Eines steht fest: wir leben in schnelllebigen Zeiten. Alles muss immer größer, praktischer, effektiver, besser, höher, schneller, weiter sein. Wir führen – zumindest in den Industrienationen – den Darwinismus ad absurdum und passen unsere Umwelt uns an. Gibt’s nicht? Klappt nicht? Was nicht passt, wird passend gemacht! Und wieso sollte es mit der Musik anders sein? Musste man sich früher noch zu Hausmusikabenden zusammen setzen, wenn man Musik hören wollte, so lässt heute beinahe jeder seinen eigenen kleinen Tagessoundtrack auf dem Weg zur oder von der Arbeit, beim Putzen, Joggen, Schlafen, Lesen und wasweißichfürgelegenheiten durch die Gehörgänge rauschen. Musste man früher noch Stunde um Stunde vor dem Tapedeck verbringen, wenn man den neusten „heißen Scheiß“ an Radiotiteln auf Magnetbändern in den Walkman bringen wollte – und beim Mitschneiden im Radio alles sekundengenau abpassen (und hoffen, hoffen, hoffen, dass dieser dämliche Moderator den Titel auch gottverdammtnochmal ausspielt und nicht wieder irgendwelche beschissenen Verkehrsmeldungen über die beste Stelle rasseln lässt!) -, so kann man sich heutzutage bei Bedarf einfach die komplette Diskographie eines Künstlers innerhalb weniger Minuten auf die heimische Festplatte saugen. Und, all ihr Kiddies da draußen: was wisst ihr denn heute noch über die Unwägbarkeiten, die Tücken, die psychologischen Fallstricke der Zusammenstellung des – nahezu! – perfekten Mixtapes? Hm? Darüber, den idealen Anfang und den vielsagensten Abschluss zu finden und den Hörer (zu meiner Zeit und in eurem Alter meist: die Angebetete) während der gesamten Zeitspanne – bei Kassetten meist 60 oder 90 Minuten, später die Standard-CD-Länge von 80 Minuten – bei Laune zu halten, bestenfalls gar (für sich) zu begeistern? Wann habt er zuletzt vor einem Platten- oder CD-Regal gestanden und versucht, den Besitzer dieser „Kostbarkeiten“ anhand des Musikgeschmacks psychologisch einzuschätzen? Wann habt ihr eure Finger zuletzt fachkundig durch die Neuerscheinungen in einem Musikfachgeschäft wandern lassen? (Ja, es gibt in der Tat ein Leben außerhalb des iTunes Stores!) Wann habt ihr zuletzt eine Vinylplatte in euren Händen gehalten – gar: eine gekauft? Oder lediglich eine CD? Also? Hm? Hm?!? HM?!? Und nein: das ist kein Kulturpessimismus. Nennt es bitte verklärte Kulturromantik…
The Gaslight Anthem-Schlagzeuger Ben Horowitz sieht das ähnlich: „Ich habe mich in Musik verliebt, als es noch keine Musik gab,“ wie er kürzlich gegenüber der US-amerikanischen Ausgabe des Rolling Stone zu Protokoll gab. „Und als sich die gesamte Musikindustrie veränderte, war ich immer noch verliebt. Es ist schon interessant, ein Musikfan zu sein und diese Veränderungen selbst mitzumachen.“ Und so ist es umso logischer, das er und seine Band dieser Langzeitliebe nun in größerem Maße Tribut zollen: im 15-minütigen Kurzfilm „Every Word Handwritten“ wird der Weg einer Vinylsingle durch die Jahrzehnte gezeigt, wie sie die Leben von Menschen, ja von ganzen Generationen in entscheidenden Momenten verändert, und selbst nur äußerlich Schaden nimmt – Vinyl, du schwarzes Gold, du musikalischer Hort für die Ewigkeit. Und auch der Titel des Film kommt nicht von ungefähr: die Idee kam Horowitz, als es darum ging, Themenbereiche für das Video zum Titelsong des gleichnamigen, im vergangenen Juli erschienenen Gaslight Anthem-Albums „Handwritten“ zu sammeln. Nachdem sich der Schlagzeuger das Okay seiner Bandkumpels eingeholt hatte, setzte er sich mit Regisseur Kevin Slack, der vorher unter anderem bereits das Video zu „Here Comes My Man“ mit verantwortete, in Kontakt und begann mit der Arbeit. Herausgekommen sind 15 sehenswerte Minuten, für deren Score sich TGA-Gitarrist Alex Rosamilia und Wes Kleinknecht, ein weiterer Freund der Band, verantwortlich zeichnen, und deren Optik wohl allen, die mit den bisherigen Videos von The Gaslight Anthem vertraut sind, ebenfalls zusagen dürfte…
„Ich kann mir ein Leben ohne Vinyl nicht vorstellen. Ein Leben, in dem ich durch mein Wohnzimmer gehe, ohne meine Platten zu sehen.“ Ja, Ben Horowitz ist einer dieser Kulturtraditionalisten, die ihr immer so süffisant belächelt, während ihr euch auf euren iPods und iPhones durch Tage um Tage Musik clickwheeled und scrolled, Kinder. Nichts für ungut, sehr verehrte jüngere Generation, denn auch ich liebe meinen iPod! Aber: viel zu viele von euch werden wohl einen guten Teil eben jener Magie, die die Musik eigentlich stets umgeben sollte, wohl leider nie kennenlernen…
Der Kurzfilm „Every Word Handwritten“ kann hier (über den Internetauftritt des US-amerikanischen Rolling Stone) begutachtet werden…
…und hier gibt’s noch einmal die bisherigen Zusammenarbeiten von The Gaslight Anthem mit Regisseur Kevin Slack: das Video zu „I’da Called You Woody, Joe“ (vom 2007 erschienenen Debüt „Sink Or Swim„)…
…den Clip zu „Handwritten“ (quasi der Kurzfilm im gestrafften Videoformat)…
und das aktuelle Video zu „Here Comes My Man“:
Als kleinen Bonus gibt’s hier noch The Gaslight Anthems Version des Animals-Klassikers „House Of The Rising Sun“, die die Band bei einer Session der „Billboard Candid Cover“-Reihe einspielte:
Rock and Roll.