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Ein Musiknerd, ein Held – Dirk Siepe ist tot.


Foto: VISIONS / Facebook

Pardon für diese linguistisch durchaus flapsige Äußerung, aber: Manchmal ist die Welt schon ein gewaltiges Arschloch. Sie holt manch Guten zu früh, und lässt uns, den traurig-treudoofen Rest, hier unten mit Pleiten, Pech, Pandemien und einer ganzen Reihe formvollendeter Arschgeigen zurück.

Wie der Tipper dieser Zeilen am Abend eines vornehmlich milden Februartags auf solchen düsterdunklen Fatalismus kommt? Durch die überraschende Nachricht, dass Dirk Siepe „nach längerer, schwerer Krankheit“ verstorben ist. Klar, der Name wird den meisten von euch nun weitaus weniger sagen als etwa David Bowie, Johnny Cash oder – meinetwegen, um bei irgendwie ewig lebenden, andererseits aber dennoch mausetoten Legenden zu bleiben – Frank Sinatra. Für mich war Siepe dennoch ’ne (r)echt große Nummer. Einer, der seit 1994 viele Jahre – erst als Redakteur, später als Chefredakteur und zuletzt als Autor – Teil der Schreiberlinge-Mannschaft der VISIONS war. Und damit auch meinen Musikgeschmack seit der musikalischen Adoleszenz entscheidend mit geprägt hat. Kaum einem Printmedium bin ich schon so lange treu (seit über zwei Jahrzehnten, nahezu alle Ausgaben stehen in beeindruckenden Stapeln – teils zum Leidwesen meiner Eltern – noch an zwei Orten verteilt herum). Durch kein anderes Musikmagazin – sorry, Rolling Stone, sorry Musikexpress – habe ich so viele Herzensbands und Künstler*innen kennenlernen dürfen – und tue dies auch heute gelegentlich noch. Allein schon deshalb war „der Siepe“, wie wir ihn in unserem (schein)elitär-kleinen Musiknerdkreis tief in der sächsischen Provinz damals oft nannten, wie der ältere Kumpel, der einem den geilsten neuen Scheiß aus Musikhausen ans Hörerherz legte, und genau zu wissen schien, worauf man in Kürze derb steil gehen würde, ohne dass man ihn je jemals getroffen hatte. Dass der Mann ein schwarz-gelbes Fussball besaß? Kein Muss, aber dennoch ein dickes Plus für mich (und auch passend, wenn man für ein Musikmagazin aus der Heimatstadt von Borussia Dortmund schreibt). In jedem Fall war es nicht nur für mich – im Rückspiegelblick und gefühlt so lange her – meist eine große Freude, Dirk Siepes mit einem gerüttelt Maß an Passion verfasste Artikel und Reviews lesen zu dürfen, die Leidenschaft, mit der der Mann einem so viele tolle, hierzulande sträflichst unbekannte Bands vor allem aus der Desert-Rock-Szene näher brachte. Wer weiß, wie viele nun wissend nickende Musikhörer weniger Kombos wie Kyuss, die Queens Of The Stone Age, Turbonegro, The Hellacopters oder Gluecifer ohne seine Leidenschaft für den Rock’n’Roll und ohne sein großes Engagement heute hätten… Kaum vorstellbar, dass eine so fantastische Band wie Mother Tongue ohne „den Siepe“, der sich in den Achtzigern selbst in der Fansize-Szene versuchte (noch so etwas, was uns irgendwie eint), wohlmöglich nie mehr einen Fuss auf bundesdeutschen Boden gesetzt hätte (und auch heute noch viel zu wenigen ein Begriff ist – deshalb: MOTHER TONGUE HÖREN!)…

Natürlich bin auch ich älter (und grauer im Gesicht!) geworden, hat sich mein Fokus ein wenig verschoben. Mein Musikgeschmack mag nun, so viele Jahre später, im Gros ein kitzekleines Bisschen weniger „wild“ ausfallen als noch in jenen Tagen, als ich nach der Schule noch zum Kiosk radelte oder die VISIONS während der Zugfahrt zu Uni verschlang. Freilich waren das – uffjepasst, Grumpy-Old-Man-Modus! – andere Zeiten, so (fast) ohne Internet, ständige Streaming-Verfügbarkeit und schöne neue Reizüberflutung (in welcher auch zu viele hoffnungsvolle Talente vorm eigenen Durchbruch leider wieder ersaufen). Aber es waren gute Zeiten. Und das? Schreibe ich beinahe frei von jeglicher nostalgischer Verklärung, und mit einer dicken, dicken Träne im Anschlag.

