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Der Jahresrückblick – Teil 1


„High Fidelity“ lässt lieb grüßen, denn der Pop ist bekanntlich seit jeher besessen von Listen. Ob Verkaufscharts, Streamingzahlen oder höchst subjektive Kritiker*innen-Rankings – ständig weder Plattenregale uns -sammlungen, wird die Veröffentlichungsflut in Listenform gebracht, wird Altes in Listenform neu gewichtet. Zum Jahresende ist es besonders heftig, denn natürlich dürfen, sollen, müssen überall die besten Alben und Songs der vergangenen zwölf Monate gekürt werden. 

Vor dem Blick auf die Deutschen Charts scheue (nicht nur) ich auch sonst schon zurück, da sich dieses Land seit jeher durch (s)einen notorisch schlechten Geschmack auszeichnet und Fremdscham-Alarm jedes Mal aufs Neue garantiert ist. Und leider bilden die erfolgreichsten Titel des Jahres 2022 da – Bestätigung, hier kommt sie – keine Ausnahme: Das nervtötend ohrwurmige Vollpfosten-Lied „Layla“ von DJ Robin & Schürze belegt den ersten Platz der Single-Charts – neun Wochen hielt sich der dumpftumbe Ballermann-Hit, der ein Skandälchen auslöste, jedoch besser keinerlei Erwähnung verdient gehabt hätte, an der Chartspitze, mehr als 143 Millionen Mal wurde er gestreamt. Bei den Alben dann ebenfalls keine Überraschung: Mit „Zeit“ führen die Teutonen-Böller-und-Ballermänner von Rammstein erwartungsgemäß die Liste an – und zwar mit deutlichem Abstand. 340.000 Mal hat sich das elfte Nummer-Eins-Album der Berliner Band um das personifizierte rrrrrrrrollende „R“, Till Lindemann, insgesamt verkauft. Wie erwartbar, wie öde. Und irgendwie ja auch ein Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft…

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Christian Lee Hutson – Quitters

In den zurückliegenden Monaten durfte man ein ums andere Mal kopfschüttelnd seinen Glauben an die Menschheit verlieren: Kriege, Krisen, Klimawandel und damit einhergehende Umweltkatastrophen, Inflation, dazu die – hoffentlich – letzten Ausläufer einer weltweiten Pandemie, gesellschaftliche Spaltungen, politischer Stillstand (oder gar der ein oder andere Rechtsruck) wohin man schaute. Gesellschaftliche Unruhen im Iran, weil irgendwelche gottverdammten Männer unter religiösen Deckmänteln an ihrem formvollendet sinnfreien Regelwerk der Unterdrückung von Frauen und Andersdenkenden festhalten wollen? Eine aus so vielen, so falschen Gründen aus dem heißen Wüstenboden hochgezogene und mit unvorstellbar viel Blutgeld durchgeführte Winter-Fußball-WM in Katar? Ja, auch 2022 fanden Tagesschau und Co. meist statt, wenn der Sprecher (oder die Sprecherin) einem einen „Guten Abend“ wünschte und darauf mit vielerlei Schlagzeilen bewies, dass es eben kein guter war. Dass die Musikwelt in diesem Jahr Größen wie Mark Lanegan, Taylor Hawkins (Foo Fighters), Meat Loaf, Jerry Lee Lewis, Andy Fletcher (Depesche Mode), Christine McVie (Fleetwood Mac), Loretta Lynn, Betty Davis oder Mimi Parker (Low) verlor, macht das Ganze keineswegs besser. Dass 2022 Konzerte und Festivals endlich wieder in halbwegs „normalem“ Rahmen stattfinden konnten, jedoch schon – wenngleich es der Live-Branche jedoch alles andere als gut geht und vor allem kleinere, unbekanntere Künstler*innen und Bands sich in der Post-Corona-Zeit mit immer neuen Schwierigkeiten konfrontiert sehen (wen es interessiert, dem sei ein recht ausführlicher Artikel mit dem Titel „Kuh auf dem Eis“ hierüber in der aktuellen Ausgabe der „VISIONS“ – Nummer 358 von 01/2023 – ans Herz gelegt). Ja, das noch aktuelle Jahr war rückblickend sowohl gesellschaftlich als auch fürs menschliche wie planetare Zeugnis kein tolles – musikalisch darf zum Glück das komplette Gegenteil behauptet werden.

Wie also sieht und wertet die schreiberische Zunft als Albumjahr 2022? Nun, beim deutschen „Rolling Stone“ landen Tom Liwas „Eine andere Zeit“, „And In The Darkness, Hearts Aglow“ von Weyes Blood sowie „Ytilaer“ von Bill Callahan auf dem Treppchen, beim erfahrungsgemäß hype- und pop-affinen „Musikexpress“ sieht man Kendrick Lamars „Mr. Morale & The Big Steppers“, „DIE NERVEN“ von Die Nerven und „Motomami“ von Rosalía vorn, bei der „VISIONS“ wiederum „DIE NERVEN“ von Die Nerven, „Eyes Of Oblivion“ von den Hellacopters sowie „Wet Leg“ von Wet Leg. International führt „Renaissance“, das siebente Studioalbum von Beyoncé, das Kritiker-Ranking an. Und bei ANEWFRIEND? Ich greife mal vorweg und verrate, dass es zwar ein kleinwenig Konsens, jedoch recht wenig Überschneidungen mit alledem bei mir gibt und meine persönliche Bestenliste der Qualität wegen auf eine amtliche Top 25 erweitert wurde…

Foto: Promo / Michael Delaney

Dass die vergangenen Monate die notwendige Untermalung fanden, lag auch an „Quitters„, dem vierten Langspieler von Christian Lee Hutson. Was mich rückblickend etwas erstaunt, ist, dass der im April erschienene Nachfolger zum 2020er „Beginners“ zwar seinerzeit von den einschlägigen kritischen Stimmen wohlwollend goutiert, in den jeweiligen Jahresendabrechnungen jedoch kaum berücksichtigt wurde. An den durch und durch großartigen 13 Songs des Albums kann’s kaum gelegen haben, denn näher an das Schaffen eines Elliott Smith ist lange, lange Zeit niemand herangekommen – und das ist vor allem aus meiner digitalen Feder als recht großes Kompliment zu verstehen. Zudem mischen einmal mehr keine Geringeren als Phoebe Bridgers und Conor Oberst mit. Heraus kommt eine Dreiviertelstunde musikalischer Zerstreuung und Realitätsflucht, die auch bei der Vielzahl an Konkurrenz im Jahr 2022 völlig zurecht auf meiner Eins landet. A singular ode to melancholy.

