Man mag ihr vieles vorhalten können, jedoch kaum, das Credo „Carpe diem“ nicht gelebt zu haben, bevor sie in den oft beschworenen (und unlängst von Thees Uhlmann auch besungenen) „Club 27“ einkehrte… Heute wäre Janis Joplin80 Jahre alt geworden.
Egal ob sie nun aus dem Musiker-Business, aus der Sportwelt, aus Hollywood oder dem Superhelden-meets-Superschurken-Universum stammen – der aus Israel stammende und in Kalifornien beheimatete Grafikdesigner Gil Finkelstein verjüngt unter dem Titel „The Baby Superstar“ via Instagram auf ebenso kreative und humorvolle wie herzallerliebste Weise die hinlänglich bekannte Prominenz, die zwar hier vor allem durch volle Windeln von sich reden machen mag, sich jedoch oft genug auch durch das ein oder andere „Markenzeichen“ zu erkennen gibt… Prädikat: sollte man gesehen haben.
Chip Taylor. Nie gehört? Keine Sorge, ging mir genauso.
Vielleicht klingeln ein paar Glöckchen mehr, wenn man weiß, dass der Mann eigentlich James Wesley Voight heißt und damit der jüngere Bruder von Hollywood-Eminenz Jon Voight und der Onkel von Angelina Jolie ist. Da schau her! Und damit nicht genug, denn außerdem gehen sogar einige *hust*recht bekannte Songs auf sein Songwriter-Konto: etwa „Wild Thing„, das er in den Sechzigern innerhalb weniger Minuten komponierte und daraufhin der britischen Garage-Rock-Band The Troggs überließ, die das Stück wiederum 1966 zum immergrünen Millionenseller machten. Oder „Angel Of The Morning„, geschrieben für Merrilee & the Turnabouts, und später, 1981, sehr erfolgreich von US-Country-Popsängerin Juice Newtongecovert. Oder „Try (Just A Little Bit Harder)„, das anno 1969 eine gewisse Janis Joplin aufnahm. Oder…
Nach all diesen Quasi-Ghostwriter-Erfolgen für andere Künstler versuchte Chip Taylor, der eigentlich professioneller Golfspieler werden wollte, in den Siebzigern selbst sein Glück im Musikgeschäft, hängte Ende des Jahrzehnts diesen Traum (vorübergehend) wieder an den tönenden Nagel, und schlug wiederum einen neuen Karriereweg als professioneller Glücksspieler – beim Black Jack und bei Pferderennen – ein.
Long story short: Besonders viel Fortune schien er damit nicht gehabt zu haben, denn 1996 nahm Chip erneut die Gitarre zur Hand, und interpretierte auf seinem Comeback-Album „Hit Man“ einige seiner alten Songs – unter anderem „Wild Thing“, „Angel Of The Morning“ oder „Son Of A Rotten Gambler“, einst geschrieben für seinen Sohn Kristian und 1974 durch eine Version der Hollies erfolgreich geworden – neu. Seitdem blieb der mittlerweile 79-jährige Chip Taylor seiner alten Liebe, der Musik, treu, veröffentlicht beinahe im Jahrestakt neue Alben und tourt ebenso emsig durch die Weltgeschichte (und tritt gar ab und an mit dem älteren Bruder und den Enkelkindern auf).
Ich selbst bin durch den Song „Fuck All The Perfect People“ auf Chip Taylor gestoßen, welcher unlängst Teil des Soundtracks der Netflix-Serie „Sex Education“ war (ebenso übrigens wie eine feine Coverversion des Regina Spektor-Stückes „On The Radio“). Ebenjenes „Fuck All The Perfect People“ stammt von Chip Taylors 2012 veröffentlichten Album gleichen Titels, welches er gemeinsam mit deiner skandinavischen Tour-Band The New Ukrainians aufnahm. Darauf zu hören: 16 Songs, die mal spontan durchgeklampft, mal nach rauem Country, mal nach erdigem Roots Rock klingen. Songs über das Unterwegssein und das Leben im Schatten (von dem Chip Taylor ja schon allein seiner Verwandtschaft und seiner Songwriting-Credits wegen das ein oder andere Lied singen kann). Oft wirkt das Storytelling-Ergebnis düster, aber nie verzweifelt, manchmal mit bluesigem Unterton, dann wieder honkytonk-mäßig. Und wenn der ein oder andere Song dann noch mit einem so tollen, so sympathischen Musikvideo wie zu „Fuck All The Perfect People“, welches Menschen im alltäglich-urbanen Gewusel von New York City zeigt, daher kommen, dann gerät das eigene Leben für knapp fünf Minuten zur Nebensächlichkeit… Eine Entdeckung, der Mann – und lieber spät als nie!
