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Sunday Listen: Karl die Große – „Was wenn keiner lacht“


Fotos: Promo / Marco Sensche

Man stolpert nicht nur über den etwas ungelenken Bandnamen Karl die Große, auch das im Februar erschienene zweite Album “Was wenn keiner lacht” tönt oft genug irritierend – im besten Sinne. Wer denn unbedingt eine Schublade benötigt, der darf die sechsköpfige Band aus Leipzig gern unter „Indie Pop“ einordnen, doch eigentlich ist da viel mehr – Songwriter-Folk mit Elementen aus Jazz, Chanson oder Hip Hop etwa. Was einem jedoch zuerst ins Ohr fällt, ist der tolle Sound, der beinahe live sowie durchgehend druckvoll und akzentuiert klingt – kaum verwunderlich, schließlich erarbeitet sich das vor etwa acht Jahren ins Leben gerufene sächsische Kollektiv alle Stücke gemeinsam. Allein das Plattenknistern im Opener “Das dicke Mädchen hat es den Berg hoch geschafft”, die Beats und das satte Klavier sind schon zu Beginn wahre Ohrenschmeichler, welche von der glasklaren, samtenen Stimme von Sängerin und Songschreiberin Wencke Wollny nur noch runder gemacht werden…

Und Indie Pop hin oder her – Karl die Große teilen so einige Fragen mit allen, die ihnen ein Ohr leihen. Fragen, mit denen man sich möglicherweise selbst schon auseinandergesetzt hat. Aber auch: Perspektiven, die man bisher noch nicht bedacht hat. So werden beispielsweise in der biografischen Eröffnungsnummer falsche Vorbilder und Erwartungshaltungen sowie gesellschaftlich befeuerte Selbstzweifel kraftvoll niedergesungen. Doch ungeachtet der Tatsache, dass viele der Texte aus ihrem Alltag stammen, ist es Wenke Wollny ebenso wichtig, gesellschaftliche Metaebenen in die Lieder einzuziehen – und so ist „das dicke Mädchen“ eben nicht nur ein Song über erfahrenen Spott und Missachtung. Die Sängerin erklärt es wie folgt: „In dem Lied ging es mir auch darum, zu gucken, wie mit Frauen umgegangen wird, die etwas erreicht haben. Da gibt es dann die Boulevardpresse, in der es darum geht, wer jetzt wieviel ab- und zugenommen hat. Und dann gibt es die Politikerin, wo es dann doch wichtig ist, in welchem Outfit sie aufgetreten ist.“ All das stecke in den Songs. Diese textlichen Schichtungen sind – gerade im Vergleich zum kaum schlechteren 2017er Vorgängeralbum „Dass ihr Superhelden immer übertreibt“ – definitiv eine neue Qualität im Songwriting der Band. Genau dieser Stil macht die Songs glaubwürdig und lässt sie unverfälscht klingen. Ähnlich versiert und clever wie beim „dicken Mädchen“ geht das Sextett, zu dem neben Wollny noch Antonia Hausmann, Christian Dähne, Clemens Litschko, Simon Kutzner und Yoann Thicé gehören, im gleichsam gesellschaftskritischen „Generation A“ mit der Frage nach einer gesunden Kommunikation der Generationen um oder erteilt in „Allesgönner“ den „Allesgönnern unserer Zeit“ eine popmusikalische Abfuhr. Die schlaue Erzählkunst auf „Was wenn keiner lacht“ – das oft beschworene Narrativ guter Popmusik – findet auf diesem Album bestenfalls einen echten Wohlfühlort.

