Polkappen werden gefrackt und so die Untoten aufgeweckt: In Jim Jarmuschs neustem Film „The Dead Don’t Die“ macht Punkrock-Godfather Iggy Pop als Zombie Jagd auf Fleisch und Filterkaffee. Die Horrorparodie ist stellenweise so überdreht, dass sie glatt wie eine Satire auf die Klimadebatte wirkt…
Dass die beiden Dinerdamen zu den ersten Opfern gehören werden, ist gleich zu ahnen. Spätestens als die eine nicht weiß, wer Zelda Fitzgerald war, und die andere ihr empört erklärt: na, das sei doch die Frau vom Großen Gatsby! Und wer das nun wieder sein solle? So viel Unwissenheit muss wohl betraft werden… Zudem wird ihnen zum Verhängnis, dass die lokale Zombie-Variante des (fiktiven) Provinz-Städtchens Centerville scheinbar nicht nur auf frisches Blut, sondern auch auf abgestandenen Filterkaffee steht.
Bildung schützt jedoch kaum weniger vor dem Untergang, selbst filmisch-literarische nicht. Der schüchterne Horror-Nerd und Kioskbetreiber Bobby (Caleb Landry Jones) weiß sofort, mit welcher Sorte von Gegnern man es in der endzeitlichen Schlacht zu tun hat und wie man sie besiegt, doch das aus Genreklassikern bezogene Wissen um die sofortige Enthauptung der Untoten nützt ihm nicht allzu viel, als er sich mit Sägen, Messern und Heckenscheren im Baumarkt verbarrikadiert – Zombies finden schließlich immer ein Hintertürchen…
Jim Jarmuschs neuer Streifen „The Dead Don’t Die“ ist eine Zombiefilmparodie voller kleiner Hintertüren, doppelter Böden und augenzwinkernder Metaebenen. Das fängt schon bei der prallen Starbesetzung an, für die Independent-Kult-Regisseur Jarmusch („Night On Earth“, „Coffee And Cigarettes“, „Dead Man“, „Ghost Dog“) wohl nur kurz seine Kontaktliste bemühen musste: bereits erwähnter Iggy Pop als kaffeesüchtiger Untoter, Tilda Swinton als japanophil-schottische, elfengleiche Bestattungsunternehmerin, Tom Waits als Wald-und-Wiesen-Hobo, Bill Murray, Adam Driver und Chloë Sevigny als lakonisches Polizisten-Trio, Steve Buscemi als Trump-konformer rassistischer Farmer, Wu-Tang-Clan-Rapper RZA als „WU-PS“(sic!)-Paketbote… Ebenjener Cast sorgt für jede Menge selbstironischer Witze, und hört bei den Dialogen nicht auf, denen man anmerkt, dass Jarmusch einst in einer streberhaften Epoche namens Postmoderne sozialisiert wurde.
„Woher kenne ich diesen Song?“, fragt der superbräsige Polizeichef Cliff (Bill Murray) seinen Radio hörenden Kollegen Ronnie (Adam Driver) im Streifenwagen. Darauf der: „Na, das ist der Titelsong!“ (übrigens nur eine von etlichen Film-im-Film-Anspielungen zwischen den beiden). „The Dead Don’t Die“, ein Song von Country-Sänger Sturgill Simpson, welchen dieser eigens für den Film aufnahm, wird so oft gespielt und sogar als CD-Cover platziert, dass der Film ebenso gut als ein überlanger Promotion-Clip durchgehen würde. Auffälliges Product Placement und Namedropping wird auch sonst eifrig betrieben, etwa für einschlägige Werke der Filmgeschichte von „Nosferatu“ über die „Nacht der lebenden Toten“ bis zu „Star Wars“, oder für Automarken. Kleiner Tipp für Neukäufer: Ein Smart eignet sich – im Fall der Fälle – prima zur Zombiejagd.