„To be or not to be To free or not to free To crawl or not to crawl Fuck all those perfect people!
To sleep or not to sleep To creep or not to creep And some can’t remember, what others recall Fuck all those perfect people!
Sleepy eyes, waltzing through No I’m not talking about you!
To stand or not to stand To plan or not to plan To store or not to store Fuck all those perfect people!
To drink or not to drink To think or not to think Some choose to dismember, you’re rising your thoughts And fuck all those perfect people!
Sleepy eyes, waltzing through No, I… I’m talking about you!
To sing or not to sing To swing or not to swing (Hell) He fills up the silence like a choke on the wall Fuck all those perfect people!
To pray or not to pray To sway or not to sway Jesus died for something – or nothing at all Fuck all those perfect people!
Sleepy eyes, waltzing through No, I… I’m talking about you!“
„Chelsea Hotel #2„? Aye, Sir – großartig. Ein Klassiker der klassischsten Leonard-Cohen-Machart, veröffentlicht anno 1974 auf dem vierten Studioalbum des im vergangenen Jahr verstorbenen Troubadour-Großmeisters und Ladies‘ Man, „New Skin For The Old Ceremony“. Geschrieben vielleicht im, in jedem Fall über das Chelsea Hotel, jene berühmt-berüchtigte Absteige im New Yorker Künstler- und Einkaufsviertel Chelsea, 1883 erbaut und bis 1902 sogar das höchste Gebäude des Big Apple. Dass ebenjenes Hotel erst ab den Sechzigern, als sich zahlreiche Musiker, Schriftsteller und Künstler wie Salvador Dalí, Thomas Wolfe, Arthur Miller, Dylan Thomas, Charles R. Jackson, Nico, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Catherine Leroy, Valerie Solanas, Patti Smith oder eben Leonard Cohen sprichwörtlich die Klinke in die Hand gaben, Berühmtheit erlangte – alles Musikhistorie. Ebenso wie der Fakt, dass es ausgeflippten Kunstschaffenden wie Andy Warhol und seiner „Factory“ als „Spielwiese“ für deren später wegweisende Film- und Kunstaktivitäten diente (Velvet Underground, anyone?). Oder die Tatsache dass ebenda im Jahr 1978 ein zwar absolut talentfreier, jedoch charismatisch-durchgedrehter Bassist mit dem Künstlernamen Sid Vicious (Sie wissen schon: die Sex Pistols – ihres Zeichens die welterste zusammen gecastete Punk-Boygroup) im Zimmer Nummer 100 seine Freundin Nancy Spungen – mutmaßlich im Drogenrausch – erstach und im Jahr darauf im selben Zimmer an einer Überdosis verstarb. Da der Hotelbetrieb seit 2011 wegen Renovierungsarbeiten eingestellt wurde, und die historischen Gemäuer nördlich von Greenwich Village und südlich des Garment District in der 222 West 23rd Street bei soviel umwehtem Geist wohl heutzutage nur enttäuschen können, hält man sich doch am Besten an den unkaputtbaren Leonard-Cohen-Song, in welchem dieser in seiner unnachahmlichen Art – mutmaßlich, denn bestätigen wollte er es freilich nie – von einer zwar kurzen, jedoch wohl höchst intensiven Liebschaft mit Rockröhre Janis Joplin berichtet: „I remember you well in the Chelsea Hotel / You were talking so brave and so sweet / Giving me head on the unmade bed / While the limousines wait in the street“. Wie so oft bei Cohen gehen graue Realität und deren romantische Verklärung, Anziehung, Verlangen, sauige Leibeslust und tiefe Spiritualität Hand in Hand durch alle Zeilen: „I remember you well in the Chelsea Hotel / You were famous, your heart was a legend / You told me again you preferred handsome men / But for me you would make an exception / And clenching your fist for the ones like us / Who are oppressed by the figures of beauty / You fixed yourself, you said, ‚Well never mind, / We are ugly but we have the music'“. Wenn schon der Dylan-Bob ’nen Nobelpreis für’s Lebenswerk bekommt, dann sollte Leonard Cohen höchstbald folgen…
