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Auf dem Radar: Grace Cummings


Während vielerwebs die Jahresbestenlisten von 2021 noch lauwarm glühen, deutet sich bereits an, wer die Pop-Feuilletons der kommenden Monate einhellig verzaubern könnte. Grace Cummings etwa. Zwar hat die in Melbourne geborene Songwriterin in ihrem Heimatland mit „Refuge Cove“ bereits 2019 ein vielbeachtetes Debüt vorgelegt, abseits Australiens ist sie jedoch ein noch recht gut behütetes Geheimnis. Und man muss keineswegs der Ahnenreihe eines Nostradamus entstammen, um die risikoarme Prognose zu wagen, dass sich das in diesem Jahr und mit dem kommenden Album „Storm Queen“ schlagartig ändern könnte.

Dabei liest sich Grace Cummings‘ bisheriger Werdegang irgendwo zwischen Umtriebigkeit und gepflegter Down-Under-Langeweile. So begann die ausgebildete Schauspielerin ihre musikalische Laufbahn als Schlagzeugerin in einer Reihe von Highschool-Bands, deren Repertoire hauptsächlich aus AC/DC- und Jimi-Hendrix-Covern bestand. Als Cummings begann, eigene Songs zu schreiben, ließ sie sich vermehrt von Acts wie Paul Kelly, Bob Dylan, J Spaceman sowie traditioneller irischer Folkmusik inspirieren, die ihr Vater oft zu Hause spielte. Vor allem die Ehrerbietungen an den ewig großen Dylan hörte man an vielen Ecken der Eskapismus-Kleinode von „Refuge Cove“ heraus.

Einer weiteren Eigenart bleibt Cummings auch auf dem neuen Werk treu: sie behält die künstlerischen Zügel gern in der eigenen Hand. So übernimmt die Newcomerin, wie schon auf dem Debütalbum, auch auf “Storm Queen” das Ruder als Produzentin. Die minimalistischen Arrangements werden von einer Reihe von befreundeten Künstler*innen aus Melbourne mit unerwarteten Verzierungen geschmückt: prunkvolle Geigenmelodien, gespenstische Theremin-Töne oder das frenetische Heulen eines Baritonsaxophons, welche das Album, getreu seines Titels, in ein ganz eigenes, unbändiges Klima hüllen.

„Storm Queen“ beginnt mit der majestätischen Vorab-Single „Heaven“ und offenbart sofort die ungezähmte Intensität von Cummings‘ ebenso eigenwilliger wie mächtiger Stimme sowie ihre Vorliebe für poetische und zugleich seltsam direkte Texte. Oft genug lässt die geübte Bühnenmimin dabei die Theatralik einer Aldous Harding mit der stimmlichen Präsenz von Marlene Dietrich unikal verschmelzen. Außerdem auffällig: religiöse Anklänge. Aber auch hier verhält es sich etwas anders, als man im ersten Moment zunächst denken könnte. „Der Refrain von ‚Heaven‘ enthält zwar die Worte ‚Ave Maria‘ – aber nicht, weil ich in irgendeiner Weise religiös bin“, erklärt die Australierin, die kürzlich erst die Hauptrolle in einer Joanna Murray-Smith-Produktion an der Melbourne Theatre Company spielte. „Für mich ist das Reden und Singen über Gott oder Mutter Maria eine Art, etwas Schönes zu benennen, das ich nicht verstehe, etwas, das nicht ganz zu der Welt gehört, in der wir leben“, fügt Cummings hinzu, die ihre eigenwillige Musikalität mit einer bewusst spontanen Herangehensweise an das Songwriting kombiniert. „Ich habe ‚Heaven‘ tatsächlich in der gleichen Zeit geschrieben, die man zum Singen braucht. Ich habe gehört, dass man in alten Cowboy-Filmen immer weiß, wer der Held ist, weil er einen Zehn-Gallonen-Stetson trägt. Der Himmel könnte eine Person sein. Oder ein Ort. Oder mein Vater oder eine winzig kleine Raupe oder der Klang des Lachens eines Kookaburra. Der Kookaburra ist ein Held, ich bin es nicht.“ Mit dieser Erklärung zwischen Augenzwinkerei und heiligem Ernst begründet Cummings, warum ihr Spiel mit christlicher Symbolik der ohnehin schon überbordenden Affektkulisse ihres eigenartig reduzierten Songwritings noch eine weitere Ebene einzieht.

