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Zu kurz gekommen – Teil 14


…But Alive – Nicht zynisch werden?! (1995)

-erschienen bei Weird System-

Wir haben uns entschieden / So wie die meisten / Fürs Rattenrennen / Und fürs Eigenheim leisten / Du blickst herab / Mit diesem Wissen was los ist...“ Liedermacher Niels Frevert sitzt 2008 im von Rotwein getränkten, überaus selbstreflexiven Kettcar-Song „Am Tisch“ in einer stylish-schicken Altbauwohnung und schaut zu seinem Freund Marcus Wiebusch hinüber, dem kauzig-arroganten grumpy old leftie, der seit jeher wohl alles immerzu besser wusste. Doch jener Wiebusch hadert Sekunden später selbst mit sich: „Ein Toast / Auf das Leben / Das Glück / Nur ich, ich komm‘ nicht mehr mit / Mit dem Leben / Dem Glück…“ Die Klarheit der Jugend, hinfortgerissen im Taumel der immergleichen Tagesroutinen. Nicht nur Niels, auch Marcus ist jetzt Teil jener Kraft, die stets Gutes will, aber oft gar nichts schafft: den Linksliberalen.

Dreizehn Jahre vor dem „Tisch“ sind die Fronten wesentlich klarer: „Die Feigheit hat einen Namen, linksliberal„, rotzt der Hamburger Wiebusch, damals vergleichsweise juvenile 26 Jahre jung, mit seiner ersten echten Band ..But Alive auf „Natalie“ vom zweiten Album „Nicht zynisch werden?!“ seine Wut in die Welt – und er hat in den Neunzigern eine Menge davon. Bereits beim Opener „Nennt es wie ihr wollt“ widmet sich der stets latent sprechsingende Frontmann dem Ausverkauf der eigenen (Punk-)Szene. Einem Ausverkauf, der eben im Alter – zumindest für die Glücklichen, die Sesshaften, die Spießigen – doch zum Eigenheim führt. Als Fundament dient ihm der wie aus einem Guss gespielte Mix aus melodischen Punk-Rock-Refrains und tempiwechselnden Metal-Attacken, der …But Alive während ihrer acht Bandjahre so unverkennbar machte.

Ähnlich wild fliegt „Aus und vorbei“ vorbei: Loriot-Zitat, Ska-Off-Beats, brutale Riffs und das nötige Pathos im Refrain – „Ein Hype, ein Star, ein Schuss – und dann C&A und Schluss“ – reichen Wiebusch für seine Abrechnung mit dem Generation X-Framing durch die Mehrheitsgesellschaft. Wie ein Chirurg zerlegt er den aufgedrückten Brand in der ersten Strophe: „Zuerst war alles nur ein Buch / Und jeder wusste, wer wir sind / Nur wir leider nicht…“ Das erwähnte „Buch“? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wohl „Generation X“ von Douglas Coupland, welches den sogenannten „Baby-Boomern“ zwar ein einprägsames Label aufdrückte, dafür jedoch recht wenig Lebenshinweise mit auf den Weg gab. Wiebusch steht damit im Geiste der Boxhamsters, die sich vier Jahre zuvor auf „Zu klein“ ebenfalls gegen die Ausweglosigkeit wehren: „Wir hatten nie ‚No Future‘ und glaubten an die Zeit...“

Überhaupt hadert der Kopf von …But Alive in jenen jungen Jahren – im Gegensatz zur späteren Weinprobe im gediegenen Eigenheim – weniger mit sich, sondern nimmt es mit der Szene, der Gesellschaft, mit alten Freunden wie neuen Feinden zeitgleich auf. Stets mit Schaum vorm Mund, und immer in der Überzeugung, zu wissen, was los ist. Auf dem 1993er Debüt „Für uns nicht“ schlägt er lyrisch noch ungestüm – und deutlich wilder – um sich. Der obligatorische Anti-Nazi-Song „Nur Idioten brauchen Führer“ sorgt im Kampf der Neunziger gegen die rechten Glatzen für Zusammenhalt bei bedrohten Konzerten, „Für immer 16“ interpretiert Peter Maffays „Ich möchte nie erwachsen sein“ und Alphavilles „Forever Young“ auf Punkig-Hanseatisch, in „Ohnmacht“ sprengt er 1991 als Terrorist Bayer und Hoechst in die Luft.

Schaut man sich heute, etwa drei Dekaden später, den Text von „Ohnmacht“ noch einmal genauer an, wandert man schnell in Gedanken über die Brücke ins Camp der Letzten Generation und fragt sich, warum die Generationskolleg*innen der „Generation X“ seinerzeit nicht mehr getan haben: „Oh, seht uns an, wir stehen vor den Trümmern dieser Zivilisation / Ein paar clevere Affen erfanden das Rad / Hier kommt die letzte Generation / Die noch ein bisschen menschenwürdig leben kann / Die Gräber stehen bereit„, und später: „Erzählt mir nichts von Recht und Ordnung / Wenn irgendeiner hier Amok läuft / Wenn morgen Regionen zu Wüsten werden und halb Indien ersäuft.“ Die Weitsicht, die Aktualität dieser Zeilen ist erstaunlich, sollte jedoch vor allem zu denken geben.

