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Song des Tages: Love A – „Nichts ist leicht“


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Fotos: Andreas Hornoff Fotografie / Promo

„Zu poppig für die Punker, zu punkig für die Indiedisko, aber trotzdem ganz gut“ – so beschrieb Bassist Dominik Mercier einst den Sound der Band, die sich 2010 als Love Academy gründete. Der Bandname wurde jedoch wegen „markenrechtlicher Bedenken“ noch vor Veröffentlichung des ersten Albums „Eigentlich“ (2011) in Love A abgekürzt. Seit ihrem Erstling ist der Trierer Vierer beim Hamburger Indie-Label Rookie Records unter Vertrag, das unter anderem auch Bands wie Pascow, Keele, Koeter, Die Aeronauten oder Schreng Schreng & La La, seines Zeichens das zwar musikalisch ruhigere (da vornehmlich auf Akustikgitarre schrammelnd), jedoch kaum angepisstere Nebenprojekt von Love-A-Frontmann Jörkk Mechenbier, eine Veröffentlichungsheimat bietet.

In der Folgezeit produzierten Jörkk Mechenbier (Gesang), Stefan Weyer (Gitarre), Dominik Mercier (Bass) und Karl Brausch (Schlagzeug) mit „Irgendwie“ (2013) und „Jagd und Hund„, welches sich völlig zu recht in ANEWFRIENDs 2015er Jahres-Bestenliste wiederfand, zwei weitere Alben und waren auch für Kollaborationen mit befreundeten Bands immer wieder gern zu haben. So entstanden etwa zwei Split-Singles mit Frau Potz und Koeter sowie ein Song mit den Flensburger Grummel-Punkern von Turbostaat. Und; Ja, gerade letztere Band kann getrost man als Love As grimmige „Brüder im Geiste“ bezeichnen und wird gerne als Vergleich herangezogen, wenn es um den mal zackigen, mal schroff-stürmischen, aber immer angepisst und aus Gründen unzufriedenen Sound von Love A geht. Die Texte wiederum stammen seit Jahr und Tag aus der Feder von Sänger Jörkk Mechenbier, geraten nicht selten wütend bis zynisch und legen gefühlt gleich mehrere salzgetränkte Finger in so ziemlich alle Wunden der Gesellschaft. Und für all jene, die nicht fühlen können, bleibt das Hören, denn Mechenbiers unverkennbare und fordernde Sprechsing-Stimme unterstreicht das noch zusätzlich.

love-a-nichts-ist-neuMit Sachen wie Altersmilde oder Gesetztheit mag es zwar herzlich wenig zu tun haben (so etwas wird bei den vier (Exil-)Trierern wohl nie einsetzen), jedoch springen die zwölf Stücke des im Mai erschienenen neuen, vierten Love-A-Albums „Nichts ist neu(sic!) dem Hörer zwar noch immer lauthals geifernd um die Ohren, haben einen guten Teil des bewussten Ätzens, welches anno 2011 auf dem Debüt noch Gang und Gebe war, eingebüsst. Schlimm? Nope. Stattdessen poltern diesmal Anklänge an Postpunk und New Wave durch die Songs, auf deren noch immer düstere Grundstimmung selbst Ian Curtis oder Peter Hook mit von Stolz geschwellter Brust und von Seelenpein gebücktem Rücken durchs englische Manchester-Grau-Grau getrottet wären. Und der Pop wird von Love A auf „Nichts ist neu“ freilich noch immer fies polternd auf linke Punkerherz gezogen. Tristesse royale – auch 2017 stellen sich Jörkk Mechenbier und Co. als persönlich-musikalische Antithese zum „Wir schaffen das!“-Palaver von Mutti Merkel oder der selbstgerechten Wutbürgerei von Petry, Gauland, von Storch, Höcke und Konsorten auf die Indieclubbühnen der Bundesrepublik. Gesellschaftliche Veränderung? Schön wär’s…

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Die erste, bereits im Februar erschienene Single „Nichts ist leicht“ kam dann jedoch mit einem Musikvideo daher, dass den Zuschauer/Zuhörer an einen Ort mitnimmt, welcher kaum ferner von all dem gesellschaftlichen Irrsinn, der in so ziemlich jedem Love-A-Song das Topos bildet, entfernt sein könnte: in die schwedische Finmark, also mitten in die Natur.