Jarmusch hat in „The Dead Don’t Die“, der in diesem Jahr die Filmfestspiele in Cannes eröffnete, einen derart hohes Melange-Level an Scherz, Satire und Ironie erreicht, dass nicht mehr unterschieden werden kann, wo tiefere Bedeutung, womöglich ernsthafte Gesellschaftskritik an Trumps US-Amerika vorliegt, und wo schlicht pure, nerdige Albernheit. Da reicht glatt die knappe Nachrichtenmeldung, dass die Ursache für die weltweite Zombie-Apokalypse in der durch rücksichtsloses Polkappenfracking ausgelösten Verschiebung des irdischen Magnetfeldes zu finden ist, schließlich ist sich der halbe Cast bereits sicher, dass man es hier nun mit untoten Wiedergängern zu tun habe.
Macht sich Jarmusch also über die Endzeitszenarien der Klimaschützer lustig? Oder etwa über den von Serien wie „The Walking Dead“ ausgelösten Zombie-Hype? Da würde man dem Film wohl zu viel Tiefe beimessen. Der Running Gag von Officer Ronnie lautet, dass alles böse enden wird. Als der Chief ihn kurz vor dem Showdown fragt, woher er das denn gewusst habe, ist die Antwort, er habe halt vorher das Drehbuch gelesen. Albern? Wohl eher. Weiter gedacht? Ach was!
Zwar unterhaltsam, jedoch andererseits auch wenig originell ist Jarmuschs an Allzeit-Klassiker wie George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ oder Peter Jacksons Splatter’n’Gore-Festival „Braindead“ angelehnte Interpretation des Zombie-Motivs, das uns alle zu untoten Sklaven unsere Süchte und Begierden macht. Der Kampfruf lautet „Chardonnay!“, den Weinfreunden und Kaffeejunkies folgen noch die Drogen-, Süßstoff- und Handysüchtigen (und den Begriff „Smombie“ gab’s schließlich bereits vor Jarmusch Film). Die implementierte Kulturkritik wirkt schlichtweg zu überzogen, als dass sie ernst gemeint sein könnte.
Gleiches gilt für den hier verfilmten Hass auf Hipster: Drei durchreisende Großstädter (einen davon mimt Pop-Sternchen Selena Gomez, ein anderer sieht glatt ihrem Ex Justin Bieber ähnlich) werden erst von den Zombies blutig vernascht, bevor Ronnie mit der Machete noch einmal auf Nummer sicher geht. Spätestens wenn er triumphierend den Kopf von Träller-Star Gomez schwenkt, ahnt man, dass hier die misanthropen (und misogynen) Gäule mit Jarmusch durchgegangen sind.
Schlussendlich „The Dead Don’t Die“ ist ein zwar unterhaltsames, jedoch mäßig lustiges, mittelprächtiges Alterswerk (zumindest, wenn man es mit dem Rest der Jarmusch’schen Filmografie in Vergleich bringt), dem man den Ehrgeiz, alsbald Kultfilm zu werden, leider in fast jeder Einstellung anmerkt (während der 66-jährige US-Regisseur dafür Handlung und Drehbuch leider etwas außer Acht ließ) – da war etwa die derb gewitzte Komödie „Zombieland„, in der – nebst Woody Harrelson, Jesse Eisenberg, Emma Stone und Abigail Breslin – Bill Murray ebenfalls eine (kleinere) Rolle innehatte, doch etwas gelungener. Die galgenhumorige Botschaft des Films fasst Waldschrat Tom Waits am Schluss so zusammen: „Die Welt ist gefickt“. Wenn für die Menschheit wirklich alles längst zu spät ist, dann sollte uns doch wenigstens die Zelluloid-Kunst überdauern können…
Natürlich könnte sich der cineastische Teil des ANEWFRIEND’schen Jahresresümees wieder eben jene Musikdokumentationen in Erinnerung rufen, die 2013 besonders viel – und nachhaltig – Eindruck hinterließen: „Sound City“ von Sympathieass und Regieneuling Dave Grohl (Foo Fighters, Nirvana etc. pp.), das Oscar-prämierte „Searching For Sugar Man„, die so einfache wie bewegende Black Protopunk-Doku „A Band Called DEATH“ oder das vollkommen den Boss-Jüngern und ihrer Verehrung gewidmete und von Starregisseur Ridley Scott produzierte „Springsteen & I„. Natürlich ließe sich an dieser Stelle eine ellenlange Ode herunterbeten, die auch der zweite Teil von Peter Jacksons „Der Hobbit“-Verfilmung vollkommen verdient hätte. Natürlich… Aber all das wurde bereits vielfach an anderer Stelle, ob nun auf diesem bescheidenen Blog oder anderswo im weltweiten Netz, getan. Stattdessen gibt’s den ANEWFRIEND’schen Filmtippnachschlag für die letzten Tage des alten Jahres…
