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Das Album der Woche


Frank Turner – FTHC (2022)

-erschienen bei Polydor/Universal-

War es eine Prophezeiung? „Hey-ho, hey-ho, hey-ho / We’re heading out for the punk rock show!“ rief Frank Turner einem vor knapp zehn Jahren freudig auf „Four Simple Words“ entgegen, auf der bis dahin potentiell schnellsten und lautstärksten Nummer in seinem bisherigen Solo-Katalog. Und höre da – nach Jahren der Verdichtung der Formel des akustischen Folk-Punks – mal lauter, mal introvertierter – nimmt er einen auf Album Nummer neun nun tatsächlich zur waschechten Punk-Rock-Show mit…

Eines wird beim Hören von „FTHC„, welches als Akronym für „Frank Turner Hardcore“ bereits die ein oder andere musikalische Assoziationskette auslöst, schnell klar: Die Spielfreude des 40-jährigen britischen Musikers bricht nach der langen, Lockdown-bedingten Tourpause aus nahezu allen Albumecken hervor. Denn gerade einer wie Turner lebte – über 2.500 Shows in weniger als zwei Jahrzehnten sprechen da eine deutliche Sprache – bis zur jähen Corona-Zäsur bekanntlich vor allem on the road, wohl auch daher musste er die zuhause aufgestaute Energie also im Studio kanalisieren – und das bis zum Schluss, denn „FTHC“ vermeidet weise den damals nicht durchweg überzeugenden „Be More Kind„-Weg, im letzten Drittel nur mehr Balladen zu offerieren. Wer also hier den schmachtenden Lagerfeuer-Punk ähm… -Frank sucht, ist falsch abgebogen, denn der neue Langspieler hält – zumindest in der Standard-Version – kaum Balladeskes parat. Natürlich darf die Akustikgitarre auch 2022 recht wenig Staub ansetzen und mal hier, mal da aus dem Koffer kommen, ansonsten dominieren hier jedoch ordentlich hochgedrehte Regler und Stromgitarren-Musik, in einer für 14 Songs (in der Deluxe-Variante sind’s sogar noch sechs Stücke mehr) überraschend gelungenen Abwechslung aus krediblem Punk, herzerfrischendem Hardcore und – ja klar – eingängigem, schwitzigem Alternative Rock. Und wie sollte es anders sein, wird diese Melange natürlich stets angetrieben von Turners typisch authentisch-bodenständiger, Pub-folk’esker Erzählweise.

Schon der riskante Brüll-Opener „Non Serviam“ zeigt als schöne Finte und mit ordentlich Gift und Galle an Bord innerhalb von knapp zwei Minuten, dass Turners Hardcore-Affinität keineswegs Schnee von gestern ist (und wer’s nicht glaubt, der darf gern mal bei seinem Hardcore-Punk-Nebenprojekt Möngöl Hörde ein Ohr riskieren). Dabei dient die Nummer wohlmöglich auch als Gradmesser: Wer nach dem Song noch da ist, wird an und mit „FTHC“ einen Riesenspaß haben. Aller Lautstärke zum Trotz – und auch, wenn ole Frank hier vernichtend jegliche Autorität ablehnen mag – kann er jedoch selbst hier seinem Good Guy-Image nicht gänzlich entkommen: „Help the ones in need / Do your best to leave the others be“ skandiert er im Refrain, der genauso schnell vorbei ist, wie er mit wenig Anlauf die Tür eintrat.

