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Song des Tages: Jeff Buckley – „Lover, You Should’ve Come Over“ (live)


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Gestern vor exakt 25 Jahren – also am 23. August 1994 – erschien mit Jeff Buckleys Debütwerk „Grace“ eines jener Alben, welche zu Zeiten ihrer Veröffentlichung weitaus weniger musikalischen Staub aufwirbelten als in den Jahren danach – was wohl einerseits an Buckleys viel zu frühem Tod 1997 zusammenhängen mag (dazu habe ich vor einigen Jahren schon mal ein paar Zeilen geschrieben), zum anderen natürlich mit dem Album selbst (auch zu diesem – anlässlich des 20-jährigen Jubiläums – gab’s seinerzeit auf ANEWFRIEND einige Worte). Denn wer, der je das Glück hatte, Jeff Buckleys meisterhafter Interpretation des Leonard-Cohen-Songs „Hallelujah“ zu lauschen, könnte diese einzigartige Stimme, dieses fulminante Gespür, diese Ahnung von unglaublichem Talent je wieder vergessen? Diese Tragik, dass Buckleys Leben – übrigens wie das seines Vaters Tim, der mit gerade einmal 28 Jahren starb – viel zu früh endete, und er der Musikwelt zwar „Grace“, jenes Meisterwerk mit all seinen Ewigkeitsstücken wie „Lilac Wine“, „So Real“, „Dream Brother“, „Last Goodbye“ oder „Eternal Life“, schenkte, jedoch alles kreativ Kommende im Nebel der unvollendeten Versprechungen hinterließ? Doch am Ende ist auch das der Stoff, aus dem Legenden gewoben werden – siehe Jimi Hendrix, siehe Janis Joplin, siehe Kurt Cobain, siehe Elliott Smith, siehe John Lennon, siehe…

Den 25. Geburtstag von „Grace“ nahm Columbia / Legacy Recordings nun zum Anlass, allen Streaming-Freunden ein um etliche Fan-Favoriten erweiterten Backkatalog digital zugänglich zu machen – wozu natürlich nicht nur „Grace“ selbst sowie den postum veröffentlichten Nachfolger „Sketches For My Sweetheart The Drunk“ zählen, sondern auch die ein oder andere Live-Show, welche nicht selten bereits jahrzehntelang als Bootlegs durch Fan-Kreise geistern – mehr Infos findet man etwa hier.

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Einen der tollsten Songs von Grace, „Lover, You Should’ve Come Over“, hat das Label nun in einer am 19. Februar 1994 im Middle East in Cambridge, MA aufgenommenen Version – und im Musikvideo versehen mit bislang unveröffentlichten Bildern – veröffentlicht:

 

„Looking out the door
I see the rain fall upon the funeral mourners
Parading in a wake of sad relations
As their shoes fill up with water
Maybe I’m too young
To keep good love from going wrong
But tonight you’re on my mind so
You’ll never know

Broken down and hungry for your love
With no way to feed it
Where are you tonight?
Child, you know how much I need it.
Too young to hold on
And too old to just break free and run
Sometimes a man gets carried away,
When he feels like he should be having his fun
Much too blind to see the damage he’s done
Sometimes a man must awake to find that, really,
He has no one

So I’ll wait for you and I’ll burn
Will I ever see your sweet return,
Or, will I ever learn?
Lover, you should’ve come over
‚Cause it’s not too late.

Lonely is the room the bed is made
The open window lets the rain in
Burning in the corner is the only one
Who dreams he had you with him
My body turns and yearns for a sleep
That won’t ever come

It’s never over,
My kingdom for a kiss upon her shoulder
It’s never over, all my riches for her smiles
When I slept so soft against her
It’s never over,
All my blood for the sweetness of her laughter
It’s never over,
She is the tear that hangs inside my soul forever
But maybe I’m just too young,
To keep good love from going wrong
Oh lover, you should’ve come over, yeah yeah yes

I feel too young to hold on
I’m much too old to break free and run
Too deaf, dumb, and blind
To see the damage I’ve done
Sweet lover, you should’ve come over
Oh, love I’ve waited for you
Lover, you should’ve come over
‚Cause it’s not too late“

 

Rock and Roll.

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Moment! Aufnahme.


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Und auch das soll keineswegs in Vergessenheit geraten: Am 29. Mai 1997 ging Jeffrey Scott Buckley im Wolf River unweit von Memphis, Tennessee schwimmen, wurde vom Wasser und der Dunkelheit verschluckt, und tauchte nie mehr lebend auf. Im Radio lief „Whole Lotta Love“ von Led Zeppelin, und die (Musik)Welt hatte eine weitere große Stimme verloren (viel zu früh, wie so oft), war jedoch um eine ihrer nicht wenigen Legenden reicher… Tragischere Geschichten als die von Jeff und Tim Buckley kann sich selbst Hollywood kaum ausdenken.

