Schlagwort-Archive: Klassiker

Song des Tages: Bastille – „Come As You Are“ (MTV Unplugged)


Wenn man Bastille nach ihren Lieblingskonzerten der zurückliegenden gut zwölf gemeinsamen Bandjahre fragen würde, stände das „MTV Unplugged„-Konzert vom vergangenen Dezember vermutlich weit oben auf der Liste – und das nicht ganz zu Unrecht…

Wer den Beitrag der britischen Indie-Pop-Band für die prestigeträchtige MTV-Konzertreihe verpasst hat, kann das Versäumnis nun nachholen, denn ab sofort ist das daraus resultierende „MTV Unplugged“-Album – pünktlich zum Record Store Day vor einigen Tagen – nicht nur auf Vinyl-Platte, sondern auch auf allen Streaming-Plattformen verfügbar. Und lässt sich selbst für alle, die den Formatradio-Einheitsbrei sonst meiden wie der Beelzebub das geweihte Nass, recht gut hören, denn für diesen besonderen Anlass hat Bastilles Langzeitkollaborateur Charlie Barnes wunderschöne neue Arrangements vieler Bastille-Klassiker erarbeitet, die, ausgeschmückt mit souligem Backgroundgesang oder Streichern, einmalig an diesem Abend performt wurden: “It was a privilege to work with some insanely talented musicians to put together these really different, special arrangements of a cross-section of our tunes”, sagt Dan Smith, Leadsänger und Songwriter der Band, über das Show-Heimspiel in London. So vereint die Tracklist des konservierten Live-Konzerts 13 Highlights aus allen bisherigen vier Bastille-Alben und zwei recht exquisite Coversongs: „Killing Me Softly With His Song„, welches man wohl vor allem durch die Versionen von Roberta Flack (von 1973) sowie den Fugees (von 1996) sofort im Ohr haben dürfte, und „Come As You Are“ von Nirvana. Und bei zweiterem schließt sich ein Kreis, hatten Kurt Cobain und Co. selbigen Song, im Original vom 1991er Erfolgsalbum „Nevermind“, doch seinerzeit – vor genau dreißig Jahren war’s – selbst bei ihrer legendären „MTV Unplugged“-Show gespielt

 
 
 

Rock and Roll.

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101 belgische Schlagzeuger*innen spielen „My Hero“ zu Ehren von Taylor Hawkins


Am 25. März 2022 starb Foo Fighters-Drummer Taylor Hawkins überraschend im kolumbianischen Bogota. Genau ein Jahr nach dem tragischen Verlust für seine Band, Familie sowie freilich die gesamte Rockwelt hat das belgische Garage-Rock-Duo The Black Box Revelation im „Sportpaleis“ in Antwerpen eine beeindruckende, vom Radiosender Studio Brussel organisierte Tribute-Show für ihn gespielt – unterstützt von 100 belgischen Schlagzeuger*innen. Dort, wo die Foo Fighters am 11. Juni 2018 ihr bisher letztes Belgien-Konzert gaben, coverten sie gemeinsam „My Hero“. Mit vollem Erfolg.

Die Inspiration für diesen würdigen Knicks vor Hawkins dürfte allen Foo-Fans wohl recht klar sein: 2015 hatten 1.000 italienische Fans eine ähnliche Idee umgesetzt, wenn auch mit einem weniger ernsten Anlass. Im Rahmen der Aktion „Rockin’1000“ spielten 1000 Musiker*innen den Song „Learn To Fly“, allerdings ohne eine einzelne Band im Mittelpunkt und mit Überbesetzungen an allen Variablen der musikalischen Gleichung. So konnten sie konnten die Foo Fighters erfolgreich dazu motivieren, wenig später tatsächlich ein Konzert in der italienischen Kleinstadt Cesena zu spielen.

Überhaupt: „My Hero“. Spätestens seit Hawkins‘ plötzlichem Tod mit lediglich 50 Jahren wird das Stück und dessen Rhythmus wohl auf ewig mit dem Surferboy-Schlagzeuger verbunden bleiben. Diese Besonderheit festigte die Rockband um Dave Grohl bei den letztjährigen Tribute-Konzerten für ihren Hintermann in London und Los Angeles noch einmal. Speziell für diesen Titel überließen sie in ihrer Show, die eine ganze Reihe berühmter Schlagzeuger*innen die Möglichkeit gab, auf eigene Weise Abschied zu nehmen, Hawkins‘ Sohn Shane die Sticks. Der Rest war formvollendete Gänsehaut. Mindestens.

