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Das „Kliemannsland“ lodert – Jan Böhmermann demontiert Internetliebling Fynn Kliemann


„Das ist doch scheiße. Kann man nicht einmal an was Gutes glauben, ohne am Ende enttäuscht zu werden?“ Diesen Kommentar schreibt eine Nutzerin (oder ein Nutzer) unter ein YouTube-Video, eine Vielzahl weiterer Nutzer*innen stimmt dieser Aussage zu. Anlass dafür ist ein knapp dreißigminütiger Beitrag von Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ (welcher unten zu finden ist), in dem das Image von Fynn Kliemann, seit Jahren einer der freshsten, wildesten bundesdeutschen Internetlieblinge, mächtig demontiert wird.

Doch zunächst zur Erklärung für alle Analogen, Zuspätgeborenen und Unkundigen: Kliemann, 34 Jahre alt, ist – so neudeutsch, so nichtssagend – Influencer. Im Jahr 2015 begann er, lustig-anarchische YouTube-Heimwerker-Videos zu posten, kurz darauf kaufte er einen weitläufigen Bauernhof im ländlichen Niedersachsen, nannte ihn „Kliemannsland“ und baute ihn mit Helfern zu einem Veranstaltungsort aus, einem „Community-Hotspot für junge Leute“, wie „Funk“, das Jugendangebot von ARD und ZDF, welches bis 2020 daran beteiligt war, den selbsterschaffenen Ort bezeichnet. Dort treffen sich umtriebige Kreativlinge ebenso wie (Lebens)Künstler und Bastler, auch Firmen konnten Ausflüge dorthin buchen, auf denen der CEO dann einen Tag lang mit den Kollegen Fenster abschleift oder mit dem Quad durchs Gelände pflügt – Teambuiling, positive vibrations, trallala. Außerdem hat Kliemann – gemeinsam mit Böhmermanns Podcast-Partner Olli Schulz – vor nicht allzu langer Zeit Gunter Gabriels altes Hausboot gekauft und umgebaut. Dass dies einmal mehr recht medienwirksam geschah und „Netflix“ selbigem Unterfangen gar eine eigene Doku gönnte? Im Grunde nur logisch. Zudem macht Kliemann – schieb’s auf die Langeweile, aber wer will sich im Leben nicht vollumfänglich ausprobieren – chartsprämierte Musik, vermietet unter dem Kürzel „LDGG“ (Lass Dir Gut Gehen) Ferienunterkünfte und ist als Unternehmer an mehreren Firmen beteiligt. Unter anderem an „Global Tactics„, das auf seiner Website mit „fairer und nachhaltiger Bekleidung“ wirbt – ein hehres Versprechen, dem Jan Böhmermann und sein Team nun entsprechend auf den Zahn fühlen.

Vor allem aber redet Fynn Kliemann ebenso oft wie viel darüber, wie wichtig ihm soziale Projekte seien, er gibt sich als digital bewanderter, netzaffiner Robin Hood, als jemand, der Geld, diesen miesen, die Öfen des Kapitalismus stetig befeuernden Mammon, hauptsächlich nur deshalb annimmt, um irgendetwas damit zu machen, was Leuten hilft, die eben nicht so viel von jenem Geld haben. Kliemann wirkt irgendwie anarchisch und verpeilt, hat verstrubbelte Haare und trägt Klamotten, die zwar halbwegs fashionabel erscheinen, aber dennoch mit jeder bewussten Faser „Second Hand“ und „Humana“ brüllen, er macht – so zumindest der Anschein – wenig zum reinen Selbstzweck und alles für die gute Sache. So sagt Kliemann etwa 2021 in einem Video, er habe privat nie Geld, „ich hab‘ nie irgendwas, bin immer pleite eigentlich“. Das machte ihn – bislang – so sympathisch und auch so erfolgreich. Er scheint – oder eben schien – das Gegenmodell des egoistischen, gefühllosen, gescheitelten Kapitalisten zu sein.