Danach wird’s etwas gewohnter, denn die bereits im Mai 2021 veröffentlichte Single „The Gathering“ ist der klassische, sehnsüchtige Nach-dem-Lockdown-wird-es-irgendwann-wieder-Konzerte-geben-Song, welcher mit fettem Queen-Chor die lang ersehnte Wiedervereinigung in verschwitzten Circle Pits bildlich in Szene setzt (und ganz nebenbei mit namenhafter musikalischer Unterstützung von Muse-Schlagzeuger Dominic Howard oder US-Southern-Rocker Jason Isbell, der hier ein Solo beisteuert, aufwartet). Bevor der Konzertbetrieb nun – hoffentlich – endlich, endlich wieder etwas an Fahrt aufnehmen kann, nutzte Turner die vergangenen zwei Jahre nicht nur für (s)einen Umzug von trubeligen London nach Mersea Island, Essex, an die deutlich ruhigere englische Küste, sondern auch dafür, die lyrische Lupe etwas mehr auf sich selbst zu richten. Nach „No Man’s Land„, dem 2019 veröffentlichten Vorgänger, welcher ausschließlich Songs über beeindruckende Frauen und deren Geschichte enthielt, betreibt er auf „FTHC“ dabei mentale Nabelschau erster Güte. Offen wie eh und je verpackt Turner Themen wie mentale Gesundheit („Haven’t Been Doing So Well“, „A Wave Across The Bay“), Substanzmissbrauch („Untainted Love“ mit der durchaus therapeutischen Zeile „I sure do miss cocaine„) und das Aufbegehren gegen gesellschaftliche Stereotypen („Perfect Score“) in seine Lieder.

Besonders persönlich wird es im Dreiergespann aus „Fatherless“, „My Bad“ und „Miranda“, welches sich als Mini-Rockoper rund um dasselbe Thema dreht: Turners komplizierte Beziehung zu seinem Vater. Von den schwierigen Jahren seiner Kindheit und der Abschiebung ins verhasste Internat erzählt er im hookigen Uptempo-Rocker „Fatherless“ und sehnt sich nach einem „caregiver who had care to give„. Die zügellose Hardcore-Attacke „My Bad“ beschäftigt sich mit den Erwartungen, die an jemanden aus seiner gesellschaftlichen Klasse gestellt werden, und wie sein recht konträrer Rock’n’Roll-Circus-Lebenslauf dazu (eben nicht) passt. Ein quietschendes Gitarren-Lick läutet dann den bislang größten Plot-Twist mit „Miranda“ ein: „My father is called Miranda these days / She’s a proud transgender woman / And my resentment has started to fade„. Tatsächlich wartet die Nummer mit so etwas wie einem späten Happy End in groovendem Midtempo auf: Die Versöhnung des Sohnes mit seinem Vater, der seit Jahren als Frau lebt, und wie beide seither wieder eine gemeinsame, durchaus freundschaftliche Gesprächsbasis gefunden haben – „Miranda, it’s lovely to meet you„.

Und obwohl es Turners Songs in der Vergangenheit nie an hartem, von Herzen kommendem und zu selbigem gehenden Tobak mangelte, hält das neue Werk doch ein besonderes Beispiel parat: „A Wave Across The Bay“, welches sich mit dem Freitod seines guten Freundes und Frightened Rabbit-Sängers Scott Hutchinson im Jahr 2018 beschäftigt. Ähnlich wie bei „Song For Josh“ (vom 2015er Album „Positive Songs For Negative People„) bedauert er, die Zeichen nicht erkannt zu haben, die auf den seelischen Zustand seines Freundes hindeuteten – und setzt dem zu früh verstorbenen Wegbegleiter nun ein gleichsam emotionales wie hymnisches Denkmal, das Frightened Rabbit’esk gemächlich beginnt, um dann wie eine erlösende Welle über einen hereinzubrechen: „Like a wave across a bay, never breaking / Ever falling, never landing / Rolling slowly out to sea and always smiling…“ Uff. Klare Sache: Nach all diesen emotional umklammernden Songs muss man erst einmal durchatmen…

Zum Glück erinnert einen der Punk-Rock-Barde in dem etwas luftigeren und tanzbaren „The Resurrectionists“ auch daran, dass nicht alles im Leben immer einen tieferen Sinn ergeben muss: „We’re all just kids someone let loose into the world / Waiting for someone to explain the rules / And that’s all„. Doch Halt! Wer schreit denn da über den Chorus? Tatsache, Biffy Clyro-Frontmann Simon Neil leiht dem Songfinale seine nahezu unverkennbaren Screams. Und auch eine weiteres Easter Egg für Langzeitfans hält die Nummer bereit, denn Frank Turner liefert hier nämlich in der zweiten Strophe ein Update, wo die ganzen Charaktere aus „I Know Prufrock Before He Was Famous“ vom 2009er Langspieler „Love Ire & Song“ geblieben sind.

