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Song des Tages: Tom Schilling & The Jazz Kids – „Kein Liebeslied“


Tom-Schilling-Promo

Deutschland, deine singenden Schauspieler(innen)…

Man nehme sich nur einmal folgende Liste zur Brust: Jan Josef Liefers, Nora Tschirner, Ulrich Turkur, Jürgen Vogel, Uwe Ochsenknecht, Jana Pallaske, Axel Prahl, Ben Becker, Anna Loos, neulich auch noch das lebende Gute-Laune-360-Grad-Produkt Matthias Schweighöfer – die Gesangsleistungen einiger dieser TV- und Leinwandmimen sind längst in Vergessenheit geraten. Zu recht? Gut möglich. Und auch die Tatsache, dass es ihnen Hollywood-Größen über Bruce Willis bis Keanu Reeves, Russell Crowe und Kevin Costner gleichtaten und sich ebenfalls bereits am Mikro *hust* versucht haben, macht’s nicht besser. Gut nur, dass zumindest Namen wie Zoey Deschanel, Julie Delpy, Juliette Lewis oder Jared Leto halbwegs die Walk-of-Fame-Ehre retten, wenn’s ums Tönen geht. Fakt ist: Ne nette Visage macht noch kein angenehmes Stimmband.

Was also soll man nun von einem wie Tom Schilling erwarten? Dass der 35-jährige Schauspieler viele Rollen kann aber nicht eben alles spielen möchte (gell, Herr Schweighöfer?), hat er bereits zur Genüge unter Beweis gestellt – Filme wie „Crazy“ (anno 2000 sein Einstand vor größerem Publikum), „Verschwende deine Jugend“, „Agnes und seine Brüder“, „Napola – Elite für den Führer“, „Elementarteilchen“, „Schwarze Schafe“, „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ oder vor nicht allzu langer Zeit „Oh Boy“ sprechen wohl für sich. Der Berliner kann vor der Kamera Vieles, ist schlußendlich jedoch – bewusst oder nicht – meist auf Rollen wie die des Niko Fischer in „Oh Boy“ festgelegt: ein zielloser Berliner Ex-Student, der sich einen Tag und eine Nacht durch die deutsche Hauptstadt treiben lässt und dabei unterschiedlichsten Menschen begegnet. Irgendwie verpeilt, irgendwie nicht mehr jung und doch weit entfernt von alt, irgendwie über den Dingen schwebend und doch mittendrin im Getümmel. Eigenartige, ja eigenwillige Charaktere, denen er mit mal stiller, mal tiefer Mimik Form verleiht. Ein Charakterschauspieler fürs Arthouse und Bildungsfernsehen, quäkiger Stimme und einem ewigen Babyface.

Dass ebendiese unverkennbare Babyface-Quäkstimme nun ein ganzes Album mit zumeist eigenen Songs veröffentlicht, kommt freilich einer Überraschung gleich. Dass diese dann nicht vollends positiv ausfällt, liegt wohl in der Natur der Sache. Dabei ist der dreifache Familienvater durchaus realistisch: „Ich bin kein toller Sänger, auch kein toller Gitarrist. Ich könnte den ganzen Veröffentlichungen, die tagtäglich erscheinen, nichts Neues hinzufügen. Aber ich habe einen anderen Ansatz, Songs zu schreiben, als ich gerade in der populären Musik sehe.“

bf2d67747cAlso begab es sich mit seiner vierköpfigen Begleitband, den Jazz Kids (die er während der Dreh zu „Oh Boy“ kennelernte, an der Seite von Schilling jedoch keineswegs Jazz spielen), und Produzent Moses Schneider (Beatsteaks, Tocotronic, Turbostaat, AnnenMayKantereit) in die legendären Berliner Hansa-Studios, um all die Songs, die ihm im Laufe der Jahre durch die Hirnrinde gerasselt sind, auf Tonbänder zu bringen. Herausgekommen sind mit „Vilnius“ neun eigene Stücke und eine Coverversion („Kinder“, im Original ein Protest-Gassenhauer von Bettina Wegner und in den späten Siebzigern erschienen). Und wie schon die Jazz Kids, die schlußendlich keinen Jazz spielen, hat Schillings Albumeinstand mit der litauischen Hauptstadt eher zwischen den Zeilen Dinge gemein. Etwa die sanfte Schwermut die sich durch die knapp vierzig Minuten zieht und sich ebenso im Cover, welches ein Seestück von Gerhard Richter zeigt, widerspiegelt.

