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Das Album der Woche


Jupiter Jones – Die Sonne ist ein Zwergstern (2022)

-erschienen bei Mathildas und Titus/Rough Trade-

Nicholas Müller hat viel durchgemacht. Etwa, als er sich nach Jahren des inneren Kampfes mit sich und seinem Umfeld endlich seinen Ängsten stellte. Als er im Jahr 2013 dabei auch seine Band, seine Jugendfreunde, sein Ein und Alles – sprich: Jupiter Jones – hinter sich lassen musste. Um zu sich (wieder) zu finden, gesund zu werden und wieder ein halbwegs „normales“ Leben zu führen. Über diese Erfahrungen hat Müller ein Buch geschrieben, welches es gar in die „Spiegel Bestseller“-Liste schaffte, Lesungen und Vorträge zur Aufklärung gegeben, seinen ebenso lobenswerten wie wichtigen Teil zur öffentlichen Debatte über psychische Erkrankungen beigetragen. Und immer mal wieder auch Songs geschrieben, denn selbst der olle Affe Angststörung konnte dem mittlerweile 42-jährigen Kreativkopf diese Leidenschaft zum Glück nicht gänzlich austreiben. Nach einer erfolgreichen Therapie tat sich Müller 2015 mit Tobias Schmitz zum Band-Projekt Von Brücken zusammen, das noch im gleichen Jahr sein gar nicht mal übles Debütalbum „Weit weg von fertig“ veröffentlichte. Und seine alten Weggefährten? Die standen nach mehr als zehn gemeinsamen Jahren plötzlich ohne Sänger da, berappelten sich jedoch und veröffentlichten 2016 mit Sven „Svaen“ Lauer, dem neuen Mann am Mikro, ihr sechstes Album „Brüllende Fahnen„. Doch irgendetwas passte nicht, an so einigen Ecken und Enden hakte es. Also zog die Band aus der Eifel anno 2018 die Reißleine und gab ihre Auflösung bekannt. Und nun? Sind Jupiter Jones zurück. Nicht plötzlich und auch – auf vielerlei Weise – nicht im alten Konstrukt, aber immerhin. Nach einigen Jahren der (durchaus verständlichen) Funkstille haben Nicholas Müller und Gitarrist und Hauptsongschreiber Sascha Eigner seit 2019 peu á peu wieder zusammengefunden und die beiderseits geliebte Band als Duo wiederbelebt. Das ist auch abseits des neusten Liedgutoutputs uneingeschränkt schön, denn nicht nur all den treuen Jupiter-Jones-Fans, die die Band schon seit 2002 begleiten, hätte so vieles gefehlt. Auch der deutschen Radio-Pop-Landschaft, welcher Jupiter Jones mit „Still“ einen ihrer fraglos besten Moment der 2010er-Dekade schenkten.

Foto: Promo / Vivien Hussa

Ob das ohne Corona überhaupt möglich gewesen wäre? Ach, alles hypothetischer Konjunktiv! Fest steht: Während der Stille in der Pandemie, als viele sich erstmals seit Jahren mit sich selbst beschäftigten, sich – halb zwangsläufig, halb dankbar – zurückzogen, fanden Müller und Eigner musikalisch wieder zusammen, begruben alte Zwiste und merkten, dass beide eben vor allem im Doppel richtig gut funktionieren. Und die Band Jupiter Jones, zwischenzeitlich genauso aufs kreative Abstellgleis geraten wie Müllers Projekt Von Brücken, ward wiedergeboren. All die gemeinsamen Jahre, die Erfahrungen spülten die immer bestehende Symbiose der beiden schnell wieder an die Oberfläche. Und nach und nach entstand ohne Eile daraus Kreatives, etwa die bereits Anfang 2021 veröffentlichte, verflixt ohrwurmeingängige Comeback-Single „Überall waren Schatten„, welche intime Eindrücke aus der schweren Zeit einer Band am Scheideweg zwischen Punk-Rock-Vergangenheit, Chart-Hit-Erwartungen der Plattenfirma sowie inneren Kämpfen teilt und dabei auch den Status Quo der Welt da draußen nicht außer Acht lässt: „Gegen den Verstand verschwören / Auf Julian Reichelt hören / Mit Faschos den Frieden stör’n / Das hattet ihr alles schon, hattet echt alles schon“. Darf’s da noch mehr sein? Nach einigen weiteren Appetithappensongs meldet sich die zum Zweiergespann gesundgeschrumpfte Band mit ihrem nunmehr siebenten Studioalbum „Die Sonne ist ein Zwergstern“ zurück, das die beiden via Crowdfunding verwirklichten, damit sie selbstbestimmt arbeiten und alles so produzieren konnten, wie sie es wollten. Und bei selbigem verwundert zunächst einmal der ungewöhnliche Erscheinungstermin: am vorletzten Tag des alten Jahres.