Andererseits sieht Wiebusch jedoch selbst die Machtlosigkeit solcher, stets vor allem von Parolen getriebener Musik und distanziert sich bereits zu …But Alive-Zeiten von jener naiv-zornigen Anfangsphase: „Ich habe Musik mit 16, 17, 18 tatsächlich als Waffe gesehen (…) Wenn ich singe: ‚Ohnmacht, ich spreng‘ euch alle weg!‘, dann ist das meine Meinung, und ich will, dass das alle anderen auch so sehen (…) Einen Song wie ‚Ohnmacht‘ wird es von mir nie wieder geben.“ Ebenso kontrovers dürfte Wiebusch rückblickend den Song „Ich möchte Ilona Christen die Brille von der Nase schlagen„, der 1997 zunächst auf der Split-7″ mit der kanadischen Hardcore-Band I Spy und später auf dem dritten Album „Bis jetzt ging alles gut…“ erschien, sehen, schließlich wird dort TV-Moderatorin Margarethe Schreinemakers in einer Textzeile als „Quotenhure“ bezeichnet. Das brachte der Band bereits damals – lange vor Internet-Shitstorms, #MeToo und Co. – den Vorwurf des Sexismus ein – die Kritik mag, Punkszene hin oder her – berechtigt gewesen sein, der Vorwurf könnte bei einem wie Wiebusch, der sich später bei jeder sich bietenden Gelegenheit für Homosexuelle, für Flüchtlinge oder Frauen- wie Tierrechte stark machte, jedoch falscher kaum sein.

Musikalisch jedoch überzeugen die 1991 gegründeten Hamburger von …But Alive von Anfang an und fanden schnell eine komplett eigene Szenennische zwischen Hafenstraße und Hamburger Schule. Hardcore Punk, Rap, Ska, Metal und Indie Rock …forming like Voltron. Hagen van de Viven zelebriert an der Leadgitarre, Marcus Wiebusch sorgt als Nachwuchs-James Hetfield an der zweiten Klampfe für eine Punk-untypische, mächtige Soundwand. Schlagzeuger Frank Tirado-Rosales (der Wiebusch später zu Kettcar folgen und selbigen bis 2010 treu bleiben wird) baut immer wieder Breaks und Grooves ein, die den biertrunkenen Kopf zwischen Headbangen, Nicken und Schütteln ganz wuschig werden lassen. Nur am Bass wechseln sich, ebenfalls verdammt Metallica-like, die Bandkollegen häufig ab. Es gibt und gab keine andere Punk-Rock-Band, die so klang wie …But Alive, und kein zweites deutschsprachiges Album fasst das Leben der Neunziger wohlmöglich so prägnant und nachhaltig in Worte wie „Nicht zynisch werden?!“ Steile Thesen? Genau. Aber, vor allem was letzteren Punkt betrifft, eine begründete, denn in den 15 Songs (zählt man den feinen Akustikgitarren-Hidden Track „Betroffen aufessen“ mit) kanalisiert Marcus Wiebusch seinen angestaunten Hunger, der Welt zu erzählen, was zur Hölle los ist, ohne ihr jedoch von oben herab zu predigen, was sie tun soll. Und: Er findet hier erstmals wirklich zu seinem noch später bei Kettcar so unnachahmlichen Stil aus Punchlines und Poesie, aus Parole und Meta-Ebene. In den Zwei-bis-drei-Minuten-Punk-Tiraden verdichtet er seine Gedanken so stark, dass ihm meist nur eine Zeile genügt, um eine ganze Generation – dieses Mal würdig – zu beschreiben.

Wer gebraucht wird, ist nicht frei / Wer braucht, wird niemals frei sein“ und „Ganz egal, welchen Weg wir wählen / Nur die Momente sind es, die zählen.“ Für die Außenwirkung mag da ein baumlanger angepisster Punk am Mikro stehen, im Herzen jedoch sitzt hier ein Rapper, so sehr und hervorragend wie etwa bei „Weißt nur was du nicht willst“ kluge Punchlines mit diversen Schichten und Ebenen mit den melodischen Leads und dicken Midtempo-Grooves harmonieren. Weitere Beispiele gefällig? „Und zwischen den Verträgen / Sucht jeder das Leben“ („Überall„) oder „Nichts ist brutaler als Moral / Die nur sich selbst genügt“ („Lasst es ihre Entscheidung sein„). Wiebusch verkopft hier (noch) nicht, textet nicht zur reinen Selbstgefälligkeit, sondern bleibt mit beiden Füßen auf der dreckigen Straße.

Für die Kleinkinder der Achtziger, die nur allzu gern und aus lauter Trägheit vom Gartenzaun aus die Welt verändern wollen, sind Bands wie …But Alive Mitte der Neunziger die Stimme der Vernunft und Menschlichkeit. Eine Stimme, der im AJZ alle folgen konnten, die den ganzen rechtskonservativen, heute verdammt AfD-nahen CDU-Dreck der Neunziger genauso ablehnten wie den dogmatischen DDR-Schwachsinn der KPD-Deppen und die abgrenzenden Political Correctness-Pamphlete der Autonomen. Denn „nichts ist schwarz-weiß“ und wenn du vergisst, wo du herkommst, wirst du dich selbst verlieren. Wiebusch wusste das und setzt seine Kraft auf die Liebe: „Es kommt nur auf dich und mich an / Und dann ist der Rest der Welt dran“ („1 + 1= 3„) und ganz besonders im wohl schönsten Refrain des Albums: „Mich interessiert nicht, was du weißt / Sondern nur, woran du glaubst / Mich interessiert nicht, was du hast / Sondern nur, was du brauchst“ („Keine Gegensätze„).

„Nicht zynisch werden?!“ mag zwar kein allumfassender Meilenstein sein, ist jedoch mit seiner Kompaktheit und dem zwischen den Rumpel-Rhythmen sorgsam versteckten Pop-Appeal eines der lyrisch größten deutschsprachigen Alben der Neunziger, stetig vibrierend zwischen dem naiven Hunger der Jugend und der wachsenden Selbsterkenntnis eines Dichters und Denkers. In jenen Zeiten profitieren neben …But Alive auch die Ska-Kollegen von Rantanplan und Slime für ihr Opus Magnum „Schweineherbst“ von Wiebuschs Einfluss.