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2.  Nullmillimeter – Wer die Wahrheit sagt, der braucht ein schnelles Pferd

Nullmillimeter sind eine von so einigen tollen musikalischen Neuentdeckungen des zurückliegenden Musikjahres. Und knallen dem geneigten Hörer (oder eben der geneigten Hörerin) mit „Wer die Wahrheit sagt, der braucht ein schnelles Pferd“ mal eben ein derart faszinierendes Debüt vor die Lauscher, dass man sich im Wirbel kaum entscheiden mag, was hier toller ist. Das großartige Coverartwork mit dem auf einem Poller festgerittenen Pony? Der Albumtitel, in welchem wortwörtlich ebensoviel Wahrheit steckt wie in all den klugen Textzeilen? Die Stimme von Sängerin Naëma Faika, die der bundesdeutschen Musiklandschaft – tatsächlich, tatsächlich – gerade noch gefehlt hat? Die bockstarke Band hinter ihr, die manch eine(r) in der Vergangenheit bereits als Teile der Begleitbands von Kid Kopphausen, Staring Girl, Jochen Distelmeyer, Tom Liwa, Olli Schulz oder Gisbert zu Knyphausen zu hören bekam? Dass letztgenannter hier bei einer Coverversion eines Songs aus dem Solo-Schaffen von Pearl Jam-Frontstimme Eddie Vedder mitmischt? Dass sich diese Nummer dann noch ganz organisch in den Albumfluss einfügt und man sich immer wieder kopfüber in die Platte schmeißen möchte, die so voller Schmerz, so voll herrlicher Melancholie, aber vor allem so voller Leben steckt? Ach, herrje – man weiß es nicht. Man will’s auch gar nicht wissen, denn im Zweifel aller Zweifel ist’s all das. Doppelt. Dreifach. Gleichzeitig. Und es ist einfach so toll, dass man lediglich kritisieren mag, dass dem Album kein Booklet beiliegt.

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3.  Pianos Become The Teeth – Drift

Es gibt Bands, Alben und Songs, die einen vom ersten Moment an mit ihrer Atmosphäre und ihrer wunderbaren Unmittelbarkeit einfangen und so schnell auch nicht mehr loslassen. Pianos Become The Teeth wurden für mich anno 2014 mit ihrem dritten Langspieler „Keep You“ zu einer solchen Band (und schafften es damals auch völlig zurecht aufs Treppchen der „Alben des Jahres„). Ihr vorheriges Post-Hardcore-Brülloutfit war (und ist) mir im Gros herzlich schnuppe, aber mit ihrem einschneidenden Wechsel hin zu melancholischem Emo-Indie und mit den ersten Tönen des „Keep You“-Openers „Ripple Water Shine“ war ich unwillkürlich schockverliebt. Nach dem auf hohem Niveau stagnierenden 2018er Album „Wait For Love“ besitzt „Drift“ nun wieder diesen „Ripple Water Shine“-Effekt, denn das Album ist schlichtweg schonungslos emotional – in Ton und Wort. Dicht gewebte, hallende Rhythmen, melancholische Melodien und wenige, gut dosierte laute Momente. Dazu singt Kyle Durfey seine persönlichen Texte, die vom Leben und oft von dessen Schwere handeln. In „Pair“ etwa davon, wie Durfeys Frau Lou (die in vier Stücken namentlich genannt wird) und er lange auf ihren Nachwuchs warten mussten. Wie es sich für richtig gute Alben gehört, wechselt die Lieblingssongs von Zeit zu Zeit, neben der Übernummer „Genevieve“ sticht etwa das repetitive, an Radiohead erinnerte „Easy“ hervor. So oder so liefert die Band aus Baltimore, Maryland einmal mehr zehn wundervolle Tearjerker, zu denen es sich vortrefflich die Fäuste gen Firmament ballen lässt.

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4.  Frank Turner – FTHC

Apropos „liefern“, apropos „Fäuste gen Firmament“: Beides trifft natürlich auch auf Frank Turner zu, denn der britische Punkrock-Barde scheint Schlaf so nötig zu haben wie ein Uhu eine Badekappe. Nicht nur hat der 41-jährige Musiker bereits über 2.700 Shows unter eigenem Namen gespielt (etwa 140 allein in diesem Jahr, zudem fand mit den „Lost Evenings“ gar ein eigenes Festival in Berlin statt), er trägt das Herz auch am richtigen Fleck und liefert im Zwei- bis Drei-Jahres-Turnus auch verlässlich Alben ab, zu deren Songs man nur allzu gern die geballte Patschehand gen Himmel strecken und ein bierseliges „Aye, mate!“ ausstoßen möchte. Daran ändern die 14 Nummern (beziehungsweise 20 in der Deluxe Edition) von „FTHC„, seinem nunmehr neunten Studioalbum, mal so rein gar nix. Und so vielseitig, so frisch klang der nimmermüde Turner schon lange nicht mehr. Frank und frei – Sie wissen schon… Und wem bei „A Wave Across A Bay“, seinem Tribute an den zu früh verstorbenen Frightened Rabbit-Buddy Scott Hutchison, nicht das Herz holterdipolter gen Schlüppi rutscht, der hat statt pochendem Muskel nur einen ollen Betonklotz in der Brust sitzen…