Es erzählt die Geschichte eines jungen Husky-Trainers. Sein Name ist Espen Falter, er ist dreizehn Jahre alt und er hat das Training von seinem Vater Stefan übernommen, der schwer verletzt wurde, als das Haus seiner Familie in Brand geriet. Stefan musste in ein künstliches Koma versetzt werden. Love A dazu: „In der Zwischenzeit organisierten seine Lebensgefährtin Helena und Espen Freunde, die sich um die Hunde kümmerten. Während sich Stefan langsam ins Leben zurück kämpfte, übernahm Espen das Training der Huskys. Mittlerweile leben sie in einem neuen Haus, mitten in der Natur, mit neun ausgewachsenen Schlittenhunden und über einem Dutzend Welpen. Sie trainieren die Tiere jetzt gemeinsam.“ Falls ihr mehr über die Protagonisten des Videos wissen wollt: Hier entlang, bitte.

 

 

„Ich hab’s versucht
Ja, beinahe jeden Tag
Aber es will mir nicht gelingen
Ich kann nicht sein wer ich bin
Weil ich weiß was ich weiß
Und ich weiß, das muss seltsam klingen

Aber es ändert sich so gar nichts
Und es macht alles keinen Sinn
Und ich änder‘ mich so gar nicht
Weil das überhaupt nichts bringt

Wär so gerne wie die Anderen
Die, die scheinbar funktionieren
Aber anstatt die Nerven zu behalten
Bin ich kurz vorm Explodieren

Nichts ist leicht
Nein, das hab‘ ich nie gesagt
Aber es häufen sich die Dinge, die mich komplett zerstören
Weil ich bin wer ich bin
Und ich weiß das muss abartig klingen

Aber es ändert sich so gar nichts
Und es macht alles keinen Sinn
Und ich änder‘ mich so gar nicht
Weil das überhaupt nichts bringt

Überhaupt nichts bringt…“

 

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Rock and Roll.

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Der Jahresrückblick 2015 – Teil 3


Ein zwar nicht durch und durch hochkarätiges, jedoch ebenso wenig an tollen Veröffentlichungen armes Musikjahr 2015 neigt sich unausweichlich seinem Ende zu. Zeit also, ANEWFRIENDs “Alben des Jahres” zu küren und damit, nach der Rückschau aufs Film- und Serienjahr, auch die Königsdisziplin ad acta zu legen! Dem regelmäßigen Leser dieses Blogs werden sich wohl wenige Überraschungen offenbaren, schließlich wurde ein guter Teil der Alben meiner persönlichen Top 15 im Laufe des Jahres – insofern es die Zeit zuließ – bereits besprochen. Bleibt nur zu hoffen, dass auch 2016 ein ähnlich gutes Niveau an neuen Platten und Neuentdeckungen bieten wird… Ich freue mich schon jetzt drauf.

 

 