Wer nun jedoch Hintergrundmusik für kuschelige Kaminabende in trauter Zweisamkeit erwartet, der hat auch Schillings (schauspielerische) Rollenwahl in den letzten gut 15 Jahren nicht verstanden, denn Vieles auf „Vilnius“ ist in Schieflage, geradezu kaputt. Wie im Film läuft Romantik hier nie ohne eine gewisse Prise Drama ab. Man nehme nur die Eröffnungsnummer „Kein Liebeslied“, dass ebendas ist: kein Liebeslied. „Deine Sätze sind hohl, deine Versprechen sind leer / Und schön find‘ ich dich schon seit Jahren nicht mehr“ – Ein verbales Großreinemachen, welches zu sägenden Gitarren die Richtung vorgibt. Element Of Crime klingen an, wenn Tom Schilling sprechsingt wie weiland EoC-Frontmann Sven Regener, manchmal gar Nick Cave oder die ollen Hildegard Knef oder Klaus Kinski. Und obwohl Schilling nie so ganz an die Größe seiner Inspirationen heranreicht (eine andere ist, laut eigener Aussage, Rammstein-Fronter Till Lindemann), so sind doch die Stücke eines: unkonventionell. Denn selbst in den käsigsten Momenten (etwa dem Lovesong „Ja oder nein“, im Duett mit Annett Louisan – in etwa die popkulturelle Entsprechung zum „ewigen Babyface“ Schilling) wird die Liebe torpediert: „Und wenn dein Herz einen andern liebt / Und ich, ich bleib‘ allein / Darf ich dich trotzdem lieben – ja oder nein?“. Klar, nicht alle Stücke gelingen. „Draußen am See“ möchte Nick Caves Moritat „Where The Wild Roses Grow“ Konkurrenz machen und klaut ganz offen bei Yann Tiersens „La valse d’Amélie“, „Ballade von René“ möchte eine tiefsinnige Junkie-Chronik in den Straßen von Berlin sein, klingt jedoch nach einem müden „Conny Kramer“-Update fürs Jahr 2017. Nicht alles kauft man Tom Schilling ab.

Und doch ist „Vilnius“ unterm Strich eines der besseren „Jetzt-singt-der-auch-noch“-Alben eines tönenden Schauspielers, eben weil Schilling hier keine Rolle(n) spielt sondern merklich Herzblut in erdig zusammengezimmerte Stücke legt, die das (Schau)Spiel trotzdem nie zu weit treiben. Fortsetzung erwünscht? Keine Ahnung. Doch für den Moment sind diese Songs, die nach Großstadt-Episoden vor blassgrauen Kulissen klingen, nach langen Nächten in kleinen, verrauchten Kaschemmen, nach viel Einsamkeit und doch nach dem prallen, puren Leben, gut genug. Denn sie sind wie der, aus dessen Kopf sie stammen: irgendwie gegen den Strich gebürstet. Irgendwie jung geblieben, sich treiben lassend vom Alltag zerrieben, traurig jubilierend. Und immer noch besser als – gefühlt – alles von Matthias Schweighöfer.

Tom-Schillingkl

 

 

Wenn man nur ein Stück von „Vilnius“ hören sollte, dann definitiv die Eröffnungsnummer „Kein Liebeslied“. Großartig? Jepp. Und dass im Musikvideo die eh dauerhaft großartige Martina Gedeck mitspielt, macht das Ganze nur noch runder.

 
 

Rock and Roll.

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Flimmerstunde – Teil 5


U2 – From The Sky Down (2011)

John Lennon und Paul McCartney. Mick Jagger und Keith Richards. Robert Plant und Jimmy Page. Roger Datlrey und Pete Townshend. Ich könnte die Liste beinahe endlos fortführen… Sie beweist jedoch, dass es bei Bands meist zwei Mitglieder gibt, die die Geschicke innerhalb der Gruppe sowie deren Außenwirkung entscheidend prägen. Bei U2 sind das Bono und The Edge. Und obwohl die neuste Band-Doku „From The Sky Down“ nicht müde wird, auch die Beiträge von Larry Mullen jr. und Adam Clayton zu erwähnen, bestätigt sie doch dieses Vorurteil.