Einmal in Fahrt gekommen, liefert der britische Musiker, der bei diesem Album am Schlagzeug Übersee-Unterstützung von Ilan Rubin (Nine Inch Nails, Angels & Aiwaves) erhielt, weiter ab, segelt in vollem Uptempo in ein live wohl äußerst unterhaltsames, zackiges „Punches“, inklusive heftigem Kopfnicker-Riff im Refrain. „Perfect Score“ wäre auf früheren Alben akustisch und etwas entspannter instrumentiert ein schöner, luftiger Folk-Song geworden. Hier schrammelt alles, was sechs Saiten hat, zu einer feinen, zweieinhalb Minuten langen Blaupause für einen 1A-Rocksong. Ähnlich verhält es sich mit „The Work“, einer herzerwärmenden, in Alltagstrott getauchten Liebeserklärung an seine Frau: „Because we’ve both been doing our best / Skirting round the edges of perfect / Darling I know this / It’s the work that makes it worth it“.

Etwas ruhiger gibt sich Turner eigentlich nur auf der ersten Hälfte von „Little Life“ – und auch diesem spendiert er schließlich ein fast schon epochales Finish. Nach seinem Wegzug aus der alten Londoner Heimat blickt er sowohl in diesem Song als auch im abschließenden „Farewell To My City“ noch einmal wehmütig und nicht ohne Reue zurück, unternimmt sprechsingend einen letzten Spaziergang vorbei an all den von Erinnerungen gesäumten Pubs und Clubs, die ihn – nebst seinem durchaus ungesunden Lebensstil früherer Tage – in „Untainted Love“ mit etwas weniger Fortüne fast umgebracht hätten, bevor er schließlich in den Umzugswagen steigt – ein würdiger, einmal mehr lautstarker Abschluss einer Platte, die sich somit auch wie der Abschluss einer Ära anfühlt. Alles in allem ist „FTHC“ – mit welchem dem Musiker nun auch seine erste Nummer-eins-Platte in der englischen Heimat gelang – musikalisch mit Abstand Frank Turners härtestes und kompromisslosestes Solowerk, lyrisch eine Therapiestunde, melodisch ein ordentliches Fass voller Ohrwürmer. Ein herzerwärmender Genuss und eine gelungene, zu gleichen Teilen hungrige wie smarte, angriffslustige und selbstreflexiv innehaltende Werkschau dessen, wofür der Vorzeige-Folkpunk inzwischen steht.

Hier gibt’s alle Song im Stream:

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Dooms Children – Dooms Children (2021)

-erschienen bei Dine Alone Records-

Wade MacNeil ist hauptberuflich dritte Stimme und zweiter Gitarrist bei der kanadischen Post-Hardcore-Band Alexisonfire. Da es bei denen in den vergangenen Jahren eher ruhig war, hatte MacNeil ausreichend Zeit, um sich anderweitig auszutoben. So gründete er 2008 die Punk-Band Black Lungs und wurde 2012 Sänger der britischen Hardcore-Punker Gallows. Noch nicht umtriebig genug? Scheint ganz so, denn der 37-jährige Musiker trat zudem als Gast bei Bands wie Anti-Flag, Cancer Bats oder Bedouin Soundclash in Erscheinung und arbeitete nebenbei an Film- und Game-Scores.

Trotz all der vielen kreativen Hochzeiten erlebte MacNeil 2019 ein depressives Tief. „Ich dachte immerzu daran: ‚Wenn ich nur den heutigen Tag hinter mich bringe, fühle ich mich morgen vielleicht schon besser.‘ Ich musste mich mit einem Trauma rumschlagen und damit, dass die Dinge um ich herum auseinanderfielen. Ich wollte einfach nur woanders sein, irgendwo, um meiner Realität zu entfliehen.“

Kaum verwunderlich, dass ausgerechnet die Musik ihm eine Flucht bot. So begann er am Höhepunkt im Kampf mit seinen inneren Dämonen, neue Songs zu schreiben. Er finalisierte sie nüchtern in den Wochen in einer Entzugsanstalt und während er bei seiner Familie in St. Catherines, Ontario verweilte, die ihm dabei half, wieder zu sich selbst zu finden. Das Ergebnis ist Dooms Children sowie das selbstbetitelte Debütalbum, welches er unter ebenjenem Namen aufgenommen hat. Dass die darauf enthaltenen elf Songs ganz anders als die seiner Hardcore-Bands tönen, hat einen einfachen Grund: „Ich war zu der Zeit in einer tiefen Depression und konnte so etwas wie Punk, Rap oder irgendwas Aggressives nicht hören. Ich hatte genug Chaos in meinem eigenen Leben und konnte das nicht auch noch als Soundtrack gebrauchen.“

