In Gedenken an Scott Hutchison, einem Musiker, der mit seinen Songs meinen Musikgeschmack der letzten Dekade entscheidend mit geprägt und mir mit seinen Texten zig Male aus tiefster Seele gesprochen hat, werde ich die „Songs des Tages“ für die kommenden sieben Tage seinem Schaffen widmen – und das dürfte mit Frightened Rabbit, Owl John, The Fruit Tree Foundation oder unlängst Mastersystem durchaus weitschweifend sein (von irgendwelchen weiteren Kollaborationen mal ganz zu schweigen)…
Den spontanen Anfang macht heute „Holy“, seines Zeichens – und ohne jeglichen Abstrich – eines der besten Stücke von meinem liebsten Frightened Rabbit-Werk „Pedestrian Verse„.
Während es Scott Hutchison im Text einmal mehr gelingt, einen eleganten Bogen hin von Momentaufnahmen von zwischenmenschlichem Scheitern über religiöse Motive bis hin zum Aufflackern einer dünnhäutigen Psyche zu spannen, ist einfach nur eines: meisterhaft. Jedem, der weiß, welch‘ schweres Päckchen man an einer Depression zu tragen hat, werden bei Zeilen wie „Don’t mind being lonely / Don’t need to be told / Stop acting so holy / I know I’m full of holes….“ verständnisvolle Schauer durch Mark und Bein kriechen, während Frightened Rabbit die Protagonistin im dazugehörigen Musikvideo aus der piekfeinen Enge ihres Alltags ausbrechen und durch wunderschöne Landschaften hin zum Meer wandern lassen. Heilige Zeilen – aus dem Rinnstein und mitten ins Herz…
Hier gibt’s das Musikvideo…
…sowie den Song in der „Alternate Version“…
…und in der reduzierten „Large Noises“-Session-Variante:
„While you read to me from the riot act way on high, high Clutching a crisp New Testament, breathing fire, fire Will you save me the fake benevolence, I don’t have time I’m just too far gone for a-tellin‘, lost my pride, I don’t mind
Being lonely So leave me alone Aw, you’re acting all holy Me, I’m just full of holes
Well, I can dip my head in the river Cleanse my soul, oh I’ll still have the stomach of a sinner Face like an unholy ghost Will you save me all the soliloquies? Paid my fines, I’ll be Gone before my deliverance Preach what you like, cause I don’t mind
Being lonely So leave me alone You’re acting all holy Me, I’m just full of holes
Full of holes
Don’t mind being lonely Spare me the brimstone Acting all holy When you know I’m full of holes
Don’t mind being lonely Don’t need to be told Stop acting so holy I know I’m full of holes
Full of holes
I don’t mind being lonely Won’t you leave me alone? Are you, oh, so holy That I’ll never be good enough?
Don’t care if I’m lonely Cause it feels like home I won’t ever be holy Thank God I’m full of holes
Was macht man, wenn Worte fehlen? Wenn einen manche Tage – Sonnenschein hin, Regen her – einfach nur traurig machen? Ich für meinen Teil würde raten: Setzt Kopfhörer auf und lasst Musik eure Sprache sein! Und ebenjene „Sprache“ tönte in den letzten knapp zehn Jahren immer wieder von Songs aus der Feder von Scott Hutchison – ausgestattet mit massig herzwarm-bitterem Sarkasmus sowie breitestem schottischem Akzent.