Oh, du trügerische Ruhe… Ein verschlafenes kleines Städtchen irgendwo im Nirgendwo von New England im Nordosten der USA, in dem im Grunde jeder jeden in den uniformen Einfamilienhaussiedlungen kennt und man die Haustüren nie abschließen muss. In dem man schnell Freundschaft mit den Nachbarn schließt und gemeinsam die Feiertage verbringt. So auch die beiden Kumpels Keller Dover (Hugh Jackman) und Franklin Birch (Terrence Howard), die sich in bester Laune zum familiären Beisammensein bei Thanksgivingbraten und Wein treffen. Auch ihre sechsjährigen Töchter Anna und Joy sind beste Freundinnen, und da es den Mädchen im Haus schnell langweilig wird, rennen sie zum Spielen nach draußen. Doch als Keller nach dem Rechten sehen will, fehlt von den Kindern jede Spur. Panik bricht aus, und der einzige Anhaltspunkt ist ein heruntergekommenes Wohnmobil, das Kellers jugendlicher Sohn kurz zuvor nahe der Familienhäuser parkend vorgefunden hat. Schnell kann die verständigte Polizei Wohnmobil und Besitzer ausfindig machen, und wäre dieser Film einfacher gestrickt, dann wäre die Lage schnell klar… Am Steuer des Fahrzeugs finden die Cops um den ermittelnden Detective Loki (Jake Gyllenhaal) den geistig zurückgebliebenen Alex Jones (Paul Dano) vor. Doch aus dem jungen Mann mit dem IQ eines 10-Jährigen ist, vom dem ein oder anderen zusammenhangslosen Wort einmal abgesehen, beim Verhör nichts herauszubekommen. Und so müssen der Detective und seine Kollegen Jones wieder auf freien Fuss setzen. Das kann und will Dover – und das ist bei einem Vater, den die ständige Sorge um seine Tochter um den Verstand zu bringen droht, nur all zu gut nachzuvollziehen – natürlich so nicht geschehen lassen. Also kidnappt er – mehr im Affekt – Jones kurzerhand, und setzt so die Suche nach den Mädchen mit unbarmherzigen Verhörmethoden und auf seine Art und Weise fort…
Mit „Prisoners“ hat der frankokanadische Regisseur Denis Villeneuve ein US-Filmdebüt nach Maß geschaffen. Dabei hätte es den Streifen gut und gern nie geben können. Jahrelang versuchte Warner Bros., den so vielversprechend von Aaron Guzikowski („Contraband“) zu Papier gebrachten Thrillerstoff zu realisieren, hatte mal Christian „Batman“ Bale und Mark „Ted“ Wahlberg für die Hauptrollen im Visier, mal Bryan Singer („X-Men“) oder Antoine Fuqua („Training Day“) für die Regiearbeit im Gespräch. Sieht man das nun endlich von Villeneuve in großartiger Manier zu Ende gebrachte Resultat, so hätte man schwerlich eine bessere Auswahl als die jetzige treffen können. In der Atmosphäre mit all den neblig grauen, alltäglich gleichen Fassaden und dem wolkenverhangenen Wetter spiegeln sich ebenbürtige Werke von David Fincher („Sieben“, „Zodiac“) oder Clint Eastwood („Mystic River“), denen, wie auch in „Prisoners“, zwar der dezente Hang zur minutiösen Überlänge zueigen ist, diese jedoch jederzeit mit offenen Enden, Twists und Turns, Fehlläufen und geradezu irrwitzigen Wendungen einhunderprozentig wett machen. Zum auf schaurige Art und Weise zu Herzen gehenden Schauspiel tragen jedoch vor allem die beiden Hauptdarsteller Hugh Jackman („Wolverine“) und Jake Gyllenhaal („Donnie Darko“) bei, die zwar mit dem gleichen Einsatz versuchen, das Leben der verschwundenen Mädchen zu retten, jedoch mit nahezu komplett unterschiedlichen Waffen.