Diese Musik mag keineswegs gefälliger Einweg-Radiopop für Familie Jedermann sein, aber eines ist sie in jedem Fall: besonders. Ave Maria, a star is born.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Eliza Shaddad – „Now You’re Alone“


Foto: Promo / Jodie Canwell

Manch ein Binger, so mache Bingerin hat vielleicht schon davon gehört: Im Abspann der britischen Netflix-Mini-Serie „Behind Her Eyes“ ertönte unlängst eine fast schon magische, beschwörerische Version des Nina Simone-Klassikers „Don’t Let Me Be Misunderstood“. Die Stimme dahinter stammt von Eliza Shaddad, Kind einer sudanesischen Astrophysikerin und eines schottischen Diplomaten, in sieben verschiedenen Ländern aufgewachsen. Entsprechend „globalisiert“ wirkt ihr Sound, der sich gefühlt das Beste aus nahezu allen musikalischen Welten zusammenklaubt. Da verwundert es kaum, dass sich „The Woman You Want„, ihr zweites Studioalbum, abermals auf keine bestimmtes Genre festlegen lassen will.

Und wenn man so mag, dann hat man es hier mit einem weiteren „klassischen“ Lockdown-Werk zu tun, denn eigentlich wollte Eliza Shaddad den Nachfolger ihres 2018er Debüts „Future“ mit Band aufnehmen. Ja: eigentlich. Corona. Pustekuchen. Stattdessen entstanden die neun neuen Stücke in Zusammenarbeit mit Ehemann und Produzent BJ Jackson zwischen schalldämmenden Matratzen im Schlafzimmer im heimischen Cornwall. Dass man bei gezwungener Nähe – so schön diese in mancher Minute auch sein mag – nicht konstant auf Wolke sieben schweben kann, haben die meisten im letzten Jahr am eigenen Leib erfahren. Und wer genau(er) hinhört, für den werden Lagerkoller und Corona-Blues auch auf Shaddads neuem Album spürbar: Beides steckt in der Enttäuschung von „The Man I Admire“ und „The Woman You Want„, in der Genervtheit von „Fine & Peachy„, aber vermutlich auch in „Blossom“ und „Heaven„, die Mut machen und den Frühling herbeisehnen. Während sich ersteres auf ihre sudanesische Herkunft bezieht (bevor die Sharia im Sudan eingeführt wurde, erlebte das Land von den Sechziger- bis in die Achtzigerjahre hinein eine echte Blütezeit, die heute als das goldene Zeitalter des sudanesischen Pop gilt) und zu psychedelisch angehauchtem Folk das Hörerherz erwärmt, bemüht letzteres die gitarrenlastigere Seite dieser Platte und erinnert an so vielfältige Künstler*innen wie Alanis Morissette und R.E.M. – die Neunziger lassen lieb grüßen. Ein fast schon beiläufiger Pop/Rock-Sound mit ausreichend Kante, um den Biss des Songs zu transportieren, dazu die ausdrucksstarke Stimme und kleine, aber feine Variationen tragen den Song. Die streicherdekorierte Verlust-Ode „In The Morning (Gradmother Song)„, welche ihrer an Demenz verstorbenen Großmutter gewidmet ist, entpuppt sich als konträre Schwester und wirkt beinahe wie von einem anderen Planeten. Eliza Shaddad, die sich vor einigen Jahren noch als Straßenmusikerin in London durchschlug, während sie Jazz und Philosophie studierte, bemüht sich um balladeskes Drama und Art Pop-Ansätze. Die reduzierte Instrumentierung rückt ihre außerordentliche, vielschichtige Stimme in den Mittelpunkt. Und wer sich nicht hütet, der findet sich schnell in einem Sog der Emotionen wieder.