fimbim„-Kliemanns Fallhöhe liegt also ungefähr auf Stratosphären-Ebene – und deshalb wiegen Jan Böhmermanns Enthüllungen wohl nun auch so schwer. Die anhand einer Vielzahl von internen E-Mail- und Chatverkehren, Auftragsbestätigungen, Lieferscheinen, Videos sowie Fotos belegten, recht stichhaltigen Recherchen des „ZDF Magazin Royale“ (bei dem der kreative Internetstar vor ein paar Jahren noch selbst zu Gast war) zeigen, dass „Global Tactics“, jenes bereits erwähnte Textilunternehmen, an dem Kliemann beteiligt ist, vorgegeben hatte, zu Beginn der Corona-Pandemie Stoffmasken in Portugal fertigen zu lassen – allerdings seien diese in Bangladesch und Vietnam produziert worden. Zudem sollen 100.000 fehlerhafte Masken einer Testproduktion nicht entsorgt, sondern an Geflüchtetencamps in Bosnien und Griechenland gespendet worden sein. Und glaubt man den durchaus detaillierten Recherchen von Böhmermanns Team, so wusste Kliemann darüber bestens Bescheid. Eine Vielzahl von Böhmermann zugespielten und in der Sendung gezeigten Textnachrichten enthalten außerdem mutmaßliche Belege, dass der YouTuber und sein Geschäftspartner Tom Illbruck die Herkunft der Masken, von denen laut Recherchen allein 2,3 Millionen aus Bangladesch stammten, möglicherweise bewusst verschleierten: „Bekommen wir die Kisten neutral ohne Bangladesch als Ursprung hin?“, so eine der zitierten Nachrichten. Nach Recherchen des Magazins sorgten Kliemann und Illbruck außerdem dafür, dass 100.000 Masken an Flüchtlingslager in Bosnien und Griechenland gespendet wurden, die fehlerhaft waren und so weder über Kliemanns Label „ODERSO“ noch über den Kooperationspartner „About You“ vertrieben werden durften. Kliemann selbst äußerte sich zwar bereits vor einigen Tagen auf seinem Instagram-Kanal proaktiv zu Fragen, mit denen ihn die „ZDF Magazin Royale“-Redaktion vor der Ausstrahlung des Beitrags konfrontiert hatte, aber – zumindest damals – noch nicht zu den nun verdammt konkreten Vorwürfen.

Entsprechend groß ist nun die Enttäuschung unter seinen Fans: Einer von den vermeintlich Guten ist offenbar doch einer von den Nicht-so-Guten, den geldgeilen, auf alles Schöne und Gute scheißenden Arschlöchern. #DollarZeichenImAuge Denn besonders in der grell blinkenden Wohlfühl-Social-Media-Welt der Influencer*innen darf niemand mehr einfach Kapitalist sein mit dem Ziel, selbst ein bisschen reich(er) zu werden. Nein, eigentlich soll er ja den Klimawandel stoppen, erst alle Kriege und im Anschluss noch – pünktlich nach der per Hashtag anberaumten Mittagspause – den Welthunger beenden. Er soll die Welt retten oder zumindest „ein kleines Stückchen besser machen“, wie es ebenso gern wie häufig heißt. Dass man nebenbei noch Geld – gar: eine Menge davon – verdient? Passt nicht ins Bild, verschweigt man also lieber. Auch als Start-up kann man nicht mehr nur eine gute, clevere Idee für ein Konsumprodukt haben, für das die Leute gerne ihr Geld ausgeben. Immer muss man irgendjemandem helfen, irgendeine Art von Nachhaltigkeit schaffen, irgendetwas als Plus für nagende Industrienationbewohner-Gewissen bieten. #FirstWorldProblems