Ach, Dirk… Mann Mann Mann, mach’s gut, Dirk Siepe. Wie könnte ich dir je genug danken für all die tolle Musik, die du uns gezeigt hast? Eben: nie. Darum hoffe ich einfach, dass es dir da, wo du nun bist, besser geht. Und dass dir dort eine anständige, amtliche Plattensammlung ganz nach deinem Gusto zur Verfügung steht.

Das letzte Wort möchte ich trotzdem Michael Lohrmann, der als Gründer der VISIONS „den Siepe“ bestens kannte und dem die Zeilen seines ebenso hetzwarmen wie persönlichen Nachrufs wohl tausend Zentner schwer gefallen sein müssen, überlassen:

„IN GEDENKEN AN DIRK

Anfang der 90er Jahre bin ich unter Plattenkritiken in Fanzines regelmäßig über den Namen Dirk Siepe gestolpert. Mit seinem Faible für Punkrock, Alternative und Desert Rock würde er eigentlich perfekt zu VISIONS passen, dachte ich mir dann immer, und als wir dringend jemanden suchten, der in unserem Namen für ein großes Kyuss-Feature nach Amerika fliegt, rief ich ihn kurzentschlossen an. Bereits am nächsten Tag stand Dirk vor mir in der Redaktion, mit seinen Cowboy-Stiefeln und einem halb offenen Hemd unter einer abgeranzten braunen Lederjacke sah er ein bißchen so aus, als wenn er selbst in einer Band spielen würde. Ich glaube, er wirkte anfänglich ein wenig schnöselig auf mich, als wir dann über Musik gefachsimpelt haben (und natürlich über unsere gemeinsame Liebe Borussia Dortmund), war aber schnell klar, dass nur er prädestiniert ist, Josh Homme und Co. für VISIONS in Palm Desert zu besuchen. Die Geschichte, die er anschließend mitbrachte, war stark. Dirk hatte nicht nur viel Ahnung von Musik und die Gabe, auf Augenhöhe einen guten Draht zu den Musikern aufzubauen, er besaß auch die Fähigkeit, sein Wissen und seine Erlebnisse in wortgewandte Texte zu transferieren. Nach diesem Auftakt nach Maß war in jedem Fall klar, dass er ein Teil der VISIONS Familie werden muss. Der Zufall wollte, dass der Posten des Chefredakteurs parallel zu unserem Kennenlernen vakant wurde, rund 27 Jahre später kann ich sagen, dass es eine wunderbare Entscheidung war, Dirk diesen Job anzuvertrauen.

Duffy, um mal seinen Spitznamen zu bemühen, hat VISIONS über Jahre hinweg nachhaltig geprägt – vielleicht war es sogar die beste Phase, die man als Leser als auch als Mitglied der Gang mit diesem Magazin erleben konnte. In einer Zeit, wo an das Internet noch nicht zu denken war und in der Print-Magazine gehörigen Einfluß hatten, war Dirk ein Tastemaker, der den Musikgeschmack von etlichen VISIONS Lesern extrem geprägt hat. Bands wie Kyuss, Gluecifer, Hellacopters, Turbonegro, Mother Tongue, Masters Of Reality oder auch QOTSA, um nur mal die Kirschen auf der Sahne zu nennen, haben Dirk viel zu verdanken, denn er hat ihnen mit seinem Engagement den Weg geebnet. Wie wichtig er für VISIONS und unsere Leser war, belegt alleine eine Szene, die sich bei Rock am Ring in 2001 zugetragen hat. Als die Queens Of The Stone Age um seinen alten Spezi Josh Homme von Dirk an den VISIONS-Stand geholt wurden, wollten die Leute nicht nur Autogramme von der Band, sondern auch von ihm. So saß er dann da neben den Musikern und unterschrieb eine Stunde lang beseelt VISIONS Titelbilder. Das hat mich stolz gemacht. Dirk war das Aushängeschild von VISIONS – das Rock Hard hatte Götz Kühnemund, wir hatten Siepe.

Und, meine Güte, was haben wir gefeiert! Die Musikbranche bietet dafür ja durchaus viele Anlässe und der verklärte Blick zurück sagt mir gerade, dass wir so viel nicht ausgelassen haben, auch wenn Duffy da vielleicht nochmal aus einem anderen Holz geschnitzt war als ich und die meisten anderen. Auch fernab von Festivals, Konzerten oder VISIONS Partys gab es genug Situationen, in denen es ausgelassen war. Alleine der Fußball: Meisterschaften, Pokal-Siege, Derby-Triumphe, aber auch ein Moment der Schmach, als wir im Westfalenstadion 0-1 gegen den VfL Bochum (!) verloren haben, weil Delron Buckley kurz vor Spielende der Meinung war, das Siegtor erzielen zu müssen. Dirk war so abgenervt von einem feiernden Bochumer in der Reihe vor uns, dass er ihm einen fast vollen Becher Bier über den Kopf kippte. Ich fand das irgendwie gerecht, weil mir der Typ auch tierisch auf den Sack ging, getraut hätte ich mich das aber nicht. Als wir später in der Kneipe einen ausgeknobelt haben, war ich immer noch überrascht darüber, dass es nicht zu Handgreiflichkeiten kam.