Dennoch ist die Weiterentwicklung – oder besser: das Erwachsenwerden – freilich weder lyrisch noch musikalisch aufzuhalten. Bereits beim dritten, zwei Jahre darauf erscheinenden …But Alive-Album „Bis jetzt ging alles gut…“ schleichen sich Indie-Rock-Anleihen zwischen Wiebuschs immer kryptischere und verschnörkeltere Zeilen und bilden beim vierten und finalen 1999er Werk „Hallo Endophin“ bereits des Rudels Kern. Ein Jahrtausend endet, und mit ihm auch …But Alive und deren Traum vom Kampf für Punk-Rock-Ideale. Der Weg für Kettcar, der Weg in die Linksliberalität, die Altbauwohnung und ins vermeintliche Glück war frei. Dass Marcus Wiebusch für die Veröffentlichung des Kettcar-Debüts „Du und wieviel von deinen Freunden„, welches damals keinen Vertrieb fand, gemeinsam mit Kettcar-Bassist Reimer Bustorff und dem damaligen Tomte-Frontmann Thees Uhlmann mit Grand Hotel Van Cleef ein eigenes Label aus der Taufe hebt, das auch heute, dreißig Jahre später, noch bestens floriert? Ist eine andere Geschichte (die jedoch vor allem beweist, dass man den Punker im Herzen nie so ganz gehen lassen sollte)…

Wenn es noch so bitter ist: Was bleibt, ist die Erkenntnis / Im Falschen nichts richtig, ob im Nehmen oder Geben / Dass wir alle nur eine Lüge leben / Und es muss mehr als das hier geben…“ („Natalie„)

Rock and Roll.

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Song des Tages: Die Aeronauten – „Irgendwann wird alles gut“


Man hätte eigentlich recht früh ahnen können, dass sich das Jahr 2020 zu so einer vollumfänglichen Katastrophe entwickeln würde, schließlich begann es mit dem Tod von Oliver Maurmann aka Olifr M. Guz (oder auch nur Guz). Am 19. Januar starb der Schweizer Musiker und Schauspieler an Herzversagen, nachdem er vier Monate lang in einem Züricher Krankenhaus auf ein Spenderorgan gewartet hatte. Die Kunstwelt verlor mit Guz einen sympathischen, enorm kreativen, im besten Sinne lustigen, guten Menschen, der nicht lange vor seinem Tod noch mitten im Leben stand. Er wurde nur 52 Jahre alt.

Auch wenn gefühlte 99,99 Prozent der „Ich-hör‘-alles-was-im-Radio-läuft“-Zielgruppe nun unbekannterweise mit den Schultern zucken werden, war dieser 19. Januar 2020 ein trauriger, ein wahrlich schwarzer Tag für die deutschsprachige Popmusik, immerhin hatte Guz diese abseits der Beliebigkeitspfade seit fast drei Jahrzehnten mit vielen Songs bereichert. Erst mit eigens auf MC veröffentlichten Solowerken, dann als Anführer von Die Aeronauten und mit zahlreichen anderen Projekten: einer Gruppe mit Bernadette La Hengst und Knarf Rellöm namens Die Zukunft, dem Electro-Blues-Duo Naked In English Class mit Taranja Wu, außerdem mit den Bands Die Zorros, Zero Tornado… – kurzum: viel zu viele, um sie hier alle aufzuzählen. 

Die Aeronauten jedoch waren von Anfang bis Ende der Ankerpunkt seiner Karriere. 1991 im schweizerischen Schaffhausen gegründet, veröffentlichte die sechsköpfige Band neun LPs. Und jede von ihnen war stilistisch unberechenbar: Das Guz’sche Aeronauten-Universum konnte schunkelige Americana, schroffen Post Punk, tänzelnden 2-Tone, feinen Indie Pop, derben Garage Rock oder knarzende Soul-Grooves enthalten. Man wusste schlichtweg nie genau, was die nächste Aeronauten-Platte bereithalten würde. Wen wundert’s, dass das auch auf den im November erschienenen letzten Langspieler dieser Band zutrifft… Was kann man von „Neun Extraleben“ erwarten, einem Album, das zehn Monate nach dem Tod des Bandleaders folgte? 

Nun… wohl nur das Beste. Trompeter Roman „Motte“ Bergamin, Gitarrist Lukas Langenegger, Saxofonist Roger Greipl, Bassist Marc Zimmermann und Schlagzeuger Daniel d’Aujourd’hui haben Guz eine würdevolle Abschiedsbotschaft geschaffen, zusammengesetzt aus bereits fertigen, 2019 vor seinem Krankenhausaufenthalt aufgenommenen Aeronauten-Stücken und von seiner Band zu Ende gedachten Skizzen, Textfetzen und Einzelspuren. Wenn am Anfang des Albums Guzs kratziger Bariton von „diesem anstrengenden Leben“ singt, dann kommt das purer Magie recht nah. „Wenn Du fragst, ob ich Dich liebe, dann sage ich ‚ja klar!‘“, heißt es da. „Es ist gar nicht so schwierig, denn eigentlich stimmt‘s ja…“ Verdammt schwer, dabei nicht rührselig zu werden.