adam angst1.  Adam Angst – Adam Angst

Wenn ich ehrlich bin, dann war die Pole Position meiner Lieblingsalben dieses Jahres bereits im Februar vergeben. Und dass an ein Album, dessen Protagonist ein „arroganter Drecksack“ (Pressetext) ist, der dem Hörer elf Kapitel lang seine eigenen Verfehlungen, seine Makel und Achillesfersen vor Augen und Ohren führt. Muss man sich ein derart gerüttelt Maß an Antipathie wirklich anhören? Man muss! Vor allem wenn sie von Felix Schönfuss und seiner neuen Band Adam Angst stammt. Denn den großmäuligen Versprechungen, die da bereits im Vorfeld um das neuste musikalische Baby des Ex-Frau-Potz- und Escapado-Frontmanns gemacht wurden, liefern Schönfuss und Co. Songs nach, die einen schlichtweg umhauen – sei es durch zackigen, verquer melodieverliebten Rock, der weder den Punk von Frau Potz noch den Hardcore von Escapado noch in sich trägt, oder – vor allem – durch die durch und durch brillanten Texte. Denn in denen bekommen wirklich alle ihr Fett weg – die Schweinepriester und Heiden („Jesus Christus“), die mehr oder minder latenten Rassisten („Professoren“), das tumbe Wochenend-Partyvolk („Wochenende. Saufen. Geil.“), die digital süchtigen Klickzahlenjunkies („Wunderbar“), die sinnentleerten Workaholics („Flieh von hier“), die dysfunktional-zerstrittenen Pärchen („Ja, ja, ich weiß“)… Da muss man schon sehr weit ab von allem sein, um sich an der ein oder anderen Stelle nicht selbst ertappt zu fühlen. „Adam Angst“ mag vielleicht kein Album für die nächsten zehn Jahre sein, mehr Aktualität, Zeitgeist und tolle Songs hatte 2015 jedoch kein anderes an Bord. Obendrein liefern Schönfuss und Band mit „Splitter von Granaten“ noch den definitiv wichtigsten Song des Jahres…

 

 

Benjamin Clementine2.  Benjamin Clementine – At Least For Now

Benjamin Clementines Geschichte liest sich fast wie eine moderne, musikalische Cinderella-Story: Mittelloser Junge aus *hust* „schwierigen Umständen“, der sich bereits seit Kindestagen – und das nicht nur seiner Hautfarbe wegen – als beflissener, belesener Außenseiter fühlt, flieht erst – von verheißungsvollen Versprechungen und vom Fernweh getrieben – aus dem Zig-Millionen-Einwohner-Molloch der englischen Hauptstadt und nach Paris, von dem er einst so viel las, sich so viel versprach. Dort führt er ein Vagabunden-, ein Herumtreiberdasein, schläft unter Brücken und dem freien Himmel, spielt seine Lieder in Metrostationen und wird dann und dort – endlich – von einem findigen Musikmanager erhört, der ihn alsgleich mit einem Plattenvertrag ausstattet. Und so klingen auch die pianolastigen Stücke auf dem vollkommen zu recht mit dem renommierten Mercury Prize ausgezeichneten Debütalbum „At Least For Now“: aus der Zeit gefallen, ebenso modern wie von gestern, schwelgerisch, energisch, klagend, zentnerschwer ausufernd und melancholisch in sich gekehrt. Dazu vorgetragen von einer Stimme, die zu den besondersten seit Antony Hegarty, vielleicht sogar seit Jeff Buckley und Nina Simone (welch‘ Dimensionen!) zählen darf. Man kann, man will dieses Werk gar nicht beschreiben – man sollte es hören! Meine Entdeckung des Jahres.

 

 

love a3.  Love A – Jagd und Hund

Wie schrieb ich doch in meiner Rezension zur Jahresmitte? „Eines steht fest: Frontmann Jörkk Mechenbier und seine drei Bandkumpane von Love A sind angepisst. Aus Gründen.“ Das hat sich freilich auch im Dezember noch nicht geändert, die zwölf runtergekühlten Post-Punk-Stücke des dritten Love-A-Albums haben allerdings nichts von ihrer überhitzt angewiderten Aura verloren. Wer „Adam Angst“ 2015 etwa abgewinnen konnte, der sollte auf „Jagd und Hund“ gern mal ein Ohr riskieren, schlagen die polternden Trierer Punker doch in eine ganz ähnliche Kerbe – vor allem textlich. Die Überdrehtheit der Vorgänger mag „Jagd und Hund“ nicht mit an Bord haben, doch die poppigen Ansätze und neue Introvertiertheit (beides natürlich sehr relativ zu sehen!) stehen Love A ganz ausgezeichnet.