Fine & Peachy“ hingegen bemüht zu herrlich angeissten Zeilen wie „Fuck you, just tell me what you wanted to say / Instead of screaming at my head for days“ verschmitzte Indie-Anklänge, tänzelt durchaus leichtfüßig mit einem Hauch von Folk im Unterboden, dazu mit etwas Pop-Appeal obenauf – Sheryl Crow und Lukas Nelson winken von fern. Das schleppende, ein wenig niedergeschlagene „Now You’re Alone“ bemüht erdrückende Melancholie, flirtet mit Selbstaufgabe und lässt das ausladende Arrangement sehnsüchtige Töne anschlagen – die Künstlerin selbst nennt’s „Ethereal Grunge“. Im dreampoppigen „Waiting Game“ weht Shaddads Sound eine Prise Kate Bush und Austra im die Ohren, aber auch Island scheint im opulenten Crescendo gefühlt nicht so weit weg. Kunterbunt, angenehm experimentell, irgendwie eingängig und strukturell doch herrlich unnahbar – ein gewiss unerwartetes, faszinierendes Herzstück dieser Platte.

“Es war wirklich sehr intensiv, ein ziemliches Auf und Ab der Gefühle. Ein ganzes Jahr lang rund um die Uhr immer zusammen zu sein, war zwar großartig, weil wir einander bedingungslos vertrauen und alle Zeit der Welt hatten, Dinge auszuprobieren. Aber gefühlsmäßig war es nicht immer leicht.” (Eliza Shaddad über die Albumaufnahmen)

Im ersten Moment mag einen „The Woman You Want“ wohlmöglich etwas überwältigen, weil hier einfach so viele verschiedene Faktoren, Klänge und Genres gefühlt nahtlos ineinander übergehen, sich gelegentlich sogar pointiert vermischen. Und gerade das macht Eliza Shaddads neues Album zu einem gelungenen. Kleine, kurzweilige Indie-Perlen treffen auf dramatische Gesten, nackte, emotionale Ehrlichkeit auf bodenständigen Folk-Rock-Pop (don’t you dare call it „altbacken“!) mit dem richtigen Hang zu kleineren, starken Experimenten. Wie eine kleinformatige Schlafzimmer-Produktion wirkt das Ganze keineswegs, vielmehr wie ein akustischer Schritt zurück ins Leben. So oder so überzeugt Eliza Shaddad auch mit ihrem zweiten Album und sollte längst viel mehr als ’nur‘ ein weiterer Geheimtipp sein – Netflix-Features hin oder her.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Bear’s Den – „Heaven“ (live)


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Remember, remember – the 5th of November…

Ein kleiner, jedoch umso wichtigerer Auszug aus den Anfangstagen meiner Musiknerd-Vita, den wohl nur diejenigen kennen, denen meine Nase (sowie das seit eh und je schockschwer tonverliebte Hirn gleich dahinter) eine Begrifflichkeit ist – oder eben die, die ANEWFRIEND bis zum allerallerersten Post im Januar 2012 durchgeklicktscrollt haben:

„Mein erstes selbst gewähltes musikalisches Idol war jedoch Bryan Adams, der Kanadier mit der Knödelstimme und Songs wie ‚Run to You‘, ‚(Everything I Do) I Do It For You‘ und natürlich ‚Summer of ’69‘. Seine Texte waren der Beweggrund für mich, freiwillig Englisch zu lernen, zu seinen Refrains wurden meine ersten Luftgitarren vor dem Spiegel gestimmt und zertrümmert. Eine Liebe, die ganze fünf Jahre, vom Best of ‚So Far So Good‘ (für’s Zeugnis geschenkt gekommen) bis zum Album ‚On A Day Like Today‘ (dann schon selbst gekauft) hielt. Danach waren bei uns die besten gemeinsamen Zeiten vorbei und Luft raus. Ich schickte den kleinen Kanadier zusammen mit seinen stets ungleich größeren Lebensabschnittspartnerinnen wieder in die weite Welt, gab ihm jedoch den Ratschlag mit auf den Weg, es in Zukunft doch mal lieber mit dem Fotografieren als zweitem Standbein zu versuchen. Was er auch tat. Und sogar Topmodels wie Cindy Crawford oder Persönlichkeiten wie Mick Jagger oder Hilary Clinton vor die Linse bekam. Glückwunsch, geht doch.“