Auch mit recht bekannten Namen können Karl die Große anno 2021 aufwarten. Mehr sogar: Sowohl das Feature mit Fatoni im sphärischen “On My Side” als auch jenes mit Maeckes im klangschalenartigen “1000k” ist gelungen. Die beiden aus dem Hip Hop stammenden Musiker bewegen sich zudem eher auf Wollny und Co. zu und brechen angenehm aus ihren gewohnten Mustern aus. Auch die Kooperation mit Franceso Wilking (Ex-Tele, Die Höchste Eisenbahn) bei „Du bist noch nicht da“ ist eine Bereicherung, zu der man sich gegenseitig umschlungen über die Indie-Tanzfläche schieben kann. Das poppige “Gefällt” hat das Zeug, um sich mit seinem nachhallenden Refrain und der leicht zugänglichen, offenen Komposition unbemerkt ins Formatradio schmuggeln. Und um es der Hörerschaft, welche wohl sonst vielmehr weibliche Deutschpop-Stimmen à la Nena, Sarah Connor oder Silbermond präferiert, leicht zu machen, wird sogar euphorisch in die Hände geklatscht. Ob jene Allerweltspop-Ohren dann mit dem Rest von “Was wenn keiner lacht” zufrieden sein dürften, sei freilich dahingestellt… In eine recht ähnliche Kerbe schlägt auch die Single „Heute Nacht“, in welcher die Band Synthies und Beats gegen Western-Gitarren tauscht und sich von simplen Alibi-Drums begleitet langsam gen Hook treiben lässt. Diese grenzt sich zwar dadurch, dass sie im Vergleich zur Strophe recht ruhig ist, vom typischen Radio-Pop ab, wiederholt jedoch trotzdem so uninspirierte Textzeilen wie „Ja, Ja, Ja / Dass ich dir dieses Lied nie gesungen hab„. Tut nicht weh – und würde daher auch jeder 50-jährigen Vorstadt-Mutti, die seit zwei Dekaden die immergleichen Amy MacDonald- und Element Of Crime-CDs rotieren lässt, gefallen. Aber noch immer tausend Mal besser als all dieser gräßliche, seelenfrei auf urban-hippen Zeitgeist getrimmte Mia-Elektro-Pop.

Zu einem der heimlichen Hits des Albums mutiert – neben dem persönlichen „Immer immer“ – das bereits erwähnte clevere “Allesgönner”. Hier legen Karl die Große brummende Flächen und einen beschwingten Beat vor, während Wencke Wollny sich im Refrain vom Song ausklinkt, über ihm zu schweben und von außen darauf zu blicken scheint. Nicht selten erinnert sie dabei an Inga Humpe und deren Leichtigkeit, nicht nur in “Spinnweben am Geländer”. Ein ausformuliertes Gefühl und trotz – oder gerade wegen – der Kürze und Wiederholung bewegend. Manch anderen, der sich noch keine Sorgen ums graue Haupthaar machen muss, mag ihre Stimme an eine Melange aus Billie Eilish, Kat Frankie und Sophie Hunger erinnern. Der Gesang wirkt so nah, dass man Wollny neben sich wähnt. Abgesehen von ihrer auffallend schönen Klangfarbe ist auch das einmal mehr der bemerkenswerten Produktion zuzuschreiben.

Ein paar Wermutstropfen gibt es dennoch, denn nach (s)einem durchaus fulminanten Start, aus welchem sich hier und da ein bisschen vom Geist von Wir sind Helden raushören lässt, fällt “Was wenn keiner lacht” leider etwas ab und verliert sich ein ums andere Mal im Singer/Songwriter-Pop – was letztendlich auch einfach an der Spieldauer von 55 Minuten liegen mag oder daran, dass sich manche Songs dann von der Tonalität her einfach zu sehr ähneln. Und wer sich 2021 – zumindest in physischer Form – noch über einen Hidden Track freut, ist auch recht unklar… Natürlich ist das Krittelei auf recht hohem Niveau. Dennoch: Schade, denn eigentlich entwickelt das Album gerade in den ersten beiden Dritteln eine durchaus packende Dynamik. Trotzdem wünscht man der Leipziger Band, dass sie, ihre Stücke und ihre Botschaften in Zukunft ein größeres Publikum erreichen, denn ebenso wie der in jedem Fall empfehlenswerte Erstling schillert auch das Zweitwerk, welches die Band via Crowdfunding (vor)finanziert hatte, in so vielen unterschiedlichen Farben und ist so detailliert instrumentiert, dass sich da sicher jede(r) etwas für sich heraus picken kann.