Der Aufhänger dieses 90-minütigen Films von Davis Guggenheim („An Inconvenient Truth“) ist das 20-jährige Jubiläum von U2s wohl wichtigstem Album „Achtung Baby“, welches das Quartett zur Zeit des Mauerfalls zusammen mit den Produzenten Brian Eno, Daniel Lanois und Flood in den Hansa Studios in Berlin aufnahm. Die Voraussetzungen waren denkbar ungünstig: der Vorgänger „Rattle and Hum“ (1988) erhielt meist negative Kritiken und konnte weder von Seiten der Band noch von Seiten der Kritiker und Fans der hohen Erwartungshaltung, die Alben wie „The Unforgettable Fire“ (1984) oder „The Joshua Tree“ (1987) geschürt hatten, gerecht werden. Die Ehe von Gitarrist David Howell Evans (alias The Edge) war gescheitert, Frontmann Paul David Hewson (alias Bono) wurde sich seiner prätentiösen, überkandidelten Außenwirkung bewusst und hatte das Gefühl, dass die Band nach den langen Tourneen einen Kurswechsel dringend nötig hatte. Also verliess die Band das heimische Dublin und buchte den letzten Flug mit British Airways in die Hauptstadt des damals noch geteilten Deutschland (lustige Anekdote: die Band kam in Berlin an, als die Mauer gerade im Begriff war zu fallen. Als im Feiern erprobte Iren suchten sie nach der nächsten Party, gerieten jedoch in eine grimmige Menschenmenge, welche für den Wiederaufbau der Mauer demonstrierte). In den Hansa Studios, in denen vorher auch schon Großtaten wie David Bowies „Heroes“ entstanden waren, fanden U2 mit gemeinsamer Kraftanstrengung zu neuer Inspiration und nahmen ihr, meiner Ansicht nach, neben „The Joshua Tree“ bestes Album namens „Achtung Baby“ auf, welches Songs wie „One“, „Love is Blindness“ oder „Mysterious Ways“ enthält.

Die Dokumentation zeigt einen Mix aus neueren Bildern und Archivaufnahmen, lässt Band und Produzenten, aber auch Bandmanager Paul McGuinness oder den legendären (Musik-)Fotografen Anton Corbijn, welcher das Erscheinungsbild zahlreicher Gruppen (u.a. auch Depesche Mode) entscheidend mitdefiniert hat, zu Wort kommen. Und zeigt U2 zwischen nostalgischer Rückbesinnung und Auftritt in der Öffentlichkeit, unterhalb gigantischer Bildschirmwände und fliegender Trabis auf der Bühne und bei schier endlosen Aufnahme- und Probesessions im Studio, Bono zwischen ehrlicher Selbstkritik und Rückzug in sein Selbstschutz-Kunstfigur-Alter-Ego „The Fly“. Einziges Manko: es wird wenig bis gar nichts zu den Hintergründen vieler eindeutig sexuell inspirierter Songs des Albums berichtet. Da lassen U2 Fans und Publikum auch weiterhin ihr eigenes Interpretationssüppchen kochen…

Diese Band ist und bleibt ein wandelnder Widerspruch, mit einem Frontmann zwischen Heiligem und Pop-Scharlatan (für den jedoch der Friedensnobelpreis irgendwann unvermeidlich wird). Doch U2 sind auch eins: größer als die Summe ihrer einzelnen Teile, gefestigt und bodenständig in ihrem Fundament. Love it or hate it. Größe muss polarisieren. „Scheißegal“ bleibt dem breiten Rest vorbehalten.

In einer der letzten Szenen von „From The Sky Down“ fährt die Band noch einmal in einem Trabi durchs Berlin der Jetztzeit. Die letzte Szene zeigt Bono, The Edge, Larry Mullen jr. und Adam Clayton beim Betreten der Bühne des Glastonbury Festivals, um zum ersten Mal eben jenes „Achtung Baby“ in Gänze aufzuführen. Ein Triumphzug, natürlich.

 

Rock and Roll.

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