 

 

pusicfer4.  Puscifer – Money Shot

Für Tool-Fans dürfte 2015 eigentlich als ein (weiteres) enttäuschendes Jahr in die Musikgeschichte eingehen, wurde man doch erneut wieder und wieder vertröstet in seinem Warten auf das erste neue Album seit dem 2006er Werk „10,000 Days“ (was umgerechnet gut 27 Jahren entspräche und somit der gefühlten Wartezeit näher und näher kommt). Auch für Freunde von A Perfect Circle sieht es da eigentlich kaum besser aus – trotz der Tatsache, dass vor etwa zwei Jahren mit „Stone And Echo“ ein üppiges Live-Dokument erschien. Eigentlich. Wäre da nicht das dritte, im Oktober erschiene Puscifer-Album „Money Shot“. Denn das Projekt, welches Tool- und A-Perfect-Circle-Stimme und -Fronter Maynard James Keenan vor einigen Jahren zur Auslegung verquerer (elektronischer) Ideen ins Leben gerufen hatte, hat sich über die Jahre zur veritablen Band gemausert. Und hat 2015 erstmals auch albumfüllend großartige Songs auf Lager, die fast ausnahmslos mit den bisherigen Stammbands des passionierten Winzers mithalten können (mit mehr Schlagseite zu A Perfect Circle, freilich). Den Stücken kommt vor allem zugute, dass ihnen die britische Musikerin Carina Round, die erfreulicherweise Jahr für Jahr immer tiefer mit Puscifer verwächst, eine zweite, weibliche Ebene liefert. Für Freunde von Tool und A Perfect Circle ist „Money Shot“ also Segen und Fluch zugleich – zum einen tröstet das Album fulminant über die länger werdende Wartezeit auf neue Songs hinweg, zum anderen wird es für Maynard James Keenan – mit derart feinen Songs im Puscifer-Gepäck – jedoch kaum attraktiver, zu den anderen Bands zurück zu kehren…

 

 

tobias jesso jr.5.  Tobias Jesso Jr. – Goon

Ähnlich wie bei Benjamin Clementine dürfte man beim Lebenslauf von Tobias Jesso Jr. an eine modern-männlich-musikalische Aschenputtel-Variante gedacht haben, die es dem 30-jährigen Eins-Neunzig-Schlacks dieses Jahr sogar ermöglichte, eines seiner (unveröffentlichten) Stücke auf dem Alles-Abräumer-Album „25“ von – jawoll! – Adele zu platzieren (nämlich die Single „When We Were Young„). Dass die Grande Madame des Konsenspop beim Hören von Jesso Jr.s Debüt „Goon“ sein Talent für feine, kleine Popsongs aufgefallen sein dürfte, ist allerdings nur allzu verständlich, denn immerhin ist das Album voll davon. Oder wie ich bereits im März schrieb: „Wer es schafft, bereits das eigene Debüt nach John Lennon, Paul McCartney, Harry Nilsson, Randy Newman, Billy Joel, Elton John, Todd Rundgren, Nick Drake oder Ron Sexsmith klingen zu lassen (und das, obwohl Jesso Jr. laut eigener Aussage einen Großteil dieser Künstler erst während der Arbeit an seinem Album kennen lernte), während man sich darüber hinaus noch eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt, dem gebührt jeder einzelne Applaus“. Genauso sieht’s aus.

 

 

sufjan stevens6.  Sufjan Stevens – Carrie & Lowell

Dass Sufjan Stevens großartige, zu Herzen gehende Singer/Songwriter-Kunst abliefern kann, hat der 40-Jährige in den vergangenen 15 Jahren bereits hinlänglich bewiesen. Nur wollen wollte Stevens in den zehn Jahren, die seit „ILLINOIS“ ins Land gegangenen sind, immer weniger, veröffentlichte stattdessen Verqueres wie „The Age Of Adz“ oder gar Soundtracks über Schnellstraßen-Dokus. Von daher ist die größte Überraschung, dass Sufjan Stevens tatsächlich noch einmal mit einem Werk wie „Carrie & Lowell“ ums Eck kommt. Und dass es ein derartiges Meisterwerk des bittersüßen Songwritings werden würde. Denn das wiederum hat ganz persönliche Gründe: Stevens setzt sich auf „Carrie & Lowell“ mit dem Tod seiner Mutter und seines Stiefvaters auseinander und schreibt herzzerreißende Songs über das Leben, das Sterben und alles, was danach kommen mag. Klingt nach Tränendrückern? Die gibt es zwar („Fourth Of July“), aber das Album als Ganzes stellt dabei keinen musikalischen Trauermarsch dar, vielmehr feiert Sufjan Stevens das Leben als Kreislauf – in ruhigen Tönen, wie es nur er es kann. Toll.