Auch toll: Die „MDR Club-Session“ der Band aus dem Leipziger UT Connewitz, die man hier in der Mediathek findet…

Rock and Roll.

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Song des Tages: Dota Kehr – „Kompliziertes Innenleben“


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Foto: Promo / Annika Weinthal

Klare Sache, eigentlich: Dorothea „Dota“ Kehr scheut das Risiko nicht. Für die Berliner Musikerin, die seit über zehn Jahren vor allem wegen ihrer oft genug brillanten, vielschichtigen und lebendigen Texte gefeiert wird (so auch vor einigen Monden auf ANEWFRIEND), hat es schon eine gewisse Fallhöhe, wenn man diesen Bereich – erstmalig – mit Fremdschöpfungen abdeckt. Und auch nicht mit irgendwelchen: Die Texte auf ihrer neuen Platte „Kaléko„, dem Nachfolger zum 2018er Album „Die Freiheit„, welches seinerzeit immerhin Platz 11 der deutschen Album-Charts erreichte, stammen von der jüdischen Dichterin Mascha Kaléko – alle mit einer Hornbrille bestraften Schulstreber freuen sich nun sicherlich schon über Musik-, Deutsch- und Geschichtsstunden in einem, schließlich schuf die Schwester im Geiste eines Joachim Ringelnatz oder Erich Kästner in den 1920 und -30er Jahren in Berlin ihre innige, bisweilen ironische, oft herzblutig beseelte Großstadtlyrik, bevor sie als deutsche Jüdin in den Jahren vor Hitlers Machtergreifung nach New York emigrieren musste. Die verwendeten Texte, welche Kehr in einem Lyrik-Band, dem ihr vor einiger Zeit ein Konzertbesucher überließ, fand, sprühen tatsächlich vor Witz, sind manchmal nachdenklich, aber eigentlich immer eine Bejahung des Lebens und des jetzigen Moments. Dies packt die 40-jährige Liedermacherin mit ihrer Band dem damaligen Zeitgeist entsprechend in eine akustisch gewichtete Musik, die so tatsächlich oft einen Wink in Richtung Weimarer Republik und deren kulturellem Flair bietet. Ja, die schlichte Eleganz und zeitlose Strahlkraft von Kalékos Dichtkunst passt der Hauptstadt-Liedermacherin, welche einst als „Kleingeldprinzessin“ durch bundesdeutsche Fußgängerzonen tingelte, wie angegossen.

61gjjlNSfOL._SS500_Nur eines fällt dann doch auf: So charmant und beseelt Mascha Kalékos Texte auch sind – ein wenig eindimensional erscheinen sie – eventuell (auch) ihres Alters wegen – dann doch, wenn sie etwas platt und zu gewollt in Richtung Wortspiel schielen. Passagen wie „Eines Morgens wachst Du auf / Und bist nicht mehr am Leben“ oder „Die anderen sind das weite Meer / Du aber bist der Hafen“ mag zwar im ersten Moment eine gewisse Wucht innewohnen, doch sind sie auch eine Idee zu naheliegend und plakativ. Schlussendlich  ist „Kaléko“ jedoch ein Musikalbum, und so zählt auch die Kombination mit ebenjener (der Musik) – und da punktet die Platte in vielen Bereichen recht ordentlich. Denn Kehr hat eine Geheimwaffe im Köcher: ihre Gesangspartner, die eine Vielzahl der Songs mit Dota teilen. Der olle Bohemian Max Prosa gibt einen wunderbar beruhigenden Widerpart zu Dotas heller Stimme in „Für einen“ und vermittelt Gemütlichkeit, gar Geborgenheit auf wunderbar unaufgeregte Weise. Auch das fluffig dahin schunkelnde „Kein Kinderlied“ hat einen Schuss Extra-Witz, erhält aber auch dank der Kooperation mit Uta Koebernick gesangliche Harmonie.