Insgesamt lässt sich feststellen: Für solch einen posthumen Schwanengesang ist „Neun Extraleben“ auf Albumlänge erstaunlich und angenehm unsentimental. Die „ewig unterschätzten Ehrenmitglieder der Hamburger Schule“, die jedoch nie so richtig über’s sympathische Außenseitertum hinaus gekommen sind, zeigen sich gewohnt schrammelig und gut gelaunt, wie in der fröhlich nach vorn ska-punkenden Single „Irgendwann wird alles gut“, im angriffslustigen Garagenrock von „Du kotzt mich an jetzt“ oder im Titelstück, das schwebt, kratzt und beißt, während die Band fast wie Broken Social Scene tönt. Einzig das getragene Instrumental „Lamento“ trägt die Melancholie hinein – das jedoch mehr im Stil eines New-Orleans-Jazz-Begräbnisses (was wohl ganz in Guz‘ Sinne gewesen wäre). Wahrlich – das ist kein zarter Nachruf, das ist eine letzte Party! Die aber nicht den Ernst der Lage im Hedonismus ertränkt, sondern ein letztes Mal zeigt, was Guz und Die Aeronauten am besten können. Die Stücke sprühen vor Energie, Lebensfreude, Lakonie und Weisheit („Dinge gehen schief, Dinge gehen verloren / Doch irgendwann wird alles gut“) und gehören zu den besten ihrer fast dreißig Jahre währenden Karriere. In ihnen scheint aber auch durch, welche Kraft es Maurmann gekostet haben muss, weiter zu machen. „Hatemails“ etwa pumpt wie Northern Soul, sorgt jedoch mit Zeilen wie „Eines Tages werde ich aufstehen und nicht mehr so müde sein / Eines Tages werde ich nicht mehr alleine sein / Mir geht’s gut / Mir geht’s gut / Ich will nicht groß drüber reden“ für einen dicken, dicken Kloß im Hals. Mit „Never Be Dead“ beschließt eine letzte Punkrock-Proberaumaufnahme das finale Album von Die Aeronauten – doch in der Tat hat sich Maurmann mit Songs wie „Bettina“ oder „Freundin“ längst unsterblich gemacht. Er wird fehlen, genau wie diese Band.

„Ich war der witzigste Typ dem du je begegnet bist 
Deshalb verliebtest du dich dann in mich
Die ganze Pizzeria sah uns zu und lachte
Als ich auf den Knien balancierte und dir den Antrag machte
Und ich erinnere mich wie ich damals dachte
wie ich damals dachte

Irgendwann wird alles gut
Irgendwann wird alles gut
Dinge gehen schief, Dinge gehen verloren
Dinge gehen schief, Dinge gehen verloren
Doch irgendwann wird alles gut

Jetzt sitzt du neben mir und gewöhnst dich dran
In mir einen Trottel zu sehen der nichts hinkriegen kann
Vielleicht hast du ja Recht doch es ist nicht so schlimm
Die Geräusch des Sommers flirren im Abendwind
Und irgendwo probt eine Punkband
Und mir kommt in den Sinn
Und mir kommt in den Sinn

Irgendwann wird alles gut
Irgendwann wird alles gut
Dinge gehen schief, Dinge gehen verloren
Dinge gehen schief, Dinge gehen verloren
Doch irgendwann wird alles gut  

Irgendwann wird alles gut
Irgendwann wird alles gut
Dinge gehen schief, Dinge gehen verloren
Dinge gehen schief, Dinge gehen verloren
Doch irgendwann wird alles gut“

Rock and Roll.

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Song des Tages: The Screenshots – „Wir lieben uns und bauen uns ein Haus“


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Die „Generation Internet“ fördert ja vor allem im musikalischen Bereich so einige interessante Entwicklungen und – gerade durch die Brille gesetzterer Semester – gruselige Neuschöpfungen zutage. Da werden Charts derart durch Klick-Baits und Streaming-Eintagsfliegen verunstaltet, dass selbsternannte „Künstler“, von denen wohl außerhalb ihres Genres (geschweige denn ihrer digitalen Fan-Crowd) bislang kein – pardon my French!Schwein je gehört hat, plötzlich als mehrfache Nummer-eins-Hit-Lieferanten geführt werden. Wo interessierte Hörer früher noch vor Plattenläden Schlange stehen mussten, reichen heute drei, vier Klicks, um Zugang zu ganzen Diskografien zu erlangen. Regnet’s draußen? Stört mich nicht. Keine saubere Hose? Brauch‘ ich nicht. Ach du schöne neue Netzwelt…

Ebenso frisch ins Sortiment der tönenden Neuschöpfungen genommen: Die „Twitter-Band“. Gibt’s nicht. Doch, doch. Und wer nun ebenso Unsägliches befürchtet wie etwa beim Thema „Cloud Rap“, den belehren The Screenshots eines Besseren.

Deren drei Teile, die sich relativ nonchalant Kurt Prödel, Susi Bumms und Dax Werner nennen, lernten sich vor nicht allzu langer Zeit dank ihres jeweils recht regen Mitteilungsbedürfnisses auf dem US-Mikrobloggingdienst mit dem hellblauen Vögelchen im Logo kennen. Und da alle rein zufällig Hausschlüssel für Türen in der „Powerstadt“ Krefeld besaßen, beschlossen sie, denn mal eben eine Band zu gründen.