 

 

Ryan Adams7.  Ryan Adams – 1989

Ryan Adams covert Taylor Swift – im Studio, ein ganzes Album, und dann auch noch den Millionenseller „1989„. Was sich lesen mag wie ein – wahlweise – verfrühter oder verspäteter musikalischer Aprilscherz, war keiner. Denn der 41-Jährige mit dem ohnehin breit aufgestellten Musikgeschmack, der bereits in der Vergangenheit hinlänglich bewiesen hat, dass es im Zweifelsfall jedes Genre von Doom Metal bis HipHop (mehr oder weniger ernsthaft) für sich besetzen kann, beweist mit seinen Interpretationen von Radiohits von „Shake It Off“ bis „Bad Blood“ seine Fertigkeiten. Freilich klingen die dreizehn Stücke nun gänzlich nach Ryan Adams, doch auch er kann sich den feinen Melodien der Ausgangskompositionen nicht gänzlich entziehen. Warum auch? Im Plattenladen oder auf Spotify mögen die Fanlager von Swift und Adams ganze Universen trennen. Hier kommt zusammen, was noch vor Monaten unmöglich schien. Da war auf Twitter selbst die Ursprungsinterpretin der Schnappatmung nahe…

 

 

Florence and the Machine8.  Florence and the Machine – How Big, How Blue, How Beautiful

Gerade im Vergleich zum großartigen, fünf Jahre jungen Debüt „Lungs“ war „Ceremonials„, 2011 erschienen, eine kleine Enttäuschung, setzten sich darauf doch deutlich weniger Songs zwischen den Ohrmuscheln fest. „How Big, How Blue, How Beautiful“ nun ist wieder ein durchweg tolles Album, getrieben durch imposante Orchesterinszenierungen und erzählt von der variablen Stimme von Florence Welch. Ein spannendes Werk mit elf Geschichten, die durch ihre Musikvideos noch mitreißender werden und erneut so universelle Themen zwischen Liebe, Wut, Tod und Angst behandeln. Ein Album, das am besten als Ganzes funktioniert und ausgestattet mit einem dramatischen Sog, Songs mit Gefühlen zwischen bunter Leichtigkeit („Queen Of Peace“) und erdrückendem Drama – alle mit einer immensen Wucht, und sogar mit Saxofon! Kaum verwunderlich, aber umso erfreulicher, dass der Britin und ihrer Band damit ihre erste US-Nummer-eins gelungen ist. Florence and the Machine sind 2015 ganz oben, da wo sie hingehören.

 

 

frank turner9.  Frank Turner – Positive Songs For Negative People

Frank Turner ist einer von den Guten. Plattitüde? Logisch. Aber besser kann und will man’s gar nicht ausdrücken. Und wenn der britische Punkrocker by heart dann noch mit so guten Songs wie denen seines sechsten Solowerks „Positive Songs For Negative People“ aus dem Studio kommt, dann kann der kommende schweißnasse Festivalsommer kein ganz Schlechter werden. Und wer beim abschließenden „Song For Josh“ nicht mindestens einen Sturzbach Tränen verdrücken muss, der ist aus Stein. Oder hört Techno. Beides wäre schade um ein Paar Ohren…

 