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5.  Dreamtigers – Ellapsis

Nerds wissen es freilich längst: Die meisten Fachsimpeleien über Musik stützen sich manches Mal schon sehr auf eine Art von Genre-Taxonomie, bei welcher sowohl Kritiker als auch Fans Songs und Alben in verschiedene Bestandteile zerlegen und die Anatomie der verwendeten Formen in erkennbare Strukturen unterteilen. Doch was für die einen nützlich erscheinen mag, um dem lesenden Gegenüber Empfehlungen zu geben, dürfte all jene, die sich eben nicht knietief im musikalen Nerdtum bewegen, schnell abschrecken. Ein recht gutes Beispiel, dass man bei Empfehlungen lange wie kurze Wege gehen kann, ist „Ellapsis“, das zweite Album von Dreamtigers, einem Bandprojekt, das sich aus Mitgliedern der Melodic-Hardcore-Helden Defeater und den Post-Rock-Größen Caspian zusammensetzt. Denn auf dem Langspieler, dessen Titel ein erfundener Begriff für eine Krankheit, die durch den Lauf der Zeit hervorgerufen wird, ist, passiert eine ganze Menge, und vieles davon scheint unvereinbar zu sein. Das erste, das Unmittelbarste, was man wahrnimmt, ist die beständig zwischen fragilem und mächtigem Momentum pendelnde Instrumentierung. Die Gitarren werden durch eine ganze Reihe von Effektpedalen gejagt, dazu kommen ein unscharf ins Rund tönender Bass und souveräne Drums. Einen Moment lang könnte man meinen, es handele sich um ein eher konventionelles Post-Rock-Album – bis der Jake Woodruffs Gesang einsetzt, der auch in einer Alt-Country-Band nicht fehl am Platz wäre. Überhaupt lassen sich die Stücke stilistisch nur schwerlich festlegen, denn während des gesamten Albums schimmern verschiedene Nuancen durch, die wie Lichtstrahlen durch einen Kristall fallen: Folk-Songs brechen in Post-Rock-Höhepunkte aus, Indie-Rock-Hooks huschen durch Shoegaze-Atmosphären, wobei Gesang und Songwriting stets unbehelligt von dem akustischen Wirbelsturm aus Effektpedalen und treibenden Schlagzeugmustern um sie herum bleiben. Fast könnte man meinen, dass die Songs so sehr auf akustische Soloauftritte zugeschnitten zu sein scheinen, dass die üppigen, hymnisch empor steigenden Arrangements, welche mit ihrer Dringlichkeit und latent aggressiven Energie ein ums andere Mal an Defekter erinnern, fast trotzig klingen. Dennoch kommt man der Sogwirkung dieses Albums als Ganzes (ganz ähnlich wie bereits beim kaum weniger tollen 2014er Vorgänger „Wishing Well„) nicht wirklich nahe. Denn wie auch immer man das Zusammenspiel zwischen Instrumentalem und Gesang beschreiben mag, was bei dieser Platte wirklich heraussticht, sind all die Meditationen über das Verfliegen der Zeit und wie die Band aus Massachusetts hier selbst die flüchtigsten Momente ewig erscheinen lässt. Selbst die längeren Songs von „Ellapsis“ fühlen so kurz an wie die kürzeren, während die kurzen den längsten ebenbürtig erscheinen, und das Album als Ganzes hallt weit über seine lediglich dreißig Minuten Laufzeit hinaus. Angefangen beim Opener „Six Rivers“ umspülen einen die Stücke wie ans Ufer schlagende Wellen, die mit den Gezeiten verebben und fließen. Wenn der Albumabschluss „Stolen Moments“ schließlich sein Ende findet, fühlt es sich beinahe so an, als ob der Schlusschor schon ewig hinter dem Universum her gesummt wäre.

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6.  Pale – The Night, The Dawn And What Remains

Pale melden sich ein allerletztes Mal zurück – einerseits ja wunderbar, wären die Gründe für das unerwartete Comeback keine so traurigen. Umso schöner, dass die Aachener Indie-Rock-Band mit „The Night, The Dawn And What Remains“ umso trotziger sowohl ihre Freundschaft und den gemeinsamen Weg als auch das Leben feiert. Macht’s gut, Jungs – und danke für diese wundervolle Ehrenrunde! #träneimknopfloch

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7.  Muff Potter – Bei aller Liebe

Und wo wir gerade bei Comebacks wären, sind Muff Potter in diesem Jahr freilich nicht allzu weit, denn: Alle kommen sie wieder, irgendwann und irgendwie. Das traf 2022 selbst auf ABBA zu, die 2021 mit „Voyage“ zunächst die ersten neuen Songs seit fast vierzig Jahren präsentierten, um im Jahr darauf ausverkaufte Hologramm-Konzerte in London zu „spielen“- getreu dem schwedischen Erfolgsmotto „Entdecke die Möglichkeiten“. Und auch in der Rockmusik konnte man zuletzt vermehrt das Gefühl bekommen, selbige bestehe nur noch aus Reunions einst erfolgreicher Bands, die in Ermangelung neuer Ideen versuchen, mit den alten noch einmal abzukassieren. Dann wiederum gibt es Truppen wie eben Muff Potter, denen es mit ihrem Albumcomeback nach schlappen 13 Jahren Pause gelingt, selbst eingefleischte Per-se-Skeptiker umzudrehen, weil man „Bei aller Liebe“ bei allem frischen Ideenreichtum die Zeit anhört, die seit dem Abschied mit „Gute Aussicht“ vergangen ist. Die Platte zeugt davon, dass das Leben eben auch ohne gemeinsame Band weitergeht, und es töricht wäre, all die Erfahrungen beiseite zu lassen, die man in der Zwischenzeit zwangsläufig macht. Und deshalb steht hier Blumfeld-artiges wie „Ein gestohlener Tag“ neben Instant-Hits wie „Flitter & Tand“ oder einem 72 Sekunden kurzen Punkausbruch wie „Privat“. Verschränken sich in Thorsten „Nagel“ Nagelschmidts Texten seine schriftstellerische Arbeit (sic!) mit dem Punk-Fan, den es auch mal einfach braucht. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass man Muff Potter – bei aller Liebe – keineswegs zugetraut hätte, noch einmal so viel zu sagen zu haben und sich musikalisch so offen zu zeigen – mit Kurzweil wie mit Tiefgang. Andererseits ist’s natürlich umso schöner, wenn die eigenen Erwartungen übertroffen werden und man eine lange Zeit auf kreativem Eis liegende Herzensband neu für sich entdeckt.