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So viel breitbandbetriebener Sinn für schnellschießende Slogans und Schnapsideen kann schnell schal bis – jawoll! – scheiße klingen – tut es jedoch im Fall von The Screenshots nicht (oft). Im besten Fall liefern Kurt Prödel, Susi Bumms und Dax Werner auf ihren im vergangenen Jahr via Bandcamp veröffentlichten (Mini-)Alben „Ein starkes Team“ und „Übergriff“ (beide liegen mit Längen von gerade einmal 18 beziehungsweise 24 Minuten ganz im Trend aller urbanen ADHS-Hipster-Fashionistas und stehen via Bandcamp wahlweise kostenneutral zur Verfügung) zu rumpeligem Punkrock und mit sich überschlagender Stimme mantraartig vorgetragene Plattitüden aus der digitalen Welt und offenbaren an manch einer Stelle durchaus tiefenscharfe Analysen des Jetzt.

Da ist einiges an ähnlich intelligentem Stumpfsinn, der einst zu den Geburtshelfern des deutschen Punk (Duftmarken: Hans-A-Plast, Abwärts) gehörte, viel Lust an dezent dadaistischem Sarkasmus, eine Prise Lebenswichtigkeit, die Rockmusik hin und wieder für sich reklamiert, das schmelzig-schroffe „Duhuhu“ des Schlagers, aber auch eine an „Hamburger Schule“-Bands wie etwa Tocotronic oder Blumfeld erinnernde Ahnung von Wut und Irritation, die die Songs proberaumig rumpeln lässt. Denn was irgendwo rumort, muss schließlich raus, die wahren Themen liegen ja auf der Straße: Liebe, Geld, Europa, Fußball. „Manchmal ist auch eine WM in einem anderen Land, dann grillen wir dicke Würstchen, und zünden dann was an.“ Viele kleine Antithesen zu den Tweets eines Donald J. Trump…

81uHkPLy6hL._SY355_Wenig verwunderlich also, dass The Screenshots, die beide Digital-Werke im vergangenen Dezember ganz großstädtisch und hipster-esk noch einmal auf der „Europa LP“ gebündelt veröffentlicht haben (obwohl laut eigener Aussage keiner der drei einen Plattenspieler besitzt), vor allem in der digitalen Welt allerhand Kuss-Emojis zufliegen. So bescheinigt „ZEIT Online“-Schreiberling Lars Weisbrod den Krefeldern “Diskurspop auf der Höhe der Zeit”, „Rolling Stone“-Redakteur Jens Balzer hörte in Stücken wie „Deutschland„, „Fußball ist cool„, „Cornetto“ oder „Männer“ gar den “aufregendsten deutschsprachigen Gitarrenrock der Stunde”, der sich „unironisch ins Mark der Postinternet-Generation” (sehrsehrgutetexte.com) spielt. Und Jan Böhmermann? Der holte die Band, nachdem sich diese zu Stammgästen in seiner Spotify-Playlist entwickelten, gar für ihren ersten TV-Auftritt überhaupt in sein „NEO Magazin Royale“, wo The Screenshots im vergangenen Dezember den Song „Google Maps“ zum Besten gaben. Wenn man bedenkt, dass das Trio mit seinem Liedgut, bei dem man sich nie so ganz sicher sein kann, ob da nun übermäßig viel oder besorgniserregend wenig Ironie mit an Bord ist, ähnlich oft auf der humorigen Rasierklinge tanzt wie ebenjener Jan Böhmermann und sein Kreativteam, passt das bestens.

Nee, The Screenshots wollen ganz sicher keine ewiglichen Meisterwerke liefern. Aber mit ihren Zeitgeist-Kommentaren aus der Post-Internet-Punk-Perspektive surfen Kurt Prödel, Susi Bumms und Dax Werner verdammt stilsicher auf ihrem tönenden hellblauen Vögelchen…

 

 

Für das Musikvideo zum neuen Song haben The Screenshots – Newcomer hin, Newbies her – echte Starpower versammelt, schließlich stehen da Indieschuppen- und Stadionrock-Größen wie Thees Uhlmann, Judith Holofernes, Olli Schulz, Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg oder Die Ärzte in piefiger Baumarkt-Kulisse Spalier – irgendwie. Glaubste nicht? Schauste hier:

 

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Rock and Roll.

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Song des Tages: Kante – „Im ersten Licht“


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„Kante ist eine Band, die sich im Jahr 1995 in Hamburg gründete. Ihr Sound ist geprägt von der sogenannten ’Hamburger Schule’ mit Einflüssen von Jazz- Pop- und Indie-Rock. Textlich geben sie sich meist nachdenklich und melancholisch.

Kante wurde gegründet von Peter Thiessen (Gesang, Gitarre, Texte), Andreas Krane (E-Bass, Kontrabass) und Sebastian Vogel (Schlagzeug, Percussion) und wurden nach und nach ergänzt von Multi-Instrumentalist Felix Müller (u.a. Gitarre, Keyboards, Percussion, Kalimba, Raps..), Thomas Leboeg (Klavier, Synthesizer, Elektronik) und Florian Dürrmann (Bass).

Im Jahr 1997 veröffentlichten sie auf dem Berliner ’Kitty-Yo’-Label ihr Debüt-Album ’Zwischen den Orten’, das noch von hauptsächlich instrumentaler Musik dominiert wurde. Bei Album Nummer zwei von 2001, kamen nachdenkliche, ausgefeilte Texte hinzu – 2004 dann der vorläufige Höhepunkt, auf ’Zombi’ perfektionierten sie die den Sound der ersten Alben, auch wenn es insgesamt etwas ruhiger ausfiel.

