Familienbande können Segen und Fluch zugleich bedeuten. Das weiß wohl kaum jemand so gut wie Lucy Wainwright Roche, schließlich entstammt die 36-jährige New Yorker Musikerin einer Beziehung von US-Folk-Urgestein Loudon Wainwright III mit Sängerin und Autorin Suzzy Roche, und auch zwei ihrer drei (Halb-)Geschwister, Rufus und Martha Wainwright, sind keinesfalls Unbekannte. Und so unvermeidlich es wohl war, dass Lucy Wainwright Roche früher oder später zur Gitarre griff oder sich ans Piano setzte, so hoch sind freilich – bei den umfangreichen, qualitativ ansprechenden Diskografien ihrer Familienbande – die Erwartungen ans eigene Œuvre. Andererseits schadet – gerade in der heutigen Zeit, wo Vieles (vor)schnell in den Weiten des digitalen Äthers verfliegt – so ein wenig automatische Namedropping-PR natürlich nie…
Denn auch die zwölf Songs ihres kürzlich erschienenen dritten Solo-Albums „Little Beast„, welches Wainwright gemeinsam mit Produzent Jordan Brooke Hamlin aufnahm, drängen sich keineswegs auf. Eben weil sie nicht den spöttischen Witz der Stücke von Vater Loudon besitzen, nicht den oft schwülstig-orchestralen Überschwang von Rufus Wainwright, nur selten die traditionelle Grandezza der Songs von Martha. Vielmehr schreibt Lucy Wainwright Roche ganz eigene, melancholisch-stille, grüblerische Kleinode, die in sich zu ruhen scheinen, oft wenig mehr als eine Akustische oder ein Piano brauchen, und so meist wie der intime Blick durchs Studio-Schlüsselloch wirken. Egal ob sie, wie in „Quit With Me„, dem musikalisch süßlichen, im Text umso schwereren Duett mit Singer/Songwriter Matthew Perryman Jones, von fragilen Herzen und Beziehungen erzählt, oder, wie im (Quasi-)A-Capella-Song „Fifth Of July„, vom Leben in einem Land, das im oberflächlichen Momentum den Exzess mit „Burgers and beer“ zelebriert, es jedoch längst verpasst hat, sein Versprechen von Freiheit sowie die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Gleichheit einzulösen. Herbstlieder, allesamt, die ihre 45-minütige Leisetreterei zelebrieren und das genaue Zuhören mit schüchternen Operationen am offenen Herzen belohnen.
Wie auch (und vor allem) der Song „Heroin“, welcher – zumindest im Detail – keineswegs von der verhängnisvollen Droge, sondern – einmal mehr – vom Zwischenmenschlichen und all den omnipräsenten Fallstricken erzählt:
„I started writing the lyrics to ‚Heroin‘ on a plane from Nashville to NYC in August 2017 and when I got back to my apartment that day, I put the words to music. I’d recently had a conversation with my friend Elna in which she was trying to convince me (without much luck!) that sometimes, in some situations, it’s better to leave things unsaid. She used the phrase ‚Happy Birthday Heroin‘ which really stuck with me and as I thought about that on my flight, this rest of the lyrics just kind of appeared.