Der vernünftige und lobenswerte Anlass verschleiert, dass es jedem Wirtschaftsunternehmen – schon im Kleinen, noch mehr natürlich im Großen – schlussendlich darum geht, schwarze Zahlen zu schreiben, Wachstum zu schaffen und – ja eben – Geld zu verdienen. Erfolgreiche Influencer*innen machen schließlich nicht bloß bezahlte Werbung, sie empfehlen Dinge, an die sie selbst ganz fest, ganz innständig zu glauben scheinen. Da passt es nicht, wenn das vormals tolle Ding aus dem ebenso oberflächlich wie strengen Gut-böse-Dualismus ausbricht, wie jüngst etwa beim Gewürzhersteller „Ankerkraut“, dessen freundliches, kundennahes Gründerpaar (gut) das Unternehmen an den Konzern (böse) Nestlé (superböse) verkauft hat. Die Folge: ein Shitstorm sondergleichen, infolgedessen wiederum zahlreiche Influencer*innen die Zusammenarbeit aufkündigten. Eher unverhoffter Image-Schiffbruch denn gut dotiertes, bestens entlohntes Ankerwerfen und er Schweiz…

Welche absurden Formen das Helfen als Marketingmasche inzwischen angenommen hat, zeigt nun einmal mehr der Fall Kliemann. Die Maskenproduktion, an der er offenbar beteiligt war, sollte damals nicht nur dringend benötigte Produkte zu einem fairen Preis herstellen – nope, in so einer Erzählung steckt offenbar noch zu viel Kapitalismus drin. Es sollten dabei mindestens noch europäische Arbeitsplätze und Geflüchtete gerettet werden. Dass die fehlerhaften, von Billiglöhnern unterhalb des Mindestlohns in der Dritten Welt hergestellten Masken, also Müll, am Ende mit reichlich gönnerisch-pompöser Geste an Geflüchtete gespendet wurden, kehrt das überaus ehrbare Prinzip des Helfens auf perfide Art ins verachtenswerte Gegenteil um.

Für seine Arbeit erhielt Kliemann bereits zahlreiche Preise, wurde etwa 2020 von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis (DNP) ausgezeichnet – diese Ehrung wurde ihm nun wieder aberkannt. Zudem nahm auch der Online-Bekleidungshändler „About You“ Kliemanns Masken aus dem Sortiment, der FC St. Pauli, bislang ein weiterer Kooperationspartner, stoppte die Zusammenarbeit. Der Wunsch, an das Gute zu glauben (und dabei wohlmöglich auch selbst etwas vom hellen Image-Heilgenschein anzubekommen), war vielleicht größer als die Notwendigkeit kritischer Nachfragen. Und Fynn Kliemann? Der übernahm zwar in einem Statement „eine Verantwortung“, weist ansonsten die Vorwürfe – zumindest teilweise – zurück. Das „Kliemannsland“, dieses Wolkenkuckucksheim gewordene feuchte Traum für urbane Fair-Trade-Ökotouristen, mag zwar (noch) nicht abgebrannt sein, lodert nach Jan Böhmermanns Recherche-Bombe aber doch gewaltig. Gutmenschentum und Kohlescheffeln gehen selten brav Hand in Hand – da braucht man für Nachfragen nicht erst bei Bezos oder Musk klingeln. Scheiße ist’s trotzdem.

lmaafk.de

Rock and Roll.

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Song des Tages: The Screenshots – „Wir lieben uns und bauen uns ein Haus“


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Die „Generation Internet“ fördert ja vor allem im musikalischen Bereich so einige interessante Entwicklungen und – gerade durch die Brille gesetzterer Semester – gruselige Neuschöpfungen zutage. Da werden Charts derart durch Klick-Baits und Streaming-Eintagsfliegen verunstaltet, dass selbsternannte „Künstler“, von denen wohl außerhalb ihres Genres (geschweige denn ihrer digitalen Fan-Crowd) bislang kein – pardon my French!Schwein je gehört hat, plötzlich als mehrfache Nummer-eins-Hit-Lieferanten geführt werden. Wo interessierte Hörer früher noch vor Plattenläden Schlange stehen mussten, reichen heute drei, vier Klicks, um Zugang zu ganzen Diskografien zu erlangen. Regnet’s draußen? Stört mich nicht. Keine saubere Hose? Brauch‘ ich nicht. Ach du schöne neue Netzwelt…

Ebenso frisch ins Sortiment der tönenden Neuschöpfungen genommen: Die „Twitter-Band“. Gibt’s nicht. Doch, doch. Und wer nun ebenso Unsägliches befürchtet wie etwa beim Thema „Cloud Rap“, den belehren The Screenshots eines Besseren.