Rock and Roll.

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Mad Seasons „Above“ – 28. Geburtstag des wohl spontansten Supergroup-Albums der Grunge-Geschichte


(gefunden bei Facebook)

Hier zu sehen: Ein Foto von Krista Kay, welches Layne Staley und seine damalige Freundin Demri Lara Parrott zeigt. Nicht wenige Freunde des gepflegten Neunziger-Alternative-Rocks werden schnell merken, dass selbiger Schnappschuss als Inspiration für das Cover des einzigen Albums von Mad Season, „Above„, diente, bei dem Staley die Fotografie in eine in grobem Schwarz-weiß gehaltene Illustration verwandelte. Lange Zeit wurde außerdem gemunkelt, dass Demri auch das Mädchen auf dem Cover des 1992 erschienenen Alice In Chains-Erfolgsalbums „Dirt“ war – schlussendlich eine Ente, denn dort ist das Model und die Schauspielerin Mariah O’Brien zu sehen…

Doch werfen wir, dem 28. Jahrestag entsprechend, einen Blick zurück auf „Above„.

Foto via etsy

Die am 14. März 1995 – knapp ein Jahr nach dem Tod von Nirvana-Frontmann Kurt Cobain – erschienene Platte kann man, ganz ohne sich allzu weit aus dem tönenden Fenster zu lehnen, neben Temple Of The Dogs im April 1991 veröffentlichten selbstbetitelten Langspieler als den zweiten „außerplanmäßigen Grunge-Meilenstein“ bezeichnen, schließlich stecken dahinter Mad Season, eine Art Supergroup des damals äußerst populären Seattle-Sounds mit Mitgliedern von Alice In Chains, Pearl Jam und den Screaming Trees. Dass das Album ihre einzige Veröffentlichung bleiben sollte? Hat nicht wenige tragische Gründe, trägt jedoch auch heute noch zur mystischen Aura der zehn Stücke bei.

Rückblickend betrachtet trägt es natürlich massig bittere Schicksalsironie mit sich, dass das Projekt Mad Season seinen Ursprung ausgerechnet in einer Entzugsklinik findet, in der sich 1994 Pearl Jam-Gitarrist Mike McCready und Bassist John Baker Saunders (später The Walkabouts) treffen. Allem Rockstar-Klischee zum Trotz lässt sich sich allerdings damals noch nicht absehen, dass sowohl Saunders als auch der für Mad Season als Frontmann rekrutierte Alice In Chains-Sänger Layne Staley an einer Überdosis dahinscheiden werden. Ganz im Gegenteil: Damals hofft Mike McCready noch insgeheim, dass der Umgang mit den nunmehr nüchternen Mitmusikern seinen Freund Layne ebenfalls dazu anstiftet würde, den Drogen zu entsagen. Von Screaming Trees-Schlagzeuger Barrett Martin komplettiert begibt sich die Supergroup im Winter 1994 an die Arbeit – und kommt recht schnell voran. Innerhalb von nur sieben Tagen steht die instrumentale Grundierung für eine Platte, während Staley lediglich ein paar weitere Tage für seine Texte und Gesangsmelodien benötigt. In den renommierten Bad Animals-Studios in Seattle entsteht mit „Above“ binnen kurzer Zeit somit das wohlmöglich spontanste Supergroup-Album der Grunge-Geschichte. 

Mad Season: Barrett Martin, Layne Staley, John Baker Saunders und Mike McCready (v.l.) – Foto: Promo/Columbia

Musikalisch lässt sich die stilistische Ausrichtung von Band und Album zumindest zum Teil vom Sound der drei Stammbands ableiten. Während McCready sein von Pearl Jam bekanntes Faible für straighten Siebziger-Rock einbringen kann und Screaming Trees-Trommler Martin für psychedelisch angehauchte Rhythmen sorgt, kann (und will) Staleys gleichsam peingeprägtes wie sonores Organ seine Alice In Chains-Herkunft nicht verleugnen. Dabei gelingt es dem Sänger jedoch, sich stimmlich aufgrund des überwiegend ruhigen und weniger aufbrausenden Materials noch elegischer und somnambuler im molligen Elend von Black Sabbath-Blues, Roots, Classic Rock und sogar Jazz zu suhlen. 

