Erneut eine Premiere: zum ersten Mal hat es auf ANEWFRIEND ein Künstler geschafft, mit seinen beiden bisher veröffentlichten Alben den Titel des „Albums der Woche“ einzuheimsen (und wer die Review des ersten Teils verpasst haben sollte, findet sie hier)! Zurecht? Vollkommen.
Keaton Henson – Birthdays (2013)
-erschienen bei Anti/Epitaph-
Was war „Dear
“ doch für ein Trauerspiel – wenn auch, zum Glück, nur im textlichen Sinne. Der englische Künstler Keaton Henson gab auf seinem 2010 entstandenen Debüt sein Innerstes Preis, schob einen ernsthaften Trauerkloß-Blues vor sich her und nahm dem Hörer somit die Mühe ab, über die Maßen zwischen den Zeilen zu lesen. Nein, alles, einfach alles an „Dear“ – die Texte, die Musik, die von Henson höchstselbst entworfenen Artworks und Videos – war eineindeutig trist, traurig und unbarmherzig. Dass am Ende umso mehr Herzblut vom Künstler ins dieses pochende Organ auf Seiten des Hörers floss – das, ja das war wohl gleichzeitig die größte Errungenschaft von „Dear“. Denn es ging zu Herzen, weil man ohne Umschweife spürte, dass da jemand soeben sein Innerstes nach Außen kehrte, sich emotional auskotzte. Ehrlichkeit, nichts weiter.
Gut, auch von Keaton Hensons neuem Album „Birthdays
“ sollte man keine Kehrtwende erwarten. Natürlich hat der künstlerische Tausendsassa bereits im Modebusiness Erfahrungen gesammelt. Natürlich irritiert dieses seltsam rosa-hässliche Cover mit der panisch dreinblickenden Porzellanfigur zuerst. Aber eine große Sause, respektive: eine Ad-hoc-Entledigung jeglicher Sorgen klingt definitiv anders…
Und so fängt auch „Birthdays“ an, wie „Dear“ aufhörte: Henson betritt den Aufnahmeraum des Studios, greift sich seine E-Gitarre und spielt, sanft angeschlagen, die ersten Akkorde. „Teach me how to love you like I wrote / And say it like I mean it when I don’t /…/ I’ll never love you enough, my love / And I’ll never hold you close enough“ – diese feine Stimme, die sich hier im Opener „Teach Me“ selbst mit einem Hintergrundsirenenchor begleitet, diese selbstanalytischen Texte, wie hat man es, der kurzen Zeit zwischen den Alben zum Trotz, doch vermisst! Auch die folgenden Stücke variieren Stimmung und Klangfarbe nur in Nuancen. In „10AM Gare du Nord“ gibt Hensons alter ego zu weiblicher Backgroundbegleitung wieder das Sensibelchen („Please do not hurt me love, I am a fragile one / And you are the light in my eyes / Please do not break my heart, I think it’s had enough / Pain to last the rest of my life“), das allem Anschein und allen Widrigkeiten mit gefühligem Trotz begegnet („And I’d kill just to watch as you’re sleeping / I’m hoping you’ll let me in time / You don’t have to call me yours, my love / But damnit, I’m calling you mine“), versichert in „You“ der sich langsam von ihm Entfernenden zu sachte ins Klangbild tretenden Streichern gar die große Liebe: „If you must die, sweetheart / Die knowing that your life was my life’s best part“. Schon „Lying To You“ kommt da ganz anders daher. Henson erzählt davon, dass man(n) wohl einsehen muss, dass da, wo einmal Liebe war, die loderte, hell brannte, nun höchstens noch ein Häufchen elendig vor sich hin glimmender Asche schlummert. Von verglühter Liebe, die mit der Zeit zu etwas platonisch Vertrautem geworden ist („I can see in your eyes that you mean it / I can feel in your arms that it’s true / And though I just heard myself say it / Baby, I’m lying to you /…/ As we lie in bed I feel lonely / Though we’re young, I feel eighty years old / And your arms around me are keeping me warm / But baby, I’m still feeling cold / And girl you must know you are lovely / You’re kind and you’re beautiful too / And I feel in some way I do love you / But babe, I’m not in love with you“). Suchte er in der Vergangenheit ihre Nähe, so will er nun doch nur eins: am liebsten allein sein („And the one thing that keeps me from falling for you / Is I’m truly alone and I like it“). „The Best Today“ schildert zu gefällig-schöner Melodie Tagträumereien von der unbekannten Schönheit, die dem Erzähler während einer Zugfahrt ins Auge fällt. Im Innersten stellt er sich ein gemeinsames Leben vor, sieht Vergangenheit und Zukunft – und ist schlussendlich zu feige, die Unbekannte anzusprechen („And I wish I could wake at dawn / To see you without makeup on / Wish I had the guts to say / You look the best today“). So bleibt es beim Traum von einem anderen Leben, und als er den Zug verlässt, ist die Möglichkeit auch schon wieder dem grauen, lieblosen Alltag gewichen („And as I get off the train, look back to see you through the frame / A man sits and blocks my view, and then I forget you“) – aus den Augen, aus dem Sinn. „Don’t Swim“ beginnt in trügerischer Ruhe, schwingt sich – und das darf man, insofern man bisher nur Hensons 
Erstling kennt, als Novum betrachten – kurz vor Schluss zum amtlich wütenden Indierocker auf. Klar, immerhin klagt Hensons alter ego die ehemals Liebste an, fleht gar, doch endlich die Karten auf den Tisch zu legen und sich liebestechnisch nicht in zwei gemachte Nester zu setzen – und auf gar keinen, gar keinen Fall diesen Einen, diesen Neuen turtelnd vor seinen Augen zur Schau zu tragen („Oh my life, tell him you will meet him at 10? / Oh my love, just don’t let me see him again / I just don’t think I can lie / And I’ll tear out both his eyes“). Das bereits von der 2012 veröffentlichten „Sweetheart, What Have You Done To Us