Fragen nach dem Warum, also ob man das Alleinstellungsmerkmal dieses „Geburtstermins“ wählte oder ob möglichst wenige Menschen im Vakuum namens „Zwischen den Jahren“ davon mitbekommen sollten, sind – zumindest beinahe – obsolet, schließlich weiß auch das neue Langspielwerk, bei dem alle, die das Duo nach ihrem Comeback verfolgt haben, bereits gut die Hälfte der neuen Songs kennen dürften, mit so einigen nötigen intensiven Drückern auf die Magengrube überzeugen: Das Geschehene verarbeiten, sich verzeihen, mit manchem abschließen – Realismus trifft auf Euphorie. „Ich hab‘ Arme gebrochen / Die einfach niemals jemanden halten … Ich hatte all die Zeit das ‚Wie?‘ und das ‚Warum?‘ verloren / Und die größte Frage in meinen Ohren / ‚Krieg ich’s hin, mich an mir selber zu messen?'“ – Das geht auch beim zweiten Stück „Melatonin“ lyrisch nicht nur ans Eingemachte, sondern war, ist und bleibt, ebenso wie Nicholas Müllers so unverwechselbar sanfte wie reibeisenraue Stimme, in einer ziemlich hohen bundesdeutschen Liga.

Foto: Promo / The Zitterman

Apropos bekannt: Auch das intime, gefühlsgeladene „Atmen“ darf sich bereits seit Monaten in die Ohren schmiegen – und offenbart, ebenso wie etwa „Der Nagel„, erneut Müllers Fähigkeit, wunderbar gefühlige Musik zu schreiben, die nicht allzu kitschig, sondern nahbar und gleichzeitig intelligent daherkommt. Ähnliches gilt für „Der wichtigste Finger einer Faust„, das an zahmere Kettcar erinnert und kindliches Empfinden und Erleben mit starren gesellschaftlichen Normen, daraus resultierenden Pflichten sowie der rebellischen Antwort darauf zwinkernd versöhnt: „Hier ist dein Kopf, da sind all die Gеdanken drin / Und da dein Herz, da woll’n all diе Gedanken hin / Und von da woll’n sie dann wirklich allzu gern in dein Bauch / Und deinen Schlaf und deine Nerven wollen sie auch / Hier ist dein Mund, da liegt die ganze Wahrheit drin / Und da dein Ohr, da will die ganze Wahrheit hin / Und wenn irgendwer kommt / Und meint, dass Du das alles nicht mehr brauchst / Ist hier der wichtigste Finger einer Faust“. Auch „Mein Viel und dein Vielleicht“ geht recht nah und stellt unangenehme Fragen, verarbeitet aber vorbildlich erwachsen. Muss ja. Und entlockt hintenraus zu zart hereinschleichenden Bläsern sogar ein Grinsen. Auch toll: „Bleibt zusammen„, ein gleichsam wütendes wie melodisches Stück, bei dem sich Nicholas Müller einmal mehr als gewiefter Texter erweist und das vom emotionalen Druck, den man sich macht, wenn man aus reinem Pflichtgefühl in einer im Grunde längst zerbrochenen Beziehung bleibt, erzählt: „Zum Gehen fehlt der Mut / Zum Bleiben fehlt die Lust / Mein Haus, mein Boot, mein Auto / Mein Nervenzusammenbruch / Wenn’s das war, was ich wollte / Dann hätt ich’s gern gewusst / Mein Haus, mein Boot, mein Auto / Mein Realitätsverlust“.