In the months that followed I wrote a few different versions of the song—some with more verses, one with a bridge section, one with a different ending. After all that, I ended up returning almost completely to the original version of it that I’d written on that plane ride! Producer Jordan Brooke Hamlin took the original demo and wrote the piano part that you hear throughout the song. Her piano idea seemed to really add to sadness of the track and so we ended up replacing my guitar part with her piano part … and that’s how this version of the song was born.“
„One is the loneliest number that you’ll ever do / Two can be as bad as one / It’s the loneliest number since the number one / No is the saddest experience you’ll ever know / Yes, it’s the saddest experience you’ll ever know / ‚Cause one is the loneliest number that you’ll ever do / One is the loneliest number, worse than two…“
Gerade kam mir wieder dieses todtraurige Lied in den Sinn: Harry Nilssons „One„, mit welchem Aimee Mann 1999 – und damit stolze 31 Jahre nach dessen Erstveröffentlichung – Paul Thomas Andersons nicht eben minder tragisches, mit Stars wie Tom Cruise, Julianne Moore oder William H. Macy nur so gespicktes Episodendrama „Magnolia“ einleitete. Dieser Film war aber auch der erste, in welchem ich Philip Seymour Hoffmanbewusst wahrnahm. Dabei war der damals 32-Jährige um die Jahrtausendwende beileibe kein Rookie, kein unerfahrener Schauspielnewcomer. Ganz im Gegenteil: Der 1967 in Airport, New York zur Welt gekommene US-Amerikaner hatte bis dato bereits in über zwanzig Filmen mitgewirkt, sich ganz klassisch über eine Schauspielausbildung an Tisch School Of Arts der New York University und vereinzelte Fernsehrollen peu à peu einen Namen in den Adressbüchern von Hollywoods Produzenten erspielt. Dass Hoffman nicht eher auf den ersten Besetzungszeilen der Filmplakate in Erscheinung trat, lässt sich wohl ähnlich leicht begründen: Der nach Außen oft so scheu und unaffektiert auftretende auftretende Mime war auf Zelluloid ein Darsteller der alten, so ganz und gar nicht grundlos hervorbrechenden Schule. Anstatt mit übertriebener Gestik den tumb-stoischen Filmberserker á la Stallone oder Schwarzenegger (ich bitte mir diese genrefremden Extrembeispiele im Zweifelsfall zu verzeihen) zu geben, wählte Hoffman Rollen im Hintergrund, anhand derer er großen Namen wie Jeff Bridges (in „The Big Lebowski“), Al Pacino (in „Der Duft der Frauen“), Robin Williams (in „Patch Adams“) oder Matt Damon (in „Der talentierte Mr. Ripley“) den Rücken zur Entfaltung ihrer eigenen Charaktere freihalten konnte. Dem blonden, oft mit Bart und feisten Gesichtszügen auftretenden Schauspieler genügten in seinen Nebenrollen oft nur wenige effektive Momente, um sein wahres Können aufblitzen zu lassen. Dass er sich in all den Jahren vom Who-is-who der qualitativ hochwertigen Hollywoodregieriege einweisen ließ – vom Dauerpartner Paul Thomas Anderson, mit dem er neben „Magnolia“ und zwischen 1997 und 2012 noch einige Hochkaräter mehr schuf (etwa die letzte Zusammenarbeit der beiden, „The Master“) über die Coen-Brüder („The Big Lebowski“) bis hin zu Joel Schumacher (Makellos“), Spike Lee („25 Stunden“) oder Cameron Crowe („Almost Famous“) -, dürfte dabei nur bestätigen, dass man in Los Angeles längst auf Hoffmans Fähigkeiten zu bauen wusste. Und so unterschiedlich die Filme, in welchen ihm eine mal mehr, mal weniger tragende Rolle auf den Leib gescheitert wurde, auch sein mochten, so sehr und nah blieb Hoffman doch bei sich selbst. Denn meist verkörperte der Profilmime Charaktere, die beständig nahe am Rande ihrer selbst agierten, die innerlich längst zerbrochen schienen und nie so ganz auf gut Freund mit dem Gros der ihnen zuwideren Gesellschaft machen konnten. Andererseits verstand Hoffman es, seine Rollen – wenn notwendig – mit einer Menge Herzlichkeit, Bodenständigkeit und Natürlichkeit zum Glimmen zu bringen. Welch eine Erfüllung es für ihn gewesen sein mochte, als er 2006 ausgerechnet für seine Verkörperung des nicht minder tragischen US-Allroundkünstlers Truman Capote den zweifellos verdienten Oscar als bester Hauptdarsteller (im Indepentent-Drama „Capote“) gewann? Man kann es wohl nur erahnen…
