man unterstelle mir hier bitte keinerlei Blasphemie! – etwa der persönliche „Born To Run“-Versuch des bekennenden Springsteen-Fans? In eine ähnliche Kerbe schlägt denn auch das darauf folgende Titelstück: „Wo jeder Tag aus Warten besteht / Und die Zeit scheinbar nie vergeht / In diesem Hinterland, verdammtes Hinterland / Wo Gedanken im Wind verwehen / Und die Zeit scheinbar nie vergeht / Geliebtes Hinterland, Willkommen im Hinterland“. Zu schmucker Akustikklampfe und E-Gitarren, sanften Chören, treibendem Schlagzeug und Handclaps erzählt der „Konsensrapper“ von der Tristesse des Irgendwos im Nirgendwo und lässt gleich mal eben sein roadtriptaugliches „Thunder Road“ folgen. „Alles endet (aber nie die Musik)“ setzt darauf wieder mehr auf die Euphoriekarte, holt mit poppigen Rhythmen die Freunde von „XOXO“ (wieder) ins Boot, während man die eigene Vergangenheit, die ersten dreißig Lebensjahre, im Rückspiegel betrachtet („Einer ging zu früh, einer bekam dann Kinder / Einer geht ein und aus, irgendwas ist immer / Einer ging zum Bund, der Rest weg, die Welt erfahren / Ich mach noch immer das Musikding, bin selten da“). Die im HipHop-Zirkus nicht eben seltene Kunst der Referenzeinwürfe und Querverweise spielt „…Nach der Demo ging’s bergab!“ zu freudetrunkenem Piano, Bandinstrumentierung und Bläsern höchst clever aus – oder wo sonst werden Die Sterne, Ton Steine Scherben, Tomte, Wir sind Helden, Kraftklub (in anderen Stücken gar Slime, Kettcar oder Oasis) mal eben so augenzwinkernd genamedropped? „Nun nur noch ein Mixtape, wo kein Song zu dem anderen passt“? Nee, Casper, passt schon! Und auch die gewohnten Melancholiebolzen kommen auf „Hinterland“ nicht zu kurz: „20 qm“ ist der feierlich schöne Abgesang an die guten Zeiten einer gescheiterten Beziehung (inklusive windschief niedlicher „Oho“-Chorale), „Lux Lisbon“ könnte mit seinen schleppenden Rhythmen und dem großen Refrain, für welchen Griffey keinen Geringeren als Editors-Stimme Tom Smith gewinnen konnte, die Vorgeschichte des bitteren „XOXO“-Songs „230409“ sein. Auf „Ariel“ kommen dann erstmals (!) verhalten bummernde Hintergrundbeats zum Einsatz, während im Text Besinnlichkeit und Gedanken über den Tod Einzug halten: „Wenn ich geh‘ – wenn ich geh‘, wenn ich geh‘, wenn ich geh‘ / Bin ich doch da, solang‘ die Band noch spielt / Und alles ist gut, anders, aber gut anders“ – it ain’t over before it’s over. Weitere Highlights sind etwa „La Rue Morgue“, in welchem sich Griffey zu betrunken hinterher taumelndem Piano, Schepperpercussion und „Lalala“-Chören als deutsche Antwort auf jenseitige Greiner wie Tom Waits oder Nick Cave präsentiert, oder der Abschluss „Endlich angekommen“, bei dem der Musiker innerhalb von sechseinhalb Minuten – und mit hörbarem Stolz auf sich und seinen eingeschworenen kleinen Haufen Kumpane! – noch einmal den bislang zurückgelegten Weg Revue passieren lässt: „Applaus, Applaus / Vorhang auf / Endlich angekommen / Und alles zieht vorbei, bei, bei, bei, bei… /…/ Liebe kommt, Liebe geht / Nur was immer bleibt, sind Bilder zur Zeit / Die kann uns niemand nehmen…“.
