Schlagwort-Archive: HipHop

Moment! Aufnahme.


(gefunden bei Facebook)

So streitbar – und im Grunde doch recht dämlich – einer wie Kanye „Ye“ West sein mag, seine „Fans“ wissen im Zweifel noch einen auf Mount Facepalm oben drauf zu setzen. Wieso sonst käme man auf die reichlich bekloppte Idee, einem vormals – bestenfalls – visionären Musiker und Selbstvermarktungskünstler, der sich mit allerlei teils zweifelhaften, teils größenwahnsinnigen, teils einfach strunzdümmlich-verachtenswerten Äußerungen und Aktionen innerhalb weniger Tage um einen guten Teil seines so oder so immensen Vermögens gebracht hat, dabei „helfen“ zu wollen, seinen Milliardärsstatus zurückzuerlangen? Eben, soviel mentaler Vollsuff kann kaum gesund sein. Umso lustiger ist, dass dieses so oder so hirnrissige Vorhanden ruckzuck gescheitert ist… Somit trifft’s der obige Kommentar der Cardigans schon ganz gut: „The last idiot is yet to be born“. 🤦

Rock and Roll.

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Die derbste Bitch in da House – Natalie Portmans Battlerap-Update


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Wenn es doch eines Grundes bedarf, Natalie Portman trotz einer ebenso langen wie hochkarätigen Filmografie irgendwo zwischen „Leon – Der Profi“, „Star Wars“, „Garden State“, „V wie Vendetta“ oder „Black Swan“ noch cooler als ohnehin schon zu finden, dann liefert die 36-jährige Schauspielerin diesen eben selbst. Per – Pardon my French – arschgeilem Battle-Rap-Track. Und das bereits zum wiederholten Male…

Dabei liegt die erste Wortsalven-Breitseite gegen ihr „Gutes-Mädchen-Image“ bereits einige Jahre zurück: Anno 2006 nahm die gebürtige Israelin für „Saturday Night Live“ einen knapp dreiminütigen Diss-Track auf, der es – sowohl in Wort als auch in Bild – in sich hatte. Und da dieser wohl schlappe zwölf Lenze später dringlichst ein Update benötigte, hat Portman nun das Spiel wiederholt – und zeigt – nebst massig Selbstironie und Referenzen zu ihren bisherigen Rollen – mal eben allen Motherfuckers, wer die derbste Rhyme-Bitch in da House ist… Go, Natalie!

 

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Sookee – „Die Freundin von“


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Deutscher Hip-Hop, der politisch klar Stellung bezieht und gesellschaftskritische Botschaften zwischen die freshen Beats legt? Klar, gibt es. Man nehme nur Sookee.

sookee-0799Soo…wer? Sicher, dem Großteil der Nur-nebenbei-Radio-Hörer wird die 33-jährige Berliner Künstlerin, deren bürgerlichem Name (Nora Hantzsch) wohl zu wenig Street Cred anhaftete, weswegen sie sich flugs mal eben ihr Szene-Pseudonym von Michelle Pfeiffers gespieltem Charakter „Sukie“ aus „Die Hexen von Eastwick“ entlieh, wohl kaum etwas sagen. Dabei ist Sookee, nachdem sie 2006 anfing, erste lyrische Ergüsse bei Spoken-Word- und Poetry-Slam-Abenden zu präsentieren, bereits seit etwa zehn Jahren Teil der bundesdeutschen Rap-Szene. Und anstatt, wie bemitleidenswerte Kolleginnen wie etwa Schwester Ewa, die toughe Mackerin zu markieren oder auf Bling-Bling und sinnentleert-dicke Hose zu machen, ergreift Sookee für die Queer-Szene Partei (zu der sie sich übrigens auch selbst zählt) oder engagiert sich gegen Homophobie und Sexismus im deutschen Hip-Hop sowie gegen Rassismus in Deutschland. Man höre etwa den durchaus bissigen, jedoch definitiv gelungenen Song „Q1„…