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8.  Cat Power – Covers

Dass Chan „Cat Power“ Marshall für ihre Coverversionen bekannt ist, dürfte sich mittlerweile auch bis zu den allerletzten Hütern des guten Musikgeschmacks herumgesprochen haben, immerhin hat die 50-jährige US-Musikerin im Laufe ihrer annähernd dreißigjährigen Kariere bislang zwei verdammt formidable Coversong-Alben veröffentlicht, auf denen sie von unbekannteren Bob Dylan-Nummern über Blues’n’Soul-Stücken bis hin zu abgeschmackten Evergreens wie „(I Can’t Getroffen No) Satisfaction“ jedem Song derart ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stempel aufdrücken konnte, dass es eine wahre Schau war. Nach „The Covers Record“ (2000) und „Jukebox“ (2008) macht Cat Power nun mit „Covers“ das Trio voll und liefert erneut formvollendet-exquisites Coverhandwerk – ganz egal, ob die Originale von von Nick Cave and the Bad Seeds („I Had A Dream, Joe“), Lana Del Rey („White Mustang“), den Replacements („Here Comes A Regular“) oder Billie Holiday („I’ll Be Seeing You“) stammen. Ja, die Frau kann mit ihrer so wunderbar rauen, so unendlich tiefen Stimme kaum etwas falsch und sich so ziemlich jede Fremdkomposition zueigen machen.

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9.  Tristan Brusch – Am Rest

Wie bereits in der dazugehörigen Rezension erwähnt, bin ich bei Tristan Bruschs dritten Album „Am Rest“ etwas late to the party, immerhin erschien die Platte bereits im Oktober 2021. Dennoch verpassen alle jene, die diese Musik gewordene Trübsalsfeierlichkeit ganz außen vor lassen, so einiges bei diesen Oden an das Ende der Dinge und an die Akzeptanz des Verlusts. Ja, im Grunde könnte es kaum bessere Stücke geben, um jenen so intensiv graumeliert schimmernden Tagen einen passenden Soundtrack zu liefern. Sucht wer die passenden Gegenstücke zu Max Raabes „Wer hat hier schlechte Laune“ (welches, wenn ihr mich fragt, übrigens als weltbeste Warteschleifenmusik für alle Kundendiesnthotlines taugen würde)? Nun, hier habt ihr sie – dargeboten von einem begnadeten Liedermacher, der alle nach billigem Tetrapack-Weißwein und zu vielen Marlboro-Kippen müffelnden, mieslaunigen Chansoniers ins piefige Bundesdeutsche überträgt.

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10. Betterov – Olympia

Freilich war die Vielzahl an Erwartungen, die an den Debüt-Langspieler von Manuel „Betterov“ Bittorf geknüpft waren, ebenso groß wie die Vorfreude auf neue Songs des gebürtigen Thüringers und Wahl-Berliners. Umso schöner, dass „Olympia“ diese Hürde beinahe mühelos nimmt und elf Songs präsentiert, denen man den Produzenten ebenso anhört wie die Platten, die beim Schreiben wohlmöglich im Hintergrund liefen. So mausert sich Betterov vom Newcomer-Geheimtipp zum amtlichen Senkrechtstarter, der völlig zurecht einen Platz in meinen persönlichen-Jahres-Top-Ten einfährt. Olympia-Norm? Vollends erfüllt.

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…auf den weiteren Plätzen:

Husten – Aus allen Nähten mehr…

Casper – Alles war schön und nichts tat weh

Death Cab For Cutie – Asphalt Meadows mehr…

William Fitzsimmons – Covers, Vol. 1

Caracara – New Preoccupations mehr…

Eddie Vedder – Earthling mehr…

Black Country, New Road – Ants From Up There

Gang Of Youths – Angel In Realtime.

Spanish Love Songs – Brave Faces Etc. mehr…

Faber – Orpheum (Live)

Die Nerven – DIE NERVEN

Ghost – Impera

Proper. – The Great American Novel mehr…

Rocky Votolato – Wild Roots mehr…

The Afghan Whigs – How Do You Burn?

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Husten – Aus allen Nähten (2022)

-erschienen bei Kapitän Platte/Cargo-

Mal Butter bei die Kiementiere: Kaum einer Band kann man – mal abgesehen von einem italienischen Eurodance-Act, der in den Neunzigern mit Liedern wie „The Rhythm Of The Night“ oder „Baby Baby“ recht erfolgreich war, da aber logischerweise noch nicht ahnen konnte, dass sein Name einige Jahre später einmal mit einer weltweiten Pandemie in Verbindung kommen könnte – marketingtechnisch weniger Gespür für potentielles Assoziationstum attestieren als Husten, denn der Bandname mutet, zumal in Corona-Zeiten, nicht besonders einladend an. Mainstream-Durchbruch? Druff jeschissen, Keule!

Andererseits war es auch eine durchaus spezielle Reise, die das Trio bis hierhin hingelegt hat, denn eine „Band“ im eigentlichen Sinne – mit Alben, Konzerten, sonstigen Verpflichtungen und allem PiPaPo – war so nie angedacht. Stattdessen schmissen die drei – Liedermacher Gisbert zu Knyphausen, Studiobesitzer und Produzent Moses Schneider (u.a. Beatsteaks, Tocotronic, Turbostaat oder Olli Schulz) und Tobias „Der dünne Mann“ Friedrich (ehemals Sänger von Viktoriapark) – anno 2017 eine erste, selbstbetitelte EP ins Rund und versprachen, dass es bei soviel Freude am ungezwungenen Musizieren fortan einfach nur eine EP pro Jahr geben sollte. Das hielt das Dreiergespann zunächst – für drei Jahre und ebenso viele Kleinformate – ein, doch irgendwann (also: jetzt) musste es dann wohl doch ein vollwertiges Album sein… Eine durchaus bemerkenswerte Entwicklung für eine Combo, die zunächst nur ganz nebenbei und ohne jegliche planerische Zwänge für andere Projekte ungenutzte Songideen verwerten wollte. Und wer den Werdegang von Husten in den vergangenen fünf Jahren mit aufmerksamen Ohren verfolgt hat (etwa via ANEWFRIEND), den dürfte kaum wundern, dass das Trio, dessen vielseitige Indie-Poppe-di-Rock-Melange sich nicht nur alphabetisch, sondern auch klanglich wie wirkungstechnisch bestens neben Kombos wie Die Höchste Eisenbahn ins Plattenregal sortieren ließe, seinem nun erschienenen Langspiel-Debüt „Aus allen Nähten“ nicht nur ein überaus farbenfrohes Cover-Artwork, sondern auch einen ebenso fantasievollen Pressetext voranstellt:

„Eigenartige, schmutzige Geschichten über Unglück. Ohne lange zu überlegen, griff Fushigi nach dem Album, dessen buntes Cover aus der Wand mit den Zeitschriften, Büchern und Schallplatten herausragte. Neben den japanischen Schriftzeichen konnte sie auf der Hülle auch die deutschen Worte Husten und ‚Aus allen Nähten‘ erkennen. Fushigi bezahlte und machte sich zuhause daran, die auf Vinyl versammelten Lieder zu erforschen.

Obwohl sie nur Bruchstücke der fremden Sprache verstand, träumte sie in der Nacht von der in einem Song beschriebenen Nahtoderfahrung, von dem Mann, der sich in einem anderen Lied in eine Vaterschaft hinein illusioniert, schreckte um Viertel vor drei hoch, weil sie sich sicher war, dass – wie auf Platte – eine Krankenschwester um diese Zeit anrufen würde. Später sah sie im Schlaf das gelbe Haus der Ausgestiegenen und durchlebte die in szenischen Miniaturen geschilderte tragische Lebensliebesgeschichte eines anonymen Paares. Hörte noch im morgendlichen Halbschlaf neben dem deutschen Sänger die Schweizerin Sophie Hunger nachhallen. Sofort nach dem Frühstück recherchierte Fushigi und fand heraus, dass ‚Aus allen Nähten‘ nach vier EPs das erste Husten-Album war.

Warum es ein unglücklicher Zufall in dieser an Zufällen und glücklichen Unglücken so reichen Band-Geschichte war, dass deren Mitglieder Moses Schneider, Gisbert zu Knyphausen und der dünne Mann sich 2019 entschlossen hatten, ihre Tour 500 Tage im Voraus anzukündigen und die Pandemie daraus über 1.200 Tage zwischen Mitteilung und Konzertbeginn machte. Sie erfuhr von der anfänglichen fluxusartigen Liederresteverwertung der Musiker, die inzwischen einer live aufnehmenden Band gewichen war. Doch kreidebleich wurde Fushigi erst, als sie las, dass jemand sie selbst ausschließlich für das Info der Band erfunden hatte.“

Etwas spinnert, aber durchaus mit jeder Menge Herz, Hirn und Hintersinn, das Ganze, oder? Und dennoch nicht für alle und jede(n) gemacht, denn bei aller Sympathie darf man guten Gewissens mutmaßen, dass Husten-Songs nie im Nachmittagsprogramm irgendeines Formatradios stattfinden werden. Schlimm? Isset nich‘, Keule. Vielmehr machen Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen (nur echt mit eigenem Familienlandsitz in Eltville-Erbach im hessischen Rheingau!), Moses Schneider und Tobias „Der dünne Mann“ Friedrich mit wuseliger Vielschichtigkeit und kreativer Eleganz auch 2022 ganz ihr eigenes Ding.

Selbige – die Vielschichtigkeit, die Eleganz – legt schon der bereits im April 2021 veröffentlichte Opener „Weit leuchten die Felder“ mit seinem hypnotischen Streicher-Arrangement und dem gedehnten, leicht heiseren, vertrauten Gesang an den Tag, und berichtet dramatisch von einer Nahtoderfahrung. Rhythmus ist zunächst der pochende Herzschlag, die benannten Streicher setzen ein, zarte Elektronica übernimmt hintenraus. All das sprengt die Aufmerksamkeitsspanne der meisten Außer-Takt-Klatscher hierzulande längst. Kaum verwunderlich dürfte außerdem sein, dass bei „Aus allen Nähten“, welches nun einige bisher veröffentlichte Husten-Singles vereint (wie das benannte „Weit leuchten die Felder“, aber auch „Der hier wird weh tun„, „Maria„, „Manchmal träum‘ ich von Träumen“ und „Dasein„), hin und wieder ein wenig was von zu Knyphausens letztem Solo-Werk „Das Licht dieser Welt“ mitschwingt. Beim Abschluss „Am Ende der Stadt steht ein gelbes Haus“ zum Beispiel, von dessen warmer Strömung man sich gern tragen lässt und den detaillierten Beobachtungen lauscht, die am Ende aber doch abseitiger, faszinierender daherkommt als viele Songs des dritten, 2017 erschienenen Knyphausen-Albums.

Und auch die ruhigeren Momente legen nur scheinbar eine Fährte, denn „Aus allen Nähten“ ist definitiv ein Band-Album geworden. So darf der schöne Indiepopper „Wind in den Antennen“ rund um seinen Refrain durchaus etwas Dampf machen, welchen die Uptempo-Nummer „Maria“ dann komplett aufnimmt und auf diversen E-Gitarren-Soli davon rauscht. So viel Hingabe zum Rock’n’Roll, auch zu hören im geschickt inszenierten „Der hier wird weh tun“ oder beim beinah noisigen kleinen, so herrlich zerrissenen Hit „Manchmal träum‘ ich von Träumen“, hatte Knyphausens Songwriting seit Kid Kopphausen, seinem ähnlich feinen Projekt mit dem leider 2012 viel zu früh verstorbenen Hamburger Musikerkumpel Nils Koppruch, sowie seinem tollen 2008er Debütalbum nicht mehr.