Foto: Sony Music
Alles in allem ist Benjamin „Casper“ Griffey und dem nicht selten spürbar die Richtung vorgebendem Reglerschiebeduo Gropper/Ganter mit „Hinterland“ eine bis ins kleinste 47-minütige Detail ausbalancierte Antwort auf dem Achtungserfolg „XOXO“ gelungen (die beiden halbgaren Stücke „Ganz schön okay“, welcher ein Feature der chemnitzer Tourneekumpels von Kraftklub beinhaltet und den Tourbus als Butterfahrtskommando – beinahe – gegen die Wand fährt, und „Jambalaya“, das sich als augenzwinkernder Partyschwanzvergleich im Bigband-Konstrukt präsentiert, mal außen vor). Skandierte der Indie-Rapper („Indie“ explizit der Herangehensweise wegen!) vor zwei Jahren noch „Anti-alles für immer!“, so kann man anno 2013 bedenkenfrei das „Anti“ streichen. „Hinterland“ ist Caspers nicht eben pathosfreies Rückspiegelhohelied auf die eigene Jugend in der Provinz und stellt die Trostlosigkeit der Trailerparksiedlungen neben die Lust auf die große, weite Welt. „Hinterland“ ist die Fortsetzung des Weges, der für Casper nach dem zweiten, damals noch recht raplastigen „Hin zur Sonne“ begann, und, wenn man so will: sein persönlicher, Musik gewordener Springsteen-Moment. „Man kann das als Jugendzimmer-Lyrik abtun. Aber jeder, der schon mal ein Jugendzimmer bewohnte, wird darin etwas von sich selbst wiederfinden. Nur wenn man nicht vergisst, woher man kommt, versteht man die Sehnsucht, die immer noch an einem nagt“, wie es der Musikjournalist Jens Balzer in seiner Kritik für den deutschen „Rolling Stone“ so treffend auf den Punkt bringt. All den Zweiflern, den notorischen Nörglern und „Eintagsfliege“-Gröhlern dreht Griffey mit großen Momenten und feinen Melodien eine lange Nase, während er mit „Hinterland“ schon wieder – und das nicht völlig zu unrecht – von der Pole Position der Charts grüßt. Gekommen, um zu bleiben? Sieht ganz danach aus…
Wer mehr über Benjamin „Casper“ Griffey, dessen Gemütslage und die Hintergründe zum neuen Album „Hinterland“ erfahren möchte, der findet hier ein Ende September von „Zeit Online“ geführtes Interview mit dem Musiker…
…sowie hier die – visuell wie akustisch – tollen Musikvideos zu „Im Ascheregen“…
1971 gegründet und damals noch unter dem Namen SOUND FESTIVAL stattfindend, ruft ein kleiner, verschlafener Ort auf der dänischen Insel Seeland alljährlich Festivaljünger aus Skandinavien, Europa und der ganzen Welt zusammen, um gut eine Woche lang dem Erleben von mehr oder minder lauter, lebensfroher und tanzbarer Musik, dem gemeinsamen – meist feuchtfröhlichen – Feiern sowie dem Beisammensein in Zeltstädten bei Dosenravioli und Campingkocher zu frönen. In besten Zeiten invadierten 115.000 Musikbegeisterte das ländliche, etwa 30 Kilometer von der Hauptstadt Kopenhagen entfernte Roskilde, 2012 waren es, auch den Sicherheitsbestimmungen nach dem tragischen Zwischenfall 2000 geschuldet, bei der 42. Ausgabe immerhin gut 77.000.
Und beim Blick auf das Line-Up überraschen solche Zahlen kaum: Rock in allen Spielarten, Pop, Metal, elektronische Klänge, Bluegrass, Blues, Reggae, Singer/Songwriter… – für praktisch jeden war auch in diesem Jahr etwas dabei. Und wer nicht vorrangig der auftretenden Bands und Künstler wegen da war, der konnte auf dem nicht eben kleinen Gelände dem bunten Treiben der vor allem aus Dänemark kommenden Besucher, von denen etwa 20% aus dem Ausland anreisten, beiwohnen.
