Chinese zum Mitnehmen – Eine süß-saure Komödie (2011)
Manchmal bringen nicht findige Drehbuchschreiber in Hollywood die besten Geschichten zu Papier, sondern das Leben selbst. Ein Liebespaar, welches sich für ein geheimes Techtelmechtel im Wagen des Mannes trifft und auf dem Höhepunkt durch die versehentlich gelöste Handbremse die nahe Klippe hinunterstürzt. Der Barbier, welcher Opfer eines Unfalls wird und dabei auch noch seinen letzten Kunden mit ins Jenseits befördert. Zwei Liebende in in der chinesischen Idylle, die kurz vor der Verlobung durch eine fatale Kausalkette und eine fliegende Kuh auf ewig entzweit werden.
Roberto (Ricardo Darín) liest eben jene unwirklichen Geschichten in Zeitungen auf und sammelt sie in einem großen schwarzen Buch. Denn sonst bietet ihm sein Leben als Eisenwarenhändler in einem Außenbezirk der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires wenig Erbauliches. Gezeichnet vom frühen Verlust seiner Eltern und den verstörenden Erfahrungen, die er im Falkland-Krieg machen musste, fristet der wortkarge Misanthrop sein Dasein zwischen Schrauben, Nägeln, eigenartigen Kunden und dem hochgehaltenen Andenken an seine Eltern – stets bedacht auf Akkuratesse und einen festen Tagesablauf, sei es nun das Nachzählen der Schraubenlieferungen (bei welchen ihm natürlich jedes Mal einige zu wenig geliefert werden) oder das Zubettgehen um Punkt 23 Uhr. In der Nähe weiblicher Personen fühlt er sich in höchstem Maße unsicher, und das Zeigen von Gefühlen ist schon gar nicht seine Sache. Da kann sich Marie noch so anstrengen…
Als jedoch der Chinese Jun (Huang Ignacio Sheng Huang) vor seinen Füßen aus einem Taxi geworfen wird, und Roberto nun quasi für den Flüchtling, welcher kein einziges Wort Spanisch spricht und in der argentinischen Großstadt seinen emigrierten Onkel zu finden hofft, verantwortlich ist, gerät seine Welt ungewollt nach und nach aus ihren fest eingeschliffenen Bahnen. Und obwohl er stets mit sich ringt, Jun sofort eine Deadline von sieben Tagen gibt, um den Verwandten zu finden, und sich die beiden, aufgrund der Sprachbarriere, am Frühstückstisch bei Tee und Weißbrot nur anstarren, wird sich Roberto immer mehr seiner Gutherzigkeit bewusst.
Ricardo Darín gilt spätestens seit dem Oscar-prämierten „In ihren Augen“ (2010) als die argentinische Antwort auf George Clooney. Deshalb ist es auch wenig erstaunlich, dass „Un cuento chino“ (so der spanische Originaltitel, welcher übersetzt soviel wie Märchen oder Lügengeschichte bedeutet) in der Heimat von Lionel Messi oder Diego Maradona zum Kassenschlager avancierte. Doch eine Lügengeschichte ist der Film von Sebastián Borensztein keineswegs, denn er beruht tatsächlich auf einer wahren Begebenheit. Und obwohl die Storyline „zurückgezogener Herr mittleren Alters wird durch eine weitere, liebenswert-verpeilte zweite Person in seinen Grundfesten erschüttert und beginnt, umzudenken“ keineswegs neu oder innovativ ist, ist es toll, Ricardo, der dem Leben weder Sinn noch Plan zugesteht, und Jun, welcher selbst im tragischsten Schicksal noch einen tieferen Sinn sieht, dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig heilen.
„Chinese zum Mitnehmen“ mutet ein wenig wie Magnolia ohne all die tief empfundene Melancholie an und ist alles in allem eine ebenso unterhaltsame wie kurzweilige und herzerwärmende Tragikkomödie, wie sie nur das Leben selbst schreiben kann.
Rock and Roll.