Das neuste Beispiel für Sookees Message ist das Stück „Die Freundin von“, welches, wie auch „Q1“, von ihrem im März erschienenen Album „Mortem & Makeup“ stammt: Die in Berlin-Neukölln lebende und meist in Lila (die Farbe, welche mit der Frauenbewegung assoziiert wird) auftretende Künstlerin rappt über Unsicherheiten und rechnet mit den damit verbundenen Dummheiten ihres jüngeren Ichs ab. Sookee erzählt über „Nierenentzündungen“, die sie als Teenie-Mädchen in Kauf genommen hat, um sexy zu wirken, das Klappe-halten, wenn die Jungs reden, das Macker-Gehabe, dem man sich angepasst hat und die große Angst davor, ausgegrenzt zu werden.

Vor allem aber geht es In „Die Freundin von“ darum, all den oberflächlichen Mist hinter sich zu lassen. Ein paar Jahre später hat sie die Leute, die sie damals mit ihren Dummheiten beeindrucken wollte, längst vergessen, ist klüger geworden – und vor allem: stärker. Der Song und das Musikvideo zu Sookees neuster Single mögen recht unspektakulär sein, die Botschaft aber ist umso wichtiger. Oder, wie „Intro“ schreibt: „Falls ihr noch auf der Suche seid nach einem Song, den ihr euren jüngeren Geschwistern vorspielen könnt, hier ist.“ 

 

 
„Die Köpfe, die ich rauchte, waren größer als mein Selbstbewusstsein
Ich versteckte mich in mir, lebte nur einen Bruchteil
Um mich rum ein Mosaik, Kanten und Brüche
Arroganz und Gerüchte
Es ging immer nur darum, nicht unterzugehen
Als könnte zwischen Bangen und Hängen noch ein Wunder geschehen
Aber niemand entpuppte sich als einfühlsam
Weil es peinlich war, angreifbar
Mein Redeanteil lag bei um die sieben Prozent
Mein Top war zu kurz und meine Jeans war zu eng
Denn wenn du inhaltlich keine Relevanz hast
Geht es darum wie du aussiehst, was du an hast
Ich hatte Nierenentzündungen und Selbstzweifel
Wenn ich zurückblicke, finde ich die selbst Scheiße
Und um dazuzugehören griff ich erneut zur Bong
Ich war im allerbesten Falle nur ‚die Freundin von‘

Aber heute sind sie mir völlig egal
Ich kenne nicht einmal mehr ihre bescheuerten Namen
Ihre Stimmen verstummen, ihre Gesichter verblassen
Manchmal ist mir danach, über diese Geschichten zu lachen
Weißt du, heute sind sie mir völlig egal
Ich kenne nicht einmal mehr ihre bescheuerten Namen
Wann war das ’98 oder 2006?
Irgendwann sind die Erinnerungen weg

Ich gaukelte anderen vor, dass ich cool sei
Ich fand mich selber nicht cool, es war kein Zufall
Weil ich dachte, dass die Realität nicht ausreicht
Hab ich meine Stories übertrieben und als Ausgleich
Hab ich mich geschämt oder abgelenkt
Ich war nicht mal richtig kriminell, ich war nur angestrengt
Es gab einige Leute, vor denen ich Angst hatte
Doch ich hatte keine Angst, dass sie mich anfassen
Sondern ausgrenzen, ich hab‘ erst später gemerkt
Das war das klassische Beispiel für Opfer-Täter-Umkehr
Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn mit ’nem Schlag ins Gesicht
Es einmal kurz knackt und dein Nasenbein bricht
Ich hab die Fresse gehalten in ihrer Gegenwart
Sie haben mich ignoriert oder verarscht, wie es gelegen kam
Hab auch nach unten getreten, war nicht besser als sie
Hab ihre Namen vergessen, doch das vergesse ich nie

Aber heute sind sie mir völlig egal
Ich kenne nicht einmal mehr ihre bescheuerten Namen
Ihre Stimmen verstummen, ihre Gesichter verblassen
Manchmal ist mir danach, über diese Geschichten zu lachen
Weißt du, heute sind sie mir völlig egal
Ich kenne nicht einmal mehr ihre bescheuerten Namen
Wann war das ’98 oder 2006?
Irgendwann sind die Erinnerungen weg…“

 

Rock and Roll.

