
Endlich wieder frischer Indie Punk! Wobei: ganz so frisch ist die Band hinter “Like A Stone” eigentlich gar nicht, denn ebenjene hieß ursprünglich mal nur Sports. Als solche haben sie sich seit 2014 mit zwei schicken, lo-fi’eske DIY-Platten klammheimlich in immer mehr Herzen des weltweiten Indie-Feuilletons geschlichen, bevor ihnen eine andere Band mit demselben Namen ein wenig in die Quere kam. Seit dem 2018er Album “Slow Buzz” prangt nun eben ein anderer Name auf dem Cover: Remember Sports – das klingt wie ein Satz, den sich die Mitglieder der 2012 am College gegründeten Band in Erinnerung an geteilte Jugendtraumata zuraunen und ganz schön passend für eine Zeit, in der sich alle Lockdown-Couchkartoffeln vermutlich ohnehin eher ans Sport machen erinnern als selbigen gemeinsam mit anderen auszuführen. Doch so sehr dieser Name einen doppelten Boden suggerieren mag, so direkt zieht einem das Quartett aus Philadelphia auf ihrem vierten Langspieler gekonnt das Tischtuch unterm Geschirr hervor. Tada! – wackelt bedrohlich, steht am Ende…
Aber: Sind das nur kleine Selbstzweifelchen oder ist das schon toxisch? Ein wenig Sorgen macht man sich wohl schon um das lyrische Ich des Albums, das von Sängerin Carmen Perry mit voller Leidenschaft synchronisiert wird. Mit seinen thematischen Schwerpunkten rund um mentale Gesundheit inklusive Depressionen und Essstörung könnte “Like A Stone” durchaus eine amtliche Triggerwarnung vertragen. So ganz hätte man den vier US-Amerikaner*innen solch schwere Kost gar nicht zugetraut – so man sich denn einfach nur in den wirbelnden Arrangements verliert. Das klingt im ersten Moment mehr nach Pup als nach Emo und gerade deswegen ist dieses tönende trojanische Pferd auch so effektiv. Bei Zeilen wie “I wanna be the girl that talks makes you fall down to your knees / Push me around and make me sorry for everything I’ve done” (“Pinky Ring”) mag man mitkreischen, einfach weil einem dieses Gefühl der Verzweiflung so bekannt vorkommt. Klares Ding: Nicht nur textlich, sondern auch im Songwriting versteckt sich hier genug Reibung für eine ganze Käserei.
Glücklicherweise fallen während der zwölf Songs ganze Steinbrüche vom Herzen. Und Katharsis ist schließlich etwas, was sich viele Musiker*innen von ihrer Kunst erhoffen – und im besten aller Fälle hat dieser Effekt auch eine Auswirkung auf die Hörer*innen. Damit diese Verzahnung aus starker Sehnsucht, starker Abhängigkeit vom Gegenüber (zählt einfach mal nach, wie oft der Satz “I need you” fällt!) und des Vonsichweisens derselben Person besonders ans Hörerherz geht, fliegen einem Riffs und Getrommel nur so um die Ohren. So vertreiben geprügelte, tosende Crash-Becken im Finale des Titelsongs den Liebeskummer aus den Köpfen und auch der feine Indie-Song „Out Loud„, in dem besonders deutlich wird, dass auch die Stimmen von Bassistin Catherine Dwyer und Gitarrist Jack Washburn ihren festen Platz auf „Like A Stone“ haben, behandelt zu pulsierendem Synthesizer und silbrigen Akkorden den zwischenmenschlichen Kampf. Anderswo, in „Easy“, erinnern wirbelnde Tom-Toms und versetzte Riffs an die Darlings von Martha, beim dissonanten Genöle des Perioden-Midtempo-Songs “Eggs” und Zeilen wie „My eggs flow right out of me / Like clockwork, every month“ scheinen die Pillow Queens hindurch und der monotone Spannungsaufbau von “Clock” besitzt durchaus gewisse Wolf Alice’sche Züge. Obendrein zeigt Perrys Gesangsorgan zahlreiche Facetten, akzentuiert bereits genanntes „Out Loud“ mal durch überraschend theatralische Ausbrüche oder erinnert im balladesken „Materialistic“, wenn ihre Stimme nach oben wegbricht, gar an Alanis Morissette zu Zeiten von „Jagged Little Pill“. Die Songs fallen mit ihrem melancholisch-eingängigen, sympathisch unaufgeräumt wirkenden Indie Rock mitten ins Haus. Indie Rock, der bratzig poltert, punkig los spurtet, gern mit dem Tempo spielt und noch viel lieber ein wenig neben der Spur liegt wie der Gesang Perrys oder die widerspenstigen, beinahe parodistischen Solos, die Gitarrist Jack Washburn seinen sechs Saiten regelmäßig abringt. Am Ende steht das countryesk schunkelnde „Odds Are“, welches trotz mancher Wehmut und Bitterkeit auf einer optimistischen Note endet. Dazu lässt Washburn seine Gitarre ein weiteres Mal aufheulen – schön schräg, so wie vieles an dieser Platte.
Zum Bindeglied von Remember Sports wird auf ihrem neusten Langspieler jedoch nicht das Faible fürs Schräge, sondern vor allem das blinde Vertrauen zueinander. Ursprünglich sind die Rollen zwar klar besetzt: Catherine Dwayer zupft den Bass, Jack Washburn und Carmen Perry übernehmen die Gitarren und Connor Perry trommelt schön drauf los. Für „Like A Stone“ löst der Philly-Vierer die strengen Hierarchien jedoch auf, tauscht die Instrumente potentiell öfter als die Socken – und das hört man. Geradlinig ist die Platte selten, immer verstecken sich kleine Extra-Schleifen im Sound, die ebenso am Midwestern Emo der frühen Nullerjahre (á la American Football) geschult zu sein scheinen wie am Weirdo-Art-Punk eines Jeff Rosenstock. Als kreischende Kirsche auf dem Sahnehäubchen ist Perrys Gesangsgestus einer, von dem man sich noch stundenlang besingen lassen könnte. Kurzum: Endlich wieder frischer Indie Punk!
Rock and Roll.