 

noah gundersen10. Noah Gundersen – Carry The Ghost

Top 3 im Vorjahr, Top 10 in diesem – kein ganz schlechtes Ergebnis für einen 26-Jährigen, für den sich außerhalb der heimatlichen USA kaum ein Schwein (geschweige denn Hörer) zu interessieren scheint. Was schade ist, denn Noah Gundersens Songs sind nicht erst seit dem fulminanten 2014er Debüt „Ledges“ eine Wucht, die mich gar zu Vergleichen mit Damien Rice, Ryan Adams oder dem Dylan-Bob hinrissen. Und dem steht „Carry The Ghost“ (fast) in nichts nach. Freilich merkt man dem zweiten Werk des Musikers aus Seattle (!) an, dass das Leichte des Erstlings einer schweren Reife Platz machen musste, doch ist es gerade dieses Geschlossene, in welches man sich mit jedem Hördurchgang immer tiefer hinein gräbt, das „Carry The Ghost“ erneut so ergreifend macht. Freunde von Ryan Adams‘ „Love Is Hell“ sollten reinhören, wer tolle Songs für ruhige Momente sucht, natürlich auch.

 

 

…und auf den weiteren Plätzen:

Foxing – Dealer

Desaparecidos – Payola

Roger Waters – The Wall (LIVE)

Kante – In der Zuckerfabrik: Theatermusik

William Fitzsimmons – Pittsburgh

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Love A – Jagd und Hund (2015)

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Ja, wer wird denn gleich patzig werden? Eines steht fest: Frontmann Jörkk Mechenbier und seine drei Bandkumpane von Love A sind angepisst. Aus Gründen.

Dabei war der Trierer Post-Punk-Vierer ja noch nie für sonderlich charmante Stimmungsmelodien bekannt. Schon die ersten beiden Platten der Band, „Eigentlich“ und „Irgendwie“ (2011 beziehungsweise 2013 erschienen), waren bellender Punk, dezent unterproduziert und konzipiert fürs Rangeln bei Dosenbier und miesepetriger Laune. Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch: Turbostaat, …But Alive, Pascow, Feine Sahne Fischfilet, Muff Potter. Und doch ist das dritte Album „Jagd und Hund“ anders. Nicht, weil Love A zum ersten Mal bei der Titelwahl fremd gehen (sonst hätte das Werk wohl „Wahrscheinlich“ oder „Irgendwo“ geheißen), sondern weil sie 2015 konkreter, pointierter, versierter zu Werke gehen als noch 2013. Und sogar: poppiger. Ist das eigentlich noch Punk?