Deren drei Teile, die sich relativ nonchalant Kurt Prödel, Susi Bumms und Dax Werner nennen, lernten sich vor nicht allzu langer Zeit dank ihres jeweils recht regen Mitteilungsbedürfnisses auf dem US-Mikrobloggingdienst mit dem hellblauen Vögelchen im Logo kennen. Und da alle rein zufällig Hausschlüssel für Türen in der „Powerstadt“ Krefeld besaßen, beschlossen sie, denn mal eben eine Band zu gründen.

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So viel breitbandbetriebener Sinn für schnellschießende Slogans und Schnapsideen kann schnell schal bis – jawoll! – scheiße klingen – tut es jedoch im Fall von The Screenshots nicht (oft). Im besten Fall liefern Kurt Prödel, Susi Bumms und Dax Werner auf ihren im vergangenen Jahr via Bandcamp veröffentlichten (Mini-)Alben „Ein starkes Team“ und „Übergriff“ (beide liegen mit Längen von gerade einmal 18 beziehungsweise 24 Minuten ganz im Trend aller urbanen ADHS-Hipster-Fashionistas und stehen via Bandcamp wahlweise kostenneutral zur Verfügung) zu rumpeligem Punkrock und mit sich überschlagender Stimme mantraartig vorgetragene Plattitüden aus der digitalen Welt und offenbaren an manch einer Stelle durchaus tiefenscharfe Analysen des Jetzt.

Da ist einiges an ähnlich intelligentem Stumpfsinn, der einst zu den Geburtshelfern des deutschen Punk (Duftmarken: Hans-A-Plast, Abwärts) gehörte, viel Lust an dezent dadaistischem Sarkasmus, eine Prise Lebenswichtigkeit, die Rockmusik hin und wieder für sich reklamiert, das schmelzig-schroffe „Duhuhu“ des Schlagers, aber auch eine an „Hamburger Schule“-Bands wie etwa Tocotronic oder Blumfeld erinnernde Ahnung von Wut und Irritation, die die Songs proberaumig rumpeln lässt. Denn was irgendwo rumort, muss schließlich raus, die wahren Themen liegen ja auf der Straße: Liebe, Geld, Europa, Fußball. „Manchmal ist auch eine WM in einem anderen Land, dann grillen wir dicke Würstchen, und zünden dann was an.“ Viele kleine Antithesen zu den Tweets eines Donald J. Trump…

81uHkPLy6hL._SY355_Wenig verwunderlich also, dass The Screenshots, die beide Digital-Werke im vergangenen Dezember ganz großstädtisch und hipster-esk noch einmal auf der „Europa LP“ gebündelt veröffentlicht haben (obwohl laut eigener Aussage keiner der drei einen Plattenspieler besitzt), vor allem in der digitalen Welt allerhand Kuss-Emojis zufliegen. So bescheinigt „ZEIT Online“-Schreiberling Lars Weisbrod den Krefeldern “Diskurspop auf der Höhe der Zeit”, „Rolling Stone“-Redakteur Jens Balzer hörte in Stücken wie „Deutschland„, „Fußball ist cool„, „Cornetto“ oder „Männer“ gar den “aufregendsten deutschsprachigen Gitarrenrock der Stunde”, der sich „unironisch ins Mark der Postinternet-Generation” (sehrsehrgutetexte.com) spielt. Und Jan Böhmermann? Der holte die Band, nachdem sich diese zu Stammgästen in seiner Spotify-Playlist entwickelten, gar für ihren ersten TV-Auftritt überhaupt in sein „NEO Magazin Royale“, wo The Screenshots im vergangenen Dezember den Song „Google Maps“ zum Besten gaben. Wenn man bedenkt, dass das Trio mit seinem Liedgut, bei dem man sich nie so ganz sicher sein kann, ob da nun übermäßig viel oder besorgniserregend wenig Ironie mit an Bord ist, ähnlich oft auf der humorigen Rasierklinge tanzt wie ebenjener Jan Böhmermann und sein Kreativteam, passt das bestens.