Die Kritikerlieblinge wurden 1998 von den ’SPEX’-Lesern zur zweitbesten Newcomer-Band gewählt. Bei ’Spiegel-Online’ wurde ’Zombi’ zur wichtigsten CD 2004 gekürt und ’Die Tiere sind unruhig’ war im ’Musikexpress’, Platte des Monats August 2006.“

413hcL+fCUL._SY355_.jpg– So weit, so informativ. Langjährige Leser dieses bescheidenen Blogs wissen außerdem, dass Kantes bisher letztes Studiowerk „In der Zuckerfabrik: Theatermusik“ im Februar 2015 ANEWFRIENDs „Album der Woche“ war…

Und wer sich – wie ich gerade – noch ein klein weniger älter fühlen mag, dem sei in Erinnerung gerufen, dass das zweite Album „Zweilicht“ am 8. Januar 2001 – und damit vor exakt 18 Jahren – erschien. *hach* „Im ersten Licht“. *hach*Die Summe der einzelnen Teile„. Evergreens, und das dazugehörige Album noch immer ein formvollendetes Indie-Meisterwerk aus deutschen Landen (übrigens kaum weniger als seine Nachfolger). Und genau daher wäre es schön, nach Jahren des Wartens mal wieder etwas von den vier Hamburgern um Peter Thiessen zu hören…

 

 

„Manchmal redest du im Schlaf
Meistens keine ganzen Sätze
Einzelne Worte oder Fetzen
Die ich kaum verstehen kann
Manchmal verdrehst du deine Augen
Unter den verschlossenen Lidern
Machst eine Geste dann und wann
Die ich nicht erwidern kann
Was sich aus deinen Träumen
In unserer beide Tage trägt
Hat keinen Ort in der Erinnerung
Nur ein stiller Schmerz
Bleibt zurück in deinem Herz
Im ersten Licht des Morgens

Manchmal redest du im Schlaf
Von noch nie betretenen Orten
Mit noch unverwandten Worten
In mir unbekannten Sprachen
Wenn wir bei Tageslicht aufwachen
Und bevor wir ganz aufsteh’n
Redest du manchmal von Sachen
Von denen ich nicht viel versteh‘
Nur ein stiller Schmerz bleibt
Zurück in meinem Herz

Wir reden manchmal wie im Schlaf
Von noch nie betret’nen Orten
Von einer Zeit in ferner Zukunft
In einer Sprache deren Worte
Wir noch lange kaum beherrschen
Der wir uns blindlings anvertrauen
Gegen die Regeln der Vernunft
Reden wir manchmal wie im Traum
Was sich aus unseren Träumen
In jeden unserer Tage trägt
Hat keinen Ort in der Erinnerung
Nur ein stiller Schmerz
Bleibt zurück in unser’m Herz
Im ersten Licht des Morgens

Manchmal redest du im Schlaf
Von noch nie betret’nen Orten
Mit noch unverwandten Worten
In mir unbekannten Sprachen
Wenn wir bei Tageslicht aufwachen
Und du vor mir ganz aufstehst
Redest du manchmal von Sachen
Von denen ich nicht viel versteh’…“

 

Rock and Roll.

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Digital ist besser?


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(gefunden bei Facebook)

 

Ob Tocotronic die musikalische Entwicklung hin zur non-haptischen Allzeit-Verfügbarkeit von nahezu kompletten Diskografien und hin zu Spotify, Apple Music und Co. im Sinn hatten, als sie 1995 – auf dem Album gleichen Namens – unterbewusst prophetisch „Digital ist besser“ sangen, darf vor allem von all jenen, die um die analoge Detailverliebtheit von Dirk von Lowtzow und seiner Band wissen, durchaus bezweifelt werden…

(Übrigens haben Tocotronic just heute ihr mittlerweile zwölftes Studioalbum „Die Unendlichkeit“ angekündigt, welches am 26. Januar 2018 erscheinen wird. Vorab kann man sich anhand des Musikvideos zum neusten Song „Hey Du“ einen ersten Eindruck vom neusten Werk der einstigen „Hamburger Schule“-Band verschaffen.)

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Kante – In der Zuckerfabrik: Theatermusik (2015)

in der zuckerfabrik-erschienen bei Hook/Indigo-

„Wir sehen die Welt mit anderen Augen / Seitdem wir draußen sind  / Sehen wir Dinge ohne Namen / Mit schleierhaftem Sinn / Wir sind Leute in den Straßen / Wir sehen unmöglich aus / Unsere Art sich zu bewegen / Gleicht einem Fallen oder Schweben / So als wäre uns der Boden / Unter den Füßen weggezogen / Wir laufen durch die Strassen / Und wir sind überall / In den Grau- und Zwischenzonen / Wo die Umrisse verschwimmen / Wir sind schillernde Gestalten / Die die Lichter reflektieren / Unsere Augen sind verborgen / Hinter dunklen Sonnenbrillen / Wir sind von vornherein verdächtig / Nicht ganz bei Trost zu sein / Es ist als trügen wir ein Licht in uns / Das einer anderen Welt entsprungen ist…“