Auf dem Opener „Wake Up“ macht indes Bassist John Baker Saunders die Vorhut: Seine tänzelnde Tieftonfolge bildet ohne Zweifel die einleitende Basis für einen schlafwandlerischen Song, der sich mit „Riders On The Storm“ von den Doors die perlende Marimba-Grundstimmung teilt. Dagegen klingt das anschließende „X-Ray Mind“ mit Tribal-Rhythmen, Hendrix-Gitarren und Staleys markantem, mehrspurigem Gesang schon wieder eher wie ein Stück aus dem Neunziger-Grunge-Lehrbuch. Die erste Single-Auskopplung hingegen, das finsteren Folk und Americana-Klänge anschlagende „River Of Deceit“, spiegelt fast etwas von der todtraurigen Hymnik von Temple Of The Dog wider, mit welcher insbesondere Chris Cornell von Soundgarden seinem Freund, dem 1990 verstorbenen Sänger Andrew Wood von Mother Love Bone, gedachte.

Für den vergleichsweise flotten Midtempo-Rocker „I’m Above“ (samt charakteristischem Pearl Jam–Riff) gesellt sich zudem noch der in der Seattle-Szene recht umtriebige Screaming Trees-Sänger Mark Lanegan mit seinem unverkennbaren Bariton zu Staley ans Mikro. Es bleibt nicht Lanegans einziger Einsatz, denn auch dem zwischen Nick Cave und Tom Waits pendelnden und zusätzlich mit einem samtenen Film-Noir-Saxophon veredelten „Long Gone Day“ drückt Lanegan an etwas späterer Stelle ebenfalls stimmlich seinen unverkennbaren Stempel auf. 

Während der zuerst fiebrig brodelnde und dann langsam eruptierende Instrumental-Jam von „November Hotel“ Stimmung und Motive von „Wake Up“ wieder aufgreift, lugt beim ätherischen Finale „All Alone“ gar hypnotische Hippie-Lagerfeuerstimmung ums musikalische Eck. Das ursprünglich zehn Songs umfassende Debüt wird für die Band nach seiner Veröffentlichung am 14. März 1995 jedenfalls zu einem moderaten Hit und bringt es immerhin auf Goldstatus. Doch wie es bei solchen Projekten oftmals der Fall ist, verhindern vor allem die Verpflichtungen der einzelnen Akteure mit ihren Hauptbands, dass aus ein paar Liveshows im selben Jahr noch viel mehr wird. 

Für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt, gibt es zwar 1997 noch einmal den losen Versuch, die Band – diesmal mit Mark Lanegan als Hauptsänger und unter dem Namen Disinformation – zu reaktivieren. Doch auch diese Bemühungen verlaufen alsbald im Sande. Der unerwartete Tod von Bassist John Baker Saunders an einer Heroin-Überdosis im Januar 1999 bedeutet für Mad Season dann das erste offizielle Aus. Staleys ebenfalls drogenbedingter Tod im April 2002 (tragischerweise exakt acht Jahre nach dem Tod von Cobain, die ganze traurige Geschichte findet man hier) besiegelt das Ende des Bandprojektes schließlich unwiederbringlich. 

Obwohl: Nein, nicht ganz unwiederbringlich: So widmen sich die verbliebenen Bandfreunde 2013 einer um Liveaufnahmen und neues Studiomaterial erweiterten Box-Set-Neuauflage von „Above“. Jene wartet, neben einem Mitschnitt des lange Zeit als Bootleg kursierenden Konzerts im The Moore in Seattle im April 1995, auch mit drei von Lanegan neu eingesungenen Stücken auf, die ursprünglich aus Sessions für einen geplanten „Above“-Nachfolger stammen und sich qualitativ keineswegs hinter dem originären Material verstecken müssen. Dazu gehört etwa das von R.E.M.-Gitarrist Peter Buck mitverfasste „Black Book Of Fear„. Ob mit oder ohne diese Dreingaben: „Above“ ist und bleibt nicht nur ein extrem formidable gealtertes Grunge-Album, sondern auch eines der zeitlosesten Zeugnisse der künstlerischen Qualitäten des Seattle-Sounds. Und hat durch Mark Lanegans plötzlichen Tod im Februar 2022 leider noch einmal ein paar weitere – und auch dieses Mal zweifellos unerwünschte – traurig-tragischen Nebelschwaden dazu erhalten.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Mipso – „Modern Love“