Nee, The Screenshots wollen ganz sicher keine ewiglichen Meisterwerke liefern. Aber mit ihren Zeitgeist-Kommentaren aus der Post-Internet-Punk-Perspektive surfen Kurt Prödel, Susi Bumms und Dax Werner verdammt stilsicher auf ihrem tönenden hellblauen Vögelchen…

 

 

Für das Musikvideo zum neuen Song haben The Screenshots – Newcomer hin, Newbies her – echte Starpower versammelt, schließlich stehen da Indieschuppen- und Stadionrock-Größen wie Thees Uhlmann, Judith Holofernes, Olli Schulz, Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg oder Die Ärzte in piefiger Baumarkt-Kulisse Spalier – irgendwie. Glaubste nicht? Schauste hier:

 

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Rock and Roll.

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Song des Tages: Fayzen – „Herr Afshin“


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Noch vor ein paar Wochen dekodierten Jan Böhmermann und seine „NEO Magazin Royale“-Mannschaft mithilfe von ein paar Zoo-Affen den gesamten deutschen Weichspüler-Pop á la SchweighöferBendzkoGiesingerPoisel derart, dass man keinen der eben Genannten wohl je mehr hören kann (insofern das denn überhaupt jemand freiwillig möchte), ohne mit einem Schmunzeln im Mundwinkel an Böhmermanns formvollendete „Menschen Leben Tanzen Welt“-Persiflage zu denken.

Wer bei Fayzens Musik nicht genauer hinhört, würde den aufstrebenden Hamburger Musiker wohl (vor)schnell in dieselbe musikalische Kategorie stecken. Und könnte damit wohl falscher kaum liegen…

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Wer Musik wirklich ernst nimmt, der darf sie gern groß meinen. Der Musiker sollte keine Angst haben vor mächtigen Worten, er sollte etwas wollen, das bedeutender ist als er selbst, und deshalb ist es auch so richtig, dass Fayzen auf die Frage, wieso er im Alter von 15 Jahren mit der Musik angefangen hat, antwortet: „Ich wollte etwas Wahres machen. Und klar, die Welt verändern wollt’ ich schon auch.“

Damals, Ende der Neunziger, geht das mit schnellem, klarem, gesellschaftskritischem Rap der Marke „Freundeskreis“ und Mixtapes, die er mit einem Kumpel selbst produzierte, anschließend – und dazu gehört schon eine Menge Chuzpe und Mut zum Risiko – pressen ließ und von denen der heute 33-jährige Sohn iranischer Einwanderer über die Zeit ganze 20.000 Stück in den Straßen seiner Hamburger Heimat verkauft. Einen Großteil der Einnahmen schenkt er seinen Eltern, als Dankeschön für eine unbeschwerte Kindheit, die sie ihm trotz Flucht aus dem Iran ermöglichten.

Aber auch als Beweis: Schaut, euer Junge schafft das.

Fayzen-Cover-MeerDoch eigentlich zieht es den Jungen da schon wieder weiter. Denn so romantisch die Geschichte vom rappenden Straßenmusiker auch ist: Fayzen, der mit gebürtigen Namen Farsad Zoroofchis heißt, will auf die großen Bühnen und von dort aus gehört werden. Also bastelt er an einem Demo, bringt sich selbst Gitarre und Klavierspiel bei, arbeitet Tag und Nacht an Texten, denn Fayzens Musik kommt vom Wort. Doch umso klarer ihm wird, welche Geschichten er überhaupt erzählen will, desto unklarer ist auf einmal ihr Sound. Er probiert viel aus, schmeißt den Großteil wieder weg, das Demo wird und wird und wird nicht fertig, er lässt trotzdem nicht davon ab – und auch das ist ja eine Wahrheit der Kunst: Die Suche nach ihr auszuhalten, ist oft bereits der halbe Weg.

