
Foto: gefunden bei Facebook
„In cards and flowers on your window
Your friends all plead for you to stay
Sometimes beginnings aren’t so simple
Sometimes goodbye’s the only way…“
(aus „Shadow Of The Day“ von Linkin Park)
Chester Bennington ist tot. Uff. Durchschnaufen.
Eine Nachricht wie diese trifft einen – zumindest als rock-affinen Musikhörer – doch recht unvorbereitet. Wie schon der Tod von Chris Cornell im Mai (diese Hiobsbotschaft traf mich persönlich freilich noch um Einiges heftiger). Und: Klar, nachdem in den letzten Jahren bereits Größen wie David Bowie, Lemmy Kilmister, Scott Weiland, Leonard Cohen oder Prince den Orbit dieser (Musik)Welt verlassen haben, rechnet man von nun an mit so ziemlich jeder Schlagzeile (obwohl hier natürlich nichts herauf beschworen werden soll): „Paul McCartney ist nun bei John und George.“, „Mick Jagger – Herzinfarkt bei Gruppengroupieorgie“, „Keef – Halswirbelbruch beim erneuten besoffenen Palmensturz“. Aber: Chester Bennington? Der Linkin-Park-Fronter? Kann doch wohl nur eine dieser digitalen News-Enten sein? Ein Hoax? Ist es leider nicht.
„Der Sänger der US-Rockband Linkin Park, Chester Bennington, ist im Alter von 41 Jahren gestorben. Möglicherweise handele es sich um einen Suizid, sagte der zuständige Rechtsmediziner Brian Elias am Donnerstag in Los Angeles. Bennington wurde den Angaben zufolge tot in seinem Haus bei Los Angeles gefunden,“ wie die „Welt“ nüchtern über etwas Tragisches, etwas Trauriges berichtet.
Auch der gestrige Tag mag wohl eine gewisse Symbolik haben, schließlich hätte am gestrigen 20. Juli Chris Cornell, mit dem Bennington eine innige Freundschaft verband (so war Bennington etwa der Patenonkel von Cornells Sohn Christopher-Nicholas) und dessen Tod den Linkin-Park-Frontmann tief traf, seinen 53. Geburtstag gefeiert. Perfider Fakt? Nun es gäbe da noch mehr: So gab Bennington auf Chris Cornells Beerdigung eine bewegende Version des Leonard-Cohen-Evergreens „Hallelujah“ zum Besten, ein Song, welcher bekanntlich durch die Variante des 1997 auf tragische Weise ertrunkenen Jeff Buckley zum Welthit wurde. Und: Chester Bennington war für kurze Zeit, zwischen 2013 und 2015 sowie für eine EP und einige Konzerte, Frontmann der Stone Temple Pilots, deren eigentlicher Sänger Scott Weiland im Dezember 2015 das Zeitliche segnete. Gossip? Klar. Tragisch, alles? Sowas von.
Doch was verbindet mich selbst mit Chester Bennington? Nun, zunächst einmal nicht viel. Linkin Park waren, seit ihrem Durchbruch mit dem Debütalbum „Hybrid Theory“ im Jahr 2000, irgendwie eine Band, die immer da war. Für mich selbst waren die sechs Kalifornier mit ihrem NuMetal-Sound zwar nur mäßig interessant (der Musikstil war durch Vorgänger-Bands wie KoRn oder Limp Bizkit schon damals bis zum letzten Endgegner durchgespielt). Ein alter Freund erinnerte mich heute via Facebook an eine Begebenheit bei „Rock im Park“ 2003, als Linkin Park ihren Auftritt absagen mussten und stattdessen Placebo deren Headliner-Platz einnahmen (was uns damals sehr entgegen kam). Trotz alledem muss man neidlos anerkennen, dass Linkin Park zumindest bis zum 2007 erschienenen dritten Album „Minutes To Midnight“ den ein oder anderen feinen Hookline-Song zustande gebracht haben: „Crawling„, „In The End„, „Breaking The Habit„, „Numb„, „What I’ve Done“ – bei der bloßen Nennung des Titels habe ich auch heute noch den Refrain und Chester Bennigtons Stimme im Ohr. Chapeau allein dafür.
Außerdem verliert die Rockwelt mit Chester Bennington (erneut) eine ihrer kräftigsten und charismatischen Stimmen sowie einen – so ist’s zumindest allerorts zu lesen – bodenständigen Typen frei von jeglichen überzogenen Rockstar-Allüren eines Axl Rose, einen, der sich für Fans und soziale Projekte stark machte und auch sonst immer ein offenes Ohr für alle und jeden hatte (jaja, typisches Nachrufs-Blah-Blah – aber lest doch selbst, was Fans zu sagen haben). Von daher: kein schlechtes Wort von mir an dieser Stelle. Verurteilen kann und will ich Benningtons Entscheidung – so einsam und über für seine ihn Liebenden diese auch sein mag – nicht.