Alles schickschicktoll also? Nicht ganz, denn mit Stücken wie „Wenn’s nicht weh tut„, „Vielleicht“ oder „Oh, Philia!„, die etwas zu sehr mit Keyboards und Drumbeat verspachtelt sind, rücken die „neuen“ Jupiter Jones in Sachen Arrangements dann leider etwas nah ran an das völlig zurecht als seelenloser Formatradio-Einheitsbrei wahrgenommene Menschen-Leben-Tanzen-Welt-Genre. Ja, machen wir uns nix vor: Nicht wenigen alten Wegbegleitern, zu denen sich glücklicherweise auch der Schreiber dieser Zeilen zählen darf, fällt hier die Jupiter-Jones’sche Vergangenheit mit all ihren wilderen Punk-Rock-Momenten auf die Füße. Wer sich davon mehr freimachen kann (oder gar recht frisch auf das Duo stößt), der wird auf „Die Sonne ist ein Zwergstern“ zweifelsohne einige feine Songs und kleine Gänsehaut-Momente für sich entdecken können. Und am Ende freuen sich beide Gruppen über die durchaus vorhandenen Glanzlichter dieser Platte, über Geschichten vom Fallen und Aufstehen, wie auch der stille Abschluss „So hat noch jedes Ende angefangen“ eine(s) ist: „Manchmal halt‘ ich Abstand, nur um die nicht zu erschrecken / Die mich überhaupt nicht kennen und die gibt’s an allen Ecken / Zum Glück ist’s so, wer wär‘ ich denn / Wenn alle wüssten, wer ich bin? / Der Gläserne, der Angstgetriebne / Der Wegrenner, der Hiergebliebne / Und manchmal, wenn ich Glück hab‘, in den seltensten Momenten / Greif‘ ich nach dem letzten Strohhalm aus den allerschönsten Händen / Und hier steh‘ ich nun, wer wär ich denn / Wenn ich nicht wüsste, wer ich bin? / Der Überhaupt-nicht-Angstgetriebne / Ich wünscht‘, du wärst noch hier geblieben“. Oder eben schlicht darüber, dass die Herren Müller und Eigner (mit denen coolibri.de hier unlängst ein ausführliches Interview führte), dass Jupiter Jones wieder da sind. Im indiepoppenden Klangoutfit, mit dem Punk im Geiste. Die bittersüße Vergangenheit im Nacken und die Zukunft im Blick, bleibt an dieser Stelle noch ein alter, jedoch weiser Rat, den uns einst eine gewisse Eifelaner Punkband spendierte: „Gerad‘ deswegen / Auf das Leben!“

Rock and Roll.

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Song des Tages: Jupiter Jones – „Oh, Philia!“


Foto: Promo / Vivien Hussa

Ziemlich genau ein ganzes Jahr ist es bereits her, seit sich Jupiter Jones aus der eigenen Auflösung zurückgemeldet haben – und das zur Überraschung Vieler nicht als Quartett, sondern als aus Gitarrist Sascha Eigner und Sänger Nicholas Müller (der ja seinerseits aus privaten Gründen bereits 2014 aus der Band ausstieg und daraufhin von Sven Lauer ersetzt wurde) bestehendes Duo. Seitdem ließ die zum Zweiergespann geschrumpfte Band, die sich zumindest live von befreundeten Musikern unterstützen lässt, dem unverhofften Comeback zwar – leider, leider – noch kein neues Album folgen (dies entsteht gerade in Startnext-Crowdfunding-Eigenregie, soll den Titel „Die Sonne ist ein Zwergstern“ tragen und noch in diesem Jahr erscheinen), dafür jedoch bereits ein paar Singles: das wunderbar ohrwurmige „Überall waren Schatten„, „Atmen„, „Der wichtigste Finger einer Faust“ und – da wohl aller guten Dinge vier sind – nun „Oh, Philia!„.

