
Die große Frage, die sich mit dem zweiten Album von Bartees Strange, der im sogenannten richtigen Leben zwar tatsächlich Bartees mit Vornamen, jedoch nicht Strange mit Nachnamen heißt, die große Frage also, die sich im Zuge der unlängst erschienenen neuen Platte stellt, lautet: Wird das nun was mit dem großen Durchbruch? Das Zeug dazu hat der 33-jährige US-Musiker allemal. Seine Songs sind so volatil wie abwechslungsreich, pendeln zwischen fiebrigen Clubnummern und akustischen Halbballaden. Und diese Vielseitigkeit hat durchaus Gründe: Als Sohn einer Opernsängerin und eines Armeeangehörigen wurden Bartees die Musik und das Unterwegssein quasi in die Wiege gelegt. Geboren in England, lebte er einige Jahre in Deutschland oder Grönland und ist seit seinem 12. Geburtstag in Oklahoma zu Hause. Dort wurde er mit Midwest Emo und Hardcore sozialisiert, hörte Bands wie At The Drive-In oder American Football und spielte zwei Jahre lang in der Post-Hardcore-Band Stay Inside. Als er den Kontakt mit früheren Freunden aus England suchte, machten diese ihn zudem mit der britischen Alternative-Musikszene bekannt und Bartees verliebte sich in Bands wie Mount Kimbie oder King Krule. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass sich auch „Farm To Table„, der hier zur Diskussion stehende Nachfolger des 2020 erschienenen Debüts „Live Forever„, weder festlegen kann noch will. Ein Album wie eine bunte Tüte Süßigkeiten im übervollen Freibad: Es gibt die vollmundigen Kalorienbomben, die sauren Center Shocks und zwischendrin die vielleicht für die bunten Tüten dann doch nicht sehr typischen bitteren Pillen. Im Großen und Ganzen sollte also bei diesem recht einzigartigen Mix aus Indie Rock, R’n’B, Emo, introvertiertem Folk, Dreampop und etwas Autotune für nahezu jede(n) etwas dabei sein. Ob man dieser Album gewordenen Melange nun das Label des trap-rockigen Emo-Indie, oder Indie Rock mit Emo-Trap überzieht, ist am Ende völlig schnurzpiepegal.
Da ist zu Beginn der kurzweiligen Platte gleich das Funken sprühende Melancholie-Feuerwerk „Heavy Heart„. Mit welcher nonchalanten Fahrlässigkeit Strange den vermutlich größten Song seiner bisherigen Karriere ganz an den Albumanfang stellt, ist schon ebenso bemerkenswert wie respektabel, schließlich geht selbiger direkt ans Eingemachte: Zu einer Bloc-Party-Gedächtnismelodie schmachtet Strange über die vielfältigen Gründe, deretwegen man ein schwermütig pochendes Herz haben könnte. Im Verlauf entwickelt sich die Nummer jedoch nicht zur drögen Herzschmerzballade, sondern wagt sich mit kraftvollem Rhythmus, jazzigen Bläserbreaks und massig Ohrwurm-Potential aus der wohlig-weichen Komfortzone. Nur um im nächsten Song, „Mulholland Dr.„, den gleichen Hütchenspielertrick noch einmal zu versuchen: Sehnsuchtsvoll klingende Gitarren, mit denen sich Strange die Schwermut von der Seele spielen möchte, stehen hier im Fokus, die Arrangements klingen kristallklar und nach tiefblauem Nachthimmel. Dass er aber auch einen ganz anderen Sound im Tank hat, zeigt er mit der minimalischen Alternative-HipHop-Nummer „Cosigns„, die recht lässig und unter Zuhilfenahme von Autotune-Effekten sowie dunkel schimmernden Beats mit dem angestammten Sounddesign bricht und einen derben Keil in den Fluss des Albums schlägt, während textlich ein namedroppender Knicks vor Künstlerinnen wie Phoebe Bridgers, Lucy Dacus oder Courtney Barnett (mit denen Bartees Strange auch jeweils bereits auf Tournee war) gemacht wird. Muss man mit klarkommen, kann man auch.
Es lässt sich schwerlich überhören, dass Bartees Leon Cox Jr. auf „Farm To Table“ eine ganze Bandbreiter seiner Facetten zeigt – und das ist natürlich Segen und, wenn man so will, „Fluch“ zugleich, denn eine kohärente Albumerzählung stellt sich so während der knapp 35 Minuten mitnichten ein. Die Platte wirkt eher wie ein Mixtape, ein Neo-Crossover-Portfolio, das als recht kühne Verschmelzung von R’n’B und Zu-groß-für-den-Club-zu-klein-fürs-Stadion-Indie die Möglichkeiten des Künstlers aufzeigen soll. „Wretched“ zum Beispiel befolgt ohne jede Ironie die aktuelle Popformel und reißt mit seinem stampfenden Elektro-Beat die Hütte ab. Hier liefert der US-Amerikaner eine astreine Club-Nummer, die selbst nach, sagen wir mal, einem Macklemore-Track nicht sonderlich aus der Reihe fallen würde. Das für George Floyds Tochter gesungene „Hold The Line“ hingegen gefällt sich in der Rolle als atmosphärischer Soul-Song, der das Tempo in ähnlicher Manier rausnimmt wie die Stripped-Down-Akustiknummer „Tours„, in welcher der Musiker feststellt, dass sich sein Leben und das seines Soldatenvaters gar nicht mal so sehr unterscheiden, oder das abschließende soulige „Hennessy„, in dem er zu Nylon-Gitarre, leisem Drumming und verschleppten Klavierakkorden das Zusammengehörigkeitsgefühl der afroamerikanischen Community beschwört – Politisches und Persönliches wird hier sowieso in nahezu jedem Moment miteinander vermengt. Da wünscht man sich schon, dass Bartees Strange, der vor zwei Jahren mit einer EP voller Coverversionen seiner erklärten Lieblingsband The National für ein erstes Ausrufezeichen sorgte, den R’n’B-Lowrider irgendwo in einem Vorort von Los Angeles stehen ließe und sich mehr auf die Indie-Rock-meets-Folk-Schiene konzentrieren würde. Und auch wenn er sich nun für eine der diversen Richtungen entscheiden würde, bekäme man wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein deutlich kohärenteres Gesamtwerk, das in der jeweiligen Sparte den Durchbruch für ihn als Musiker bedeuten könnte. Denn mit „Farm To Table“, diesem als Album getarnten Tanz-zwischen-den-Stilen-Mixtape, stellt er unter Beweis, was er nahezu alles beherrscht – einem Ohr für Hooks und Angstfreiheit vor den Charts inklusive. Doch möglicherweise würde man letzten Endes dann genau das vermissen, was man jetzt noch „Durcheinander“ nennt… Schon strange, dieser Bartees.
Rock and Roll.