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Auf dem Radar: Rag’n’Bone Man


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Mal ein kleines Experiment: Schaut euch den Herrn auf dem Bild an. Welchem musikalischen Genre würdet ihr ihn ganz spontan und per erstem optischen Eindruck zuordnen? HipHop vielleicht? Elektronische Gefilde gar? Bildet euch eure eigene Meinung… Und dann schaut euch das Musikvideo zur aktuellen Single „Human“ an (welches ihr auch weiter unten findet) – und seid wohlmöglich ebenso überrascht wie ich…

 

Ganz klar: Das Optische mag bei Rory Graham aka Rag‘n’Bone Man trügen. Die Stimme keinesfalls. Denn mit seinem herrlich rauen Gesangsorgan und einem umwerfenden Gespür für den richtigen Groove changiert der aus dem englischen Brighton stammende Newcomer scheinbar mühelos zwischen Blues, Soul, HipHop oder Funk hin und her.

Überhaupt: das Phänomen Blues. Entstanden in der afroamerikanischen Gesellschaft der USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in den folgenden Jahrzehnten von jeder Musikergeneration immer wieder neu interpretiert, verändert, wiederbelegt, modernisiert, aufgehübscht, recycled und wieder auf seine wesentlichen Bestandteile reduziert (u.a. wären da Gun Club, die White Stripes, die Black Keys, Kanye West oder Kendrick Lamar zu nennen), ist die amerikanische Ur-Musik, aus der einst Soul, Jazz, Rock’n’Roll, Jazz oder HipHop erwuchsen und immer mehr mit dem popkulturellen Massengeschmack verschmolzen, auch 2016 lebendig wie eh und je. Immer wieder widmen sich junge Musiker auf der ganzen Welt der Aufgabe, das musikalische Erbe der Muddy Waters, John Lee Hookers, Bo Diddelys, Howlin‘ Wolfs, Son House oder Big Bill Broonzys in der Gegenwart fortzuführen und dem Genre neue Wege in die Zukunft weisen. Einer der großen Hoffnungsträger und Erneuerer diesseits des Atlantiks trägt – ganz stilecht bluesig – den Namen Rag’n’Bone Man (deutsch: Lumpensammler).

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Zu seinem Künstlernamen ließ sich Graham von der britischen TV-Serie „Steptoe & Son“ inspirieren, welche in Großbritannien in den Sechzigern und Siebzigern gezeigt wurde. An diese Zeit erinnern auch seine vielen Tätowierungen, die man auch im bereits erwähnten Musikvideo zu „Human“ bestauen kann (auf den Knöcheln seiner Hände sind übrigens die Worte „Soul“ und „Funk“ unter die Haut gebracht). Der Song, welcher mit einem schleppenden Beat und Südstaaten-Blues-Samples startet, ist der erste Vorgeschmack aus dem Major-Debütalbum, das in Kürze erscheint (mit „Wolves“ erschien 2014 bereits sein Indie-Einstand, welchem 2015 die „Disfigured EP“ folgte). Dass der Mann Einiges an in die Wiege gelegtem Talent (die Mutter ist selbst Sängerin, der Vater Gitarrist), Charisma und Live-Präsenz mitbringt, welche sich kaum auf ein Genre beschränken mag, war ebenso beim Hamburger „Reeperbahn Festival“ im vergangenen Jahr zu sehen wie im kürzlich stattgefundenen „Montreux Jazz Festival„.

Ganz klar: Menschlichkeit hat viele Gesichter. Das von Rory „Rag’n’Bone Man“ Graham lehrt uns, einen Menschen nicht gleich auf dem ersten Eindruck fest und ad acta zu legen, während seine Stimme hoffentlich dafür sorgen wird, dass man ihn so schnell nicht wieder vergisst.