So ist es auch dieses Mal. Durch Zufall (den es nicht gibt) lernt Fayzen einen Musikmanager des Major-Labels Universal kennen – und plötzlich fließen die Dinge wieder. Er bekommt einen Plattenvertrag, 2013 erscheint sein Album „Meer“. Den HipHop hört man dort, wenn auch verschleiert, immer noch heraus, aber die meisten Titel sind weicher, stiller, Singer/Songwriter-Pop (beinahe) ohne allgemeingültige Worthülsen und die direkt aufs Charts-Podium abzielenden Instant-Gute-Laune-Lyrics vonSchweighöferBendzkoGiesingerPoisel. Fayzen singt von der Sehnsucht nach Zuhause und der Kraft des Fernwehs, er gibt dem Kummer einen Namen und der Hoffnung einen Sound. „Und Reim für Reim öffne ich mein Herz mit jedem Wort / Als ich’s das letzte Mal da draußen tat, da ging mein Mädchen fort“ heißt es etwa in „Paradies“, und selten wurde Liebeskummer im deutschen Pop der letzten Jahre schlichter und größer besungen.

0602557389920Am vergangenen Freitag nun erschien Fayzens neues Album, „Gerne allein“, eine weitere, noch persönlichere Platte, ein weiterer Versuch, mit im Pop gerührten HipHop Max Herre’scher oder Curse’scher Couleur im Kleinen an der Welt zu rütteln. Mit Geschichten aus einem Leben zwischen Hamburger Landungsbrücken und dem Teppichboden der Kindheit, aufrichtig, offen, ohne Schutzschild oder Scham. Klar, nicht jeder Song überzeugt gleichermaßen. Zoroofchis Stücke sind vor allem dann gut, wenn er es eben nicht jeder und jedem recht machen will, wenn er nur von sich und seinem Leben erzählt – man höre nur „Herr Afshin“, in dem der Deutsch-Iraner mit dem sonnig-verträumten Gemüt auf sein gesamtes Leben zurückblickt und von seiner musikalischen Sozialisation sowie der Suche nach einem perfekten Lied erzählt. Und: Ja, Fayzens Musik ist wahrhaftig. Näher vermag ein Künstler der eigenen gefühlten Wahrheit vielleicht gar nicht zu kommen. In Zeiten voller Angst, Unbeständigkeit und Zweifel, die Politik und Gesellschaft säen und die Wutbürger ernten, wirkt es fast wie ein schöner Anachronismus, wenn einer wie Fayzen singt „Alles wird gut“. Und es dann auch noch so meint.

 

 

Mehr Eindrücke vom neuen Fayzen-Album „Gerne allein“ gefällig? Hier gibt’s das Musikvideo zu „Wundervoll“…

 

…“Unschuldig“ als Spoken-Word-Variante…

zu dem Fayzen übrigens Folgendes zu sagen/schreiben hat:

„Ich bin liebevoll und behütet aufgewachsen. Die Arme meiner Mutter waren das Paradies. Als ich irgendwann anfing, mir auszumalen, wie die Welt da draußen wohl aussehen könnte, war diese Vorstellung deshalb auch ein Best-Case-Szenario. Einfach, weil es die Fortsetzung des Universums meiner Eltern war. Dann wurde ich älter. Und lernte, dass die Welt da draußen auch bedrohlich und gemein sein kann.

Die Grausamkeiten, zu denen der Mensch fähig ist, übertrafen jedes Vorstellungsvermögen, das mein fantasievoller, kleiner Kopf damals hatte. Der größte Schock jedoch war, als ich irgendwann realisierte, dass auch ich ein Teil dieser Grausamkeiten bin. Schon alleine weil ich in einem Staat lebe, der Ungerechtigkeiten wie Waffenexporte und Massentierhaltung betreibt. Dafür habe ich mich immer geschämt. Und diese Scham hat mich lahmgelegt. Ich habe mich ohnmächtig geschämt, viele Jahre.