Mipso, anyone? Nope, die Band war auch mir bis kürzlich kein Begriff, und auch nicht, dass sie eine tatsächlich verdammt schöne Interpretation des David Bowie-Evergreens „Modern Love“ in petto haben.

Das Quartett stammt aus Chapel Hill, North Carolina und trällert von da aus seit nunmehr einer Dekade Songs, die irgendwo zwischen Bluegrass, Alt.Country, Americana und Indie Folk angesiedelt sind. Außerdem verstehen sich Wood Robinson, Libby Rodenbough, Jacob Sharp und Joseph Terrell anscheinend ausgezeichnet aufs Covern von Stücken anderer Bands sowie Künstler*innen – egal, ob selbige nun von Death Cab For Cutie, Robyn, Paul Simon oder eben David Bowie stammen. Aber zurück zu „Modern Love“. Während der „Thin White Duke“ dem 1983 erschienenen Original – passend zum dazugehörigen Album „Let’s Dance“ – eher eine Nachtclub-Atmosphäre zuwies, siedeln Mipso ihre Version vielmehr im loungigen-entspannten Coffeeshop an (also da, wo’s tatsächlich nach Röstaromen rieht und lediglich die Kaffeemaschinen dampfen). Feine Sache, feine reduzierte Coverversion – die nicht nur den Text in ein etwas anderes, fast schon melancholisches Licht rückt, sondern außerdem beweist, dass Bowie auch abseits von irgendwelchen Pandemie-Memes zeitlose Relevanz besitzt.

(Hier findet man bei Interesse übrigens weitere tolle Coverversionen von allseits bekannten David Bowie-Gassenhauern…)

Rock and Roll.

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Klassiker des Tages: Television – „Marquee Moon“


An kaum einer anderen Stadt lassen sich die Entwicklungen und Umbrüche der Musik des 20. Jahrhunderts so genau verfolgen wie in New York City. Sei es Harlems Jazz-Szene der 1920er Jahre, die Duke Ellington und den Cotton Club hervorbringt, oder Charlie Parkers Aufstieg zum Dauergast der Clubs in Midtown Manhattan. Es lässt sich nicht über die Geburt von Hip Hop sprechen (respektive schreiben), ohne DJ Kool Hercs Partys in der West Bronx zu erwähnen. Im Westen Manhattans prägt das Greenwich Village in den Sechzigern das Folk Revival mit Bob Dylan und Joan Baez ebenso wie das East Village den Anti-Folk rund um die Moldy Peaches Anfang des neuen Jahrtausends.

Die Namen der Cafés und Clubs, aber auch die Häuserschluchten und Hinterhöfe präg(t)en die Gesichter dieser Szenen. Sie sind gleichermaßen Requisiten wie Akteure in der popkulturellen Erinnerungsarbeit. Im Falle New York Citys, das in seinen vergleichsweise jungen 600 Jahren Stadtgeschichte nicht eben wenig Historisches erlebt hat, lässt sich so Musikgeschichte auf geografischer Ebene erkunden, wenngleich die Verbindung von Orten und Musik eher ungeplant verläuft und mitunter ganz profane Gründe haben kann.

Ende der Sechzigerjahre steigen die Mieten im East Village, das zu dieser Zeit stark von der Kunst- und Musikszene rund um Andy Warhols Factory geprägt wird. Das Problem ist heute kein anderes: Gentrifizierung, denn nach Leerstand kommt Kunst und nach Kunst der schnöde Mammon. Aber gerade diese Szene zwischen The Velvet Undergrounds Heroin-Chic und dem grellen Drag des nach New York schwappenden Glam Rock übt eine verständlicherweise große Faszination auf die US-amerikanische Jugend aus.