Im Rückblick ist es kaum zu glauben, dass mich die Stücke von Frightened Rabbit (Scotts 2003 ins Leben gerufene Hauptband), Owl John (sein Solo-Pseudonym, unter dem er 2014 einen Alleingang wagte) sowie jüngst Mastersystem (der famos lärmende Versuch einer schottischen „Supergroup“ gemeinsam mit seinem Bruder Grant, der auch bei Frightened Rabbit am Schlagzeug sitzt, sowie Justin Lockey von den Editors und dessen Bruder James von Minor Victories) bereits seit einer Dekade treu begleiten und immer wieder aufs Neue begeistern… Und: Ja, das lag (und liegt) vor allem an Scott Hutchisons feinem Gespür für kleine wie große Melodien, über welche er Zeilen über das Leben legte, die vom Rinnsal der Gosse erzählen, jedoch nie den Hymnus vergessen, der einen beim Blick in den blauen Himmel befällt. Ich kann kaum die Male zählen, die mir Frightened Rabbit’sche Alben wie das just zehn Jahre jung gewordene „The Midnight Organ Fight„, „Pedestrian Verse“ (anno 2013 ANEWFRIENDs „Album des Jahres“ und auch nach gefühlt 12.456 Durchlaufen in der Heavy Rotation noch immer so großartig wie an Tag eins, und noch tiefer ins Hörerherz gegraben) oder zuletzt das im vergangenen Jahr erschienene „Painting Of A Panic Attack“ bereits den mentalen Allerwertesten gerettet haben. Wie sehr mich Songs wie „Holy„, „My Backwards Walk„, „I Wish I Was Sober„, „Swim Until You Can’t See Land„, „Keep Yourself Warm„, „State Hospital“ oder „Good Arms vs. Bad Arms“ noch heute begeistern, während ich bei anderen (ungleich leiseren) Vertretern wie „If You Were Me“ oder „Die Like A Rich Boy“ nie ohne Träne im Anschuss hindurch komme. Dass Scott Hutchison im Verbund auch durchaus mit hochgezogener Lautstärke zu überzeugen wusste, durfte ich anhand des erst vor wenigen Wochen erschienenen Mastersystem-Debütwerks „Dance Music“ feststellen, welches drauf und dran ist, (s)einen berechtigten Platz in der diesjährigen ANEWFRIEND’schen Jahresbestenliste zu finden…
Scott Hutchisons Texte haben eine Qualität, eine bittersüße Direktheit, welche den geneigten Hörer bis tief ins Mark treffen können. Wer gerade frisch getrennt ist, wird bei Zeilen wie „I am armed with the past, and the will, and a brick / I might not want you back, but I want to kill him“ (aus „Good Arms vs. Bad Arms“) unweigerlich und überschwänglich die Faust ballen, bevor einen eine trotzig-lakonische Frage wie „Are you a man or are you a bag of sand?“ (aus „Swim Until You Can’t See Land“) wieder in die Zukunft blicken lässt. Mit diesen Trademarks stechen Hutchisons Stücke selbst aus der nicht schwachen schottischen Indierock-„Konkurrenz“ (The Twilight Sad, There Will Be Fireworks, We Were Promsied Jetpacks, Aereogramme, Campfires In Winter etc. pp.) heraus. Zumindest für mich und mein Hörerherz.
Da Scott Hutchison – aller spröden Herzlichkeit und schottischen Bodenständigkeit zum Trotz – in der Vergangenheit nie als Ballermann’sche Frohnatur bekannt war, war die Nachricht, als ihn Familie und Bandmitglieder vor zwei Tagen als vermisst meldeten, keine gute, sondern eine durchaus besorgniserregende – gerade in Verbindung mit ebenjenen (nun letzten) Zeilen, die Hutchison wenig vorher via Twitter postete: „Be so good to everyone you love. It’s not a given. I’m so annoyed that it’s not. I didn’t live by that standard and it kills me. Please, hug your loved ones.“ („Seid gut zu allen, die ihr liebt. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, und das widert mich an. Nach diesem Standard habe ich selbst nie gelebt, und das bringt mich um. Bitte umarmt eure Liebsten.“). Kurz darauf schob er noch ein „I’m away now. Thanks“ nach, verließ nachts sein Hotel in Edinburgh – und verschwand…
Wie heute bekannt wurde, handelt es sich bei der Leiche, die die schottische Polizei bei der Suche nach Scott Hutchison am gestrigen Donnerstagabend an einem Küstenabschnitt in der Umgebung von South Queensferry fand, um den schottischen Musiker. Die Todesumstände sind (zumindest noch) genauso unklar wie die Antwort auf die Frage, welche Rolle Hutchisons Depressionen, mit denen er zeitlebens zu kämpfen hatte, dabei spielten. Dass ebenjene Zeilen, die er vor zehn Jahren in „Floating In The Forth„, dem Quasi-Abschluss von „The Midnight Organ Fight“, sang, jetzt auf geradezu gruselige Art und Weise Realität wurden, wird einen das Album nie mehr ohne Gänsehaut hören lassen… Und am Ende steht nur eines fest: Scott Hutchison ist tot. Und hat im Alter von 36 Jahren viel, viel zu früh die gesellige Bierseligkeit des kleinen Pubs um die Ecke verlassen. Mit ihm verliert die schottische Musikszene einen ihrer besten Songschreiber.