In seiner Gesamtheit ist „Prisoners“ einer der wohl spannendsten, mitreißendsten und wendungsreichsten Thriller der letzten Jahre, der in seinen zweieinhalb Stunden ebenso viele Fragen wie (bewusst) fehlplazierte Antworten ins Feld wirft, bis der Zuschauer kaum noch weiß, wer zur Hölle hier eigentlich Täter, wer Opfer ist. Natürlich ist weder die zum Äußersten neigende Handlung, noch der sich immer enger schlingende Plot etwas für schwache Nerven (und auch das Ende bietet reichlich Diskussionsstoff), aber dennoch: Wer ein hochkarätig besetztes cineastisches Ratespiel sucht, der sollte sich „Prisoners“ keinesfalls entgehen lassen. Und gut in die Stille hinein hören…
Keine Frage, spätestens seit „Twilight“, jener Filmreiheadaption der keuschen Romanvorlagen der US-amerikanischen, mormonischen Jugendbuchautorin Stephanie Meyer, haben die Vampire das mal mehr, mal weniger blutige Gänsehautzepter der Zombies und Werwölfe übernommen (obwohl zweitere, als muskelbepackte Sixpacker, auch ihren Platz in „Twilight“ bekommen). Dabei waren es gerade die blutsaugenden Fledermauswandler, die als mysteriöse, lichtscheue Wesen seit jeher das cineastische Horrorgenre bestimmt haben – man denke nur an F.W. Murnaus Stummfilmklassiker „Nosferatu“ (von 1922!), dessen 1979-Remake mit Klaus Kinski in der Rolle des spitzzähnigen Bleichgesichts, an Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ (1967), an „Bram Stoker’s Dracula“, das 1992 mit einer bildhübschen Winona Ryder und großartiger Atmospähre aufwartete. Wer nach Action rief, der bekam etwa in der „Blade“-Reihe (1998-2004) einen Wesley Snipes als arschcoolen Vampirjäger oder im unterkühlten Pendant „Underworld“ Kate Beckinsale als um sich schlagende Allzweckwaffe im hautengen Lederdress. Egal welcher Kultregisseur, ob nun Robert Rodriguez („From Dusk Till Dawn“), John Carpenter („John Capenter’s Vampires“) oder Guillermo del Toro („Cronos“) – im Halbdunkel konnte bislang keiner der Verlockung zweier spitzer Eckzähne an schönen Frauenhälsen widerstehen… Und selbst diejenigen Filmfreunde, denen all das längst zu einseitig, stinografisch und vorhersehbar geworden sein mag, dürften mit den so wunderbar anderen Vampirstreifen wie dem schwedischen „So finster die Nacht“ (2008, der nur zwei Jahre später mit dem erstaunlich guten „Let Me In“ sein US-Remake erfuhr) oder dem südkoreanischen „Durst“ (2009, einer der eigensinnigsten Filme in dieser Auszählung) bestens unterhalten worden sein. In den Neunzigern dürfte wohl jedoch vor allem „Interview mit einem Vampir“ (1994) stilbildend gewesen sein, eine epische Erzählung, in der sich das ewig junge und ewig schöne maskuline Vampirduo aus Tom Cruise und Brad Pitt (aka. Lestat de Lioncourt und Louis de Pointe du Lac) durch Zeitalter und Jahrhunderte schlägt, schläft und saugt. Dass nun ausgerechnet Neil Jordan, der Regisseur eben jenes Films, mit „Byzantium“ auf das eigene Meisterwerk antwortet, wirkt anfangs eventuell ein wenig schräg und selbsteingenommen, passt jedoch nur zu gut…