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Hier gibt’s das Musikvideo zur aktuellen Single „Human“…

 

…zum ebenfalls tollen Song „Bitter End“…

(alternativ hier ein Vimeo-Link)

 

…sowie selbiges Stück noch einmal in einer Live-Session-Varinate, mitgeschnitten während dem letztjährigen „Reeperbahn Festival“:

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Casper – Hinterland (2013)

Casper - Hinterland (Cover)-erschienen bei Four Music/Sony-

Jammern auf einem verdammt hohen Thron. Genau so – oder zumindest: so ähnlich – könnte Benjamin Griffeys Situation ausgesehen haben, als er sich nach der Endlostour zu seinem vor zwei Jahren erschienenen dritten Album „XOXO“ so seine Gedanken machte. Wie geht’s nun weiter? Eine durchaus berechtigte Frage…

Immerhin hatte er, der als Casper für Furore gesorgt hatte, es geschafft, auch den Feuilleton mit Songs, denen – HipHop hin oder her – eine vor nicht all zu langer Zeit noch vorherrschende kleingeistige „Ghetto Gangster“- und „Fick deine Mutter und alle deine Freunde“-Attitüde eines Fler, Bushido oder Haftbefehl (allein die Namen sprechen Bände) völlig abging, von sich zu vereinnahmen. Dass der Wunsch, als ehemaliger Underground-Rapper endlich vom liebsten Hobby leben zu können, auch bedeutete, dass einem die eigene Visage fortan von „Bravo“-Covern entgegen griente und nun die ersten Konzertreihen von nicht selten minderjährigen Mädchen, die nach Konzertschluss pünktlichst von ihren besorgten Eltern vor der Halle abgeholt wurden, bevölkert wurden – fair enough. Viel wichtiger scheint jedoch, dass Griffey/Casper sich auf „XOXO“ in einem Maße freischwamm, welches zumindest im deutschsprachigen HipHop seinesgleichen suchen dürfte. Gemeinsam mit seiner Band (!) bastelte der ehemalige Bielefelder, der nun wie jedermann freilich in der Hauptstadt wohnt und lebt, jahrelang an Sounds und Songs – und verließ die Proberäume und Aufnahmestudios erst, als er mit „XOXO“ ein Ergebnis in seinen Händen hielt, dass sich kaum fundamentaler vom vor allem in Fankreisen höchst beliebten, 2008 erschienenen Vorgänger „Hin zur Sonne“ unterscheiden konnte. „XOXO“ war groß, hymnisch, mitreißend und positiv – jedoch auch melancholisch, introspektiv und unvermittelt. „XOXO“ hatte Aufruhr im Sinn und Veränderungen im Blick, verknüpfte Beats mit klassischem Rock-Instrumentarium aus GitarreSchlagzeugBass zu nahezu durchgängig unwiderstehlichen Popmomenten, während Griffey in den Texten nicht selten die mal salzigen, mal schmutzigen Finger in die Wunden der Zeit legte: „Und bin weg, weit weg, da wo dir Fehler verzeihbar sind / An den Ort, wo wir mit 16 dachten, wo wir mit 30 sind / Kein Ärger und Mist, denn als merkten wir’s nicht  / Alltag ist Treibsand, du steigst ab, je stärker du trittst / Immer nur lang leben von Mahnung zu Mahnung und Ratenabzahlung / Für ein Mal im Jahr 14 Tage Malle / Ich bin raus, kann schon nach dem Ende ’nen Anfang sehen / Ganz egal, wie lang‘ der Fall, solange die Landung steht / Vielleicht Saint Tropez / Vielleicht weit hinter den Bergen / Vielleicht nur Bielefeld, doch dort, wo noch Grinsen ‚was wert ist“ (aus „Auf und davon“). War das, wozu sich da plötzlich Lederjacken-Indierocker und Übergrößenklamotten-Hiphopper unisono über die Tanzflächen der Studentendiskos bewegten, eigentlich noch HipHop? Wenn nicht – was zur Hölle dann? Raprock? Poprockhop? Indiehippostrock? Fest stand: Da hatte ein junger Mann, ein ehemaliger Medienpädagogik- und Psychologiestudent mit – Obacht! – „Migrationshintergrund“, mal eben die komplette deutsche Musikszene gefoppt und sich mit dem gefühlten Debütalbum „XOXO“ nachhaltig auf dem ersten Platz der Albumcharts breitgemacht, während Songs wie „Auf und davon“ oder „So perfekt“ massig Radioairplay erhielten und gestandene Künstler wie Thees Uhlmann oder Madeira ihm auf dem Album mit Gastbeiträgen ihre Aufbietung machten… Und wer je ins Gespräch mit dem nicht selten „Emorapper“ titulierten Endzwanziger kam (der sich selbst ironietriefend als „Vater des Hipster-Raps“ bezeichnet), der stellte fest, dass dieser zwar durchaus seine Wurzeln im westfälischen HipHop hatte, dass Griffey jedoch ebenso einen Gedichtband von Rainer Maria Rilke unter dem „Black Album“ von Jay-Z auf seinem Nachttisch liegen haben könnte. Außerdem schienen dem Herrn Genregrenzen völlig fremd zu sein. Gepflegte Punchlines zu Tom Petty’esken Akkorden? Rapsalven über Endhaltestellen und Auswege, über Depression, Tode und die Lichter am Tunnelende, gekreuzt mit dem Rockismusgeist von Springsteen oder den Counting Crowes, während sich die Gitarren in ungeahnte Post Rock-Höhen á la Explosions In The Sky schrauben (man höre und staune noch immer über die bewegenden Songs „Michael X“ oder „Kontrolle/Schlaf“!)? Geht, alles. „XOXO ist das Ergebnis einer positiven Dialektik aus HipHop und Hardcore, Zerstörung und Erneuerung, Lachen und Weinen, Zurücklassen und Wiederfinden, Liebe und Wut, Depression und Hoffnung, alles geht fließend ineinander über“, wie die TAZ damals in ihrer Kritik schrieb. Unterschrieben.