Selbiges richtet sich an die Menschen, die von sich glauben, selbst nie genug zu sein. Es ist ein aufbauendes Stück, welches zwar einmal mehr beweist, dass die Punkrock-Tage der Band (zumindest was das Musikalische betrifft) längst gut sortiert in Fotoalben ad acta gelegt wurden, sich jedoch ansonsten nahtlos in die bisherige Entwicklung des Jupiter Jones’schen Kosmos einfügt, denn klanglich schlägt das Duo weiterhin einen durchaus pop-lastigen Weg ein und ersetzt die Stromgitarren früherer Alben zunehmend mit elektronischen Elementen. Während das wohl nicht allen Fans der ersten Stunde schmecken wird, dürften die Songs der beiden in Zukunft wohlmöglich einem breiteren Publikum zugänglich werden – und der Erfolg sei den beiden zehn Jahre nach ihrer recht erfolgreichen Single „Still“ gegönnt. Abgesehen davon bleibt der textliche Stil eines Nicholas Müller – neben dessen toller, nahezu unverwechselbarer Stimme natürlich – jedoch weiterhin ein positives Trademark und macht Jupiter Jones – auch 2022 und im neuen Soundgewand – zu einer dieser ganz besonderen Bands auf dem deutschsprachigen Musikmarkt.

Via Facebook verrät das Duo, dass der Song ein „ganz schön harter Brocken“ war und einer der ersten, an dem Müller rund Eigner nach ihrer Wiedervereinigung im Studio gearbeitet haben. Fast ein Jahr habe es schließlich bis zur Fertigstellung gedauert – gut Ding will eben Weile haben. Daher warten wir auch weiterhin gespannt auf den kompletten Langspieler, welcher auf dem Bandeigenen Label „Mathildas & Titus Tonträger“ veröffentlicht wird. Hierzu meint die Band in einem Pressestatement: „Dazu haben wir uns – trotz einiger Label-Angebote – entschieden, weil’s sich einfach richtig und verantwortungsbewusst anfühlt.“ Selber machen – auch das erfordert nämlich eine gute Portion Punk-Ethos!

Rock and Roll.

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Eine gute Idee für den guten Zweck – Hi! Spencer veröffentlichen eine Akustik-EP


Schon lange eine gute Idee, nun kommt’s endlich: Hi! Spencer veröffentlichen mit „Bei den Hunden“ eine Akustik-EP und machen damit die intime(re) Interpretation ihres Sounds hörbar, die der gefühlvollen Musik der Osnabrücker Indiepunk-Band schon lange innewohnt. Fünf seiner Songs hat das Quintett um Frontmann Sven Bensmann neu aufgenommen und setzt sich damit gleichzeitig für einen wichtigen Zweck ein: Mit dem Erwerb der exklusiv im „Uncle M“-Shop als Pre-Order erhältlichen limitierten CD fordern Hi! Spencer ihre Fans gleichzeitig dazu auf, eine Spende an die zivile Seenotrettungsorganisation „Seebrücke“ zu entrichten – eine Aktion, die eigentlich ja immer und jederzeit, aber vielleicht, vielleicht ganz besonders jetzt nach den Bränden im Flüchtlingslager in Moria unheimlich wichtig ist.