Vielleicht hat der VfL-Fan auch einfach gemerkt, dass Dirk eine gute Seele hatte. Wer ihn kannte, wusste das ganz sicher. Sein großes Herz für Katzen und Hunde deutete darauf hin, aber auch sein ehrenamtliches Engagement für Die Tafel in Dortmund, die er in den letzten Jahren unterstützt hat. Dirk hatte zudem eine melancholische Seite, die es ihm ermöglichte, sehr reflektierte, tiefgehende Gespräche zu führen. So erinnere ich mich an einige Abende, die wir dem Herzschmerz widmeten, ganz frei von Punkrock und Feierei. Eigentlich wollten wir uns bald treffen, es ist bestimmt drei, vier Jahren her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Unsere Kommunikation beschränkte sich in der Zwischenzeit auf sporadische SMS zu Geburtstagen und witzige Frotzeleien zum aktuellen Fußballgeschehen – wir waren nicht im klassischen Sinne befreundet, aber wir hatten nach all den Jahren noch steten Kontakt. Wegen seiner Lungenkrankheit und der für ihn daher besonders heiklen Covid-Situation haben wir ein Treffen vertagt, bis zu dem Zeitpunkt, wo es das Wetter zulässt, dass man sich draußen treffen kann. Jetzt ist das Wetter gut – und Dirk nicht mehr unter uns. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 2021 hat er uns für immer verlassen. Und das macht mich extrem traurig.

Danke für alles, Duffy. Du wirst vermisst werden. Und wenn du da oben den Fußballgott triffst, weißt du, was zu tun ist.

Rock and Roll.

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Zitat des Tages


(gefunden bei Facebook)

(Frank Vincent Zappa, 1940-1993, US-amerikanischer Komponist und Musiker)

Der ebenso legendäre wie virtuose Gitarrist, der der Menschheit auch gleichsam humorige wie treffliche Aussprüche wie „Über Musik reden sei wie zu Architektur tanzen.“ hinterließ, hätte heute übrigens seinen 80. Geburtstag gefeiert – nur mal so…

Rock and Roll.

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Zitat des Tages


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(gefunden bei Facebook)

 

…oder in der deutschen Übersetzung:

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(George Orwell, 1903 -1950, gebürtig: Eric Arthur Blair, englischer Schriftsteller, Essayist und Journalist)

 

Interessantes Zitat… Allerdings ist laut dieser Auskunft nicht mit absoluter Sicherheit belegt, ob es wirklich vom Autor solch zeitgeistig-dystopischer wie weitsichtiger und deshalb umso zeitloser Werke wie „Farm der Tiere“ oder „1984“ stammt, wird es doch mit ebensolcher Regelmäßigkeit – und in etwas anderer Form (“News is something somebody doesn’t want printed; all else is advertising.”) – dem US-amerikanischen Medien-Tycoon William Randolph Hearst zugeschoben

 

Rock and Roll.

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Ich darf zitieren? – Ein Kommentar der Journalistin Johanna Maria Knothe zum Charlie Hebdo-Anschlag


knyphausen2

Wenn eine(r) etwas sagt oder schreibt und man beim Lesen denkt „Fuck, du sprichst mir sowas von aus der Seele!“, dann ist es auch mal gut, die Klappe zu halten, dem- oder derjenigen das Wort zu überlassen und einfach nur zu zitieren.

Das hat sich wohl auch der gute Gisbert zu Knyphausen gedacht, als er gestern auf seinem Facebook-Account einen Beitrag der Journalistin Johanna Maria Knothe in Gänze zitiert – und ANEWFRIEND kommt nach dem Lesen nicht umhin, sich Gilbert anzuschließen und Jeden und Jede unter euch surfenden Leseratten noch einmal dazu aufzurufen, zumindest ab und an und intensiv über das eigene Denken und Handeln nachzudenken – und dann die Schlüsse zu ziehen, mit denen man sich selbst am besten fühlt. Glaubt’s mir, die Welt hat genau das nötig. Und durch die kommt niemand allein, sondern nur wir alle zusammen…