„Wenn ich gefragt werde, was für Musik ich mache, sage ich, dass ich deutschsprachige Lieder schreibe, die mal ganz sanft und mal ganz krachig klingen. Zwar gibt es darin auch viele positive Gefühle wie Freundschaft, Liebe und Lust am Leben, aber ich habe schon einen Hang zu traurigen Liedern. Ich mag diese melancholische Atmosphäre in Songs.“ (Gisbert zu Knyphausen im Interview mit „RBB“ im Jahr 2021)

Dass man das Gerüst vieler Kompositionen dem gebürtigen Rheingauer Winzersohn zuordnet, der seit eh und je als einer der besten bundesdeutschen Troubadoure gilt, jedoch selbst nie allzu viel Aufhebens um das eigene Talent macht (und sich vielmehr gern kopfüber ins kreative Freispiel wirft – nachzuhören etwa auf „Lass irre Hunde heulen„, seiner im vergangenen Jahr veröffentlichten Werkschau von Franz Schubert-Stücken mit Pianist Kai Schumacher, oder dem Gastbeitrag zum jüngst erschienenen – und ähnlich superben – Nullmillimeter-Debüt „Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd„), ist natürlich kein Problem, sondern zugleich Wohlgefühl und gute Seele dieses Albums. Doch „Aus allen Nähten“ liefert nicht nur intime Momente und erzählt detailversessene Geschichten, es punktet auch immer wieder mit soundtechnischen Überraschungen. Dazu gehört weniger das zart besaitete Titelstück, das allein auf Stimme und Keyboard setzt und mit Zeilen wie „Hier ist jemand, dessen Liebe für dich platzt aus allen Nähten“ die immer greifbare Melancholie besonders gut verkörpert, aber ganz sicher der Hüftschwung, den „Ja im Sinne von Nein“ entfacht. Das Pfeifen aus dem Walde rauscht mit dem warmen Föhnwind herbei, bevor der Song als zweiminütige Anti-Hymne zu einem privat wie beruflich vorzeigbaren Instagram-Leben den süffisanten Tanz-Pogo zündet: „Wie sagt man nochmal ‚Ich kündige!‘ / Statt bloß ‚Ja‘ im Sinne von ‚Nein‘ / Ich möchte einfach wieder endlich einmal sein / Und zwar allein.“ – „Sag alles ab“ hätten die Hamburger-Schule-Rocker von Tocotronic hier vermutlich kommentiert, womit wir beim zwischen bewegend und berührend changierenden „Dasein“ mit der – ähnlich wie bei Knyphausen – eh dauertollen Sophie Hunger wären, gemeinsam mit Tocotronics „Ich tauche auf“ das wohlmöglich schönste Duett der jüngeren deutschsprachigen Musikgeschichte. Laut dem Label sei es „die in szenischen Miniaturen geschilderte tragische Lebensliebesgeschichte eines anonymen Paares“, zu welchem die Band zu berichten weiß: „Als sie am Tag der Aufnahme, einem hellen Wintervormittag, die Straße entlang gewippt kam, bester Laune, sang Sophie bereits die ersten Zeilen und grinste uns an: ‚Das wird künftig bestimmt viel auf Beerdigungen gespielt.'“ Traurigschön. Von alledem wird die tumbe Forster-meets-Giesinger-Formatradio-Zielgruppe jedoch kaum etwas mitbekommen…

Apropos „traurigschön“: Gisbert zu Knyphausens Ziel beim Songschreiben sei es – und hier wird eine Parallele zu seinem erklärten US-Vorbild Conor Oberst (Bright Eyes) deutlich -, „den eigenen Weltschmerz in kunstvolle Worte zu packen und in intensive Songs zu gießen“. Beides ist dem umtriebigen Musiker mit seinen beiden Husten-Buddies auch auf 45-minütiger Albumlänge dezent herausragend gelungen, wenngleich dem Bandnamen ein besseres Timing gewünscht gewesen wäre. Nichtsdestotrotz macht „Aus allen Nähten“, diese auf wundersamen (Um)Wegen entstandene Platte, traurig und glücklich zugleich – muss man auch erstmal hinbekommen.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Husten & Sophie Hunger – „Dasein“


Foto: Jérôme Witz

Klaro, Husten, die Kapelle mit einem der zweifellos komischsten Namen diesseits der bundesdeutschen Musiklandschaft (von der in den vergangenen Jahren schon häufiger auf ANEWFRIEND die Schreibe war), besteht natürlich noch immer aus Liedermacher Gisbert zu Knyphausen, Produzent Moses Schneider (Beatsteaks, Tocotronic, Olli Schulz u.v.m.) und Tobias „Der dünne Mann“ Friedrich. Trotzdem weiß das Trio, welches bereits seit etwa fünf Jahren in regelmäßiger Unregelmäßigkeit gemeinsame Kreativsache macht, nun vom ein oder anderen Novum zu berichten.

Zum einen wird am 13. Mai – nach so einigen EPs und Singles seit 2017 – tatsächlich das erste gemeinsame Album „Aus allen Nähten“ erscheinen. Und da den Husten-Jungs kaum ein kreativer Gedankengang fremd zu sein scheint, wird auf selbigem zum anderen auch das erste Duett in der Bandprojekthistorie zu hören sein. Und für „Dasein“, welches es bereits jetzt auf die Lauscher ging, haben sich Husten keine Geringere als die Schweizer Kosmopolit-Indierockpop-Musikerin Sophie Hunger ins Studio geholt. Im Grunde kann der Song also nur toll werden…

Husten teilen dazu knapp mit:

„Als sie am Tag der Aufnahme, einem hellen Wintervormittag, die Straße entlang gewippt kam, bester Laune, sang Sophie bereits die ersten Zeilen und grinste uns an: ‚Das wird künftig bestimmt viel auf Beerdigungen gespielt.‘ Auf den Konzerten spielen wir es in jedem Fall.“