“ Seven-Inch bekannte „Kronos“ schlägt dann in eine ganz ähnlich rockende Kerbe. Henson klagt an, Henson spuckt – für seine zarten Verhältnisse – Gift und Galle und droht mit dem Abgang („And now I see that waking everyday / Always leads straight to feeling this way / And if you have no more to say than that / Oh well, I’ll be leaving and I won’t come back“). Doch obwohl er unversöhnlich alles Schlechte auf die Verflossene herab wünscht („I hope you end up missing me“), weiß sein Innerstes im Mittelteil doch längst eins: „You son of a bitch / Stop writing songs like this / You think you’re better than them / But they don’t have to pretend“ – die grausige GitarrenBassSchlagzeug-Mosher-Gestalt da im gesprungen Spiegel, das ist nicht er, nicht sein wahres Selbst. Und so kehrt er bereits in „Beekeeper“ – nach einem letzten Dröhnen – zurück zu den gewohnt leisen Weisen. Während er im Text nur davon singt, dass der Wahnsinn ihm längst näher steht als all seine Freunde („Your friends will always just be in your way /…/ You all say i’ve crossed the line / But the sad fact is I’ve lost my mind“), kommt der von Gitarren, Banjo und allerlei Pauken betriebene Refrain ähnlich euphorisch und umarmend daher, wie man das sonst höchstens von Mumford & Sons gewohnt war, und bietet die weiße Fahne der Resignation an („The devil’s got nothing on me my friend / All I want is to be left alone / Attack from me is like blood from a stone / From a stone“). „Sweetheart, What Have You Done To Us“ benötigt darauf zu hallenden Gitarrenakkorden – und einem Bläserintermezzo im Mittelteil – nur wenige Worte, um alle Gefühle final für verloren zu erklären: „Sweetheart, what have you done to us? /I turned my back and you turned to dust / What have you done? / And oh, please just come here, don’t fight with me / I think you may have broken me, will you admit? / If all you wanted was songs for you / Here goes, after all that you put me through / Here’s one for you / And don’t call me lover / It’s not enough / It’s got to be tough, cynical stuff / Follow my words to the end of our love / And God you were the one who told me not to be so English / Sweetheart, what have you done to our love?“. Umso überraschender klärt das finale „In The Morning“ alle Gedankennebel: „Empty pack of cigarettes by the bed / You woke up and looked at me and you said / ‚Keaton, is it morning yet?‘ / ‚No, we have a couple hours left; God knows what’ll happen then.‘ „. Alles also nur Lug und Trug, nur Gedankenspiele eines bis ins Mark Liebenden? Vielleicht. Denn Hensons alter ego hinterfragt, zweifelt, bangt. Denn wie gut kennt man jene Person, die gerade noch selig neben einem schläft? – Gut? Sehr gut? In und auswendig? Oder doch: kaum? („And i know every mark on your hand / Perhaps you’d like me more if I was still in a band / But you know the crowds unsettle me / These days I’d play for free / Baby, please don’t look at me / Like that“.) Umso schöner, dass man sich im Angesicht der Morgenröte wenigstens einer Sache sicher sein kann: „There may be questions in your head / As a new day is dawning / Like what things for us lie ahead / But woman, I will see you in the morning / And woman, I will see you in the morning“. Der Künstler, der nach all dem wohl weder Tod noch Teufel zu fürchten hat, steht auf, öffnet die Studiotür und entschwindet in einen neuen Tag.

Keaton Henson, diesem bärtigen, auf Fotos stets traurig aus der Wäsche blickenden scheuen Schlacks, gelingt auf seinem zweiten Album „Birthdays“erneut das Kunststück, den Hörer ganz nah an sich heranzulassen. Und erneut weiß man während der 44 Minuten (die „Deluxe Edition
“ ist noch um drei zusätzliche Songs beziehungsweise 11 Minuten länger) nicht, ob all dies nur Träume sind, oder sich Hensons zutiefst verletzter alter ego sich schon längst in den nächsten Albtraum geflüchtet hat. Denn Leben und Lieben sind nun einmal weiß Gott keine Kindergeburtstage, und „Birthdays“ ist ein Album voller kleiner seelischer Abgründe. Voller Verstrickungen, wenn einem in den einsamen Mitternachtsstunden plötzlich die kleinen Teufelchen des Selbstzweifels im Nacken sitzen. Doch wie schieb der französische Vordenker Victor Hugo einmal: „Ein Traum ist unerlässlich, wenn man die Zukunft gestalten will.“ Am Ende geht man immer ein Stück des Weges gemeinsam. Auch am Ende der tränenreichsten Nacht bleibt die Gewissheit, dass die Sonne aufgehen wird. Alles ist gut.
Den ein oder anderen Song erklärt und kommentiert Henson übrigens – per Zeichnung – immer noch gern (?) selbst:


Hier kann man sich die Videos zu den vom Album stammenden Songs „Sweetheart, What Have You Done To Us“…
….und „Kronos“ anschauen…
…sowie ein „Lyric Video“ zu „Lyring To You“:
Außerdem bekommt man hier – albumübergreifend – Keaton Hensons bisherige Singles im Stream zu hören:
Rock and Roll.
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