 

„Hallo!
Die Journalistin Johanna Maria Knothe hat für die Ereignisse der letzten Tage Worte gefunden, die mir aus der Seele sprechen (siehe unten).
MEIN kleines Hippieherz freut sich über Aussagen wie diese hier: ‚Die beschämenden, unendlich traurigen Ereignisse von Paris können wir nur als Anlass nehmen, wieder mehr Verantwortung und Freude am WIR zu entwickeln.‘
Ich möchte hinzufügen:
Dem deprimierenden Hass und der Mordlust des Menschen, der Gier und dem Eigensinn, der Angst und der Feindseligkeit vor den uns Fremden und dem dummen Reflex, seine Frustrationen und Wut an den noch schwächeren und hilfloseren auszulassen, ist doch am Besten mit mehr Positivität, Gemeinschaftssinn, Engagement und
(Nächsten-)Liebe entgegenzutreten.
Der Welt ist nicht geholfen, wenn man sich durch den menschlichen Wahnsinn deprimieren und verbittern lässt.
Oder?
Liebe Grüße.
Gisbert.

‚Was für ein Tag!
Die Bilder aus Paris und der ganzen Welt haben mich sehr bewegt.
Über anderthalb Millionen Menschen, darunter über 50 Staatschefs und Repräsentanten, Muslime, Juden und Christen friedlich auf der Straße. Dazu die Solidaritätsbekundungen in Frankreich, Europa, rund um den Erdball, auch aus der arabischen Welt!
Mein kleines Hippieherz weiß gar nicht wohin mit sich. Und das Hirn dazu hat sich Gedanken gemacht.
Es ist schon erstaunlich, wie anders man Nachrichten über Terrorakte wahrnimmt, wenn Sie nicht am – gefühlt – anderen Ende der Welt stattfinden, sondern mehr oder weniger in der eigenen Mitte. Die wunderbare Anteilnahme die Frankreich heute erfahren hat, wird die einem Land wie zum Beispiel Nigeria oder Syrien je zuteil werden? So tief erschütternd die Ereignisse waren und so beeindruckend stolz und geeint die Franzosen heute darauf reagiert haben, es zeigt doch in was für einer Wattebauschwelt wir Mitteleuropäer bisher gelebt haben. In unserer kleinen Friedensenklave. Selbst Madrid, London, Toulouse, Oslo, Utoya, ect. konnten unserem Sicherheitsgefühl nur kurz etwas anhaben.
Es wurde darüber diskutiert, wer alles Charlie ’sein‘ darf.
Welche Personen, Medien und Gruppierungen die Solidaritätswelle nur reiten, um die Emotionen zum eigenen Vorteil zu nutzen.
In der Tat, schwer vorzustellen, dass beispielsweise die Organisatoren und Aktivisten der PEGIDA-Bewegung ein linkspolitisches Satire-Magazin wie Charlie Hebdo für lesens- oder schützenswert gehalten hätten noch vor ein paar Tagen… nunja, anderes Thema.
Auch die französische Öffentlichkeit stand sicher nicht so geschlossen hinter der zuletzt eher auflagenschwachen Zeitschrift und deren Inhalten.
Und doch waren so viele da. Wissend, dass die Charlie Hebdo-Redakteure nicht stellvertretend für eine der Weltreligionen ermordet wurden. Sondern, dass sie Opfer unseres Verständnisses von Freiheit wurden.
Die Tatsache, dass die Extremisten Franzosen waren, macht die Situation besonders hart – und NOCH weniger nachvollziehbar.
Diese drei jungen Männer gehörten zur Gesellschaft und wurden von ihr irgendwann verloren. Diese Gesellschaft, das sind in Frankreich, genauso wie bei uns, wohl oder übel immer WIR alle. WIR Bürger, WIR Journalisten, WIR Politiker.
In Frankreich gestalten sich die sozialen Gefüge noch einmal etwas anders als bei uns. Aber dass die Kacke auch in Deutschland ordentlich am dampfen ist, sehen wir beispielsweise jeden Montag in Dresden. Die Ängste dieser Menschen sind ja nicht ausgedacht, die sind ernst zu nehmen, anzupacken und im Zweifel: aufzuklären. Unbedingt!
Die beschämenden, unendlich traurigen Ereignisse von Paris können wir nur als Anlass nehmen, wieder mehr Verantwortung und Freude am WIR zu entwickeln. Demokratie ist verdammt anstrengend und zerbrechlich. Deshalb müssen wir unbedingt im Dialog bleiben!
Auch mit Volltrotteln und Verirrten. ‚ Johanna Maria Knothe“

 

Rock and Roll.

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