Doch genug zur Historie und zu Allgemeinplätzen. Hier nun das, was mir von Roskilde 2012 in Erinnerung geblieben ist, in Form eines kleinen Festivaltagebuchs:
Tag 1 (Dienstag, 3. Juli 2012):
Die Reise beginnt in der sächsischen Provinz uns führt mich und meine zwei Begleiter (zum Ende des Festivals werden wir zu fünft sein, die anderen zwei stoßen später von Schweden aus zu uns) per Road Trip und mit sorgfältig ausgewählter Musik bei durchgängig freien deutschen Autobahnen bis nach Rostock. Da wir weit vor Abfahrt der Fähre zum dänischen Gedser ankommen, bleibt noch Zeit, um der unterbeschäftigten Imbissfrau bei Fischbrötchen, Bulette, Kaffee und Rostocker Pils ein wenig Gesellschaft zu leisten und Trost zu spenden.
Bei untergehender Sonne und mit einer Horde portugiesischer Schüler an Bord laufen wir beinahe pünktlich auf die Ostsee aus und kommen im Dunklen in Gedser an Dänemarks Küste an. Den Weg nach Roskilde zu finden ist nicht schwer: wir müssen einfach nur immer den Hauptstraßen geradeaus folgen. Gegen 23.30 Uhr kommen wir am Festivalgelände Roskildes an, müssen jedoch noch einen kurzen Trip in die „Innenstadt“ der Gemeinde unternehmen, um dänische Kronen für den Autostellplatz zu besorgen. Nachdem dies erledigt und das Auto abgestellt wurde, heißt es, sich die offiziellen Festivalbändchen am Arm festzurren zu lassen und nach einem geeigneten Zeltplatz für die kommenden Tage Ausschau zu halten. Letzteres stellt sich jedoch als Kraftakt von kaum vorstellbarer Schwere heraus, da das Gelände bereits am vergangenen Samstag geöffnet wurde und bereits so ziemlich alle Plätze belegt sind (wie wir später bemerken sollten, hatten wir jedoch damit auch Glück um „Unglück“). So wandern wir also, nach über 12 Stunden Anreise, durch spärlich beleuchtete Zeltstädte und vorbei an bereits allerhand Müll, Alkoholleichen und einer Jugend, die scheinbar den Aufstand des Leichtsinns probt. Am hintersten Eck (das sich bezeichnend „Silent Area“ schimpft) finden wir noch ein wenig Platz, beschließen diesen alsgleich zu besetzen und schaffen unter Aufbietung unserer letzten Kraft- und Wachreserven unser Zeug herbei. Als unsere Zelte aufgestellt und die Heringe im Festivalboden verankert sind, beginnen bereits die ersten Vögel den Anbruch des Festivalmittwochs zu begrüßen. Bei aufgehender Sonne stoßen wir gemeinsam mit dem höchst verdienten ersten Festivalbier an und sinken danach erschöpft in unsere Schlafsäcke.