„And fully clothed, I float away (I’ll float away) Down the Forth, into the sea I think I’ll save suicide for another day…“
(aus „Floating In The Forth“)
Wenn mir – auch in Zukunft – die Worte fehlen, dann werde ich meine Kopfhörer aufsetzen – und deine Songs haben. Danke dafür, von Herzen. Mach’s gut, Scott! Fuck it. Aye… cheers, mate!
„If I leave this world in a loaded daze I can finally have and eat my cake…“
(Durchaus treffend formulierte Nachrufe haben auch der britische „The Guardian“ oder „The New Yorker“ zu bieten, während der „Mirror“ – natürlich – das Augenmerk auf die Ereignisse als solches legt…)
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Menschen, die unter Depressionen leiden und Suizidgedanken haben, finden bei der Telefonseelsorge online oder telefonisch unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222 Telefonseelsorge rund um die Uhr Hilfe. Die Beratungsgespräche finden selbstredend anonym und vertraulich statt.
Angehörige, die eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, können sich an den AGUS-Verein wenden. Der Verein bietet Beratung und Informationen an und organisiert bundesweite Selbsthilfegruppen.
Leute, passt bitte auf euch und eure Mitmenschen auf! Gebt Liebe, wannimmer ihr Liebe geben könnt. Alles, was uns bleibt, ist das Jetzt…
Damit ihr nicht vollkommen den Überblick über alle hörens- und sehenswerten Neuerscheinungen der letzten Woche(n) verliert, hat ANEWFRIEND hier wieder einige der Video- und Songneuerscheinungen der letzten Tage für euch aufgelesen…
Frightened Rabbit – Holy
Das Jahr 2013 nähert sich stetig seinem Ende und zumindest für mich steht mit Sicherheit fest, dass „Pedestrian Verse„, das vierte Album meiner liebsten schottischen Angsthasen, einen Podestplatz der persönlichen Alben des Jahres innehaben wird.
Und selbst auf diesem nicht eben an Highlights armen Album ragt „Holy“ noch einmal heraus. Im dazugehörigen Musikvideo lassen Frightened Rabbit die Protagonistin aus der piekfeinen Enge ihres Alltags ausbrechen und durch wunderschöne Landschaften hin zum Meer wandern… „Don’t mind being lonely / Don’t need to be told / Stop acting so holy / I know I’m full of holes….“ Passt.
Wie so oft gibt’s das Stück noch einmal in der reduzierten Sessions-Variante…
…und wer kann, der sollte sich eines der folgenden Daten rot im Kalender markieren, denn Frightened Rabbit spielen in Kürze ein paar Konzerte auf deutschen Bühnen:
-Frightened Rabbit live-
22. November 2013 – Köln, Gebäude 9
29. November 2013 – Hamburg, Knust
01. Dezember 2013 – Dresden, Beatpol
02. Dezember 2013 – München, Ampere
07. Dezember 2013 – Frankfurt, Zoom
Biffy Clyro – Sounds Like Balloons
Auf Frightened Rabbit folgen mal wieder Biffy Clyro – so weit, so offensichtlich. Doch auch „Opposites“ steht nach x-maligen Durchläufen noch erstaunlich gut – immerhin veröffentlichten Simon Neil und seine beiden Bandkumpane hier ein opulentes Doppelalbum – mit beiden Beinen in meiner Heavy Rotation-Playlist…
Für das Video zu „Sounds Like Balloons“ baten die Schotten ihre Fans, ihnen Filmmaterial von Konzerten zuzusenden, aus welchem am Ende ein vierminütiger Clip entstand. Und für alle, die entweder nicht die Gelegenheit hatten, in diesem Jahr bei einem der Konzerte von „Mon the Biff“ vorbeizuschauen oder diese noch einmal für dem inneren Auge Revue passieren lassen möchten, gibt es am dem 29. November neues Futter: Biffy Clyro veröffentlichen – zunächst exklusiv in Deutschland, Österreich und der Schweiz – mit „Opposites – Live from Glasgow“ den 14 Songs starken Mitschnitt des gefeierten „Homecoming“-Konzerts. (Ich persönlich hoffe, dass die Nachproduktion dieses Livealbums nicht ganz so glattgebügelt ausfällt wie beim eigentlich tollen „Revolutions//Live at Wembley“…)
Okkervil River – Stay Young
Leichte Irritationen dürften wohl nicht wenige befallen haben, die sich das Anfang September erschienene neue Okkervil River-Album „The Silver Gymnasium“ zu Gemüte geführt haben. War das da wirklich noch die gleiche Band, die sich vor Jahren – und auf großartig zu Herzen gehenden Alben wie „Black Sheep Boy“ oder „The Stage Names“ – noch so unbarmherzig in ihren eigenen Wunden suhlte? Aber keine Angst, Will Shelf und seine Mitmusiker haben sich keineswegs der seichten Popmusik verschrieben! Auch „The Silver Gymnasium“ steckt immer noch voller kleiner schwarzhumorigen Anekdoten über Lieben und Leben – nur kommen diese nun eben mit ein paar mehr hoffnungsvollen Sonnenstrahlen mehr um die Ecke.