So entdeckte MacNeil während der Zeit in Therapie Klassiker-Größen wie etwa Grateful Dead für sich. Wohl auch deshalb sei die Platte das „am wenigsten aggressive Ding“, das er je veröffentlicht hat. Und diese Einschätzung bestätigt bereits „Flower Moon“ fast zu Beginn des Albums. Der beinahe sechsminütige Song, in dessen Musikvideo man übrigens Team-Canada-Skateboarderin Anna Guglia durch die Straßen von Montreal fahren sieht, ist zwar Universen von kitschiger Einheitspopmusik entfernt, legt dafür aber mit atmosphärisch heulenden Gitarren und Orgel los, um sich danach mit gedoppelten oder gar getrippelten Gitarren aufzubäumen – ganz so, wie man es von den Allman Brothers oder Lynyrd Skynyrd kennt und liebt. Überhaupt: Das Stück erinnert wohl nicht von ungefähr stark an Skynyrds grandioses „Simple Man“, das sich einst auch die Deftones vorgeknöpft haben.

Foto: Promo / Rashad Bedeir

„Es ist eine Platte über mein Leben, das auseinander fällt, und den Versuch, die Scherben aufzusammeln. Sie handelt vom Verlust der Liebe, von Sucht und davon, nachts wach zu liegen und sich zu fragen, ob man jede Entscheidung im Leben falsch getroffen hat“, so Wade MacNeil. Kaum verwunderlich also, dass der in Hamilton, Ontario beheimatete Musiker auch im melodischen Southern-Rock-Song „Psyche Hospital Blues“ ebendiese großen Gefühle mit seiner gewohnt rauen Stimme besingt – und, dem ernsten Thema zum Trotz, durchaus Humor beweist: Im dazugehörigen Musikvideo nimmt er das Klischee vom „harten Rocker“ aufs Korn und stellt dieses mit der Verletzlichkeit seiner Textzeilen in Kontrast.

„Ich habe es geschafft, viel von mir selbst in diese Platte zu packen – eine Menge Schmerz und eine Menge Hoffnung. Ich war nie offener und ehrlicher, und ich glaube, dass das nicht nur in den Texten durchkommt, sondern auch in der Musik.“ (Wade MacNeil)

Alles in allem lassen einen die 55 Minuten des Dooms Children-Debüts, welches gemeinsam mit Tausendsassa Daniel Romano, der zwischen Country und Punk in den vergangenen anderthalb Jahren elf (!) Platten veröffentlicht hat, dessen Bruder Ian, Multiinstrumentalist und vornehmlich Schlagzeuger, sowie dem aus Montreal stammenden Gitarristen Patrick Bennett entstand, ohne große Umschweife in lyrisch zwar recht düstere und bedrückende, musikalische dafür umso schönere, häufig ruhige und gefühlvolle Indie-Musik eintauchen, die – abseits von dessen gewohnten Hardcore-Aktivitäten – schlicht perfekt zu MacNeils Stimme passt. Ein bisschen verraucht, aber nicht zu dreckig, sehr besonders, sehr berührend, ebenso nachdenklich wie aufrichtig. Prosaische Zeitgeister mögen es wohl als ein Album des Bedauerns und der Erlösung, ein Album als Musik gewordene Bitte um neue Perspektiven und eine zweite Chance beschreiben. Dazu lässt MacNeil immer wieder Psychedelic Rock sowie Folk der Sechziger und Siebziger in seine Songs einfließen (und liefert, passend dazu, direkt eine wunderbare Version des Grateful Dead-Evergreens „Friend Of The Devil“ ab) und zockt obendrauf auch noch das sensationelle „Morningstar“. Man könnte es progressiven Blues nennen. Oder einfach: Dooms Children.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Kali Masi – „Trophy Deer“


Foto: Promo / Michelle Johnson

Schon 2017 überzeugten Kali Masi mit ihrem Debütalbum „Wind Instrument„. Die Band aus Chicago ließ darauf Emo, Nineties-Punkrock und modernen Hardcore so zielsicher verschmelzen wie lange keine junge Band mehr. Damit fand das Quartett auch beim etwas größeren Genre-Bruder Red City Radio Anklang, den sie denn auch folgerichtig 2019 auf seiner Europa-Tour als Support begleiteten.