So landen um 1970 herum zwei Privatschüler aus Delaware im Big Apple – genauer gesagt in der Bowery im verrufenen Südosten Manhattans. Hier sind die Mieten so günstig wie die Kriminalitätsrate hoch ist. Es gibt genügend Freiräume für junge Dichter wie Richard Lester Meyers und Thomas Miller, die sich bald Richard Hell und Tom Verlaine rufen lassen. Zusammen starten sie 1972 das Musikprojekt The Neon Boys, aus dem ein Jahr später das von Gitarrist Richard Lloyd und Schlagzeuger Billy Ficca komplettierte Quartett Television hervorgeht.

Als eine der ersten Bands finden Television den Weg ins CBGBs. Ebenfalls in der Bowery gelegen, wird der gerade gegründete Club schnell zum Epizentrum einer neuen Szene, an deren Speerspitze Television neben Blondie, der Patti Smith Group und den Ramones stehen. Aus verschiedenen Richtungen finden diese Bands zum rohen Sound des Punk Rock, der die zweite Hälfte der Siebziger dominiert.

Television lassen sich dabei vor allem von den 13th Floor Elevators, Lou Reed oder dem Jazz-Saxofonisten Albert Ayler inspirieren. Bereits 1974, drei Jahre vor der Veröffentlichung ihres Debüts, entstehen die meisten Songs in einer Demo-Session mit Roxy Music-Mitbegründer Brian Eno. Tom Verlaine missfällt jedoch der kühle Sound der Aufnahmen, daher lehnt der Band-Kopf viele Angebote von Labels ab, die ihm nicht die Oberhand in der Produktion zusichern.

Auch innerhalb der Band kommt es schnell zu Reibereien, driften die Pole Hell und Verlaine auseinander. Letzterer fokussiert sich immer stärker auf einen professionellen Sound, während Bassist Richard Hell auf und abseits der Bühne einen wilden, unkontrollierten Stil pflegt. Mit struppigen Haaren und Sicherheitsnadeln in Hose und Lederjacke soll er Malcolm McLaren, dem legendären Musikmanager hinter den Sex Pistols, als Vorbild für die britische Version der Szene gedient haben. Letztlich kommt es 1975 zum Bruch zwischen den Jugendfreunden, Hell verlässt die Band und gründet bereits eine Woche später mit New York Dolls-Gitarrist Johnny Thunders die Band The Heartbreakers. Er wird von Ex-Blondie-Bassist Fred Smith ersetzt.

Anfang 1977 bringt schließlich Elektra Records das Television-Debüt „Marquee Moon“ heraus. Im „goldenen Jahr des Punk“ wirkt das Album gleichsam deplatziert und doch voll am wilden Puls der Zeit. Ein Widerspruch? Mitnichten, denn „Marquee Moon“ skizziert wie kein anderes Album das New York der frühen Siebziger: Städtisches Elend und der Hedonismus einer jungen, drogenbefeuerten Szene bieten die Grundstruktur der Platte, direkt verkörpert von Verlaines einzigartiger, an Lou Reed erinnernder Stimme. Sie ergießt sich in einem kränklichen Nölen über die Songs, seltener schwingt sie dann in ein fast schon selbstgefälliges Lallen um.

Dagegen steht die untypische Versiertheit der Musiker. Wechselseitig ergänzen sich beide Gitarren, indem sie nacheinander in die Leerstellen der Rhythmen kriechen und die Tonleitern auf und ab klettern, ohne dabei die Eingängigkeit ihrer Melodien aus den Augen zu verlieren. Tom Verlaine und Richard Lloyd fügen sich an den Gitarren ganz nach Jazz-Manier ein oder setzen Kontrapunkte zum Rest der Band. Ebenso lässt sich die Neigung zum Jazz in Billy Ficcas leichthändigem Schlagzeugspiel finden.

Aller Versiertheit zum Trotz landen Television dabei keineswegs in der Improvisations-Sackgasse, auch nicht im zehnminütigen Titelsong des Albums. Wie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ein „Rolling Stone“-Kritiker anmerkt, flirten sie nur mit der Formlosigkeit, während sich die eingängigen Riffs in den Hinterkopf meißeln.