Tag 2 (Mittwoch, 4. Juli 2012):
Der erste komplette Tag in Dänemark steht, auf besonderen Wunsch der „besten Freundin“, und da die „offiziellen“ Konzerte erst am nächsten Tag beginnen (vorher konnte, wer wollte, bereits kleineren dänischen/skandinavischen Bands beim Musizieren auf die Finger schauen), unter dem sonnigen Stern eines Sightseeing-Ausflugs in die dänische Hauptstadt, die mit dem Zug etwa 30 Kilometer oder 50 Minuten Fahrt entfernt liegt. Gegen Mittag kommen wir bei besten Temperaturen dort an, laufen vom Hauptbahnhof aus am beliebten „Tivoli“-Vergnügungspark vorbei durch’s Zentrum bis zur Vor Frelsers Kirke, die wir über eine im 18. Jahrhundert gebaute Wendeltreppe besteigen, um uns in 93 Metern Höhe einen Überblick über die etwa 540.000 Einwohner zählende Stadt zu verschaffen. Danach geht’s weiter nach Christiania, welches quasi das „alternative Zentrum“ Kopenhagens darstellt. Gibt’s doch überall? Nun, besonders an diesem in einem verlassenen und seit 1971 von Hippies besetzten Militärgelände ist, dass der Stadtteil von den Bewohnern zur (mehr oder minder autarken) Freistadt ernannt wurde. Und „Besonderes“ sieht der Besucher, dem Fotografieren unter Androhung von Gewalt strengstens untersagt ist, auf jeden Fall. Oder zumindest mehr offen und frei angebotene bewusstseinserweiternde Substanzen als sonstwo (und ich wohne in den Niederlanden!). Und in beinahe allen Gassen Christiania strömen einem denn auch dementsprechende Gerüche entgegen… Toll hingegen ist es zu beobachten, dass hier Anzugträger und Rastafari im friedlichen Nachmittagssonnenplausch gemeinsam ihr Entspannungstütchen rauchen…
Nach diesem etwas abseitigen Trip geht’s per Wassertaxi weiter zu der Sehenswürdigkeit Kopenhagens: der „kleinen Meerjungfrau“. Gesehen. Abgehakt. Weiter. Nach dem Rückweg zum Hauptbahnhof geht’s zurück nach Roskilde. Ein schöner, entspannter Tag, um Energie für die nächsten vier kraftraubenden Tage im musikalischen Herzen Dänemarks zu sammeln.
Tag 3 (Donnerstag, 5. Juli 2012):
Der erste offizielle Konzerttag beginnt für die Einen von uns (wir sind mittlerweile zu fünft) mit den aus dem heimischen ehemaligen Karl-Marx-Stadt stammenden Kraftklub, für die Anderen mit The Shins. Ich entscheide mich für letztere Band…
Doch alsbald beschleicht mich in der Mitte des Auftritts das Gefühl, dass ich doch besser die Chemnitzer Neo-Sprech-Rock-Hipster hätte wählen sollen, denn irgendwie kommen James Mercer und Band nicht recht aus der Hüfte, was sich auch auf die dementsprechend mäßige Stimmung im Publikum auswirkt. Was soll’s. Dann halt zuhören und im Hinterkopf noch die Planung für die nächsten Tage durchgehen.
Weiter geht’s danach ins Gloria, eins von insgesamt sieben (!) Venues auf dem Festivalgelände, und zusammen mit der Orange Stage (der Hauptbühne) wohl das in seiner Gestaltung und Akustik beste, um dem Songwriter Sam Amidon zu lauschen. Ist nicht aufregend, das Ganze, jedoch sehr, sehr schön…
Auf der eben erwähnten Orange Stage betreten mit Robert Smith und seinen nicht minder gealterten Mitmusikern The Cure die Hauptbühne und werden diese für die nächsten gefühlt 50 Stunden nicht mehr verlassen. Stoisch und beinahe ohne Publikumsinteraktion (doch wer hätte das beim größten Trauerklos des Musikbusiness auch erwartet?) ziehen die Goth-/Wave-Rocker ihr Ding durch, spielen sich – beileibe nicht unvirtuos – durch den gewaltigen Backkatalog, lassen immer mal wieder Evergreens wie „Just Like Heaven“, „Lovesong“ oder „Lullaby“ mit einfließen, und wandeln gegen Ende gar auf Pink Floyd’schen Soundscape-Spuren. Mammutauftritt einer Band mit großer Spielfreude, und gegen Ende lassen sich Smith’s Lippen sogar das ein oder andere Lächeln entlocken – sensationell. Und die Geduld der Zuschauer wird bereits am ersten Tag geprüft…
Wir jedenfalls halten’s der Langatmigkeit wegen nicht bis zum Ende aus (und dabei ist „Disintegration“ eins meiner All-Time-Fav’s!) und statten Perfume Genius noch einen kurzen Besuch ab. Fazit: armer, schüchterner Kerl, traurige Songs, klagendes Stimmchen. Man reiche ihm einen warmen Kakao!