— HUSTEN AUF TOUR 2022 –-

22.05.2022 Berghain Kantine, Berlin (ausverkauft)

01.06.2022 Molotow, Hamburg (ausverkauft)

02.06.2022 Molotow, Hamburg

03.06.2022 Beverungen, OBS Festival

17.-19.06.2022 Duisburg, Traumzeit-Festival (Tag tba)

29.07.2022 Eltville-Erbach, Heimspiel Knyphausen

27.08.2022 Stade, Müssen alle mit Festival

27.08.-10.09.2022 Schleswiger Königswiesen, Nørden Festival

29.09.2022 E-Werk, Erlangen

30.09.2022 Forum, Bielefeld

01.10.2022 Lido, Berlin (ausverkauft)

06.10.2022 Jazzhaus, Freiburg

07.10.2022 Kulturquartier, Stuttgart

08.10.2022 UT Connewitz, Leipzig

12.10.2022 Gebäude 9, Köln

13.10.2022 Schlachthof, Wiesbaden

14.10.2022 Hansa39, München

15.10.2022 Chelsea, Wien

19.10.2022 Lux, Hannover

20.10.2022 Tower, Bremen

21.10.2022 Kassablanca, Jena

22.10.2022 Lido, Berlin

Rock and Roll.

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Song des Tages: Husten – „Maria“


Wie klingt ein Song an einen zwar nicht real existierenden, aber paradoxerweise doch geliebten Menschen? Möglicherweise sehnsuchtsvoll und melancholisch, als würde man von einer lange vergangenen, gut behüteten Erinnerung erzählen. So ist es zumindest bei der neuen Single des Dreiergespanns Husten.

Kirchenglocken verkünden in den ersten Sekunden die Geburt von „Maria“ – eine Person, die ausschließlich für die dreieinhalb Minuten des gleichnamigen Songs existiert. Denn diese Zeit widmen Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider und Tobias „Der dünne Mann“ Friedrich diesem in ihren Köpfen wohnenden Mädchen, eine potenzielle Tochter, die sie wie Väter beschützen: „Maria, etwas wollt‘ ich noch sagen, bevor wir eines Frühling uns sehen / Muss ich noch die schönste und klügste Mutter für dich finden / Und es ist wie Angeln gehen nach dem Mond auf dem See“.

Als „Trauerweidenpop“ beschreibt das Trio seinen sehnsüchtigen Sound – und diese Stimmung bekommt man auch im zugehörigen Musikvideo, einem echten Highlight aus Bildern und Erinnerungen an die Jugend der drei Musiker. Als Zuschauer*in fühlt es sich an, als würde man durch ein Fotoalbum der Kindheit von Schneider, Friedrich und zu Knyphausen blättern. Dabei wird man von der sanften und doch rauen Stimme von Gisbert zu Knyphausen regelrecht gezwungen, auch den ein oder anderen liebevoll-sentimentalen Blick in die eigene Vergangenheit zu riskieren…

Das Jux-und-Dollerei-Bandprojekt Husten, das auf ANEWFRIEND in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Erwähnung fand (man lese etwa hierhier und hier), brachte 2017 mehr oder weniger ein Zufall zusammen – oder besser ein Soundtrack für einen Film, der letztendlich nie erschienen ist. Denn aufgrund dieser ursprünglich geplanten Produktion hatten Musikproduzent Moses Schneider und Der dünne Mann einige Songs geschrieben. Damit diese nicht ungenutzt liegen bleiben, holten die beiden kurzerhand Sänger Gisbert zu Knyphausen an Bord, um ihre eigene Version einer „Indie-Supergroup“ ins Leben zu rufen – so zumindest die knapp umrissene zufallsbedingte Gründungsgeschichte von Husten.

Und auch wenn die drei ursprünglich weder live spielen noch Alben veröffentlichen wollten, ist „Maria“ tatsächlich die erste Auskopplung des Debütalbums von Husten, welches im Frühjahr nächsten Jahres seine Veröffentlichung feiern soll. Und auch hinsichtlich Liveauftritten gibt es für alle Fans unerwarteten Grund zur Freude: Das Trio hat für 2022 zudem (s)eine langersehnte erste Tour angekündigt – die Termine gibt’s weiter unten. Man sollte selbst mit etwas Melancholie im Blick niemals nie sagen.

— Husten auf Tour —

22.05.22 – Berlin, Berghain Kantine (ausverkauft)
01.06.22 – Hamburg, Molotow (ausverkauft)
02.06.22 – Hamburg, Molotow
29.09.22 – Erlangen, E-Werk
01.10.22 – Berlin, Lido (ausverkauft)
06.10.22 – Freiburg, Jazzhaus
07.10.22 – Stuttgart, Kulturquartier
08.10.22 – Leipzig, UT Connewitz
12.10.22 – Köln, Gebäude 9
13.10.22 – Wiesbaden, Schlachthof
14.10.22 – München, Hansa39
15.10.22 – Wien, Chelsea
19.10.22 – Hannover, Lux
20.10.22 – Bremen, Tower
21.10.22 – Jena, Kassablanca
22.10.22 – Berlin, Lido

Rock and Roll.

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Sunday Listen: Husten – „Zurück zum Heißen EP“


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Die selbstbetitelte Debüt-EP fand ja bereits im vergangenen Jahr auf ANEWFRIEND Erwähnung, nun haben Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider und der dünne Mann (aka. Husten), wie versprochen, fünf neue Songs nachgelegt. Oder wie sie selbst schreiben:

„Der hartnäckige Husten vom letzten Jahr ist zurück.
Wie versprochen veröffentlichen Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider und der dünne Mann ihre zweite Husten-EP am 25. Mai 2018. ‚Zurück zum Heißen‘ wurde wieder zusammengefriemelt aus Beats aus dem alten Werkzeugschrank, im Stolpern gespielten Gitarren, auf dem Dachboden gefundenen Chören und auf Handrücken geschmierten Worten. Resteessen und Laborexperiment. Mit der Grubenlampe im Keller und dem Flohmarkt-Teleskop auf dem Dach. Erwachsene im Kinderparadies. Kinder im Erwachsenenparadies.
Husten sind die schlechtesten Türsteher der Stadt. Alle kommen rein: Indie-Disco, 80er-Jahre-Pop, gezupfte Wandergitarre, und sogar die große Powerballade wird durchgewunken. Die Heys, Uhs, Yeahs und Ahs sind auch wieder mit dabei und doch ist vieles anders als letztes Jahr.
‚Zurück zum Heißen‘ ist mit viel Liebe selbst gebastelt. Die Vinyl-Fassung hat erneut ein
Klappcover, farbiges Vinyl mit Siebdruck und ein angenehm verstörendes Artwork von der Engländerin Miss Aniela, das Dunja Berndorff (nawim96) in Form gegossen hat. Genau wie zu der ersten EP wird es auch dieses Jahr zu jedem Lied ein Video geben, gedreht von Regisseurin Steph von Beauvais. Bleibt also wieder alles in der Familie. Wie bei der Mafia. Nur ohne Knarren, Leichen und Geld.
Und Husten werden bis auf Weiteres das Studio nicht verlassen, also auch nicht live spielen…“

Word.

Und obwohl sich keiner der neuen, einmal mehr Pavement-injizierten Rocksongs so ganz vom „Vorwurf“ des dezent-sympathischen Beklopptseins freisprechen kann, macht es erneut sehr viel Spaß, den dreien beim kreativen Freidrehen zuzuhören.

Außerdem haben Husten für ihre zweite EP ein derart tolles Covermotiv gewählt, dass man als Band im Grunde gar nicht drumherum kommt, das Ganze auf großformatigem Vinyl zu veröffentlichen…

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Hier gibt es zum Stück „So nah dran“ bereits das erste von fünf geplanten Musikvideos zur neuen EP…

 

…sowie selbige via Bandcamp im Stream:

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Gisbert zu Knyphausen – „Niemand“


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Sieben Jahren mögen, verglichen mit der Zeit, die Tool-Fans bereits auf einen Nachfolger zum noch immer aktuellen Album „10,000 Days“ warten (das ist vor nunmehr elf Jahren erschienen), beinahe ein gefühlter Katzensprung sein. Und so richtig weg und frei jeglicher Kreativität war Gisbert zu Knyphausen seit dem letzten Werk „Hurra! Hurra! So nicht.“ natürlich auch nie. Dennoch: die Freude ist groß, dass im Herbst endlich und tatsächlich Album Nummer drei erscheint.

Bereits Anfang des Jahres gab es ein erstes Lebenszeichen des seit Jahren wohl besten deutschen Singer/Songwriters (oder sollte man Leiber „Liedermacher“ schreiben?): im Januar veröffentlichte Gisbert zu Knyphausen den Song „Das Licht dieser Welt“ als Teil des Soundtracks zum Kinderfilm „Timm Thaler oder das verkaufte Lachen“.

Nun erscheint am 27. Oktober 2017 auch ein Album, das den gleichen Titel trägt wie der Filmsong, nämlich „Das Licht dieser Welt„. Nimmt man die ersten Hörproben und vergleicht, so hat sich bei Knyphausen offenbar Einiges geändert: Die zwei bisher bekannten neuen Lieder sind vielseitiger als noch 2010 arrangiert – weniger Gitarre, dafür vielmehr Klavier, Trompeten, Posaunen, ja sogar Synthesizer sind zu hören.

Die siebenjährige „Pause“ zwischen der letzten, zweiten Knyphausen-Platte „Hurra! Hurra! So nicht.“ und dem neuen Album hat gleich mehrere Gründe: Gemeinsam mit dem Hamburger Liedermacher Nils Koppbruch gründete er das Duo Kid Kopphausen, das 2012 sein erstes gemeinsames Album „I“ veröffentlichte. Kurz darauf starb Koppbruch völlig unerwartet.

Getroffen vom (zu) frühen Tod seines Kumpels nahm Knyphausen eine kreative Pause, tastete sich danach langsam wieder an die Musik heran. Einer Art Honour-Tour mit der Kid-Kopphausen-Band folgte ein Bass-Engagement in der Begleitband von Olli Schulz. Und sonst? Mit dem Produzenten Moses Schneider und dem Musiker Tobias „Der dünne Mann“ Friedrich erschien im Mai mit „Husten“ eine neue EP (von der ANEWFRIEND auch berichtete), die sich ebenfalls recht weit vom guten alten Akustikgitarren-Stil entfernte. Und als wäre das noch nicht genug, richtet Gisbert zu Knyphausen alljährlich das „Heimspiel Knyphausen“ aus, zu dem er im Sommer befreundete Bands und Musiker sowie Fans auf das Weingut seiner Familie in Eltville am Rhein einlädt.

Ein erster Vorbote, wie das dritte Soloalbum des 38-jährigen Liedermachers wohl klingen wird, ist die auch das Album eröffnende Single „Niemand“. Das dazugehörige Lyric-Video greift das Artwork des Albumcovers auf:

 

81JH0I5QWYL._SL1200_Hier schon einmal die Tracklist von „Das Licht dieser Welt“:

  1. Niemand
  2. Sonnige Grüße aus Khao Lak, Thailand
  3. Unter dem hellblauen Himmel
  4. Dich zu lieben ist einfach
  5. Stadt Land Flucht
  6. Keine Zeit zu verlieren
  7. Kommen und Gehen
  8. Teheran Smiles
  9. Das Licht dieser Welt
  10. Cigarettes & Citylights
  11. Etwas Besseres als den Tod finden wir überall
  12. Carla Bruno

 

Auch eine kleine Tour wird es im Oktober und November geben – natürlich mit den neuen Songs im Gepäck:

28.10. | Berlin, Lido

29.10. | Hamburg, Uebel & Gefährlich

30.10. | Leipzig, Werk 2

01.11. | Köln, Gloria

02.11. | München, Technikum

03.11. | Zürich (CH) , Bogen F

04.11. | Schorndorf , Manufaktur

05.11. | Hannover, Kulturzentrum Faust

 

Karten bekommt ihr alsbald an allen Vorverkaufsstellen oder hier.

 

Rock and Roll.

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