Auf textlicher Ebene führt „Marquee Moon“ auf eine Reise durch ebenjene hedonistische Szene und ihre großstädtische Moloch-Bühne. Verlaines assoziative Lyrik orientiert sich an Rimbaud und Ginsberg, atmet aber gleichzeitig den Muff der dreckigen Straßen. Das Album lässt sich voll und ganz als existenzialistischer Trip durch das nächtliche New York lesen. Den überschwänglichen Riffs des Openers „See No Evil“ dichtet Verlaine die Zeilen „Cuz what I want / I want now / It’s a lot more / Than ‘anyhow‘“ an. In Verbindung mit dem psychedelischen Garage-Sound des Songs baut sich eine Art Freitagabend-Hymne auf, welche im Slogan „Pull down the future with the one you love“ mündet.

„Venus“ erzählt von einem Drogentrip, der den glitzernden Broadway auf surreale Weise verzerrt. Verlaines Alter Ego stolpert herum, verkleidet sich mit seinem Freund Richie (Hell) als Polizist und fällt der armlosen antiken Statue Venus von Milo in die Arme. Kopfüber im Blues getränkte Paranoia begegnet einem in „Friction“, das in jene dunkle Gassen führt, die den Heroin-Opfern gehören: „It’s just a little bit back from the main road / Where the silence spreads and men dig holes.“

Höhepunkt des Albums wie auch des Drogentrips ist zweifellos der Titeltrack „Marquee Moon“. Stoisch wühlen sich Gitarrenriff und Basslauf über zehn Minuten lang durch den Song, während Verlaine ihn von allen Seiten mit Soli garniert und Ficcas Schlagzeug diesem Dekor wie einbetoniert entgegensteht. Verlaines Erzähler hingegen steht still, als der Trip abschwächt und sich existenzielle Ängste vor Leben und Tod einstellen.

Folgerichtigerweise prägen „Elevation“ und „Prove It“ die zweite Hälfte mit einer Art rotziger Verzweiflung. Das lyrische Ich schläft am Ufer des East River ein und wacht schließlich, von den Wellen geweckt, dort auf. Trotz des musikalischen Optimismus‘, den auch „Guiding Light“ verströmt, sind in „Prove It“ die grellbunten Klamotten der letzten Nacht im Tageslicht nur noch grau: „Now the rose / It slows / You in such colorless clothes / Fantastic! You lose your sense of human„.

Schließlich legt sich ein zerrissener Vorhang über das surreale Schauspiel der Nacht. „Torn Curtain“ stellt weniger einen Epilog als vielmehr einen Trauermarsch dar. Seltsam eingängig kriecht das fast siebenminütige Stück entlang, während Verlaines Gitarre jaulend gegen die vorbeiziehenden Jahre ankämpft. „Tears…rolling back the years / Years … flowing by like tears.“ Nächte und Drogentrips wiederholen sich, aber das miese Gefühl bleibt bestehen.

Die Selbstbeschreibung einer Szene endet mit einem pessimistischen Urteil – und doch feiert „Marquee Moon“ sich selbst. Perspektivlosigkeit wandelt sich zu Hedonismus, Glücksgefühl zu Horrortrip. Television besingen ein halbes Jahrzehnt in der Bowery, im CBGBs, in verfallenen Häusern und dunklen Gassen. Ihr Debüt-Langspieler kondensiert all das in eine bunte Nacht und einen grauen Morgen in New York City.

Tom Verlaines Assoziationen zu Orten und Gefühlen einer Szene bleiben über die Jahre bestehen. Sie lassen sich in seinen Songs zurückverfolgen wie die Musikgeschichte anhand des Stadtplans von New York City. Das kann nicht einmal eine schicke Herrenboutique im alten CBGBs-Gebäude ändern. Denn mittlerweile ist die Bowery längst gentrifiziert worden. Aber in den Fotos von Robert Mapplethorpe und Chris Stein, den frühen Filmen von Jim Jarmusch und Amos Poe oder eben in „Marquee Moon“ und dem im selben Jahr von Richard Hell veröffentlichten Album „Blank Generation“ stechen diese Assoziationen einer Szene weiter deutlich hervor.