Foto: Paula Winkler; Alexander Gehring

Foto: Paula Winkler; Alexander Gehring

Was also sollte nach „XOXO„, diesem unverhofft genreübergreifenden Statement, kommen? Die Kehrtwende zurück zum Purismus des HipHop? Weiter in Richtig Pop? Oder gar: noch mehr Handwerk, noch mehr Songwriting? Hört man nun „Hinterland„, Album Nummer zwei in der „neuen Casper’schen Zeitrechnung“, Album Nummer vier in der Gesamtdiskografie des mittlerweile 31-Jährigen, so dürften die elf neuen Stücke bei vielen zunächst einmal für Verwunderung sorgen, denn Griffey setzt genau da an, wo einen „XOXO“ vor zwei Jahren zurück ließ. Und macht doch alles anders.

Hinterland

Rein oberflächlich wäre da schon einmal das Coverartwork: Ein schwarzer Priester scheint wie in Trance himmlische Mächte zu beschwören, während er als Täufer eine vormals Ungläubige in sonnenbeschienene Gewässer taucht. Wo waren die einsamen Wölfe geblieben, die einen noch bei „XOXO“ vom Plattencover – beziehungsweise zu Anfang der begleitenden Konzerte als leuchtende Masken bei allen Bandmitgliedern – Ehrfurcht einflössend anstarrten? Passend dazu präsentierte sich Griffey mit Redneckkappe und amtlichem Vollbart. Ein shoutender Indie-Jesus? Wohl kaum. Vielmehr begab sich der deutsch-amerikanische Musiker, der zwar in Ostwestfalen zu Welt kam, dank seines amerikanischen Vaters, einem US-Soldaten, jedoch die ersten elf Lebensjahre in Augusta (nahe Atlanta, US-Bundesstaat Georgia) verbrachte, bevor seine Mutter mit ihm und seiner älteren Schwester nach Deutschland zurückkehrte, klanglich auf Spurensuche. Die größte Rolle bei der musikalischen Neujustierung dürften dabei wohl die beiden als Produzenten fungierenden Studioasse Konstantin Gropper und Ganter gewesen sein – der eine (Gropper), als Vorsteher der international angesehenen, am Ende doch stets leicht größenwahnsinnig aufspielenden Get Well Soon, das „ewige Wunderkind“ des deutschen Indiepop, der andere (Ganter) bislang bekannt für seine dubstepaffinen Produktionen für Elektropopper wie Sizarr. Dazu ein Haufen offener Kreativlinge wie Griffey und Band. Was für eine Melange!