Die Inspiration zu diesem Rahmen der EP kam Hi! Spencer, von denen auf ANEWFRIEND bereits im vergangenen Jahr, als ihr zweiter Langspieler „Nicht raus, aber weiter“ erschien, die Schreibe war, als sich Sven Bensmann (Gesang), Janis Petersmann (Gitarre), Malte Thiede (Gitarre, Gesang), Jan Niermann (Bass, Keyboard, Gesang) und Niklas Unnerstall (Schlagzeug) ihre eigenen Songs für das Projekt noch einmal unter die Lupe nahmen. „Durch die Akustikaufnahmen haben wir teilweise Jahre alte Songs neu aufgerollt,“ erzählt die Band. „Dabei sind wir über die Textzeile ‚Ich hab geschlafen bei den Hunden‘ aus dem Song ‚Trümmer‚ regelrecht gestolpert. Als der Song geschrieben wurde, war die Stelle eine Metapher für uns. Mit den Jahren als Band haben wir aber mit vielen wahnsinnig tollen Menschen zusammenarbeiten dürfen – darunter auch ‚Pfand gehört daneben‚, eine Organisation, die den Blick auf Obdachlosigkeit schärft. Hören wir die Zeile jetzt, sehen wir darin Menschen, für die der Satz keine Metapher, sondern vielmehr Realität ist. Mit unserer EP Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Sensibilität für diese Menschen herstellen zu können – das wäre großartig.“

Dass die Songs von Hi! Spencer so nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch immer wieder neue Facetten offenlegen können, belegt „Bei den Hunden“ so deutlich wie noch nie. Eine Handvoll Songs aus dem Backkatalog hat die Band hierfür komplett neu arrangiert. In der besonderen Studioatmosphäre und mit wohligen Pianoklängen entfalten alle Stücke eine ganz andere Wirkung, die Hi! Spencer – im besten Fall, in den tollsten Momenten – ganz neu erfindet, ohne je den Pop-Appeal außer Acht zu lassen und ohne so ganz die rauen Wurzeln der Band zu vergessen. Und ebenso viel Liebe wurde auch in Design und Aufmachung des Projekts gesteckt. So zeichnet sich Lucas Meyer für das Artwork verantwortlich, der schon für Bands wie Heisskalt und Fjørt gearbeitet hat. Die CD kommt außerdem in einer direkt bei Homesick Merch per Siebdruck gedruckten Naturpapier-Klapptasche daher, die nicht nur für eine besondere Optik sorgt, sondern obendrein ganz ohne Plastik auskommt. Heraus kommt: eine rundum gelungene Sache – in Bild, Ton und Zweck. 👍

via Facebook / PFAND GEHÖRT DANEBEN

Rock and Roll.

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Zitat des Tages


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Aus gegebenem Anlass möchte ich folgende Zeilen, deren Textmaß in der Tat über das sonstige – zumindest von der Kürze her – Kalenderspruchtaugliche hinaus gehen mag, nicht ungeteilt lassen, denn in der Tat bringt Ex-Jupiter Jones- und -Von Brücken-Frontmann Nicholas Müller (den ich seit Jahr und Tag schätze und der an anderer, recht persönlicher Stelle bereits Erwähnung fand) einmal mehr nahezu Unaussprechliches und in jedem Fall sehr, sehr Trauriges trefflich auf den Punkt, ohne gleich wieder in irgendeinem Sinne drüber hinaus zu schießen oder vollends und final den „Glauben an die Menschheit“ zu verlieren. Kann ich im Gros so unterschreiben. Wie immer: Lesen und drüber sinnieren lohnt sich! ❤️

 

„Einmal die Woche

Einmal die Woche verliere ich meinen Glauben an die Menschheit.

Das ist dann weder Absicht, noch Attitüde, es ist stets ein gewachsener, echter Gedanke, der mich heimsucht wie ein schlimmer Traum. Meist folgt auf Tage dieser Sorte dann eine Nacht, die eben voll von einem wiederkehrenden, schlimmen Traum ist: Ich bewege mich auf einer schmalen Brücke unaufhaltsam in eine Richtung, die mir nicht mehr verrät, als dass sie irgendwie ‚vorwärts‘ sein soll. Das Ziel aber bleibt unbekannt. Links und rechts von mir klafft eine Lücke an Realität, wächst eine große Schwärze und lädt zum Sturz ein. Am greifbarsten könnte man sie wohl einfach Nichts nennen und nichts ist bedrückender als Nichts, wünscht man sich Sicherheit und Geborgenheit und ein Ziel. Nun träume ich da also so vor mich hin, mit dem Unbekannten vor mir und dem Nichts an beiden Seiten und fühl mich grauselig. Mein Leben fühlt sich abschüssig an, mein Schwung wird mir selbst zu viel, ich werde zu einem plumpen Brocken aus Kinetik und Zweifeln und weiß nicht, was mich mehr bekümmert: Die Frage nach dem unbekannten Ende vor mir oder die nach den noch unbekannteren Alternativen zu meinen Seiten.