Aber ich werde mich nicht länger schämen. Das Leben ist gut. Da bin ich mir sicher. Der Mensch ist auch Leben und ein Leben kann ein anderes Leben ändern. Es leichter und schöner machen. Das werde ich tun. Mein Leben und anderes Leben schöner machen und zulassen, dass andere mein Leben schöner machen. Weil ich es verdiene. Weil wir es verdienen. Weil das Leben es verdient. Einfach so. Ich schäme mich nicht mehr. Fayzen“ 

 

…und alle 15 Stücke angeteastert im „Album Player“ :

 

Rock and Roll.

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„Eier aus Stahl“ – Jan Böhmermann nimmt sich die deutsche Musikindustrie vor


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Mittlerweile darf man schon fast seine Uhr danach stellen, dass Jan Böhmermann und sein „NEO Magazin Royale“-Team Woche um Woche für ein kleines Skandälchen sorgen. Mal müssen die Altbier-Punks der Toten Hosen dran glauben, mal die „Schwiegertochter“-Kuppel-Schmalzbirne Vera Int Veen, mal der von nicht eben kleinen Teilen des eigenen Volkes bejubelte türkische Irre vom Bosporus (ganz nebenbei: Liebe Türken, das hatten wir hier in Deutschland auch schon mal – ist nicht gerade gut ausgegangen…), mal das weibliche Selbstverständnis, mal der auch so integre Sänger-Schauspieler-und-jetzt-auchYouTube-Manager Tom Beck, jüngst auch – in gewohnt großartiger Manier – der Bundesvorsitzende der deutschen Polizistengewerkschaft, Rainer Wendt. Was der „blasse dünne Junge“ und seine Crew anpacken, wird meist zu einem ebenso bissigen wie unterhaltsamen Rundumschlag gegen die, die’s verdient haben – und regt darüber hinaus zum Nachdenken an.

In dieser Woche und Ausgabe des „NEO Magazin Royale“ nimmt sich Böhmermann ganze 22 Minuten, um in „Eier aus Stahl: Max Giesinger und die deutsche Industriemusik“ mit der – jawollja! – deutschen Musikindustrie am Beispiel von Max Giesinger (der Name selbst war mir vorher kein Begriff, ich höre jedoch auch kein Radio), dem Echo und vielen anderen abzurechnen und aufzuklären:

„Uff. Der ECHO – der wichtigste Preis der sehr guten deutschen Musikindustrie – wird leider auch in diesem Jahr wieder verliehen. Wie zu erwarten, regen sich alle auf: FREI.WILD sitzen in der ECHO-Jury, die Onkelz sind sogar nominiert – es ist alles noch mehr Nazi, noch rechter, noch schlimmer als in den Jahren zuvor. Dabei sind die deutschnationalen Norditaliener von FREI.WILD und die Geh-Deinen-Weg-auch-wenn-er-falsch-ist-und-alle-Dich-scheiße-finden-Rock-Onkelz zwar das offensichtlichste, nicht aber das eigentliche Problem des ECHO und der deutschen Musikindustrie. 

Wir müssen reden – über Menschen, Leben, Tanzen, Welt, über ‚einen von 80 Millionen‘ sowie seine Kunst und das große Missverständnis in der deutschen Popmusik.“

Am Ende des Clips zeigen Böhmermann und sein Team noch, wie sie einen Songtext von Schimpansen, die Tweets der YouTuber BiBi und Sami Slimani, aber auch Werbeslogans aneinanderreihen, „schreiben“ lassen und zu einem nahezu perfekten Popsong verarbeiten, welcher im Formatradio zwischen all den Tim Bendzkos, Philipp Poisels, Silbermonds und Helene Fischers (sowas wird doch da gespielt, oder?) gar nicht auffallen würde. Das Musikvideo des fertigen Songs „Menschen Leben Tanzen Welt“ von *hust* Jim Pandzko feat. Jan Böhmermann findet Ihr weiter unten. Herrlich. Nimm das, Matthias Schweigerhöfer! Fick dich, selbstverliebte Echo-Jury!