Casper - Hinterland (Single)Und so ist es kaum verwunderlich, dass bereits der erste Song, „Im Ascheregen“, ohne Umschweife in die Gehörgänge rutscht. Erst noch von einsamen Pianonoten eingeführt, mischen sich alsbald treibende Schlagzeugschläge, flirrende Gitarren und „Ohoho“-Chöre ins Geschehen ein, während Griffey die Parole ausgibt: „Dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen / Will auf und davon und nie wiederkommen / Kein Lebewohl, will euch nicht kennen / Die Stadt muss brenn‘, brenn‘, brenn‘, brenn‘ „. Ist dies etwa – und man unterstelle mir hier bitte keinerlei Blasphemie! – etwa der persönliche „Born To Run“-Versuch des bekennenden Springsteen-Fans? In eine ähnliche Kerbe schlägt denn auch das darauf folgende Titelstück: „Wo jeder Tag aus Warten besteht / Und die Zeit scheinbar nie vergeht / In diesem Hinterland, verdammtes Hinterland / Wo Gedanken im Wind verwehen / Und die Zeit scheinbar nie vergeht / Geliebtes Hinterland, Willkommen im Hinterland“. Zu schmucker Akustikklampfe und E-Gitarren, sanften Chören, treibendem Schlagzeug und Handclaps erzählt der „Konsensrapper“ von der Tristesse des Irgendwos im Nirgendwo und lässt gleich mal eben sein roadtriptaugliches „Thunder Road“ folgen. „Alles endet (aber nie die Musik)“ setzt darauf wieder mehr auf die Euphoriekarte, holt mit poppigen Rhythmen die Freunde von „XOXO“ (wieder) ins Boot, während man die eigene Vergangenheit, die ersten dreißig Lebensjahre, im Rückspiegel betrachtet („Einer ging zu früh, einer bekam dann Kinder / Einer geht ein und aus, irgendwas ist immer / Einer ging zum Bund, der Rest weg, die Welt erfahren / Ich mach noch immer das Musikding, bin selten da“). Die im HipHop-Zirkus nicht eben seltene Kunst der Referenzeinwürfe und Querverweise spielt „…Nach der Demo ging’s bergab!“ zu freudetrunkenem Piano, Bandinstrumentierung und Bläsern höchst clever aus – oder wo sonst werden Die Sterne, Ton Steine Scherben, Tomte, Wir sind Helden, Kraftklub (in anderen Stücken gar Slime, Kettcar oder Oasis) mal eben so augenzwinkernd genamedropped? „Nun nur noch ein Mixtape, wo kein Song zu dem anderen passt“? Nee, Casper, passt schon! Und auch die gewohnten Melancholiebolzen kommen auf „Hinterland“ nicht zu kurz: „20 qm“ ist der feierlich schöne Abgesang an die guten Zeiten einer gescheiterten Beziehung (inklusive windschief niedlicher „Oho“-Chorale), „Lux Lisbon“ könnte mit seinen schleppenden Rhythmen und dem großen Refrain, für welchen Griffey keinen Geringeren als Editors-Stimme Tom Smith gewinnen konnte, die Vorgeschichte des bitteren „XOXO“-Songs „230409“ sein. Auf „Ariel“ kommen dann erstmals (!) verhalten bummernde Hintergrundbeats zum Einsatz, während im Text Besinnlichkeit und Gedanken über den Tod Einzug halten: „Wenn ich geh‘ – wenn ich geh‘, wenn ich geh‘, wenn ich geh‘ / Bin ich doch da, solang‘ die Band noch spielt / Und alles ist gut, anders, aber gut anders“ – it ain’t over before it’s over. Weitere Highlights sind etwa „La Rue Morgue“, in welchem sich Griffey zu betrunken hinterher taumelndem Piano, Schepperpercussion und „Lalala“-Chören als deutsche Antwort auf jenseitige Greiner wie Tom Waits oder Nick Cave präsentiert, oder der Abschluss „Endlich angekommen“, bei dem der Musiker innerhalb von sechseinhalb Minuten – und mit hörbarem Stolz auf sich und seinen eingeschworenen kleinen Haufen Kumpane! – noch einmal den bislang zurückgelegten Weg Revue passieren lässt: „Applaus, Applaus / Vorhang auf / Endlich angekommen / Und alles zieht vorbei, bei, bei, bei, bei… /…/ Liebe kommt, Liebe geht / Nur was immer bleibt, sind Bilder zur Zeit / Die kann uns niemand nehmen…“.