Wie so viele der Stücke, die zum Großteil von Will Shelfs Kindheit und Aufwachsen im heimatlichen New Hampshire erzählen, kommt auch das Musikvideo zum bläserdurchtränkten Song „Stay Young“ um die Ecke. „Four-wheelers and snowmobiles were the coolest things going for NH young people when I was a kid, and I thought it would be fun to make a video that was just this total four-wheeler and ATV fantasia“, wie Sheff kürzlich dem US-amerikanischen Rolling Stone erzählte. Und das gibt’s denn auch zu sehen: eine einzige spätsommerliche Sonnenuntergangsszenerie aus Quad- und Wasserskifahrten, während der Rest des Freundeskreises lächelnd, quatschend und bierselig vom Ufer- und Wegesrand zuschaut. „Young, stay young / Stay strong, don’t get on with it…“ Da werden Erinnerungen wach…
The National – Lean
Keine Frage: The National sind eine der Bands des Jahres (und wäre das ganze seltsame aufgeblähte Bohei um Arcade Fire und deren neues Werk „Reflektor“ nicht gewesen, so stünden The National wohlmöglich auf einsamer Flur als „größte Indie-Band im Mainstream“). Ihr im Mai erschienenes sechstes Album „Trouble Will Find Me“ bedeutete für Sänger Matt Berninger & Co. den endgültigen – und höchst verdienten – Durchbruch, nach Jahren des Tourens, Produzierens und Arschabspielens am Rande des Masseninteresses. Dass die Band nun auch – neben Künstlern wie Coldplay, Christina Aguilera, Ellie Goulding oder The Lumineers – mit einem neuen Stück namens „Lean“ auf dem Soundtrack zum epischen Kinderkriegsfilm „The Hunger Games: Catching Fire“ vertreten sein wird, dürfte wohl einerseits für ihr aktuelles Standing sprechen, ihnen jedoch auch den ein oder anderen Hörer zuspülen. Denn wer bitteschön wäre so herzlos, Matt Berningers getragenem Bariton, der schwelgerischen Melancholie und Zeilen wie „Everybody needs a pray, needs a friend / Everybody knows the world’s about to end…“ zu widerstehen? Eben! Massenkompatibel, auf die beste Art und Weise.
Thirty Seconds To Mars – City Of Angels
Okay, für viele dürften Jared Leto und seine Band Thirty Seconds To Mars am unteren Ende der „Larger than life“-Rockstarschiene agieren, für die meisten dürften die mit Pathos und Produktion nur so überschütteten Stücke des neusten Albums „Love Lust Faith + Dreams“ (alleine er Titel sagte wohl schon alles) die Grenze zur unglaubwürdigen Lachnummer ihrer Selbst längst überschritten haben. Wenn man jedoch bedenkt, dass die Band ernsthaft hinter ihrem typisch US-amerikanischen „vom Bordstein zur Skyline“-Traum steht, diesen lebt und verteidigt, stellt dies die ein oder andere (freilich überhöhte) Pose Letos eventuell in einem neuen Licht dar…
Passend zum Stück hat der schauspielernde Sänger für das gut elfminütige Kurzfilmmusikvideo zu „City Of Angels“ auch auf dem Regiestuhl Platz genommen, sein Adressbuch Eselsohren schlagen lassen und Buddies wie Kanye West, Juliette Lewis, Lindsay Lohan, Olivia Wilde, Steve Nash, Ashley Olsen, James Franco, Selena Gomez, Shaun White, aber auch ein Michael Jackson-Double und Obdachlose vor die Kamera gelotst, um ihre Geschichte über die „Stadt der Engel“ zu erzählen, während die Band in Zwischenteilen ihre pathetische Show – natürlich vor atemberaubender Kulisse! – abzieht… Großes Kino, allemal.