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Flimmerstunde – Teil 9


The Music Never Stopped (2011)

„Musik fängt da an, wo die Sprache aufhört.“

„Wenn wir Musik und Sport und Kunst für die Sahne auf dem Kuchen halten und nicht für die Hefe im Teig, dann verstehen wir unsere Gesellschaft falsch.“

An diesem Zitaten von E.T.A. Hoffmann und Johannes Rau ist unglaublich viel Wahres. Denn: was wäre die Gesellschaft, die Menschheit, was wäre wir ohne Musik. Im Zeitalter der totalen Beschallung, ob nun zu Hause, im Auto, auf Arbeit, im Einkaufszentrum oder im Supermarkt, fällt sie uns kaum mehr auf. Doch keine einzige Fernsehsendung, Serie und kein einziger Film kommt ohne die emotionalisierenden, aufrührenden und unterstützenden Klänge aus dem Hintergrund aus. Mal ehrlich: was wäre Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ ohne György Ligetis überwältigende Kompostionen? Wäre „Titanic“ ohne seine kanadische Heulboje nicht gleich ein wenig schlimmer und gewöhnlicher? Mag man sich „Spiel mir das Lied vom Tod“ überhaupt ohne den Mann mit der Mundharmonika vorstellen? Nein. Denn seit jeher sind mehr oder minder weltbewegende Ereignisse stets mit einer bestimmten Melodie oder einem Lied verbunden, sei es nun der 11. September 2001 und „Only Time“ von Enya oder Angela Merkels CDU-Wahlkampf und „Angie“ von den Rolling Stones. Die Menschen bewegen sich, ob nun in den USA, Europa oder Asien, unterbewusst immer im Rhythmus einer Melodie. Und wer weiß, ob David „The Hoff“ Hasselhoff mit seinem „Looking For Freedom“ nicht wirklich die Mauer zum Einsturz gebracht hat…

Diesen Grundgedanken der Kraft der Musik greift auch „The Music Never Stopped“, das Spielfilmdebüt von Regisseur Jim Kohlberg, auf. Im Jahr 1987 erhält das Ehepaar Sawyer einen Anruf. Ihr Sohn Gabriel (Lou Taylor Pucci) liegt im Krankenhaus. In seinem Kopf wurde ein faustgroßer Gehirntumor entdeckt. Nach der Operation und zwangsläufigen Schädigung seines Lang- und Kurzzeitgedächtnisses erkennt sie der hagere Mann Mitte Dreißig, zu dem beide 20 Jahre lang, nachdem er im Streit um verschiedene Wertvorstellungen und Lebensentwürfe das Elternhaus verließ und sich ins New Yorker Greenwich Village aufmachte, keinerlei Kontakt hatten, nicht mehr wieder. Wie paralysiert hockt er im Zimmer des Pflegeheims und zeigt kaum eine Regung. Erst durch die Hilfe der Musiktherapeutin Dr. Dianna Daly (Julia Ormond) und anhand der Musik seiner Jugend findet er in kleinen Schritten wieder ins Leben zurück. So werden etwa bei Bob Dylans „Desolation Row“ Erinnerungen wach, wie Gabriel den Song zum ersten Mal hörte, zu Buffalo Springfields „For What It’s Worth“ Erinnerungen an damalige Freunde und den Protest gegen den Vietnamkrieg. Sein Vater Henry (J.K. Simmons) konnte jedoch weder damals noch heute viel mit den musikalischen Vorlieben des Sohnes (allen voran dessen Lieblingsband The Grateful Dead) anfangen und tut sich anfangs schwer, zu begreifen, dass dies wohl der einzige Weg ist, mit Gabriel zu kommunizieren. Doch nach und nach löst er sich von seiner eigenen Starrsinnigkeit und begreift, dass sich in diesem Schicksalsschlag die wohl letzte Chance bietet, die dysfunktionale und verloren geglaubte Beziehung zu seinem Sohn wieder aufzubauen und auch mit sich selbst ins Reine zu kommen…

„The Music Stopped“ ist ein (an)rührender Film über die Kraft der Musik, die das auszudrücken vermag, wo Worte scheitern. Aber auch über einen Generationskonflikt zu Zeiten des Vietnamkrieges. Leider kann der Film, welcher auf realen Ereignissen bzw. der Fallstudie „The Last Hippie“ des Neurologen Oliver Sacks beruht, nicht alle Versprechen erfüllen und driftet mindestens einmal zu viel in Sixties-Klischees und Rührseligkeiten ab. Doch Szenen wie die, als Henry mir seinen eigenen Platten in den Plattenladen geht und diese dem verwunderten Angestellten im Tausch gegen „alles nach 1957, Hauptsache laut“ anbietet und die, in der Gabriel mit einem Simon & Garfunkel-Song das Herz der jungen Dame an der Essensausgabe der Pflegeheimkantine erobert, und vor allem J.K. Simmons tolle schauspielerische Leistung als Gabriels Vater, machen „The Music Never Stopped“ durchaus sehenswert. Denn kurze Abstecher in die Zeit der Blumenkinder, Herzenswärme und das ein oder andere innere „Hach“-Gefühl hat der Film zuhauf. Mehr Tiefgang gibt’s ja zur Not immer noch im kleinen Arthouse-Kino im die Ecke…

 

 
Rock and Roll.
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