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Mag heißen: Ohne ebenjenen Mr. Bryan Adams gäbe es diesen (nunmehr auch bereits acht Jahre bestehenden) bescheidenen Blog und seine knapp 2.000 mal mehr, mal weniger gehaltvollen Beiträge über neue, tolle Töne und die Künstler dazu, über Film, Serien, Kunst und sonstigen Hirnschmalz wohl kaum – oder zumindest nicht in dieser Form. Allein dafür gehen drölfzig tief empfundene Knickse ins nordamerikanische Land, in dem tausende Mounties in schniek gebügelten Uniformen wohl gerade Ahornsirup verticken und Staatschef Justin Trudeau Elche und Grizzlybären streichelt!

Und damit hier gar nicht erst der Verdacht entsteht, ich würde all den Schmus lediglich aus reiner Nostalgie in die Tastatur tippen: Ebenjener Bryan Adams, der Kerl hinter zig Evergreens wie „Summer Of ’69“ (welches ich in meiner kindlichen Naivität damals freilich kaum mit frivolen Betttätigkeiten verband), „Everything I Do (I Do It For You)„, „Run To You„, „Please Forgive Me“ oder „Heaven„, feiert heute seinen 60. Geburtstag! Da wünsche ich natürlich, natürlich ebenso alles Gute wie – lustiger können Zufälle kaum sein – einem gewissen Herrn Ryan Adams, denn der vielseitige US-Singer/Songwriter, um den es in den letzten Monaten durch #MeToo und Vorwürfe von sexuellen Übergriffen leider etwas ruhiger geworden ist, feiert am heutigen 5. November seinen 45. Geburtstag! Auch da komme ich nicht umhin, zu gratulieren, schließlich begleiten mich seine Songs – Skandal hin, Skandal her – auch bereits seit gefühlten Ewigkeiten…

Und, last but not least: Grüße ins heimatliche Sachsen, wo meine liebste Frau Mama heute ebenfalls ihr alljährliches Ehrenfest begeht! Wie jung sie ist? Ich bitte euch – einer grauhaarigen stolzen Dame von Welt stellt man(n) diese Frage doch nicht, Kinners! Ja, dieser 5. November war auch abseits von Guy Fawkes schon immer ein besonderer Tag für mich. ❤️

 

Tatsächlich gibt es nicht allzu viele wirklich gelungene Coverversionen von Songs aus dem Oeuvre von Bryan Adams. Lustigerweise kann man – und das spricht wiederum direkt für dem Adams ohne das „B“ – Ryan Adams‘ Version von „Run To You“, die dieser 2017 für eine Radio-Session zum Besten gab, auf der Habenseite verbuchen. Oder eben die Bear’s Den-sche Variante des 1983 aufgenommenen Pärchen-Engtanz-Parkettfüllers „Heaven“ (somit ist – nächste biografische Überschneidung – der Song ebenso alt wie meine Wenigkeit!). Bear’s Den spielten ihren Take des Adams-Bryan-Stücks zwischen 2016 und 2017 recht oft bei ihren Konzerten (sowie bei einer BBC Radio 2-Session), und machten ihre Sache gar nicht mal so schlecht, wie ich meine:

(Für Pedanten sei erwähnt: diese Live-Version wurde im Februar 2017 im Brüsseler Club 69 für Studio Brussel aufgenommen.)

 

Rock and Roll.

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