Immer dann, wenn ich einmal die Woche meinen Glauben an die Menschheit verliere, passiert das so.

George Floyd war 46 Jahre alt, als er aus einer Dummheit heraus oder aus Unwissen mit gefälschtem Geld zahlen wollte. Ich kann euch nicht sagen, ob ich einen gefälschten Geldschein erkennen würde, hätte ich einen in den Händen. George Floyd war vielleicht ein wenig auf Sendung, als er das tat. Berichten zufolge war er intoxikiert, hatte Drogen intus, war nicht kooperationsbereit, als er von vier bulligen Typen im Polizistenornat wegen seines Falschgeldfehlers festgenommen wurde. Als George Floyd die restlichen Plus/Minus 46 Jahre seines längst noch nicht fertigen Lebens genommen wurden, lag er hilflos mit dem Gesicht auf einem Bordstein und wurde von drei Polizisten fixiert, von dem einer so lange auf seinem Hals kniete, bis kein Atem mehr in die Lungen wollte. Er rief nach seiner Mutter, wie man das beim Sterben wohl so macht, bat um Gnade, Luft und Wasser. Und wenn’s ein paar Sachen gibt, die wir Menschen mit unseren opponierbaren Daumen und unseren weltraumberechnenden Hirnen, mit unseren sehenden und sehnenden Herzen, mit unserem Menschsein und dem ganzen Geschenk der Evolution geben können, dann sind das Wasser, Luft und Gnade. Vor allem Gnade. Dafür sind wir hier. Dafür sind wir, was wir sind.

Und wenn das nicht geht, dann verliere ich einmal die Woche meinen Glauben an die Menschheit.

Der Mensch soll kein gescheitertes Konzept sein. Kein Versuch aufs Wunderbare, mit dem Auskommen einer lebenden Katastrophe. Es schmerzt mich, da zusehen zu müssen. Es schmerzt in einem Maße, das mir nicht mal erlaubt, euch jetzt zu erzählen, dass der Gegenbeweis mich Papa nennt. Dass ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass meine Tochter jemals so wird. So, dass sie aus Hass und Missgunst und Gier ihr Privileg Mensch verwirken will, um abgründig und schlecht zu sein. Das käme mir verklärt und in Anbetracht einer derartigen Tragödie weltfremd vor. Und die Welt, so klapprig und unrund sie auch sein mag und das nicht erst seit dieser Woche, die soll mir nicht fremd werden. Ich lebe doch hier, auch außerhalb der vier Wände, in denen Zukunft herrscht. Ich will mich so gerne auskennen. Aber dass es Beweise gibt, dass eben kein Mensch so geboren wird, wie es dann in diesen acht grausamen Minuten um den Tod von George Floyd gelebt wurde, das wird mir dann klar. Eigentlich. Ich würde gerne immer Lösungen präsentieren, kluge Ratschläge und Wege aufzeigen, aber gerade ist es mir unmöglich. Gerade lähmt mich der Gedanke, dass die wunderbarsten Menschen so leise wirken, wenn die Schlimmen so laut Schlimmes tun. Hass gebiert Hass, Gewalt erzeugt Gegengewalt, es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Deswegen verliere ich einmal die Woche den Glauben an die Menschheit.