Foto: Sony Music

Foto: Sony Music

Alles in allem ist Benjamin „Casper“ Griffey und dem nicht selten spürbar die Richtung vorgebendem Reglerschiebeduo Gropper/Ganter mit „Hinterland“ eine bis ins kleinste 47-minütige Detail ausbalancierte Antwort auf dem Achtungserfolg „XOXO“ gelungen (die beiden halbgaren Stücke „Ganz schön okay“, welcher ein Feature der chemnitzer Tourneekumpels von Kraftklub beinhaltet und den Tourbus als Butterfahrtskommando – beinahe – gegen die Wand fährt, und „Jambalaya“, das sich als augenzwinkernder Partyschwanzvergleich im Bigband-Konstrukt präsentiert, mal außen vor). Skandierte der Indie-Rapper („Indie“ explizit der Herangehensweise wegen!) vor zwei Jahren noch „Anti-alles für immer!“, so kann man anno 2013 bedenkenfrei das „Anti“ streichen. „Hinterland“ ist Caspers nicht eben pathosfreies Rückspiegelhohelied auf die eigene Jugend in der Provinz und stellt die Trostlosigkeit der Trailerparksiedlungen neben die Lust auf die große, weite Welt. „Hinterland“ ist die Fortsetzung des Weges, der für Casper nach dem zweiten, damals noch recht raplastigen „Hin zur Sonne“ begann, und, wenn man so will: sein persönlicher, Musik gewordener Springsteen-Moment. „Man kann das als Jugendzimmer-Lyrik abtun. Aber jeder, der schon mal ein Jugendzimmer bewohnte, wird darin etwas von sich selbst wiederfinden. Nur wenn man nicht vergisst, woher man kommt, versteht man die Sehnsucht, die immer noch an einem nagt“, wie es der Musikjournalist Jens Balzer in seiner Kritik für den deutschen „Rolling Stone“ so treffend auf den Punkt bringt. All den Zweiflern, den notorischen Nörglern und „Eintagsfliege“-Gröhlern dreht Griffey mit großen Momenten und feinen Melodien eine lange Nase, während er mit „Hinterland“ schon wieder – und das nicht völlig zu unrecht – von der Pole Position der Charts grüßt. Gekommen, um zu bleiben? Sieht ganz danach aus…

Casper - Hinterland (teaser)

 

Wer mehr über Benjamin „Casper“ Griffey, dessen Gemütslage und die Hintergründe zum neuen Album „Hinterland“ erfahren möchte, der findet hier ein Ende September von „Zeit Online“ geführtes Interview mit dem Musiker…

…sowie hier die – visuell wie akustisch – tollen Musikvideos zu „Im Ascheregen“…

 

…und „Hinterland“:

 

Rock and Roll.

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