Fest steht außerdem: Der kernig knisternde, von müder Lebenserfahrung geprägte Gesangspart Hannes Waders, der in diesem Jahr auch schon 78 Lenze jung wird, in „Auf eine Leierkastenmelodie“ ist ein emotionales Highlight. Die Gitarre tönt hier tatsächlich wie eine alte Drehorgel, Sehnsucht und die Vergeblichkeit derselben wachsen im Zusammenspiel der kontrastreichen Stimmen zu einer dicken Träne, die dem Hörer still die Wange hinunter kullert. „Kompliziertes Innenleben“ mit Konstantin Wecker, eher im abgedämpften Pathos unterwegs, verarztet mit seinem Text über Abschied, Nähe und die widersprüchliche Natur der Sehnsucht sowie durchaus angespannter Songstruktur erneut ein melancholisches Sehnen, das sich erstaunlich weich anschmiegt. Außerdem zu Duetten mit an Bord: Francesco Wilking (Die Höchste Eisenbahn), Karl die Große, Felix Meyer (wobei es ein weiterer Song mit ihm, das feine „Zum Trost„, eigenartigerweise nicht aufs Album geschafft hat) oder die befreundete Singer/Songwriterin Alin Coen (da gilt gleiches für „Gib mir deine kleine Hand„).

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Willkommene Einwürfe sind die zwei jazzig angehauchten Instrumentals, welche sich vom recht klassischen Aufbau der eigentlichen Songs entfernen. Hier findet man auch mal jene aus der Reihe tanzenden Verrücktheiten und Spleens, die dem Rest der Platte bei aller sorgsamen Behandlung ein wenig abhanden gekommen sind und bei Dota früher noch recht häufig anzutreffen waren. Ein weiterer Wermutstropfen von „Kaléko” ist auch die Kürze der einzelnen Stücke. Die meisten pendeln sich bei knapp zwei Minuten ein, wodurch der Fokus natürlich verstärkt auf den Texten liegt, obwohl bei einigen Nummern auch deutlich mehr Raum für instrumentale Ausflüge gewesen wäre, denn schließlich gibt es einige Songs auf dem Album, denen genau das gelingt: Gerade einmal sieben Zeilen braucht Kaléko in ihrem Gedicht „Für Chemjo zu Pessach 1944“, um ein Gefühl auf den Punkt zu bringen, über das andere ganze Bücher schreiben. Demnach braucht auch Dota Kehr nicht einmal eine Minute, um den Text, begleitet von zurückhaltender Gitarre und Tastenklängen mit ihrer unaufgeregten Stimme, zu vertonen. Was darauf folgt, sind fast zwei Minuten schönstes Blechbläser-Solo, dessen Melodiebögen und Phrasierungen denen Dotas in nichts nachstehen. Das Stück wirkt wie ein Dialog zwischen den beiden Liebenden, der sich nach dem Gedicht ereignen könnte, und geht erfreulicherweise einen Schritt weiter, als lediglich bloße Vertonung zu sein. Eine Ausnahme? Ja, aber eine gute! Schlussendlich ist „Kaléko“ ein liebevoll ausgearbeitetes Album, welches sich an mancher Stelle jedoch zu voreilig – und eventuell ein wenig zu ehrfürchtig – mit gängigen Strukturen zufrieden gibt. Und so manchmal eben doch das Risiko scheut.

 

„Es ist mir eine ganz besondere Freude, dass Konstantin Wecker bei diesem Lied mitsingt. Wir haben uns in Dresden getroffen und im Backstage-Raum aufgenommen. Das war sehr konzentriert.“ (Dorothea „Dota“ Kehr über die Entstehung des Songs „Kompliziertes Innenleben“)

 

 

(Übrigens: Ein recht gut zur aktuellen Weltlage passendes Reicht aus der Feder von Mascha Kaléko fand sich unlängst am „Gesuche“-Brett eines Leipziger Supermarktes wieder…)

 

Rock and Roll.

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