Wenn all das passiert, dann will ich nicht an Blumen denken. Dann will ich niemandem mit den Worten ‚Aber schau doch mal, wie schön es hier ist!‘ begegnen und so tun, als wär’s in Ordnung, nur eben an ganz anderen Stellen und Orten. Dann fühlt sich jeder Blick auf die allgegenwärtigen Wunder hier unten an, als wär’s ein Blick auf vertane Chancen. Dann verliere ich den Glauben an mich. Dann gebe ich Verantwortung ab, an einen Fatalismus, der mir verbietet zu wachsen und besser zu sein. Dann verleugne ich die Hoffnung, dann tu ich so, als gäbe es sie nicht. Und wenn wir alle das tun, dann wird irgendwann Wahrheit daraus. Dann bauen wir uns eine Realität, die nicht nur an Träume von ziellosen Brückenfahrten und Dunkelheit gemahnt, dann sind wir unsere eigene Dunkelheit. Wenn wir jetzt müde werden, dann schlafen wir am Steuer ein und fallen allesamt links und rechts vom Rand. Das wäre viel zu einfach. Niemals darf das sein. Es macht keinen Sinn sich einzureden, dass die Welt ein rundum guter Ort ist, denn das stimmt nicht, es stimmte nie und es wird aller Voraussicht nach auch niemals stimmen. Aber noch viel weniger Sinn macht es, sich in diese Tatsache zu fügen. Wir sollten uns bei jeder Gelegenheit dagegen stemmen. Wir haben die Geschicke der Welt und ihrer Menschen sicher nicht vollumfänglich in der Hand, meist können wir ja noch nicht mal unsere eigenen Wege absehen, aber wir können verdammt noch mal morgens aufstehen und eben nicht schlecht sein. Kein milliardengroßes Konvolut von kleinen Katastrophen. Wir können das. Wir haben opponierbare Daumen, weltraumberechnende Hirne und sehende und sehnende Herzen. Wir haben ein Menschsein. Und so sehr ich mir weiter die Antwort wünsche, so sehr ich auch gern ganz vorne stünde, mit grenzenlosem, immerdarem Optimismus; so sehr mich auch schmerzt, dass all das nicht sein kann, weiß ich doch: Jede Woche, seit Anbeginn des Kalenders und voraussichtlich bis zum letzten abgerissenen Blatt hat sieben Tage.

Und:
Gerade mal einmal die Woche verliere ich den Glauben an die Menschheit.“

(gefunden bei Facebook)

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Hi! Spencer – „Nicht raus, aber weiter“


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Im vergangenen Herbst haben Jupiter Jones – nach immerhin 16 gemeinsamen Jahren dies- wie jenseits von Club- und Festivalbühnen sowie einem Sängerwechsel – einen vorläufigen Schlussstrich unter das Kapitel Bandhistorie gezogen. Werden sie vermisst? Schon ein klein wenig. Muss also Ersatz her? Nicht unbedingt. Und falls doch: Hi! Spencer bewerben sich hiermit um den Job.

Denn immerhin bringt die fünfköpfige Band aus Osnabrück – zumindest dem ersten Höreindruck nach – alles mit, was schon Jupiter Jones eine recht treue Fanbase beschert hat: Rockmusik der Marke „Indie meets Punk“, eine Prise Pop, ein bisschen Rebellion und hier und da eine verzerrte Gitarre. Dazu deutschsprachige, mit massig Emotion – und den richtigen persönlich-befindlichen Schlagworten – aufgeladene Texte. Des Öfteren konnte man gar Verweise auf Bands wie Turbostaat, Muff Potter oder Kettcar lesen. Well… Machen wir’s kurz und direkt: In meinen Augen hinkt dieser Vergleich. Denn erstens kommt – zumindest im im deutschsprachigen Raum – kaum jemand an das Storytelling von Marcus Wiebusch heran und zweitens waren Muff Potter in schöner Vorzeit wirklich mal rotzig produzierter, herrlich dreckiger Punkrock – mit Widerhaken und Attitüde. Und Turbostaats nordische Räudigkeit scheint ohnehin meilenweit entfernt.