Man muss nicht erst aus „Zombi„, vor knapp elf Jahren wohl so etwas wie der größte „Hit“ der aus Hamburg stammenden Band Kante aus deren Album gleichen Namens, zitieren, um sicher zu gehen, dass das Fünfergespann stets etwas anders war als deren Kollegen der „Hamburger Schule„, jener Musikrichtung, die Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger von der Hansestadt aus mit Bands wie Tocotronic, Blumfeld, Die Sterne, Tom Liwas Flowerpornoes, später auch Kettcar oder Tomte, zu grungigen Schrammelgitarren eine neue, frische Art von vor allem textlich verankerter Dialektik in den Popdiskurs einbrachte, ohne die einer ganzen Stange von Bands, angefangen von Wir sind Helden über Fotos bis hin zu Kraftklub, der Erfolg bringende Nährboden gefehlt hätte. Da war allein schon die Art, mit welcher die Band stets hinter ihre Songs trat, um das Liedgut ganz und sonders für sich selbst sprechen zu lassen, während dazu eine Gruppe musizierte, die – damals – wie ein Haufen sympathischer-ernsthafter Lehramtsstudenten bei ihrer schönsten Freizeitbeschäftigung erschien: uneitel, selbstversunken und wahnsinnig fokussiert aufs große Ganze. Grenzen haben das Kollektiv um Sänger Peter Thiessen, der sich zwischen 1996 und 2002 ausgerechnet bei Blumfeld, den anderen wichtig-großen Lyrikern der „Hamburger Schule“, am Bass verdingte, eh nie gestört. So dominierten auf dem 1997 erschienen Debüt „Zwischen den Orten“ noch instrumental angejazzte, dezent elektronische Stücke, während man vier Jahre später auf dem Zweitwerk „Zweilicht“ und fantastischen Stücken wie dem sanften „Im ersten Licht“ oder dem markant-eingänigen „Die Summe der einzelnen Teile“, das damals, zu seligen Viva2-Zeiten, massig Musikvideo-Airplay erhielt, geradezu aufhorchen musste: „Wir leben von einem Glauben / Der unserer Gegenwart vorauseilt“. Und wo andere Kollegen mit weitaus zählbarer Substanz schnell wieder in ihrer kleinen Indie-Nische verschwanden, legten Kante mit dem bereits erwähnten „Zombi“ (2004) und „Die Tiere sind unruhig“ (2006) zwei Alben nach, die auch heute noch wie wahnhaft-hitzige Fieberträume aus Nächten voller knirschender Gitarrenriffs, gespenstischer Pianoläufe, sanft brodelnder Free Jazz-Anleihen und geradezu lieblichen Melodien klingen, welche von Thiessens süffisant gesellschaftskritischen Texten flankiert wurden – in dieser Champions League deutschsprachiger Rockmusik konnten bis heute lediglich die nahestehenden Kollegen von Sport, bei denen Kantes Gitarrist Felix Müller den singenden Vorsteher gibt, ansatzweise mithalten. Die gesamte journalistische Fachwelt überschlug sich geradezu mit Lobeshymnen (so ernannte etwa der Musikexpress „Die Tiere sind unruhig“ 2006 zu seinem „Album des Jahres“) – und was machten Kante? Nur ein Jahr nach ihrer bislang rockigsten Platte schob das Quintett die verschrobene Theaterrevue „…Plays Rhythmus Berlin„, geschrieben für eine Revue am Berliner Friedrichstadtpalast, nach, welche die Band erneut in einem ganz neuen Gewand präsentierte, jedoch so gar nicht an seine Vorgänger anknüpfen wollte. Es schien fast so, als wollten sich Peter Thiessen und Co. ganz bewusst gegen den Fahrtwind stellen und den Erfolg wieder einmal ganz bewusst anders handhaben als das Kollegium…

kante 2015

Fotos: Promo / Viviane Wild

Dass ganze acht Jahre bis zum nun erschienenen sechsten Studioalbum „In der Zuckerfabrik“ vergehen sollten, hatten wohl auch Kante so nicht gedacht, wohl weißlich jedoch eingeplant. So ist im Booklet zu lesen: „2007 trat die Regisseurin Friederike Heller an uns heran, ob wir Lust hätten, die Musik für ihre Inszenierung von Peter Handkes ‚Spuren der Verirrten‘ am Burgtheater Wien zu schreiben und für die Vorstellungen auf der Bühne zu performen. Hatten wir. Weil wir sofort das Gefühl hatten, dass das passen könnte und wir zu Friedrike einen Draht haben würden. Und so war es, wir wurden nicht nur Fans von Friedrikes post-dramatischer, epischer, nach-brechtscher Bühnensprache, nach und nach stellte sie sich auch noch als einer der wunderbarsten Menschen überhaupt heraus. Der unglaubliche Handke-Text, die irre Burgtheaterwelt, die Wiener Küche und die wundervollen Schauspieler taten ein Übriges: Wir hatten Theaterluft geschnuppert und Blut geleckt. Und so ging es dann von Bühne zu Bühne, Stück zu Stück, Stadt zu Stadt und Text zu Text.“ Über Jahre fügten sich Kante als reine Bühnenband in Stücke am Wiener Burgtheater, Dresdner Staatsschauspiel, an der Berliner Schaubühne und am Münchner Residenztheater ein, vertonten Texte, Gedichte und Partituren zu Inszenierungen nach Sophokles, Goethe, Voltaire, Dostojewski und Bertolt Brecht. Nun mag der kundige Hörer der vor genau zwanzig Jahren formierten Hamburger Gruppe meinen, dass dies eine Vergeudung sei, zählte doch vor allem Peter Thiessens Lyrik zum sowohl Verschrobensten als auch Schönsten, was es in den letzten Jahrzehnten im deutschsprachigen popmusikalischen Kontext zu hören gab. Nun… nicht ganz.