Tag 4 (Freitag, 6. Juli 2012):
Am Morgen werden wir vom Regen geweckt. Unbeugsam öffnen sich die Himmelsschleusen und verwandeln einen Großteil des Festivalgeländes sowie der Zeltstadt in eine müllbedeckte Schlammlandschaft. In unserem hintersten Eck des Zeltplatzes haben wir das Glück, noch Wiese als Untergrund zu haben, welche einen guten Teil der Nässe rasch aufnimmt und uns ein „Absaufen“ erspart. Mein Begleiter und ich (von ihm stammt auch ein guter Teil der Festivalfotos, welche er ANEWFRIEND großzügigerweise zur Verfügung stellte) entschliessen uns, das Festivalkino als trockenen Ort aufzusuchen. Gespielt wird gerade „Play“, ein schwedischer Film mit dänischen Untertiteln, dessen Handlung sich wohl vor allem über die Dialoge erschliesst. Wir sprechen leider keine der beiden Sprachen. Und können uns bei den Stellen, bei welchen das anwesende Publikum lacht, nur ungläubig anschauen. Die Stelle mit dem scheißenden asiatischen Jungen einmal außen vor…
Gegen Nachmittag legt sich der Regen so langsam und ein kurzer Abstecher zu Baroness, welchem im Odeon spielen, steht auf dem Plan. Ordentlich, die Jungs. Ordentlich laut. Werden wohl zurecht (hoch)gelobt. Ich bin angefixt.
Weiter geht’s zu Gossip an die Orange Stage, und da noch Plätze direkt vor Bühne frei sind, entschliessen wir uns für dieses Erlebnis. Und das ist es durchaus: ruckzuck finden wir uns in einem ausgelassen feiernden und tanzenden schwul-lesbischen Moshpit wieder und sehen einen Band, die ordentlich rockt und ganz zu meiner Freude auf einen Großteil der Elektronik- und Synthie-Spielereien der letzten Studioalben verzichtet. Frontwuchtbrumme Beth Ditto gibt die sympathische Rampensau und darf wohl, insofern man bei ihr noch Vergleiche benötigt, als eine barfuss tanzende und Drinks kippende „Adele in Rock“ gesehen werden. Auf ihren Alben mögen Gossip dem Punk abgeschworen haben, jedoch nicht auf der Bühne. Tolle Show, perfekte Festivalband. Und mindestens für „Standing In The Way Of Control“ sollte jeder Indie-DJ Dittos voluminösen Arsch küssen.
Nach einer Verschnaufpause und einem Rundgang entlang der vielen Festivalstände, ein welchem man Snacks, Fast Food, Drinks, Shirts und ähnliches erstehen kann, geht’s zur besten Spielzeit wieder zur Orange Stage, auf welcher der Ex-White Stripe sowie Teilzeit-Raconteur und -Dead Weather Jack White und seine aus sechs (!) bildhübschen (!!) und höchst talentierten (!!!) Damen bestehende Backing Band groß aufspielen. Natürlich, rein stimmlich ist es bei dem aus Detroit, Michigan stammenden Musikvirtuosen nicht weit her, doch hat man sich einmal an sein Organ gewöhnt, erschließt sich sein gleichzeitig vor- und rückwärts gewandter Klangkosmos auf wundersame Weise, an deren beiden Enden White scheinbar mit seiner Gitarre verwachsen scheint. Wie sonst könnte er ihr solch‘ große Klänge entlocken? Der Mann lebt den Blues nicht, nein, er ist Blues! Insgesamt bietet er einen gut zweistündigen Querschnitt durch sein nicht eben geringes Schaffen, sei es anhand von Songs der White Stripes, der Raconteurs oder aus seinem kürzlich veröffentlichten Solodebüt „Blunderbuss„, an dessen Ende das beinahe orgiastische gefeierte (und auch irgendwie unvermeidliche) „Seven Nation Army“ steht. Stadionatmosphäre beim Festival. 60.000 – und du mittendrin. Geil.