Auf ihrem im März erscheinenden Nachfolgewerk „[laughs]“ schlagen die Newcomer eine etwas härtere Gangart als noch bei „Wind Instrument“ ein – das bewies bereits die erste mitreißende Single „The Stray„. Erneut tat sich die Band dafür mit Defeater-Mitbegründer und Produzent Jay Maas zusammen, der sich für das zehn Songs starke neue Album, welches sich thematisch einmal mehr um Emotionales rund um psychischen Missbrauch, angespannte Beziehungen und Selbsterkenntnis dreht, hinter die Regler setzte.

Um die Wartezeit eine wenig zu verkürzen, haben Kali Masi nun mit „Trophy Deer“ eine zweite Single aus „[laughs]“ inklusive einem animierten Musikvideo veröffentlicht, das die nostalgische Grundstimmung des Songs treffend untermalt. Das dreiminütige Stück handelt von dem unumgänglichen Prozess des Älterwerdens und der sich damit stets im Wandel befindlichen Identität. So steht sie beispielhaft für den Ton, den das nachdenkliche Album anschlagen wird. Außerdem haben Kali Masi damit eine weitere kleine eingängige Indie-Hymne geschaffen, die wir hoffentlich so bald wie möglich auch live belauschen können….

„Befreiung. Darum geht es in Kali Masis zweitem Studioalbum ‚[laughs]‘. Die Indie Punks aus Chicago streben auf ihrer neuen Platte nach dem Ausbruch aus persönlichen Fesseln – um neue Wege zu gehen und die Richtung zu finden, auf deren Suche wir uns alle stetig befinden. In musikalisch und lyrisch anspruchsvollen Songs thematisiert das Album die Erkenntnis, dass der Mut und die Energie wir selbst zu sein, aus unserem inneren Antrieb stammen und nicht aus den Erwartungen derer, die uns umgeben.

Sänger und Gitarrist Sam Porter gibt Einblick in das Gefühl fehl am Platz zu sein – in die Entfremdung von Heimat, und auch von uns selbst, die Hand in Hand geht mit der Entwicklung zum angestrebten Ich. Eindrucksvoll spiegeln Gitarre und Schlagzeug die Sehnsucht nach Klarheit und Verstehen wider und lassen dabei erkennen, wie die erdrückende Leere eines Verlusts den bittersüßen Erinnerungen an die Jugend gegenübersteht.

Kali Masi waren noch nie dafür bekannt, etwas zurückzuhalten und dieses Versprechen halten die vier Jungs auch auf ihrer neuen LP. ‚[laughs]‘ ist durchgehend scharf, kritisch und ehrlich. Poetische Erinnerungen und die Schatten der Vergangenheit stehen dabei der nachdenklichen Akzeptanz der eigenen Person gegenüber. In den neuen Songs spricht die Band über angespannte Freundschaften und die Schwierigkeiten, die allzu oft und allzu lange unausgesprochen bleiben – bis hin zum irreparablen Bruch.

Auch auf dieser Platte – erneut aufgenommen mit Hardcore-Legende und Defeater-Mitgründer Jay Maas – meistern Kali Masi die Balance zwischen Eindringlichkeit, Spannung und faszinierender, instrumenteller Harmonie. Das Ende eines jeden Songs entlässt uns in eine gespannte Erwartung, denn angenehm überraschend wechselt die Stimmung zwischen Lebendigkeit und Nachdenklichkeit.

Die zehn Tracks sind eine Reise durch das Chaos der Gefühle. Sie lassen uns einsam fühlen inmitten bekannter Gesichter. Sie lassen uns die qualvoll schlaflosen Nächte durchleben, die so oft eine Veränderung begleiten. Kraftvoll und mit Hingabe streben Kali Masi danach herauszufinden, wer wir eigentlich sind. Und uns dafür zu feiern. Lass dich von ‚[laughs]‘ mitreißen und löse die Schlingen, die dich einst zurückgehalten haben. Was auf dich wartet? Befreiung.“

Rock and Roll.

