Daughter – Stereo Mind Game (2023)
-erschienen bei 4AD/Beggars/Indigo-
„I’m tryna get out / Find a subtle way out / Not to cross myself out / Not to disappear…“ Gegen das Verschwinden, das Vergessen, die Selbstaufgabe stemmten sich Daughter auf „Not To Disappear“ – und wären in der Folge beinahe selbst zur Fußnote geworden. Mitte der 2010er-Jahre bildete das britische Trio einen Fixstern am Indie-Himmel, dessen Erblassen anno dazumal kaum vorstellbar war. Schließlich definierten sich sowohl das 2013er Debütalbum „If You Leave“ als auch sein drei Jahre darauf erschienener Nachfolger nicht durch Stilbrüche oder aufgeblasene Kunst-Konzepte, sondern durch ihre immanente grenzen- wie kitschlose Empathie. Sie wirkten wie Vertraute, mit denen man sich spätabends in hoffnungslosen Zeiten traf und gegenseitig Trost spendete – und deren nahezu siebenjährige Abwesenheit sich weder durch ein Videospiel-Soundtrack-Album noch durch Elena Tonras gleichwohl gelungene Solo-Platte als Ex:Re gänzlich kompensieren ließ. Dennoch: Daughter waren erstmal weg. Während die Frontfrau ihr Heil im Alleingang suchte, verschlug es Gitarrist Igor Haefeli über den Umweg San Diego nach Bristol, Drummer Remi Aguilella nach Portland, Oregon. Nun ist das Indiefolkrock-Dreiergespann wieder aufgetaucht. Und „Stereo Mind Game„, dessen Abschlusstitel „Wish I Could Cross The Sea“ jetzt für mehr steht als nur für einen Schlagzeuger, der seinen Anteil remote in Vancouver, Washington aufnehmen musste, kommt trotz seines kryptischen, nicht eben große emotionale Reaktionen auslösenden Titels dem Seelsorge-Abkommen von damals leidenschaftlich nach.

Denn auch Album Nummer drei (oder wahlweise Nummer vier, wenn man „Music from Before The Storm“ mit einbezieht) hat wieder einiges auf dem Herzen. Im Video zur ersten, fast schon indiepoppigen Single „Be On Your Way“ etwa überlagern sich die Bilder wie verschwommene Erinnerungen. „I will meet you on another planet if the plans change“, verspricht Tonra einer romantischen Bekanntschaft, die sie einst in Kalifornien machte, ganz im Wissen, dass das irdische Wiedersehen womöglich nie stattfinden wird. Ihr Gesicht wirkt abwechselnd ernüchtert und glücklich, der vertraute instrumentale Kokon aus Hall-Gitarren, drängelndem Schlagzeugspiel und seufzenden Streichern (welche vom 12 Ensemble beigesteuert wurden) fängt den bandtypischen Limbus zwischen Verzweiflung, melancholischem Innehalten und Aufbruch ein. Die Sehnsucht nach räumlich entfernten geliebten Menschen, das gleichzeitige Wunder ihrer Existenz wie auch der Schmerz der Distanz werden zur thematischen Klammer der gesamten Platte. Wie umgehen mit den großen Sehnsüchten, die da soeben das ohnehin schon schwere Herz fluten, während der Kopf (s)ein „Stereo Mind Game“ aufführt? Passend dazu beginnt etwa der bereits erwähnte Closer „Wish I Could Cross The Sea“, welcher von der unerfüllten Sehnsucht nach Freiheit erzählt, mit entfremdeten Sprachaufnahmen von Tonras Nichte und Neffen, die in Italien leben.
Doch manchmal gibt es auch nicht-geografische Gründe für die Isolation. Im ironisch betitelten „Party“ gehe es laut der mittlerweile 33-jährigen Musikerin, in deren glasklar-rauer Stimme ätherische Präsenz kein Widerspruch ist, um die Nacht, in der sie beschloss, dem Alkohol abschwören zu wollen: „I’ll burn right through / I’m scared I’ve lost my head / I’m tryna keep my cool / My friends are vanishing“. Auf einem post-punkigen Riff treibt der Song vorwärts, knarziges Feedback-Rauschen verklanglicht die geistige Umnebelung, durch welche die Protagonistin stößt. Es ist nicht das einzige Mal, dass Daughter hier aus ihrer Komfortzone brechen. „Dandelion“ nimmt den Schwung auf seiner Akustischen mit, ehe er in einer von Geräuschen durchdrungenen Klimax durch die Luft wirbelt – „We are the reckless, we are the wild youth“, hieß es ja nicht umsonst im bis heute wohlmöglich ikonischsten Stück der Band. In „Future Lover“ unterstützt Gitarrist Igor Haefeli indes seine Frontfrau auch gesanglich, während Tonra im zart hingetupften „Isolation“ ihre künstlerische Verspieltheit mit versöhnlicheren Grautönen sowie gesundem Pragmatismus verwebt und das klassischere, anfangs kreiselnde „Neptune“ in einem atemberaubenden Finale mit Chor und Bläsern abhebt.

Orchestrales Uplifting betreibt auch das fulminante „To Rage“ – und erschlägt damit keineswegs die Intimität, sondern erfasst den Moment, in dem nahezu alle Dämme brechen. Wer skeptisch war, ob Daughter während der langen Pause die Beihilfe zur Katharsis verlernt haben könnten, kann spätestens hier die aufs Melancholische abgerichteten Tränen fließen lassen. Auszeit hin oder her – die Band hat sich erfolgreich dagegen verweigert, selbst zu einer ihrer besungenen und visualisierten Erinnerungsfetzen zu werden, und erneut ein beruhigende Wärme ausstrahlendes, introspektiv reflektierendes Album geschaffen, das nach einer gewissen Zeit den Rhythmus des eigenen Herzschlags annimmt. „I’d just need to erase distance / Find a hole in the ocean“, singt Tonra in „Swim Back“ zwischen shoegazigen Synth-Wasserfällen und tief verzerrten Saiten. Dabei hat sie den direkten Kanal zu ihren Therapiepartner*innen am anderen Ende der Leitung schon längst gefunden. Wer Daughter hört, lässt deren Songs bis tief unter due Haut fahren – und ist deshalb nie allein.
Rock and Roll.