hi-spencer-nicht-raus-aber-weiter-198488Hi! Spencer suchen vielmehr ihr Heil in der Eingängigkeit. Nicht immer gelingt das Sven Bensmann (Gesang), Janis Petersmann (Gitarre), Malte Thiede (Gitarre, Gesang), Jan Niermann (Bass, Keyboard, Gesang) und Niklas Unnerstall (Schlagzeug) auf ihrem zweiten, im Februar erschienenen Album „Nicht raus, aber weiter“ so gut wie im Titelstück, in welchem die Band Themen Angst, Panikattacken und innere Konflikte (ohnehin alles Sujets, die sich durchs Album ziehen) aufgreift, oder im ruhigem „Hinter dem Mond„, in dem Bensmann und Co. das heikle Thema Rechtsruck auf ihre Art anpacken – anstatt eines wütenden „In-die-Fresse-Punk-Songs” als nachdenkliche Ballade mit Tiefgang. In anderen Songs jedoch (etwa „Angst ist ein Magnet“ oder „Wo immer du bist„) schlingern Hi! Spencer mit allzu vielen recht hohlen Phrasen und pathetisch-dickem Schmalz bedenklich nahe an das Nullsummen-Spiel-Niveau von Max Giesinger und Konsorten heran.

Alles in allem ist „Nicht raus, aber weiter“ ein zweischneidiges musikalisches Schwert mit recht vielen Tief- wie Höhepunkten. Ein kleines Ausrufezeichen, welches all jenen, die Jupiter Jones ebenso sehr vermissen und deutschsprachigen Indierock mit erhöhtem Pop-Faktor nicht scheuen, durchaus zu empfehlen ist. Nicht mehr, aber keinesfalls weniger.

 

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Trixsi – „Ab Morgen (Demo)“


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Foto: Promo / Lucja Romanowska Photography

„‚Typen von Herrenmagazin, Jupiter Jones, Love A, Findus – und all das zusammen in einem Raum mit Gitarren und Bass und Schlagzeug und all dem. Tja. Supergroup! Metaband! Hör mir auf. Was am Ende dabei rauskommt, das hat man sich jetzt aber gefälligst anzuhören, so viel Vorschuss sei von mir gewährt. Denn es darf angenommen werden, dass es nicht halb so schlimm ist, wie der ganze andere Mist.‘ (Carsten Köhner/Mathildas Musikbüro)

Lasst uns Namen droppen: Schlagzeug: Paul Konopacka (ex Herrenmagazin) / Bass: Klaus Hoffmann (Barner 16, ex Jupiter Jones) / Gitarre: Kristian Kühl (ex Findus) / Gitarre: König Wilhelmsburg (ex Herrenmagazin) / Gesang: Jörkk Mechenbier (Love A, Schreng Schreng & La La).
Dem Alter und der Milde geschuldet, geht es in dieser Zusammenrottung Hamburger Gewohnheitstrinker hier und da eher im Pixies- und Weezer-Midtempo zu Werke. Ein bisschen Schrägness, die dem Wunsch aller nach Abhebung vom gesamtdeutschen Einheitsgitarrenpopbrei die Hand reicht, blitzt manchmal auf – und doch kracht es hier und da, wenn sich ein flotter Punkklopper dazwischen schmuggelt. Über all diesen Wohlklang kräht dann stets Mechenbiers Stimme seine kritisch/humoristische Alltagsbewältigung in einem Deutschland voller Igel – sonst kann er ja auch nichts. Gottseidank. Ehrlicher Arbeiter-Rock, gespielt von kriminellen Faulenzern.“

Und siehe da: Trixsi, ebenjene frische „Supergroup“ und „Metaband“ aus „Hamburger Gewohnheitstrinkern“ mit Love A-Frontschwein Jörkk Mechenbier am Mikro, hat, „da der Trend ja in Richtung Zweit-, Dritt- oder auch Viert-Band geht“, nun mit der Demo-Version von „Ab Morgen“ eine erste, sehr feine Song-Hörprobe am Start. Lässt sich hören!

 

 

Rock and Roll.

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