 

 

(Hier schrieb ANEWFRIEND bereits über den 20. Jahrestag von Jeff Buckleys erstem und einzigem zu Lebzeiten veröffentlichten Album „Grace„, und hier ein paar Zeilen zum 16. Todestag im Jahr 2013. Auch gut: dieser Artikel auf spiegel.de über Jeff Buckley. Für alles Weitere sei auf David Brownes Biografie „Dream Brother: The Lives and Music of Jeff and Tim Buckley“ verwiesen…)

 

Rock and Roll.

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Der erleuchtete Ladies Man – Leonard Cohen ist tot.


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Wie bei so vielen anderen großen Musikern und Bands auch – ich denke da an die Beatles und Stones, an Queen, Procol Harum oder Pink Floyd –  machte mich mein Vater mit der Musik von Leonard Cohen vertraut. Als ich etwa 15 Jahre alt war, zeigte mir mein Vater – nicht ohne sichtlichen Stolz – seine LP-Ausgabe der ersten, 1975 erschienenen „The Best Of Leonard Cohen„-Zusammenstellung (welche 2009 – um einige wichtige Songs erweitert – als „Greatest Hits“ noch einmal neu veröffentlicht wurde). Nichts Besonderes eigentlich? Nun, mit dem Wissen, dass mein Vater seine komplette Jugend in der DDR verbrachte, in der es bekanntlich mindestens schwierig und meistens ein ebenso kostspieliges wie dezent riskantes Vabanquespiel war, an Platten von Künstlern jenseits der Deutschland in Ost und West, in Sozialismus und Kapitalismus teilenden Mauer zu kommen, war sein Stolz nicht ganz unangebracht. Er spielte mir also Cohens Stücke wie „Suzanne„, „So Long, Marianne„, „Bird On A Wire“ oder „Chelsea Hotel #2“ vor. Und ich? Verstand nichts von seiner Faszination für diese Songs, diese Stimme und Texte. Man muss bedenken, dass der Rezipient ein Teenager war, der zu dieser Zeit eher auf Lautstarkes wie Metallica, KoRn oder Marilyn Manson geeicht war. Einer, der gerade erst begann, die Größe und Ewigkeit der Alben von Pearl Jam für sich zu erschließen. Einer, dem bereits vorher schon die Wirkung von Pink Floyds Meilenstein „The Wall“ unerschlossen geblieben war (was sich freilich bis heute längst geändert hat). Einer, der auch das große Drama all der gar nicht oft genug zu lobenden Springsteen-Stücke noch nicht ganz verstanden hatte, haben konnte (auch das heute ganz anders). Einzig meine Selbsteinschätzung war damals bereits zu einhundert Prozent korrekt: „Dafür bin ich wohl noch zu jung. Ich denke, dass ich das in einigen Jahren besser begreifen und einschätzen kann.“ Was sollte ein Adoleszent auch wissen über jene mit viel Feingefühl und Poesie niedergeschriebene Dramatik, welche beinahe allen Songs von Leonard Cohen innewohnte? Von all der Dunkelheit und all dem Schmerz, all der Sehnsucht, Liebe, Verzweiflung und gerade deshalb so großen Lebensfreude, von der der große kanadische Musiker da sang? Eben: sehr, sehr wenig.

Geboren wurde Leonard Norman Cohen am 21. September 1934 als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie in der ostkanadischen Stadt Montreal. Schon als Kind lernte er Gitarre spielen und hatte bald erste Auftritte in Cafés und Klubs, aber die Musik sollte für ihn lange Zeit Nebensache bleiben. Cohen wollte schreiben, Gedichte und später auch Romane. In den frühen Sechzigerjahren zog er sich dafür zeitweise völlig auf die griechische Insel Hydra zurück. Viele seiner zwischen 1956 und 2006 erschienenen Buchveröffentlichungen wurden von Kritikern gefeiert. 2011 bekam er etwa den spanischen Prinz-von-Asturien-Preis für Literatur.

Im Zuge des – auch und gerade durch Künstler wie Bob Dylan – aufblühenden Singer/Songwriter-Genres rieten ihm Freude dazu, seine oft düsteren Texte zu vertonen. Im Dezember 1967 veröffentlichte Cohen sein erstes Album, „Songs Of Leonard Cohen„. Auf seinen ersten Hit in den Billboard Charts musste er allerdings bis 1988 – da war Cohen bereits stolze 54 Jahre alt – warten: ausgerechnet seines achtes, stark vom Synthpop der Achtziger durchzogenes Studioalbum „I’m Your Man„, das Songs wie „First We Take Manhattan“, „Everybody Knows“ oder „Take This Waltz“ enthielt, brachte ihm endlich die verdiente Aufmerksamkeit ein (sowie eine Nummer-1-Platzierung in den norwegischen Albumcharts – ausgerechnet in dem skandinavischen Land war er stets am besten platziert).