Mein Begleiter besteht nach diesem Höhepunkt noch auf einem kurzen Abstecher zu Gentleman & The Evolution. Ich kann Gentleman nicht ausstehen. Dieser Auftritt ändert daran nichts: ein Pothead, der in gefaktem Englisch mit jamaikanischem Einschlag plakativ über das „ach so arme“ Afrika schwadroniert, zur „Love“ aufruft und im hip-rheinischen Köln residiert. In welcher Welt passt das zusammen? Zumindest nicht in meiner. Manche mögen’s. Ich definitiv nicht.
Tag 5 (Samstag, 7. Juli 2012):
Tag fünf ohne Dusche stellt mit seinen vielen sehenswerten Konzerten und dementsprechend vielen Überschneidungen den Haupttag des Festivals dar. Die von mir fest eingeplanten Dry The River müssen, der Bündelung von Kräften und mittäglichen Stärkung wegen, flachfallen.
Zuerst werden kurz First Aid Kit bestaunt: schöne, weise Stimmchen haben sie, diese beiden schwedischen Schwestern. Gefällt, ist mir aber zu festivaluntauglich. Weiter also zu Alison Krauss & Union Station (die Stimme der Dame mag dem Einen oder der Anderen eventuell aus dem Film „O Brother Where Art Thou?“ bekannt sein), welche wohlmöglich einen gelungenen Auftritt hinlegen, jedoch auch die erste Gähnphase einläuten. Doch das soll sich mit der nächsten Band schleunigst ändern: die für diesen Festivalsommer wiedervereinigten Refused haben ihr Kommen angekündigt! Und Dennis Lyxzen & Co. bieten eine lautstarke, energetische Show, die sich gewaschen hat, so einige Trommelfelle zum Summen und den Circle Pit vor der Bühne zum Ausrasten bringen! Ich bin wieder gefühlte zehn Jahre jünger und nach „New Noise“ und am Ende des Auftritts glücklich, die Jungs einmal gemeinsam gesehen zu haben. Tolle Frontsau, der Lyxzen, immer wieder.
Zurück an der Orange Stage und zur besten Zeit betritt dann der Highlight-Act der diesjährigen Roskilde-Ausgabe die Bühne: Bruce Springsteen & The E Street Band. Und er bringt ähnlich viele E Street Band-Musiker mit ins orangene Halbrund, wie noch wenige Wochen zuvor im Berliner Olympia-Stadion (ANEWFRIENDberichtete). Unnötig zu erwähnen, dass der Boss auch diesmal eine perfekte Show liefert (die Tracklist könnt ihr hier bestaunen) und für die wohl ausgelassenste große Meute des ganzen Festival sorgt. Als er bei einem Song einen Teil der wenige Stunden zuvor an selber Stelle aufgetretenen The Roots zu sich auf die Bühne holt, teilen sich zeitweise über zwanzig (!) Musiker die wohl musikalischsten Bretter Dänemarks. Nach gut drei (!) Stunden und dem Isley Brothers-Cover „Twist and Shout“ ist Schluss. Drei Stunden! Bei einem Festival! Grandios. Und ich bin völlig fertig. Das zweite Boss-Konzert in meinem Leben, beide innerhalb weniger Woche, beide ähnlich perfekt.
Nach einer Portion Köttbullar als Stärkung nach einem langen Festivaltag und dem lärmig-launigen Aufritt von Sivert Höyem geht’s zurück zum Zeltplatz. Paul Kalkbrenner kann man auch noch in mehreren Kilometern Entfernung an seinen Tellern schrauben hören…
Hier noch ein Mitschnitt vom Auftritt mit The Roots:
Tag 6 (Sonntag, 8. Juli 2012):
Unser letzter Festival-Tag steht ganz im Zeichen der nahenden Abreise (die Fähre zurück nach Rostock geht um 2 Uhr nachts), dem Packen, dem Lecken des doppelten Sonnenbrands sowie der durch das tagelange Tragen von Gummistiefeln verursachten Schürfwunden.
Noch einmal werden die müden, matten Festivalbesucherhäupter von einer ordentlichen Sonnenbrise verwöhnt.