Wenngleich Televisions Debütalbum vor allem in Großbritannien auf Resonanz bei Publikum und Kritikern stößt, bleibt es seinerzeit ein kommerzieller Misserfolg. Dennoch gilt das Werk heute als Klassiker der Rockmusik und ist in zahlreichen Bestenlisten auf vorderen Rängen vertreten, etwa belegt es Platz 107 der 500 besten Alben aller Zeiten des „Rolling Stone“. Im April 1978 folgt „Adventure„, das trotz guter Kritiken nicht aus dem Schatten des wegweisenden Vorgängers heraus kommt. Kurz darauf löst sich die Band aufgrund musikalischer Differenzen und Richard Lloyds vermeintlicher Drogensucht auf. Die Mitglieder verfolgen Solokarrieren, wobei sowohl Verlaine als auch Lloyd Soloalben veröffentlichen. 1992, 14 Jahre nach ihrer Trennung, nimmt die Band noch einmal ein neues, simpel „Television“ betiteltes Album auf, welches zwar erneut weitgehend wohlwollend bewertet wird, kommerziell jedoch wenig Erfolg hat, und geht ab 2001 wieder regelmäßig auf Tournee. Am 23. Januar 2023 stirbt Tom Verlaine nach kurzer Krankheit im Alter von 73 Jahren in Manhattan. Damit dürften Television wohl endgültig (Rock-)Geschichte sein, ihr Einfluss, welcher sich bei kaum weniger bekannten Musikheroen wie The Police oder U2 ebenso hörbar bemerkbar macht wie bei jüngeren Gitarrenrockbands wie etwa den Strokes, bleibt unumstritten groß.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Miley Cyrus – „Zombie“ (live)


Ohne Frage, die Dame versteht was von der hohen Cover-Kunst! Miley Cyrus, die in der Öffentlichkeit wegen ihrer Auftritte, Internetpräsenz und Skandälchen in der Vergangenheit oftmals unter Kritik stand (man denke nur an das legendäre Abrissbirnen-Musikvideo vor knapp zehn Lenzen), zeigt bei ihrer Version des Cranberries-Evergreens „Zombie nahezu alle Facetten ihrer zweifellos gewaltigen Stimme. Ohne sich zu weit aus dem digitalen Fenster hinaus zu lehnen darf man durchaus behaupten, dass das Cover locker mit dem Original mithalten kann – das finden auch The Cranberries selbst. Die twittern kurz nach Erscheinen, dass es sich um eine der besten Versionen handele, die sie je gehört haben. Und weiter: „Dolores wäre beeindruckt.“ Wow. Kann ein Kompliment – selbst wenn es lediglich im Namen der 2018 verstorbenen Frontfrau gemacht wurde – noch größer ausfallen? Unzählige Interpret*innen haben sich bereits an dem 1994 erschienenen Song versucht, viele sind – mal mehr, mal weniger krachend – gescheitert. Miley Cyrus definitiv nicht.

Das Konzert, bei welchem die Coverversion zum Besten gegeben wurde, fand im Jahr 2020 im Rahmen der dreitägigen Save Our Stages„-Veranstaltung statt, eine Benefizkonzert-Reihe, die Veranstaltungsorte für Live-Musik während der Corona-Pandemie unterstützen soll. Die Spendenerlöse werden durch den Nothilfefonds der National Independent Venue Association (NIVA) verteilt. Miley coverte am gleichen Abend im legendären Whiskey A Go-Go in Los Angeles auch „Boys Don’t Cry“ von The Cure und gab außerdem ihren eigenen Song „Midnight Sky“ zum Besten. Die 30-jährige Sängerin mit recht berühmtem Vater, noch berühmterer Patentante und Disney-Vergangenheit hatte in der Vergangenheit schon öfter mit Coverversionen von Rock-Klassikern auf sich aufmerksam gemacht – von Led Zeppelins „Black Dog“ über „Comfortably Numb“ von Pink Floyd bis hin zu Dolly Partons „Jolene„. Letzteres wiederum stammt von den „Backyard Sessions„, bei denen sich Miley Cyrus 2020 unter anderen „Communication“ von den Cardigans, „Sweet Jane“ von The Velvet Underground oder „Just Breathe“ von Pearl Jam vornahm oder sich fünf Jahre vorher für ihren Take von Joan Jetts „Androgynous“ ebenjene sowie Against Me!-Frontfrau Laura Jane Grace mit ans Mikro holte. Jopp, bei dieser Qualität werden Cyrus‘ eigene Songs manchmal glatt nebensächlich…

Rock and Roll.

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