Wer jedoch von Philip Seymour Hoffman als ein „wandelbares Chamäleon“ spricht oder schreibt, der könnte falscher kaum liegen. Denn bei aller Kunstfertigkeit, bei allem Können kam dem Schauspieler wohl – und hier finden wir seine wohl größte Tragik – zugute, dass auch er selbst seit seinem Collegeabschluss auf schmalen Graten zu wandeln wusste. Wie Hoffman 2006 in einem Interview zugab, litt der dreifache Familienvater zu Anfang seiner Zwanziger gleich unter mehreren Abhängigkeiten (Alkohol und härtere Drogen – er übertrieb es laut eigener Aussage mit allem, was er in die Finger bekommen konnte), schaffte jedoch im Alter von 22 Jahren den vermeintlichen Absprung. Im Nachgang wirken so viele seiner Rollen mit all ihrer unprätentiösen Tragik, fehlenden doppelten Böden und schonungsloser Direktheit fast wie böse Omen, bei welchen sich bewahrheitet, dass man einem Menschen zwar ins Gesicht, jedoch nur all zu selten hinter die Fassade schauen kann. Und allein die Tatsache, dass sich Hoffman, dessen ungeschliffenes, oft zerzaust zutage tretendes Äußeres nie so ganz seine wahre Verfassung zu offenbaren schien, im vergangenen Jahr – und damit über 20 Jahre nach dem Lossagen von seinem persönlichen Drogensumpf – erneut für zehn Tage „wegen Problemen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und Heroin“ in einen Entzugsklinik einweisen ließ, wirkte wohl viel zu nah an einer seiner Rollen (etwa die des drogensüchtigen Gangsters in Sidney Lumets famosem „Tödliche Entscheidung – Before The Devil Knows You’re Dead“), als dass man die wahre Brisanz der inneren Lage des Schauspielers wahrhaben wollte. So sehr nun über die tatsächlichen seelischen Schieflagen, die Abgründe, die Sackgassen spekuliert wird, so einfach und schwer wiegen doch die Fakten: Philip Seymour Hoffman wurde am Morgen des 2. Februar 2014 tot im Badezimmer seines Apartments im New Yorker Stadtteil Manhattan aufgefunden. Vielerwebs wird berichtet, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine Spritze im Arm des Schauspielers steckte, und auch die New Yorker Polizei geht davon aus, dass Hoffman an einer Überdosis Heroin starb. Mit Philip Seymour Hoffman verliert Hollywood einen seiner charismatischsten Profilschauspieler, dem seine Kunst nie zu schade für die zweite Reihe war. Freilich wird die Traumfabrik aus Geld und Zelluloid auch diese Lücke schnell zu schließen wissen – the show must go on. Freilich ist all das Reden und Schreiben vom „zu jungen Sterben“, die Überhöhung Hoffmans zur „Ikone der Darstellungskunst“ nur leidlich profanes Geschwätz für den Moment – the show will go on. Fakt ist: Philip Seymour Hoffman wählte im Alter von 46 Jahren den wohl einsamsten aller Wege. Ich werde seine Augenblicke in der zweiten Reihe vermissen.
„I had insecurities and fears like everybody does, and I got over it. But I was interested in the parts of me that struggled with those things.“
(Philip Seymour Hoffman in einem Interview mit dem Guardian, 2011)
Wie so oft finden auch andere Schreiberlinge in traurigen Momenten wie diesen wohl gewählte Worte – man lese etwa den Nachruf der deutschen Online-Ausgabe des „Rolling Stone“ -, während anderswo – beim „Spiegel“ – die Vorzüge der digitalen Welt gewählt werden, um Hoffmans vermeintlich beste Szenen Revue („die zehn besten Szenen seiner Karriere„) passieren zu lassen.