Auf dem Plan stehen nur noch die gegen Abend spielenden Alabama Shakes, zu denen wieder leichter Nieselregen einsetzt, sowie Björk (bei der jedoch keiner von uns erwartet, das Ende des Auftritts zu erleben). Und die Erwartungen erfüllt sie denn auch. Die… nun ja… überaus extrovertierte Isländerin betritt mit einem Damenchor und einem DJ, der gut und gern ihr Sohn sein könnte, und gekleidet in ein Kostüm, welches eine Mischung aus Ölpest, Band- und Wattwurm darstellt, die Bühne und erhebt zu eigenartigsten Bewegungen sogleich ihr gewöhnungsbedürftiges Organ. Nein danke. Nicht meins. Unser Gepäck befindet sich eh bereits verstaut im Auto. Wir machen uns auf die Rückreise.
Tag 7 (Montag, 9. Juli 2012):
Glücklich, gerockt, erledigt, sonnengebräunt und durch kommen wir gegen Mittag wieder im heimatlichen Sachsen an. Sonne? Scheint.
Fazit:
Positiv fällt bei aller Größe (rein gebiets- sowie besuchermäßig) sofort die vergleichsweise gute Organisation ins Auge. Ausreichend Waschplatze, stets bestmöglich entleerte und saubere Dixie-Klos, Personal, welches ein Gros des Mülls bereits während des Festivals versucht aufzusammeln (ein Kampf gegen Windmühlen, der dennoch in Ansätzen unternommen wird), im Ernstfall immer jemand mit orangener Weste in der Nähe. 30.000 freiwillige Helfer sollen sich laut Aussagen gemeldet haben. Spitze! Super außerdem die meist überaus entspannten Ordner vor und um die Bühnen herum, die die Festivalbesucher im Bedarfsfall – und der trat logischerweise sehr oft ein – immer mit einem Becher voll Wasser versorgten und mit ihren freundlichen Mienen sehr zur guten Laune (zumindest war’s bei mir so) beitrugen. Kompliment! Wäre bei deutschen Festivals wohl undenkbar, wo sich teutonisch-strenge Atzen wie die heimlichen Herrscher des Geländes aufspielen.
Auch toll war die – bei aller Feuchtfröhlichkeit – durchweg entspannte Atmosphäre unter den Festivalbesuchern. Kein Stress, nur Chillen und Musik.
Negativ waren definitiv die vielen kleinen, meist asiatischen Pfandbechersammler, die während der Konzerte in einer Tour um die Beine der Festivalbesucher herumschlichen (und das selbst im größten Gedränge!), und bei denen man fürchten müsste, dass sie einem die eigenen Testikel aus der Unterhose klauen, sollten sie eine Pfandmarke darauf entdecken…
Negativ war manchmal auch die (zu?) große Besucherzahl, welche das eine oder andere Konzert aufgrund des großen Andrangs zu einer weniger entspannten Angelegenheit machte, sowie die langen Laufwege. Da beides jedoch wohl von vornherein klar und doch sehr subjektiv empfundene Dinge sind, bleiben diese Sachen außen vor.
Erschreckend waren – vor allem gegen Ende des Festivals – die riesigen Müllberge sowie der elendige Anblick des Hauptteils der Zeltstadt. Da bezahlen doch tatsächlich einige Menschen gut 250 Euro Eintritt, um sich inmitten von Müll, Schlamm, Urin- und Kotgestank eine Woche lang komplett abzuschießen? Industrienationen und ihre Luxusprobleme…
Nichtsdestotrotz war’s toll. Vielen Dank noch einemmal an meine vier Begleiter, ohne euch hätt’s nicht einmal halb so viel Spaß gemacht!
Eine feine Woche, auch wenn ich im nächsten Jahr definitiv ein klein(er)es Festival bevorzugen werden. Tusind tak, Denmark! Tusind tak, Roskilde!
Und da bei aller Mühe, die ich mir bei den Beschreibungen gegeben habe, alle Worte ohne Bilder wenig wert sind, hier noch einige Eindrücke vom diesjährigen Roskilde: