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Das Album der Woche


Death Cab For Cutie – Asphalt Meadows (2022)

-erschienen bei Atlantic/Warner-

Die Karriere der US-Indie-Rocker Death Cab For Cutie verlief seit der Bandengründung Mitte der Neunziger so konstant und beschaulich wie nur wenig anderes. Öffentlichkeitswirksame Skandale, zertrümmerte Hotelzimmer oder wilde Drogenabstürze? Wer solch heißen Gossip-Shit aus tausendundein Nächten voll von Sex, Drugs und Rock’n’Roll suchte, der musste in den letzten 25 Jahren woanders klopfen. Bei dem Quintett aus Bellingham, Washington geht es seit jeher so solide zu wie in einem mittelständisch-kleinstädtischen Handwerksbetrieb: Alle drei bis vier Jahre stellt die Truppe um Frontmann Benjamin Gibbard verlässlich eine neue Platte in die Regale, die zwar selten den Status eines Meisterwerks innehat, aber ebenso verlässlich schöne, herbstlich-feierliche Musik liefert, irgendwo an der Grenze zwischen Indie Pop, Emo (freilich frei von Kajal und Weltschmerz-Weinerlichkeit) und College Rock der frühen Nullerjahre. Natürlich mögen Großwerke wie „Transatlanticism“ oder „Plans“ bald zwanzig Jahre zurückliegen, doch anstatt an immer neuen Sentimentalitätsaufgüssen altbewährter Erfolgsformeln zu scheitern, such(t)en Death Cab For Cutie ihr Heil stets in der sanften Kurskorrekturen: So wurden in der Vergangenheit beispielsweise Prog- und Post-Rock-Anflüge eingeflochten oder auch mal Electronica-Sperenzchen integriert. Dass all das nicht immer von künstlerischen Erfolgen gekrönt war, vor allem zuletzt auf Langspiellänge mitunter etwas dröge geriet und das jüngste, 2018 erschienene Werk „Thank You For Today“ seine Beschaulichkeit bereits im Titel vor sich her trug? Geschenkt. Das Werkeln an der nach obenhin offenen Gigantomanie-Skala überließen Gibbard und Co. schon immer den U2s, Muse’ses und Tools da draußen. Umso erstaunter darf man beim Lauschen von „Asphalt Meadows„, dem nunmehr zehnten Studioalbum der Band, feststellen, dass sich selbiges um einiges häufiger in handfester ROCK-Musik erprobt – und die Großbuchstaben sind hier kein Versehen. Klare Sache: So dringlich, so offensiv und stringent klangen Death Cab For Cutie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Und das hat durchaus seine Gründe…

Den ersten davon lässt bereits das im Albumtitel enthaltene Oxymoron erahnen: Asphalt und Wiesen, deren Kontrast offenlegt, wie selten sich in unser aller heutigen Lebenswirklichkeit Moderne und Fortschritt mit Naturpflege und sattem Grün vereinen lassen. Ben Gibbard hatte in den Lockdowns der (hoffentlich) zurückliegenden Corona-Pandemie, welche er sich unter anderem mit regelmäßigen Livestreams vertrieb, einige Zeit zum Grübeln – und zum Sorgenmachen über den Weg, welche die Menschheit mitsamt von Klimakrisen, Kriegen, oder tumben Clowns in Führungsämtern eingeschlagen hat. Kein Wunder also, dass dem 46-jährigen Musiker, seit eh und je politisch interessiert und karitativ umtriebig, für die neusten Songs seiner Haupt- und Herzensband alles andere als nach betulicher Danke-und-Shangri-La-Gemütlichkeit war. Der zweite Grund ist in der Bandhistorie zu finden: Gab Ben Gibbard nach dem 2014er Abgang von Gitarrist und Gründungsmitglied Chris Walla (der zudem auch noch für die Albumproduktionen hinter den Reglern saß) noch vor einiger Zeit zu Protokoll, dass die gesamte Zukunft der Band auf seinen Schultern laste, zeigt nicht zuletzt der Blick in die aktuellen Songwriting-Credits, dass die neue Besetzung, zu der neben Bassist Nick Harmer und Schlagzeuger Jason McGerr nun auch Gitarrist Dave Depper und Keyboarder Zac Rae fest dazu stießen, endlich zusammengewachsen ist – jeder bringt Ideen in die Stücke ein, jeder hat seinen festen Platz im kreativen Entstehungsprozess. Durchaus verständlich, dass diese basisdemokratische Bandchemie dem ohnehin nie überaus extrovertiert auftretenden Gibbard die deutlich liebere ist.

Dennoch besteht so die Gefahr, dass zu viele Songschreiberköche die akustischen Endprodukte verderben – was jedoch im Fall der elf Songs von „Asphalt Medows“ nie passiert. Ganz im Gegenteil, wie bereits der vorab veröffentlichte Zweiminüter „Roman Candles“, ein Song über die existenzielle Angst auf einem sterbenden Planeten, unter Beweis stellt: Die Melodie geht runter wie selbstgemachter Zitroneneistee am wärmsten Tag des Jahres, während die Gitarren sirenenhaft aufheulen und das Schlagzeug einen dezenten, an The National gemahnenden Bryan-Devendorf-Vibe versprüht. Da hört her – Death Cab For Cutie wissen endlich wieder zu irritieren und faszinieren! Natürlich rocken Gibbard, Harmer, McGerr, Depper und Rae auch 2022 nicht breitbeinig und mit üblen Klischee-Posen – nein, diese neue Dynamik, zu der nicht nur ein gleichberechtigter Songwriting-Prozess innerhalb der Band, sondern auch Produzent John Congleton beitrug, wird fein säuberlich in den bestehenden Bandsound integriert. So beginnt etwa das famose „Foxglove Through The Clearcut“ mit einem Spoken-Word-Intro und entwickelt seine schimmernde Post-Rock-Aura im Laufe der fünf Minuten Spielzeit: kristallklare Gitarren bilden die shoegazende Grundlage, auf der Schlagzeug und Bass ein spannendes Rhythmusgebäude errichten, während Gibbard einen Naturbeobachter die Misere der Menschheit schmerzlich pointiert darlegen lässt und dafür in den Strophen sogar auf Gesangsmelodien verzichtet. Hier, fernab von den glossy Gitarren und den weiten Hallräumen des Vorgängeralbums, klingen Death Cab For Cutie wie eine US-Westküstenband der späten Neunzigerjahre, welche die Sollbruchstelle von Post-, Math- und Experimental-Rock zu bestimmen versucht. „Here To Forever“ findet seine Inspiration noch mal ein Jahrzehnt davor, denn insbesondere in den Synthie-Schlieren, die sich auf markante Art durch die Nummer ziehen, scheinen die besseren Seiten der Achtziger ihren Widerhall zu finden.

Zwischen all diesen stilistischen Kurswechseln und Sprüngen in vergangene Dekaden haben sich aber auch die „klassischen“ Death-Cab-For-Cutie-Hits gemischt, jene Songs also, die man nur zu gerne auf Mixtapes packen beziehungsweise in Playlists schieben möchte, am besten irgendwo zwischen Nada Surf, Teenage Fanclub und The Dismemberment Plan (man denke nur an den wohl ewig unübertroffenen Balladengeniestreich „I Will Follow You Into The Dark„!). „Pepper“ kommt in der Folge eher als akustisches Intermezzo daher, ein perlender Gitarrenpop-Song mit netter Hook, der so süßlich den letzten Kuss seines Gegenübers einfordert, dass man diesem Aufruf öfter als nötig Folge leisten möchte. Die behutsamen Tontupfer des geschmeidig fließenden potentiellen Herzstücks der der Platte, „Fragments From The Decade“, lullen in Prefab Sprout-Style ein. Das sagenhaft verträumte Teil platziert sich weit hinten als Highlight in der Tracklist und endet nach sphärischen Keyboard-Fantasien in einer Geräusch-Kaskade, die so klingt, als drehe man Tastenmann Zac Rae den Saft ab. Sicherlich wird eine Band anno 2022 mit derlei Kompositionen von ach so edgy Popkultur-Feuilletonisten und jedem noch so beschissenen Trend nachjagenden Pitchfork-Jüngern nicht über den immergrünen Hype-Klee gefeiert – auch dies ist eine Konstante in der Karriere dieses so sympathisch unscheinbaren – und deswegen umso näher ans Hörerherz reichenden – Quintetts. Doch wenn sich Death Cab For Cutie im finalen „I’ll Never Give Up On You“ die Klaviermelodie von Radiohead leihen, wenn gleich im Albumeinstieg „I Don’t Know How I Survive“ synkopische Keys-Hüpfer und rhythmische Betriebsamkeit mit Electro-Verzierungen eine aufgedrehte Melodrama-Hook untermalen, wenn sich in der vorwärts hoppelnden Hitsingle „Here To Forever“ Bass und Schlagzeug ein Wettrennen um die Aufmerksamkeit des Hörers liefern und der Titelsong eine extragroße Portion Melancholie versprüht, dann weiß man, dass man hier richtig ist. Bei den netten, gar nicht mehr so jungen Jungs von nebenan, die selbst mit den einfachsten Mitteln, mit ihrem bittersüßen Pathos, mit ihrem konzisen Songwriting, das an den richtigen Stellen die richtigen Signale sendet, immer noch begeistern können. Musik wie ein Nachausekommen.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Manchester Orchestra – „The Alien“


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Obwohl es in den letzten Jahren etwas stiller um Manchester Orchestra geworden ist, dürfte es wohl kein Geheimnis sein, dass die vierköpfige Band aus Atlanta, Georgia zu meinen absoluten Herzensbands zählt und mindestens die beiden Alben „Mean Everything To Nothing“ (2009) sowie „Simple Math“ (2011) auch heute und in gefühlten einhundert Jahren noch über jeden Zweifel erhaben sind – man höre nur Songs wie „Shake It Out„, „Simple Math“ oder „Virgin“ und staune…

Dass „still“ nicht unbedingt „stillstehend“ bedeutet, zeigt sich nun, denn Frontmann Andy Hull, der nebenbei noch gut beschäftigt mit seinem Solo-Projekt Right Away, Great Captain!, dem zweiten Band-Projekt Bad Books (bei dem unter anderem auch der nicht minder tolle Kevin Devine mitspielt) sowie dem Soundtrack zum spleenigen Film „Swiss Army Man“ war, sowie Robert McDowell, Tim Very und Andy Prince haben fleißig am Nachfolger zum 2014 erschienenen Album-Doppelschlag „Cope“ / „Hope“ (das eine die stürmische, das andere die ruhige Seite) geschraubt.

0888072031326Glaubt man den ersten Vorboten zum am 28. Juli erscheinenden sechsten Werk „A Black Mile To The Surface„, welches von Catherine Marks (PJ Harvey, The Killers) und John Congleton (St. Vincent, Explosions In The Sky, Strand Of Oaks) produziert wurde, so hüllen sich die elf neuen Stücke in eine um einiges atmosphärischere Soundschicht als noch etwa „Cope“. „The Gold“ etwa treibt über viereinhalb Minuten gemächlich voran, ohne wirklich je auszubrechen. Zwischendurch schlagen die Gitarren leichte Wellen, lassen den Song luftig klingen und geben Sänger Andy Hull ausreichend Raum für dessen weiche Stimme.

Aus ganz ähnlich balladeskem Kerbholz haben Manchester Orchestra auch den zweiten Vorboten „The Alien“ geschnitzt: Ganz sacht erzeugen die Instrumente schüchterne Indierock-Melodien, über die Hull zerbrechlich singt. Der Song erzeugt mit Piano-Einsprengseln und hallenden Vocals eine leicht träumerische Atmosphäre, in seinen fünfeinhalb Minuten wagt auch „The Alien“ es nicht ein einziges Mal, auch nur kurz auszubrechen – wäre da nicht Hulls dezent hohes Gesangsorgan, man könnte glatt die Chef-Melancholiker von The National hinter dem Song vermuten (allerdings könnten die stimmlichen Unterschiede zwischen Andy Hull und Matt Berninger größer kaum sein). Inhaltlich geht es in dem Stück darum, welche kleinen und großen Effekte die eigene Familie auf einen ausübt. Der Clip setzt die Geschichte eines Mannes, der laut Hull „eine hochmütige Entscheidung mit schlimmen Konsequenzen fällt“, in einem erzählerischen Video um. Das Musikvideo läuft rückwärts und zeigt dabei alte Aufnahmen eines glücklichen kleinen Mädchens mit ihrer Mutter sowie Bilder aus der Gegenwart, in denen sie erwachsen ist. Zu Beginn liegt die junge Frau im Garten vor ihrem Haus, später zeigt das Video, wie sie dorthin herunterstüzte. Ein Mann wird dabei immer nur kurz, unzufrieden und leer aussehend eingeblendet.

Zwei Vorab-Songs von „A Black Mile To The Surface“, zwei Beweise, dass sich Manchester Orchestra klanglich dehnen und weiterentwickeln können, ohne auch in ruhigeren Gefilden allzu viel an Intensität einzubüßen. Ob denn die bisher so geliebten Alternative-Rock-Anwandlungen von Andy Hull und Co. ebenfalls aufs neue Album zurückkehren werden? Man darf gespannt sein…

 

 

„The lights were low enough you guessed
You swapped your conscience with your father’s medication
Limped from Rome to Lawrenceville
And on the way wrote out a self made declaration
And when you got to Pleasant Hill
You forced the traffic to erase your family demons
And made a pact with you and god
If you don’t move I swear to you I’m gonna make ya

Do you need me?

When the first officer arrived
It happened to be the high school bully of your brother
When you finally recognised
You felt some guilt that you had even let him touch you
„Can you hear me, what’s your name?“
You could not speak just laid amazed at all the damage
As the high school’s letting out
All the kids are saying the same thing that they used to

It’s an alien…

The lights are low enough you guessed
Hospital food, there’s never enough medication
The doctor asked about your ears
You said your mom said you were made from a revelation
The revelation never scares
Your fear came from your drunken dad and a pair of scissors
„Were you just finally letting go?“
„Did you mean to take out all those people with you?“

Didn’t mean to…

Oh I didn’t mean to…

Time is here to take your last amendments and believe them on your own
Time is here to take you by the hand, and leave you there alone
Time has come to take the last commandment and to carve it into stone
Time has come to take you by the hand, and leave you here alone“

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Strand Of Oaks – Heal (2014)

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Ach kommt, wir baden noch ein wenig in Klischees…

Schaut man sich Timothy Showalter (allein der Name öffnet weiteren Anspielungen quasi bereits Tür und Tor!) nur einen Moment an, so kämen den meisten bei dessen Äußerem – amtlicher Vollbart, kaum weniger amtliche Langhaarzottelmähne, Tattoos, schwarzes Shirt (bevorzugt mit dem Logo einer Metal-Band), ausgefranste Jeansweste – sicherlich so einige potentielle – und mal mehr, mal weniger stete, einträgliche – Berufsbilder in den Sinn: freigeistiger Herumtreibetramp, Frontmann einer skandinavischen Heavy Metal-Kapelle, Roadie beim Wacken oder Hauptdarsteller der Biker-Serie „Sons Of Anarchy“ etwa. Nur eine Profession würde sich wohl auf kaum einer der Kopfkino-Listen wiederfinden: Lehrer. Denn mal ehrlich: Welches Mittelklasse-Elternpaar wäre zunächst einmal gewillt, den eigenen Nachwuchs „einem wie Showalter“ anzuvertrauen? Gar nicht auszudenken, was die lieben Kleinen dann alles lernen (oder nicht lernen) mögen – Verrohung, schwarze Messen, anzügliche Lebensgeschichten… ihr kennt sicherlich derlei Gedankenspiele. Und trotzdem ist Showalter studierter Pädagoge, bevor ihn (s)eine andere Leidenschaft dazu bewog, den alltäglichen Broterwerbsjob an den sprichwörtlichen Nagel zu hängen…

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Und bereits hier wird das Klischee (zumindest teilweise) zum zweiten Mal mit Füßen getreten, denn obwohl es sich bei Timothy Showalters erwähnter Leidenschaft in der Tat um die Musik handelt, wollten weder das 2009 erschienene Albumdebüt seines Projektes Strand Of Oaks, „Leave Ruin„, noch der bereits ein Jahr darauf veröffentlichte Nachfolger „Pope Killdragon“ so recht zum Äußeren des heute 32-Jährigen aus dem 32.000-Einwohner-Städtchen Goshen, Indiana passen. Ganz im Gegenteil: Während der Erstling in nahezu klassischen 43 Minuten auf folkloristisch ruhigen Gewässern á la James Taylor oder (dem frühen) Sufjan Stevens dahin gleitet, begeistert „Pope Killdragon“ mit seinen heimlichen Instant-Hits „Sterling“ oder dem Doppel aus „Alex Kona“ und „Giant’s Despair“, bis sich der Hörer seine Lauschmuscheln vollends in den Sog aus akustischen wie elektrischen Gitarren, aus Synthesizer- und Percussionschleifen, ummantelt von Showalters glockenhell klarer Stimme, verwoben hat. Ein Meisterwerk aus tragisch-mystischen Geschichten und tollen Melodien, das vor vier Jahren viel zu wenig Zuhörer fand, zu allem Überfluss gar von Showalter im Selbstvertrieb beworben werden musste! Dass Album Nummer drei, „Dark Shores„, 2012 die Folk-Zügel ein wenig mehr anzog und bei aller Hinwendung zu nahezu poppigen Melodiebögen die eigenen Alleinstellungsmerkmale ein stückweit aus den Augen verlor, mochte man aus rein künstlerischer Sicht mit einem sachten „Schade drum!“ abgetan haben. Doch mit dem Wissen, dass der Musiker zwei Jahre zuvor seine heutige Frau Sue geheiratet hatte und mit dem Umzug von der Kleinstadt in die weltoffene 1,5-Millionen-Einwohner-Ostenküsten-Metropole Philadelphia neuen Schwung und allerlei positiven Auftrieb bekam, sei Showalter dieser Durchhänger (als Gesamtwerk, das freilich auch wieder einzelne kleine Glanzlichter bot) in der Strand Of Oaks-Diskografie gegönnt. Erst recht, wenn man mit „Heal“ nun Album Nummer vier hört…
Dabei bewahrheitet sich einmal mehr, was der große Singer/Songwriter und Oscar-Preisträger Glen Hansard (u.a. The Frames, The Swell Season) einmal über das Songschreiben zu Protokoll gab: „Ich glaube, wenn du Liebeskummer hast, ist es sehr viel leichter, sich hinzusetzen und ein Lied zu schreiben. Wenn ich down bin, traurig und einsam, dann finde ich im Musikmachen Frieden und Ruhe. Wenn ich aber glücklich bin, verliebt, wenn alles großartig ist – dann ist meine Gitarre das Letzte, woran ich denke. Das ist wie mit Tagebüchern: An glücklichen Tagen bleiben die Seiten leer.“. Denn auch Timothy Showalter bekam für den Nachfolger zu „Dark Shores“ nicht eben wenig Gründe für tiefgründig inspirierte neue Stücke geliefert: die eigene Ehe steckte durch Vertrauensbrüche und drohende Entfremdung beider Seiten in einer heftigen Krise, die Musikkarriere – immerhin für die Brötchen des nächsten Tages nicht eben unerheblich! – wollte nicht so recht zünden – und zu allem Überfluss geriet Showalter am Weihnachtstag des vergangenen Jahres noch in einen schweren Autounfall, der ihn mit ein bisschen weniger schicksalhafter Güte wohl um ein Haar das Leben gekostet hätte. Und genau an dieser Stelle wird es – Obacht! – erstaunlich, denn wo andere sich über Tage, Wochen und Monate vergraben hätten, um den eigenen Gram in literweise Hochprozentigem zu ertränken (derlei Problematiken schleppte er Strand Of Oaks-Vorsteher zu allem Überfluss auch mit sich herum) und sich an traurigen Minnengesängen á la Nick Drake zu probieren, marschierte Timothy Showalter vom Krankenbett schnurstracks ins Aufnahmestudio von Produzent John Congleton (u.a  St. Vincent, Baroness, Antony and the Johnsons, The Roots), um all die aufgestauten Gefühle und frustrierenden Wirren rund um Ehe, Karriere und die Nahtod-Erfahrung des Unfalls in Songs zu packen. Zehn Stücke später bleibt dem Hörer wohl nur ein Schluss übrig: alles richtig gemacht.

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“My friend made a good comparison: he said my creative faucet was turned on. And it was turned on so heavy that I couldn’t stop it. That’s why the songs sound so different from one another, there was no editing. Still, it wasn’t that it was effortless, it was more uncontrolled…”

Dabei geht bereits die Eröffnungsnummer „Goshen ’97“ in einer Art und Weise in die Vollen, wie man es von Showalter beziehungsweise dessen Musik gewordenem Alter ego Strand Of Oaks kaum für möglich gehalten hätte: satt aufgedrehte elektrische Gitarren, fidele Uptempo-Stampfbeats und vergnügt jubilierende Synthiebögen zeichnen in passgenau drei Minuten die grobe Wegbeschreibung für die 43 Minuten von „Heal“ vor. Dazu träumt sich der Bandvorsteher zurück in die selig scheinenden Kleinstadt-Teenagerneunziger („I was riding in the basement / Buying Cassios with my friend / Then I found my dad’s old tape-machine / That sip the magic again“), bevor alles so erwachsen wurde („I was lonely, but I was having fun“) und ihm die Scheidewege des Jetzt ins Gedächtnis gerufen werden: „I don’t wanna start all over again“. Wer bei „Goshen ’97“ nicht an Referenzen wie die Smashing Pumpkins oder die gitarrengniedelnden Indierock-Hohepriester von Dinosaur Jr. (deren Saitenmaestro J Mascis höchstselbst spielte für den Song übrigens – kein Witz! – die charakteristisch kurzen Gitarrensoli ein) denken muss, hat wohl die Neunziger verschlafen (oder war damals noch zu jung oder bereits zu alt)… So darf’s weitergehen? Freilich. Doch bereits das Titelstück („Heal“) greift ein wenig weiter in der Musikhistorie zurück, wenn sich Showalter und seine musikalischen Gehilfen zu dunkeln Synthesizerflächen und maschinellen Drumsalven in die Untiefen von Post Punk und Dark Wave begeben, dass man beinahe meint, man stände im Proberaum von Joy Division, irgendwo in einem abrissreifen Fabrikgelände Manchesters Ende der Siebziger. Wie als Selbsterweichungsmantra wiederholt Showalter immer und immer wieder die Zeilen „You gotta heal!“, bevor der Song nach vier Minuten unvermittelt im dreckig-grauen Rinnsal versinkt. In „Same Emotions“ taucht der Musiker darauf noch tiefer ins eigene Beziehungschaos ein, verpackt Zeilen wie „My love / My life / I was living in the same emotions“ in Türme aus Synthies und Stampf, bevor er sich im kämpferischen „Shut In“ zuerst selbst betrauert („I was born in the middle / Middle too late / Everything good had been made / So I just get loaded / And never leave my house / It’s taking way too long to figure this out“), nur um der eigenen Lethargie zu übersteuerten Gitarren ebenso grimmig ins Angesicht zu schauen: „It’s not as bad as it seems / And I always try and wait to get better / Even if we’re alone“. Und plötzlich ist da Licht, das selbst die im Grunde kalten Synthesizerflächen durchflutet und Stücke wie „Woke Up To The Light“, „Plymouth“, „Mirage Year“ oder „Wait For Love“ einige Meter gen Firmament hebt, während „For Me“ Neil Youngs Rock-Outfit-Begleitband Crazy Horse mit der Rotzigkeit des Indierocks der Neunziger verheiratet. A propos Neil Young und Crazy Horse: Wer bei „JM“, Timothy Showalters ebenso gelungnem wie bewegendem Siebeneinhalbminuten-Lamento an den im März 2013 im Alter von nur 39 Jahren verstorbenen US-Singer/Songwriter Jason Molina, ob der sinnbildlichen Klimax und der überbordenden Gitarren keine Träne im Augenwinkel sitzen hat und nicht mindestens zwanzig Mal an den längst legendären Kanada-Rocker denken muss, sollte „Heal“ in Gänze von Neuem beginnen…

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Freilich lässt sich durch „Heal“ höchstens erahnen, mit wieviel Frust und Fragen Timothy Showalter da vor ein paar Monaten ins Studio gestapft sein muss, um Strand Of Oaks viertes Album in Angriff zu nehmen. Sicherlich wird er aus den neusten zehn Stücken seiner Bandbiografie kaum den „Masterplan“ fürs Leben und Lieben ziehen können. (Wer kann das schon?) Doch: Man merkt nur allzu deutlich, dass sich hier einiges an Zweifel und Lebenswillen angestaut hat, was einfach „raus musste“ – kein Wenn, kein Aber, längst kein Verstecken (mehr). „Heal“ ist eine reine Trotzreaktion, ein sinnbildlich erhobener Mittelfinger an das Geht-nicht und Kann-nicht, gegossen in derbe und prominent inszenierte Synthesizer, brachial-feine Gitarrenrocker und wahrhaft kathartische Momente. Groß und unerwartet kommt das Album daher, und obwohl man sich insgeheim wünscht, dass Showalter noch einiges dieser Güteklasse für die Zukunft parat haben mag, so sehr wünscht man ihm auch, dass der Albumtitel ganz pragmatisch für sein (Privat)Leben stehen mag und die Zeit, die eben noch Wunden aufgerissen hat, diese auch heilen lässt. Und falls es Strand Of Oaks auch im vierten Anlauf nicht zu prominenteren „musikalischen Weihen“ (sprich: kommerziellem Erfolg, vom dem man leben kann) schaffen, bliebe ja immer noch das Pädagogische. Denn mal ehrlich: Viel cooler und kredibler als Timothy Showalter kann ein Lehrer kaum sein, oder?

 

 

Hier kann man sich die Musikvideo zu „Goshen ’97″…

…“Shut In“ (als gespielte Stunde beim Therapeuten)…

…und „Same Emotions“ (in feinster Vampir-B-Movie-Manier!)…

…sowie eine Akustik-Darbietung des Songs „Woke Up To The Light“ vor der Berliner East Side Gallery im Juni diesen Jahres ansehen…

 

…sich auf NoiseTrade kostenfrei (!) und lediglich gegen Angabe einer Mail-Adresse Strand Of Oaks kürzlich aufgezeichnete „World Cafe Session“ sowie das vier Jahre junge Meisterwerk „Pope Killdragon“ auf heimische digitale Abspielgerät laden…

…während die Bandcamp-Seite (beinahe) alle Alben von Strand Of Oaks im Stream sowie die Demos zu „Pope Killdragon“ zum Download nach dem „Name your price“-Prinzip bereit hält.

 

Rock and Roll.

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