 

 

 

Rock and Roll.

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Sehenswert: Jan Böhmermann über die Ökonomie der Aufmerksamkeit


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Dass Jan Böhmermann und ich zwar nicht immer, aber immer öfter einer Meinung sind, dürfte ja hinlänglich bekannt sein.

In der letzten Ausgabe seines „NEO Magazin Royale“ am vergangenen Donnerstag (09. März) gab der „blasse dünne Junge“ eine Lehrstunde in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie und erklärte, warum es rechtspopulistische Politiker derzeit spielend schaffen, in die Medien zu kommen, während ein konkreter Diskurs über notwendige politische Veränderungen vollkommen abgewürgt wird. Mit einer schlagenden Statistik demonstrierte er, warum Hillary Clinton zwar wesentlich mehr Wahlkampfetat zur Verfügung hatte, Trump aber allein schon wegen seiner fragwürdigen Kommentare und Twitter-Auswüchse um ein Vielfaches in den Medien präsent war.

Politiker wie Björn „Bernd“ Höcke, Marine Le Pen, Geert Wilders oder auch Recep Tayyip Erdoğan tun es dem US-Präsidenten nach und verkünden offen, wie sehr sie die Medien hassen (in der Türkei wird dann gleich ein guter Teil des verhassten Journalistenpacks auf die Straße gesetzt oder wandert gar hinter Gitter). Doch zugleich benutzen sie genau diese, um stets im Gespräch zu bleiben – mit Lügen, Provokationen, Manipulationen und populistischem Nonsense. Ganz im Stil von John Olivers „Last Week Tonight“ reihte Böhmermann ein wildes Argument an das nächste und sorgte mit spielerischen Graphiken und Studio-Spektakel, das er zwischen seine ernstgemeinten Einlassungen platzieren ließ, dass die Zuschauer sich an die eigene Nase fassen, um zu begreifen, dass sich die Populisten geschickt eine vor allem vom Internet neu aufgestellte Aufmerksamkeitsökonomie zunutze machen.

Weil die Menschen von den Medien immer mehr Superlative, Ausrufezeichen und Schickschnack verkauft bekommen (damit die Klicks kommen und die Auflagen steigen), imitieren diese Politiker, so Böhmermann, dieses Verhalten. Mit anderen Worten: Trump agiert nicht mit Hilfe des Internets anders als seine Vorgänger, er hat die Funktionsweise des Netz selbst zum Prinzip seines Handelns gemacht.

Die düstere Ambivalenz hinter dem Konzept, das die Populisten nun für sich auszunutzen wissen, entlarvte der Komiker zudem noch mit dem geschickt gewählten Titel des Beitrags, wie er in der ZDF-Mediathek oder auf YouTube zu finden ist: „Diese einfachen AfD-Tricks machen Dich BEKANNT und BELIEBT!“

Sehenswert!

 

 

Rock and Roll.

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Zitat(e) des Tages


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Klar, Yoda ist nur ein kleines, grünes Jedi-Männchen aus einer SciFi-Filmreihe namens „Star Wars„. Klar, all die unterhaltsamen Bilder rund um Luke Skywalker, Darth Vader und Co. haben mehr mit den Genres „Space Opera“ und „Heldenepos“ zu tun als mit unserer doch oft genug recht bitteren Realität (von welcher uns das Kino idealerweise auch manchmal ein klein wenig ablenken soll). Und trotzdem – oder gerade deshalb – hat dieses gerade einmal 66 Zentimeter große Männchen recht.

Auch gut und richtig war das, was die von mir ohnehin geschätzten Jan Böhmermann und Olli Schulz gestern taten und sagten:

17th Annual German Comedy Awards

Also: Passt aufeinander auf. Respektiert einander. Ich hab’s bereits verdammt oft geschrieben: Menschen sind Menschen, ganz gleich welcher Hautfarbe, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung etc. pp. Leben und leben lassen. Over and out.

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Rock and Roll.

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