Clara Webb (Gemma Arterton) und ihre Tochter Eleanor (Saoirse Ronan) befinden sich seit Jahrhunderten auf der Flucht vor einer geheimnisvollen, unbarmherzigen Bruderschaft. Nachdem die beiden grundverschiedenen Vampirdamen, die sich stets als Schwestern ausgeben (der Alterslosigkeit sei Dank!), einmal mehr übereilt ihr Quartier verlassen mussten, landen sie in einer trostlosen englischen Küstenstadt im heruntergekommenen Hotel „Byzantium“. Während Clara sich nur für das Hier und Jetzt interessiert und versucht, als Prostituierte Geld zu verdienen, hat Elenor das Bedürfnis, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Die auf ewig 16-Jährige erinnert sich, wenn auch nur fragmentarisch und im Traum, daran, dass sie vor ihrer Vampirwerdung in eben diesem Küstenstädtchen in einem Waisenhaus aufwuchs. In einem Schreibkurs bringt sie ihre Lebensgeschichte zu Papier, was bald schon ihren Mitschüler Frank (Caleb Landry Jones) auf sie aufmerksam macht. Als immer mehr Menschen aufgrund von Blutverlust sterben und Eleanors Lehrer (Tom Hollander) sich mit der schier unglaublichen Geschichte seiner Schülerin auseinanderzusetzen beginnt, spitzt sich die Situation für Mutter und Tochter zu. Und auch die eigene Vergangenheit holt sie in Form zweier Gesandter der auf Rache sinnenden Bruderschaft wieder ein…
Wer „Byzantinum“ lediglich als weibliches Pendant zum von Testosteron durchzogenen Epos „Interview mit einem Vampir“ bezeichnet, tut wohl beiden Filmen unrecht. Denn obwohl auch in der Verfilmung von Moira Buffiniaus Drama „A Vampire’s Play“ zwei gleichgeschlechtliche Personen im Fokus stehen – und die eben in diesem Film weiblich sind -, schneidet der irischstämmige Regisseur Jordan jedes Fitzelchen Zelluloid auf das in vollstem Maße überzeugende Darstellerduo Gemma Arterton („James Bond 007 – Ein Quantum Trost“, „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“) und Saoirse Ronan („Abbitte“, „Wer ist Hanna“) zu, die ihrerseits den Fokus dazu nutzen, die beiden Figuren mit einfachsten Gesten mal voneinander weg, mal zueinander finden zu lassen – Ambivalenz in Blutrot. Dass dies zu Lasten der deutlich limitierten Handlung und am offenen Faden hängenden Geschichte geht, ist zwar in der Tat bedauerlich. Man wird jedoch mit der in Masse vorhandenen morbid-melancholischen Atmosphäre und so, so vielen tollen Kameramomentaufnahmen für jede offene Frage entschädigt. Vampirfilme gibt es eh genug. Und den pubertären Jungfrauen bleiben noch immer Edward und Bella und Jacob und „Twilight“…
Beim ersten Mal könnte es noch ein Unfall gewesen sein. Doch schon der eigentümlich selbstzufrieden aufblitzende Ausdruck in Chris‘ (Steve Oram) Gesicht, nachdem er beim Zurücksetzen seines Wagens einen unfreundlichen Umweltverschmutzer über den Haufen gefahren hat, gibt dem verdutzten Zuschauer eine Vorahnung dessen, was da noch kommen wird… Tina (Alice Lowe) ist mit Chris auf Wohnwagen-Tour durch England, für beide ist es mit Mitte Dreißig die erste richtige Beziehung. Chris möchte sich als Autor versuchen und (s)ein Buch schreiben, Tina soll seine Muse sein – welch‘ ein Idyll! Lässt man sich das etwa zerstören von pöbelnden Mittouristen, die möchten, dass man hinter dem – freilich gestohlenen – Hund herputzt? Oder von einem Campingplatznachbarn, der es tatsächlich schon geschafft hat, ein Buch zu schreiben – derer drei sogar! -, und der einen noch tolleren Caravan fährt als man selbst, dieser eitle, ach so perfekte Angeber? Natürlich nicht!