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Davon wird die Band selbst wohl am wenigsten wissen wollen. Schon im ersten Stück „Lose Your Illusion“ (Mechenbier singsprecht auf deutsch, nicht vom tollen Titel täuschen lassen!) wird ein leichter musikalischer Richtungswechsel im Vergleich zu den vergangenen zwei Alben deutlich. Anno 2015 verlegen sich Love A vom rumpeligen DIY-Punk auf kühle Post-Punk-Gitarren, welche manchmal konzentriert am Achtziger-New-Wave kratzen. Viel mehr beeindrucken jedoch die Texte: „Die Bekannte eines Bruders legte Tabletten auf den Tisch / Doch die halfen nicht an jedem Tag / Erst blieben Fragen, dann blieb nichts / Ich hab, wenn’s hart auf hart kam, auch mal was genommen / Hart kam auf hart / Und die Tabletten wurde rar“ – starker Tobak schon nach wenigen Minuten. Sogar noch schärfer geht es in „Trümmer“ weiter. Zu zackigen Gitarren zerschlägt Mechenbier die heil(ig)e Neue Digitalwelt: „Einsen und Nullen können machen, dass dein Leben schlechter oder besser wird / Wir können einsteigen / Wir können es auch lassen / Hauptsache alle schreien ‚Ja!‘ und sind verwirrt / Hauptsache alle schreien ‚Nein!‘ und sind verwirrt / Hauptsache alle schreien / Alles wurde schneller, und alles wurde mehr, und am neunten Tag erschlug Steve Jobs die Liebe“ – wahre Worte treffen in Sekundenbruchteilen auf gepflegten Pessimismus und kalte Konsumkritik. So setzt es sich fort, ob in „Toter Winkel“ mit seiner Gentrifizirungsantipathie, „Stagnation“ mit seinem erhobenen Stinkefinger hin zum saubermann’schen Herrn Otto Normal, „Augenringe“ mit seinem Arschtritt für alle Ja-Sager, „Modem“ mit seinem Abgesang an die falschen Versprechungen des weltweiten Netzes, oder der hysterischen Hipster-Ohrfeige „Der beste Club der Welt“ („Weil dein Verstand komplett im Arsch ist / Glaubst du an Gott und wahrscheinlich sogar an das System / Weil dein Verstand komplett im Arsch ist / Kaufst du Neues, Altes… Scheiß /…/ Auf meiner Jutetasche steht: ‚Verpiss dich, Adolf!‘ / Und auf deiner? ‚Hey ho, let’s go!'“). Dabei erinnern Love A nicht selten an die oben genannten Bands, führen bestenfalls sogar die Tradition der seligen …But Alive fort, die sich in den Neunzigern wie wohl kaum eine andere Punk(rock)band darauf verstanden, Haltung, Musik und Text beeindruckend zu bündeln (bevor Frontmann Marcus Wiebusch mit seiner „neuen“ Band Kettcar ein gutes Stückweit Richtung Indierock und Pop rückte). Und, klar: freilich ist bei Mechenbiers Singsprechbellen auch Turbostaat-Fronter Jan Windmeier nicht fern. Neu ist, dass Love A ihre kritischen Botschaften mit mehr Verstand, mit mehr Struktur, mit mehr – aufgepasst, böses Wort! – Pop an den potentiellen Hörer bringen. So klingen Stücke wie die tolle Single „100.000 Stühle leer“ („Wenn man sie kennt, kann man getrost die Regeln brechen / Weil die meisten doof sind, fällt’s uns gar nicht schwer / Nur wer mal aufgestanden ist, der darf sich setzen / Und darum bleiben hier so viele Stühle leer“) oder „Regen auf Rügen“ eher nach Jupiter Jones (in den seligen Anfangstagen) oder Herrenmagazin. Und: neben dem Bonnie&Clyde-Verschnitt „Kein Stück“ haben Love A mit „Ein Gebet“ sogar eine Art Liebeslied mit aufs Album gepackt. Dass dieses in Zeiten, wo jeder Zweite österreichische Bands wie Wanda oder Bilderbuch grenzdebil abfeiert, ausgerechnet dem schönen Wien gewidmet ist, hat dabei Ironie intus, als einem lieb sein kann. Ebenso wie das Finale in „Brennt alles nieder“, als die Band ganz brav im Chor fordert: „Brennt alles nieder / Fickt das System!“. Man mag der Aufforderung beinahe Folge leisten…

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Klar: keine der knapp 40 Minuten von „Jagd und Hund“ ist wahnsinnig innovativ, im rein musikalischen Sinne. Dafür bündeln Love A ihre Kräfte in Zeiten, in denen sich artverwandte Bands wie Feine Sahne Fischfilet offen mit dem deutschen Verfassungsschutz anlegen, während anderswo Millionen zu Schlagermelodien schunkeln. Und wieder anderswo ganze Gesellschaftssysteme Stück für Stück auseinander bröckeln, währenddessen Menschen im Mittelmeer ertrinken, die falsche Träume von einem besseren, gerechteren Leben nicht losgelassen haben. Gerade deshalb kann es kein besseres Hier und Jetzt für „Jagd und Hund“, welches bereits im März erschien, geben. Auch und gerade in einem Jahr, zu dessen Anfang bereits Adam Angst hervorragend bewiesen haben, wie zeitgeistige Gesellschaftsschelte im besten Sinne funktionieren kann. Denn wer angepisst ist, der sollte auch etwas zu sagen haben. Und das ist bei Love A definitiv der Fall. Ist das noch Punk? Who cares… So vieles läuft gewaltig falsch in diesem Land, ja: in dieser Welt. Love A geben einen Scheiß auf die Antworten, servieren uns dafür eine Menge Fragen und Denkanstöße. Die verdienten Schläge in die Magengrube gibt’s miesepetrig obendrauf.

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Hier kann man sich das Musikvideo zur Single „100.000 Stühle leer“ zu Gemüte führen…

 

Rock and Roll.

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