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Song des Tages: MARCH – „Reaper’s Delight“


Am internationalen Weltfrauentag (an alle Machos da draußen: selbiger wird am 8. März begangen) machten auch in diesem Jahr so einige Memes und Symbolbilder in den sozialen Netzwerken die Runde, in denen auf die weiterhin ungleichen Machtverhältnisse der verschiedenen Geschlechter aufmerksam gemacht wurde. Gern geteilt wurde dabei die lange Liste all jener Dinge, die sich Frauen für die Gleichberechtigung wünschen würden, unter anderem Chancengleichheit im Berufsleben und die Bekämpfung der Gender Pay Gap. Auf der anderen Seite stand die eine Sache, die Frauen stattdessen – bestenfalls und doch sehr oft – am Weltfrauentag bekommen: Rosen. Wie passend also, dass die Punkrocker von MARCH kurzerhand einen ganzen Strauß der altmodischen Kavaliersgeste abzufackeln gedenken. Auf dem Cover ihres zweiten Albums “Set Loose”, welches passenderweise am 20. März erschien, züngeln die Flammen zwar erst an einigen Knospen, doch in den elf Songs macht sich einiges an revolutionärem Lauffeuer-Potential breit. Ein Pulverfass mit deutlichem Hardcore-Einschlag, das es in sich hat. Punknputtel is slightly pissed.

„Die Platte ist ein Mantra, das eigene Feuer rauszulassen. Jeder hat dieses Glühen, das großartige Dinge in Gang setzen kann, wenn wir ihm freien Lauf lassen – das uns aber auch von innen ausbrennen kann, wenn nicht.“ (Fleur van Zuilen)

Im Opener “On High Heat” stürmt das 2013 gegründete niederländisch-belgische Quartett noch ohne Rücksicht auf Verluste nach vorn, bis Frontfrau Fleur van Zuilen, deren shoutendes Reibeisen-Gesangsorgan mit Leichtigkeit zwischen Screamo und cleanem Chorus zu wechseln versteht, im Refrain mit tiefsinniger Melodik konstatiert: “Two days is all I need to burn this to the ground”. Das möchte man auch gar nicht anzweifeln, denn was van Zuilen hier an Energie vom Stapel lässt, kommt der puren Live-Ekstase, mit der MARCH neben den Größen der Riot-Grrrl-Bewegung keineswegs verblassen, schon ziemlich nahe. Glücklicherweise verliert auch der Nachfolger zum 2016er Werk „Stay Put“ (welches im Rückspiegel doch recht brav tönte) nicht an Strahlkraft, was vor allem an der bewussten Portionierung der Ausbrüche liegen mag. Melodischere Distillers-Momente, wie etwa in “Challenger”, das fast entspannt zwischen Hellacopters und AC/DC soliert und Brody Dalle vor dem inneren Auge in den Proberaum der Runaways schiebt, stehen gleichberechtigt neben polternden Motörhead-Kniefall-Krachern wie “Born A Snake” oder den Sleaze-Chören von “She’s A Hurricane”. Anstelle also bei kompromissloser Knüppelei im Stile der Clowns – siehe “Fear Of Roses” – zu bleiben, profitiert die Struktur ungemein von all den unverschämt eingängigen Mitgröhl-Hooks, den dynamischen Melodiepfützen und den sich bedacht auftürmenden Instrumentalwände dazwischen.