Seinen bekanntesten und vielleicht wirkungsvollsten Song hatte Cohen jedoch bereits 1985 abgeliefert: „Hallelujah“ vom Album „Various Positions“ wurde zur inoffiziellen Cohen-Hymne weltweit. Ein rekordverdächtig oft – und deshalb leider nicht immer mit der nötigen Würde und Anstand – gecovertes Meisterwerk, welches auch Künstler wie Jeff Buckley oder Rufus Wainwright unsterblich machte, und betörend in seiner schlichten Würde. Außerdem darf das Stück als programmatisch für den kanadischen Troubadour gelten, denn genau wie „Hallelujah“ erzählen auch Cohens andere spirituell-melancholische Stücke von verlorener Liebe und Leid, von Todessehnsucht und Gottessuche.

Mitte der Neunzigerjahre zog sich Cohen in ein buddhistisches Kloster bei Los Angeles, seiner neuen Wahlheimat, zurück. Von den Mönchen erhielt er den Namen Jikan, was übersetzt etwa „der Ruhige“ bedeutet. Dort blieb Cohen bis 1999, danach widmete sich der scheinbar ganz bei sich Angekommene wieder der Musik. 2008 wurde er in die „Rock And Roll Hall Of Fame“ aufgenommen, in den folgenden Jahren tourte er um die Welt, gab auch im hohen Alter noch dreistündige Konzerte.

Cohen hatte – auch das nicht unüblich für einen Kreativen – eigenen Angaben zufolge zeitlebens mit Depressionen zu kämpfen. „Wenn ich von Depressionen spreche, spreche ich von klinischen Depressionen, die der Hintergrund meines ganzen Lebens sind, ein Hintergrund voller Angst und Beklemmung, einem Gefühl, dass nichts richtig läuft, dass Zufriedenheit nicht möglich ist und alle Strategien in sich zusammenfallen“, sagte er einmal dem „Guardian“.

Das letzte große Interview gab Cohen, der im Juli diesen Jahres den Verlust seiner großen Muse Marianne Ihlen zu betrauern hatte, im vergangenen Monat dem Magazin „The New Yorker„. „Ich bin bereit zu sterben. Ich hoffe nur, es wird nicht zu ungemütlich. Das ist es dann auch schon für mich“, hatte er dabei unter anderem gesagt. Doch ganz so lebensmüde wollte Cohen dann doch nicht verstanden werden. „Das war übertrieben“, sagte er wenig später in Los Angeles bei einer Listening-Session seines neuen, vierzehnten Albums „You Want It Darker„, welches erst vor wenigen Tagen, am 21. Oktober, erschien. Er beabsichtige, ewig zu leben, sagte Cohen. 120 wolle er werden, mindestens. Und auch das war wohl nur eine seiner Überhöhungen, denn freilich ahnte er, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde. Zum Glück hat uns Mr. Cohen mit „You Want It Darker“ noch einmal ein großes Album von dunkler Schönheit geschenkt.

Wie vor wenigen Stunden bekannt wurde, starb Leonard Cohen, der zeitlebens als wandelndes Mysterium aus spirituell Erleuchtetem und Frauenheld galt, bereits am 7. November im Alter von 82 Jahren in seinem Zuhause in Los Angeles. Und obwohl sowohl er als auch viele seiner Fans und Zuhörer sein Ende kommen sahen, macht der Tod „eines der bedeutendsten Songschreiber unserer Zeit“ (New York Times) dieses – zumindest was die Verlustrate großer Künstler und Stimmen betrifft – beschissene Musikjahr 2016 noch ein großes Stück beschissener.

Mach’s gut, Mr. Cohen, du griechisches Fabelwesen, du die Frauenherzen im stillen Sturm erobernder von Buddha Erleuchteter. Auch wenn ich auch mit Mitte Dreißig nur einen Bruchteil von jener Tiefe deiner Stücke (welche ich mittlerweile sehr zu schätzen weiß) verstehe, werden mich Songs wie „Famous Blue Raincoat“ (mein liebstes, wenn auch vor allem in der Covervariante von Tori Amos) auf ewig zu Tränen rühren und in kalten Tagen begleiten. Danke dafür.

  

 

Rock and Roll.