„Should’ve stayed, were there signs, I ignored?
Can I help you, not to hurt, anymore?
We saw brilliance, when the world, was asleep
There are things that we can have, but can’t keep…“
(aus „One More Light“ von Linkin Park)
Ebenfalls via Facebook durfte ich heute eine Diskussion mit einer alten Freundin führen, welche Folgendes – if I may quote? – schrieb: „Kann es sein, dass sich das gesamte Netz in Schockstarre und Trauer befindet und ich die Einzige bin, die das einfach nur scheiße findet? Wie kann man als Vater von 6 Kindern so derb egoistisch sein und sich erhängen? Bei Depressionen gibt es ne Menge Anlaufstellen und Therapien, die einem helfen können. Aber sich so feige aus dem Leben und der Verantwortung zu verpissen, is das Allerletzte. Tja, ‚in the end it doesn’t even matter‘ schätz ich mal.“
Was ich mich – und sie – darauf fragte: Steht es uns – als Außenstehende, die Bennington nicht im Entferntesten kannten – überhaupt zu, über ihn und den Entschluss, sein Leben zu beenden, zu urteilen? Klar, wie ebenjene Freundin ebenfalls schrieb: „So ein blöder Brief oder sonstige unpersönliche Verabschiedung nach einem Selbstmord lässt einen nur so völlig ungeliebt zurück. Wenn man mit der Familie drüber sprechen würde, dass man solche Gedanken hat, sich vorab irgendwie zu verabschieden, niemanden im Glauben zu lassen, dass er es nicht wert wäre, für ihn weiterzuleben. Klingt vielleicht krass, aber so eine Ehrlichkeit hätten die Familien verdient. Nicht den Schock, eine Leiche im eigenen Heim vorzufinden.“ Schon richtig, aber wie ich bereits im meinem Nachruf auf Chris Cornell im Mai schrieb (und beide mutmaßlichen Freitode scheinen ja ganz ähnlich gelagert zu sein): Man kann niemandem hinter die Fassade schauen. Vordergründig mögen sowohl Chris Cornell als auch Chester Bennington erfolgreiche, von Fans überall auf dem Erdball umjubelte Rockstars mit Vorbildfunktion sowie treu sorgende, liebevolle verheiratete Familienväter (Cornell dreifach, Bennington gar sechsfach) gewesen sein. Tief im Inneren hatten jedoch beide – nebst der beinahe obligatorischen schwierigen Kindheit (im Fall von Bennington verbunden mit elterlicher Vernachlässigung und Kindesmissbrauch) – seit vielen, vielen Jahren mit Depressionen und den damit oft einher gehenden Alkohol-, Medikamenten- und Drogenproblemen zu kämpfen (und redeten auch offen darüber). Wem an dieser Stelle das „Rockstar-Klischee“ vom „ach so sensiblen Kunstschaffenden“ zum Hals heraus hängen mag, der wechsle lieber nie ins Schlager-Fach…
Umso wichtiger finde ich selbst es (wie übrigens auch Guano-Apes-Frontfrau Sandra Nasic in ihrem für spiegel.de verfassten Nachruf auf Bennington), dass den Topoi „Depression“ und „Suizid“ mehr Gesprächsbereitschaft und weniger Scheu entgegen gebracht wird. Denn wenn wir ehrlich sind, so haben wir alle – du, ich, die Frau an der Kasse von Aldi, der Hedgefonds-Manager an der Frankfurter Börse und der Rockstar, dem du noch gestern aus dem Publikumsgraben heraus Handküsse zugeworfen hast – eine helle und eine dunkle Seite. Ying und Yang. Gut und böse. Dass ich beide Seiten kenne, habe ich unlängst hier geschrieben… Wir alle sollten uns ein kleines Stückweit zur Aufgabe machen, ebenjenen zu helfen, deren dunkle Seiten, deren Dämonen die Überhand zu erlangen drohen (so sie es denn zulassen). Sagt diesen Menschen (wie auch allen anderen, völlig unabhängig davon), wie sehr sie euch am Herzen liegen, wie wichtig sie sind, wie sehr sie geliebt werden. Depression mag eine Krankheit sein, die sich wohl kaum einer selbst ausgesucht hat. Doch ansteckend ist sie nicht. Kein von Depressionen Betroffener erwartet von euch, dass ihr ihn/sie zu einhundert Prozent versteht oder entschlüsselt. Ist müsst einfach nur da sein. Also: fahrt mal eure Ellenbogen rein und die Herzen aus! Tut’s für euch. Tut’s für den anderen, die andere. Tut’s fürs Karma.
Wer selbst mit Problemen dieser Art zu kämpfen hat, der sollte nicht schweigen. Redet darüber. Schreibt darüber. Oder wendet euch an diese Stellen:
https://suicidepreventionlifeline.org/
https://www.suizidprophylaxe.de/
Inschallah. Namaste.
In Liebe und
Rock and Roll.