Irgendwie ist diese Melange schon irrwitzig, die Regisseur Ben Wheatley („Kill List“) da auf die Leinwand bringt. Da schickt er ein nach Außen vage zwischen ewigem Backfisch und asozialem Spießertum pendelndes Pärchen auf einen chaotischen Roadtrip quer durch die wohl unschönsten Touristenattraktionen der englischen Insel, während dem sie sich mehr und mehr – und umso inniger! – zu hassen lernen. Und: Chris und Alice hinterlassen in ihrer gesellschaftsfernen Gangart eine wahre Spur von Blut und Verwüstung, die zuerst mit unachtsamen Zufällen beginnt, jedoch schon bald nur noch willkürlich aus reinster Mordslust besteht. Für Zartbesaitete ist diese Mischung aus „Natural Born Killers“ und „Little Britain“ tatsächlich nicht die allerbeste Wahl der Unterhaltung. Vielmehr sollte man bei der schwarzhumorigen Splatterkomödie, beim Publikumsliebling des Fantasy Filmfests 2012, an dessen Drehbuch die beiden Hauptdarsteller selbst mitschrieben, schon einiges an Faibel für Sarkasmus und Ironie mitbringen, um über diesen Streifzug der englischen Vorstadtentsprechung von „Bonnie und Clyde“ lachen zu können… Freunden des oft gerühmten britischen Humors sei „Sightseers – Killers On Tour!“ jedoch bedenkenlos empfohlen.
Eigentlich könnte einem Paulette (Bernadette Lafont) leid tun… Vor langer Zeit hatte sie einst scheinbar alles: eine glückliche Familie, einen Mann, Wohlstand, Ansehen und ein eigenes Lokal. Nun ist all das weg, der Mann verstorben, das Lokal längst ein Null-Acht-Fünfzehn-Chinarestaurant und die Tochter mit einem farbigen Polizisten liiert, mit dem sie darüber hinaus noch ein zwar zuckersüßes, jedoch eben immer noch farbiges Enkelkind gezeugt hat. Überhaupt: Fremde, und dann auch noch mit ausländischen Wurzeln, verursachen bei Paulette nur eines: Angst und Unbehagen. Denn die rüstige Rentnerin lebt trotz ihres fortgeschrittenen Alters von 80 Jahren alleine in einem zwielichtigen, heruntergekommenen Pariser Vorort. Zu schaffen macht ihr dabei vor allem der eigene soziale Abstieg und die damit verbundene schmale Pension, über die sie sich immer wieder aufs Neue aufregen könnte… Als ihr eines Abends ein Päckchen Marihuana in die Hände fällt, sieht sie ihre Chance gekommen – Paulette wird zur Haschisch-Dealerin. Da sie früher als Konditorin gearbeitet hat, besitzt sie einen ausgeprägten Geschäftssinn und kann zudem auf ihre grandiosen Backkünste zurückgreifen. Hilfe bekommt sie außerdem von ihren Freundinnen, die ab und zu auf einen Nachmittagstee vorbeischauen. Von so einer Unterstützung kann ihre Lederjacken tragende Konkurrenz im Viertel freilich nur träumen… Innerhalb kürzester Zeit schwingt sich die ruppige Dame zur unumstrittenen Königin des kultivierten Drogenhandels auf – eine Tatsache, die bald auch die mächtigen Hintermänner der lokalen Drogenversorgung hellhörig macht. Um Paulettes Talente für sich nutzen zu können und sie unter Druck zu setzen, entführen sie ihren Enkelsohn Léo (Ismaël Dramé) – doch dabei haben sie die Rechnung ohne die rabiate Rentnerin und ihre Gerontengang gemacht…
Freilich bietet „Paulette„, die Komödie von Regisseur Jérôme Enrico („Prêt-à-Porter“), keine Neuerfindung des frankophilen Filmrades an. Dafür sind die Figuren zu explizit angelegt, dafür ist die Handlung einfach zu vorhersehbar. Vielmehr greift der Film mit der Versöhnung über soziale wie ethnische Gesellschaftsbarrieren hinweg ein durchaus beliebtes Grundthema des französischen Kinos auf (man erinnere sich etwa an den internationalen Publikumserfolg „Ziemlich beste Feunde“ oder die unterhaltsame Polizeiklamotte „Ein Mordsteam“) und wandelt so als Culture Clash der „Fabelhaften Welt der Amélie“ mit „Banlieue 13“ auf recht großem Fuße. Dass „Paulette“ dabei außerordentlich unterhaltsam geraten ist, spricht im Grunde nur wieder einmal für den Charme des franzöischen Films, der es sich weiterhin vorbehält, etwas anders – im besten Sinne! – zu sein…