Aber vor allem geht es dem Vierergespann aus dem niederländischen Breda, zu dem noch Gitarrist Hermance Van Dijk, Bassist Jeroen Meeus und Schlagzeuger Thomas Frankhuijzen gehören, um etwas. So ist “Challenger” an van Zuilens Lieblingsfilm “Death Proof” angelehnt, in dem sich eine Gruppe von Frauen mit kalter Schnauze an einem fiesen Macho-Arschloch rächt. “Fear Of Roses” widmet sich den Ängsten und Möglichkeiten jedes Einzelnen, “She’s A Hurricane” metaphorisiert mit dramaturgischer Finesse den zurückschlagenden Ausbruch einer Frau als Naturgewalt und “Start Again” besinnt sich auf klassische Systemkritik. Auch der Boden dieses knirschenden Pulverfasses wurde also mit den feinsten Mitteln verleimt – da dürfte die anstehende Detonation sogar die Wände der isoliertesten Punker-Quarantänestationen ins Wanken bringen. Bis MARCH, wie das Gros ihrer Musiker-Leidensgenossen auch, irgendwann endlich wieder auf Tour gehen dürfen, bleibt “Set Loose” (zu welchem man hier ein Track-By-Track-Interview findet) zwar ein Album, das das Rock’n’Roll-Rad nicht neu erfinden mag, jedoch ein feines Pflaster für die geschundene Punkerseele bildet. Angetrieben von der Wut auf das patriarchale System verpacken Fleur van Zuilen und Co. ihren dennoch optimistisch tönenden Crossover dabei etwas weiträumiger als Schwestern im Geiste wie die Petrol Girls oder War On Women und verfügen dabei über einen gelungenen 33-Minuten-Mix aus feministisch geprägten Botschaften und launiger Punk-Salven-Riffmeisterschaft.

Woher diese Vergleiche mit Distillers-Vorsteherin Brody Dalle und Konsorten kommen, macht vor allem „Reaper’s Delight“ deutlich. Klar, das mit Stoner Rock flirtende Riff bricht auf „Set Loose“ ein wenig aus dem erwarteten Korsett aus und erinnert an etwas milder gestimmte Cancer Bats, und doch steckt ordentlich Wucht in dem Brecher, dessen Geisterbahn-Musikvideo, obwohl bereits im Januar veröffentlich, kaum besser zu Halloween passen könnte…

Rock and Roll.

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Song des Tages #2: Spermbirds – „Go To Hell Then Turn Left“


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Mehr als dreißig schweißnasse Band- und Bühnenjahre, und doch kein bisschen leise: die Spermbirds melden sich heute mit ihrem neuem Album „Go To Hell Then Turn Left“ zurück – dem ersten Studiowerk seit schlappen neun Jahren.

Bereits vor kurzem hatte die 1983 in Kaiserslautern gegründete deutsche Hardcore-Punk-Institution um Frontmann Lee Hollis dem Titelsong der neuen Platte ein energetisches Live-Performance-Video zur Seite gestellt. Die bewegten Bilder zum Clip wurden am 22. März im Bonner Bla aufgenommen, wo Hollis und Co. den Song zum ersten Mal präsentierten. Smells like circle pit…

 

 

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Rock and Roll.

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Song des Tages: Ben Gibbard – „Filler“


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Ben Gibbard, hauptamtlich Frontmann der Indiepopper von Death Cab For Cutie, nimmt sich einen Song der wegweisenden US-Hardcore-Punk-Band Minor Threat vor – auf dem Klavier!

Gibbard sagt: „Ich habe den Song nur ein Mal bei einer Soloshow in D.C. in 2012 gecovert. Jetzt hatte ich das Gefühl, ihn aufzunehmen und zu teilen. Viel Spaß!“

Der 42-jährige Musiker, der zuletzt auch solo mit dem Teenage-Fanclub-Coveralbum „Bandwagonesque“ auf Neuinterpretationspfaden wandelte (während das bislang jüngste Death Cab For Cutie-Werk „Thank You For Today“ im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde), hat eine ruhige, dreiminütige Piano-Version aus dem eigentlich nur 94 Sekunden langen Minor Threat-Song gemacht, die mit dem Original, anno 1981 auf der EP gleichen Titels erschienen, eigentlich kaum mehr als den Text (aus der Feder des großen Ian MacKaye) gemein hat – der jedoch hat es mit Zeilen wie „You call it religion / You’re full of shit“ auch bei Ben Gibbard immer noch in sich…

 

 

„What happened to you?
You’re not the same
Something in your head
Made a violent change

It’s in your head
It’s in your head
It’s in your head
Filler

You call it religion
You’re full of shit

Was she really worth it?
She cost you your life
You’ll never leave her side
She’s gonna be your wife

You call it romance
You’re full of shit

Your brain is clay
What’s going on? You picked up a bible
And now you’re gone

You call it religion
You’re full of shit
Filler“

 

Rock and Roll.

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