Fotos: Promo / Viviane Wild

Denn, wie man nun anhand der 15 Stücke starken Songauswahl aus der Theaterzeit Kantes hören kann, konnten sich Thiessen und Band durchaus zu großen Teilen selbst in die Inszenierungen einbringen. So ist bereits das „Lied von der Zuckerfabrik“ ganz und gar Kante. Thiessen schlüpft darin in die Rolle eines entflohenen Sklaven, während die Band Voltaires schlappe 256 Jahre junge Romanparodie „Candide oder der Optimismus“ mit dem typisch wuchtigen Drive, Bottleneck-Gitarrensounds und erhabenen Bläserarrangements zu einem Stück macht, wie es zeitgeistiger kaum sein könnte: „Das ist der Preis, das ist der Preis / Das ist das Blut, das bei uns fließt / Das ist der Preis, das ist der Preis / Um den ihr drüben in Europa euren Zucker genießt“. Die bittere Klage eines Sklaven, der den Zusammenhang zwischen brutaler Unterdrückung in seiner Welt und dem Wohlstand in Europa herstellt, ist harter, politisch hochaktueller Stoff für eine Gesellschaft, die sich seit dem 18. Jahrhundert kaum zum Besseren verändert haben mag, gerade deshalb jedoch so großartig und wichtig ist. Ähnlich verhält es sich auch mit „Das Erdbeben von Lissabon“, in welchem Kante ein Langgedicht Voltaires über das – jawohl – Erdbeben von Lissabon im Jahr 1775 mit lässigen Mali-Grooves vertonen und so einer bitter-sarkastischen Abrechnung mit grundpositiver Philosophie und Theologie Musik verleihen. Anderswo findet der Freund der Band ebenso in die Fussspuren früherer Großtaten zurück, etwa im lieblichen „Wenn ich dich begehre gegen jede Vernunft“, ein Gedicht von Thomas Brasch, das die Band im Rahmen der Dostojewski-Inszenierung „Dämonen“ zum Besten gab und bereits jetzt zu den schönsten Liebesballaden des noch jungen Jahres gezählt werden darf, dem stürmischen Desertrocker „Morgensonne“, welches Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ innerhalb von vier Minuten mit dem Geist der Queens Of The Stone Age vereint, oder „Donaudelta“, einem Handke-Stück aus „Spuren der Verirrten“, bei dem die großen Flussdeltas dieser Welt zu einer Musik besungen werden, während einen die Musik auf sanften Harmoniegesangswellen davonträgt. Freilich ist nicht jedes der 15 Stücke „ganz und gar Kante“ – vor allem in der Albummitte von „In der Zuckerfabrik“ klingt viel Theatralik (im Wortsinne) an, sodass man sich „Keine Wegspur, nichts zu sehen“, „Arioso der Shen Te“, „Glückselige jener Zeit (Zweites Standlied)“ (aus Sophokles‘ „Antigone“) oder „Das Lied vom Sankt Nimmerleinstag“ nur schwerlich in der Setlist einer „normalen“ Kante-Liveshow vorstellen kann. Dort würde jedoch andererseits ein Song wie „Geist der Liebe (Drittes Standlied)“ (ebenfalls aus „Antigone“, das bereits mehr oder minder 2500 Jahre auf dem tragischen Buckel hat) mit seinen Gitarrenschleifen zu Thiessens markantem Gesang nicht groß auffallen, während sich der Sänger anderswo, in „The Black Rider“, einer Tom Waits-Komposition aus dem legendären William Burroughs-Stück gleichen Namens, an englischsprachigem Liedgut versucht (und mit dezent deutschem Akzent sympathisch scheitert) und „Walzer“, erneut aus Handkes „Spuren der Verirrten“, bei dessen Theaterinszenierung, laut der Band, zwei knapp achtzigjährige Schauspieler zum Instrumentalstück über die Bühnenbretter tanzten, den Theaterreigen zum Abschluss bringt.

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Natürlich kann man bei „In der Zuckerfabrik – Theatermusik“ nicht von einem „Kante-Album“ im direkten Sinne sprechen (slash: schreiben). Allerdings bringen die 15 Stücke so einige Insignien mit, die auch die Vorgänger so toll und reichhaltig gemacht haben: den überbordenden Mut zur Neuerung und zum Experiment, den Gitarrenrock, die Liebe zum Detail, die leicht absurd-irre Stimmung, die natürliche Erhabenheit, mit der Kante gleichzeitig über ihren Songs zu schweben scheinen und diese aufs Innigste umarmen. Vielmehr ist das Album ein Querschnitt der Bandaktivitäten der letzten Jahre, jenseits des Popkontextes –  Dass dieser „Theater! Theater“-Anspruch mit all seinen Gefühlsschwankungen – mal todtraurig-betrübt, mal sehnsuchtsvoll verliebt, manchmal wütend, manchmal gut gelaunt wie ein kleines Kind – nicht fürs breite Publikum gedacht ist, spricht für sich. Trotzdem ist es erstaunlich, wie heterogen die Band den Bogen von Sophokles über Goethe bis hin zu Peter Handke spinnt, ohne dabei je die gewisse Prise Zeitgeist und Gesellschaftskritik aus den Augen zu verlieren. Übrigens dürfen sich Freunde der älteren Kante-Alben durchaus berechtigte Hoffnungen auf die erste „echte“ Platte der Hamburger seit 2006 machen, wie Frontmann Peter Thiessen kürzlich verriet: „Im Frühjahr mache ich mit (Schlagzeuger) Sebastian Vogel noch ‚Dantons Tod‘ in Dresden. Den Rest des Jahres haben wir uns freigehalten, um wieder an einer Platte zu arbeiten. Mal sehen, wie schnell wir voran kommen, ob wir dieses Jahr noch ins Studio gehen.“. Für den Moment tröstet einen „In der Zuckerfabrik“ ganz gut über die erneute Wartezeit hinweg. Denn man weiß ja: Kante waren schon immer ein wenig anders als der Rest…

 

Hier gibt es mit dem „Lied aus der Zuckerfabrik“…

 

…und „Das Erdbeben von Lissabon“ zwei der wohl besten Songs von „In der Zuckerfabrik“ zu hören:

 

Rock and Roll.

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