Geplagt von einer Schreibblockade kehrt der erfolgreiche französische Krimiautor David Rousseau (Jean-Paul Rouve) in die alte Heimat inmitten der schneeverwehten Einöde zurück, denn (s)ein wohlhabender Onkel ist gestorben. Aus der reichen Erbschaft wird jedoch nichts, mehr als ein ausgestopfter Bernhardiner ist für ihn nicht drin, und so will er gleich wieder abreisen. Dann erfährt er jedoch, dass die lokale Berühmtheit Candice Lecoeur (Sophie Quinton) tot aufgefunden wurde und wittert inspirierenden Stoff für einen neuen Roman. Also bezieht er ein Zimmer im Hotel „Zur Schneeflocke“ in Candice‘ Heimatkaff Mouthe, in welchem ständig Strom und Heizung ausfallen und ihm die junge Empfangsdame trotz der kalten Jahreszeit in verrucht schwarzen, knappen Kleidern hinterher schmachtet. Rousseau hat jedoch nur Augen für Candice, denn die eiligst beendeten Ermittlungen zum Fall mit dem Abschluss „Selbstmord“ scheinen ihm doch ein wenig fadenscheinig. Und schon bald merkt er, der bei seinen Nachforschungen auf eine Mauer aus provinzieller Sensationslust, Gutgläubigkeit und Ablehnung stößt, dass beinahe jeder der nicht einmal 1000 Dorfbewohner, der mit der jungen, attraktiven Frau zu tun hatte, ein Motiv für den (möglichen) Mord zu haben scheint. Mit einer Mischung aus Aufdringlichkeit und Beharrlichkeit dringt er anhand von Candice Tagebüchern und der Mithilfe des aufstrebenden jungen Brigadiers Leloup (Guillaume Gouix) immer tiefer in die Lebensgeschichte und seelischen Abgründe der Martine Langevin, so Candice‘ bürgerlicher Name, vor und ergründet, wie das wasserstoffblonde Vamp, das als Gesicht der lokalen Käsemarke und als Fernsehwetterfee schnelle Berühmtheit erlangte und nicht wenigen Männern die Köpfe verdrehte, als wunderschön-steifgefrohrene Leiche in der schneebedeckten Einöde landen konnte. Steckt mehr hinter Candice‘ Marilyn Monroe-Besessenheit als der gemeinsame Geburtstag und die Parallelen in beider Leben? Wer war die in Natura brünette Dorfschönheit wirklich? Und wer trachtet nun auch dem Kriminalautor selbst nach dem Leben?
„Who Killed Marilyn?“ (franz. Originaltitel: „Poupoupidou“ – jener Laut, welchem Monroe im Song „I Wanna Be Loved By You“ macht) ist keineswegs die Aufarbeitung des Todes der Hollywood-Ikone (nachdem kürzlich in „My Week With Marilyn“ bereits ihr nicht minder tragisches Dasein beleuchtet wurde), sondern die gelungene französische Antwort auf David Lynchs „Twin Peaks“ und enthält immer wieder eindeutige Verweise Agent Dale Cooper und seine fanatische Jagd nach dem Mörder der verführerischen Laura Palmer – nur wird von Regisseut Gérald Hustache-Mathieu in „Who Killed Marilyn?“ die surreale Dunkelheit durch eine schneehelle französische Lakonie ersetzt, wie sie wohl nur in der Arschkälte des Juragebirges (im Ort Mouthe wurde mit -41 °C im Jahr 1985 die tiefste jemals in Frankreich gemessene Temperatur registriert) unweit der schweizerischen Grenze vorkommt. Gleichzeitig warten die etwa 100 Minuten mit vielen Querverweisen auf das auf ähnlich tragische Weise jäh beendete Leben der Marilyn Monroe auf und lassen den kundigen Zuschauer bis zur Aufklärung (welche am Ende nur mässig überrascht) anhand von Rückblenden selbst auf Spurensuche gehen. Nichtsdestotrotz weiß die ungewöhnliche Kriminalkomödie – auch aufgrund der überzeugenden Hauptdarsteller Jean-Paul Rouve und Sophie Quinton sowie des ausgezeichneten Soundtracks – zu unterhalten und zeigt, dass Frankreich auch in diesem Genre auf internationalem Niveau mitzuspielen versteht.