Kaum schlechter als das Original ist die Version von Kyle Craft, welche der im künstlerisch dicht bevölkerten Portland, Oregon beheimatete US-amerikanische Musiker kürzlich in einer Piano-Variante zum Besten gab. Apropos Kyle Craft: der 28-Jährige wird aufgrund seines leicht überreizt quengeligen Gesangsorgans gern mit Dylan verglichen, während der Bandsound seines 2016 erschienenen Debüts „Dolls Of Highland“ Vergleiche mit Bruce Springsteens E Street Band nahe legt (nicht als Rentnergang, aber in deren tighter Siebziger-Form). Außerdem recht oft in der Review-Wundertüte: Glam Rock (Bowie, T.Rex, Queen – der Hang zur pathetischen Übertreibung), erdiger Rock’n’Roll, Southern Rock (was nicht verwundert, denn Craft wurde in Shreveport, Louisiana geboren und verbrachte somit fast zwangsläufig Teile seiner Kindheit im baptistischen Kirchenchor zu). Ich selbst höre in Songs wie „Eye of a Hurricane„, „Lady of the Ark“ oder dem Titelstück des Debütalbums vielmehr Künstler wie Jesse Malin (den diesseits des Atlantiks noch immer viel zu wenige kennen) raus, während Crafts Stimmbänder gleich neben Starsailor-Frontmann James Walsh parken (Sie wissen schon, die gaaanz große Dramaschublade von „Alcoholic“ und so). Aber wie immer darf ja jede(r) gern seine ganz eigenen Vergleiche ziehen…
„I remember you well in the Chelsea Hotel You were talkin‘ so brave and so sweet Givin‘ me head on the unmade bed While the limousines wait in the street
Those were the reason an‘ that was New York We were runnin‘ for the money and the flesh An‘ that was called love for the workers in song Probably still is for those of them left
Ah, but you got away, didn’t you babe You just turned your back on the crowd You got away, I never once heard you say I need you, I don’t need you I need you, I don’t need you And all of that jiving around
I remember you well in Chelsea Hotel You were famous, your heart was a legend You told me again you preferred handsome men But for me you would make an exception
An‘ clenching your fist for the ones like us Who are oppressed by the figures of beauty You fixed yourself, you said, „Well, never mind We are ugly but we have the music“
And then you got away, didn’t you baby You just turned your back on the crowd You got away, I never once heard you say I need you, I don’t need you I need you, I don’t need you And all of that jiving around
I don’t mean to suggest that I loved you the best I can’t keep track of each fallen robin I remember you well in Chelsea Hotel That’s all, I don’t even think of you that often“
Nerviger, radioformatiger Pop, der beständig auf der Sechsziger-Jahre-Nostalgieschiene entlang fährt? Botox-H&M-Style-Püppchen? Melancholische Dauerberieselung? Klar, es gibt zugegebenermaßen so einige Gründe, nicht auf die Songs, Videos und Ästhetik von Lana Del Rey abzufahren. In der heutigen Musikwelt, in der sogenannte „Superstars“ mittlerweile eine kürzere Haltbarkeit aufweisen als ein Becher Joghurt und in etwa so interessant sind wie das Muster ein Raufasertapete (man munkelt übrigens, dass auch der IQ jener entspricht), stellen Musik und Musikvideos der 26-jährigen New Yorker Künstlerin – zumindest für mich – eine willkommene kurzweilige Abwechslung dar – allen Nostalgie-, Botox- oder Style-Vorwürfen zu Trotz…
Daran ändert wohl auch ihre Version des Leonard Cohen-Songs „Chelsea Hotel No. 2“ nichts. Zwar fügt Del Rey dem beinahe 40 Jahre alten Klassiker kaum Neuerungen zu, aber: hey, wieso sollte man denn bitte versuchen, etwas nahezu Perfektes weiter zu perfektionieren? Und irgendwie scheint das 1974 veröffentlichte Stück, in welchem Leonard Cohen seine Liaison mit keiner Geringeren als Janis Joplin verarbeitete, Misses Del Rey auch, mit all dem triefenden Herzschmerz, auf den ansehnlichen Leib geschrieben zu sein, oder?
Hier gibt’s das Video von Regisseur Ant Shurmer:
Und – auch auf die Gefahr hin, ein wenig meiner Credibility einzubüssen: Del Reys Song „Ride“ sowie der dazugehörige zehnminütige Kurzfilm zählten im letzten Jahr zu meinen erklärten Lieblingen. Höchst stylish, das Ganze, und dazu noch nett anzusehen und anzuhören! Solche Musik muss ich mir nicht unbedingt auf Albumlänge geben, aber wenn aktueller Pop, dann bitte – zum Beispiel – so…