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Aus gegebenem Anlass…


L. Cohen

Alles Gute zum 80. Geburtstag, Leonard Cohen! Viele Worte über den am 21. September 1934 im kanadischen Montreal als Sohn eines jüdischen Textilkaufhausbesitzers und einer russischen Emigrantin geborenen Troubadour, Dichter und Schriftsteller zu verlieren, hieße wohl beinahe, lyrisch versierte Eulen nach Athen zu tragen (was wohl nicht unpassend erschiene, lebte Cohen doch einige Zeit zurückgezogen auf der griechischen Insel Hydra). Eine „Legende“ ist Leonard Norman Cohen bereits zu Lebzeiten, wurde von Kollegen wie Autoren mit Tributewerken gewürdigt und als Inspirationsquelle gelistet – völlig zu recht, denn schöner und distinguierter als er hat in populären Gefilden wohl kaum einer über Liebe und Verlust, Glück und Enttäuschung geschrieben. Allein die Tatsache, dass sein „Hallelujah“ mittlerweile zum Standardrepertoire standesamtlicher wie kirchlicher Trauungen gehört (was aufgrund der Tatsache, dass dessen Text eher auf die dunklen Seiten der Liebe blickt und viele Vermählte lediglich Jeff Buckleys Coverversion, nicht jedoch Cohens Original kennen, einer gewissen Ironie nicht entbehrt), spricht Bände… Und um allem Ungewünschtem zu entgehen, hat sich der überzeugte Buddhist und Zen-Schüler das größte Geburtstagsgeschenk gleich selbst gemacht: Pünktlich zum Achtzigsten erscheint dieser Tage sein 13. Studioalbum. Bereits der lakonische Titel bietet einen kleinen Türspalt in die Denkweisen des Dichters an: „Popular Problems„.

Cohen, Leonard - Greatest HitsAn meinen Erstkontakt mit Leonard Cohen erinnere ich mich übrigens noch heute: Mein Vater spielte mir – noch immer voller Begeisterung für das lyrische Geschick Cohens – vor etlichen Jahren seine LP der 1975 erschienenen „Greatest Hits“ vor. Ich, der ich mich damals, in meiner Teenagerzeit, wohl eher von Kapellen wie KoRn oder Metallica beschallen ließ, konnte mit den gewählten Worten, mit der ruhig und beinahe bedächtig vorgetragenen Lyrik Cohens natürlich wenig anfangen und entgegnete meinem Vater, dass ich all das wohl erst verstehen und wertschätzen könnte, wenn ich älter sei. Ich sollte Recht behalten.

 

Fragt man mich nach meinem Lieblingsstück aus dem Repertoire Cohens, so würde ich nach kurzer Bedenkzeit wohl „Famous Blue Raincoat“ (dessen Covervariante von Tori Amos übrigens ähnlich superb gelungen ist) wählen:

 

Und freilich soll am 80. Ehrentag des „Dichterfürsten“ auch „Hallelujah“ nicht fehlen (hier in einer Liveversion aus dem Jahr 2009):

 

Rock and Roll.

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Singen mit den Engeln – Jeff Buckleys „Grace“ wird Zwanzig


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Eine der tragischsten Erkenntnisse des Lebens ist wohl, dass dem Gros der Menschen etwas erst richtig und wahrhaftig ans Herz wächst, wenn es plötzlich (oder schon längst) nicht mehr da oder nahbar ist und sie diesem vermeintlichen „Schatz“ nicht mehr habhaft werden können. Insofern ist es auch kaum verwunderlich, dass vor allem Künstler nach deren Ableben zu ikonischen Heroen verklärt werden – und das dann nicht selten von ebenjenen Personen, die kurz vorher noch zu deren schärfsten Kritikern zählten…

Beispiele findet man freilich zur Genüge: Jimi Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin, Elvis Presley, John Lennon, Kurt Cobain, Amy Winehouse… you name it. Zu Lebzeiten noch kritisch beäugt, bedrängt und verspottet, erhebt man die Toten zu Säulenheiligen und spült jegliche Kritik den Lokus herunter. Als eine der zweifellos tragischsten Geschichten eines (zu) jung verstorbenen Talents darf jedoch die von Jeff Buckley gelten, der am 29. Mai 1997 im Wolf River, Mississippi im Alter von 30 Jahren ertrank. Warum? Nun, zum einen war sein Vater (den er jedoch nur ein Mal im Alter von acht Jahren mehr oder minder „kennen lernte“) kein Geringerer als der kaum weniger jung und tragisch verstorbene mystische Experimentalfolkmusiker Tim Buckley, zum anderen ruhten Mitte der Neunziger nicht wenige popmusikalische Hoffnungen auf Jeff Buckley, der 1994 mit der Veröffentlichung seines Debütalbums „Grace“ für allerlei Furore in der Musikszene gesorgt hatte. Zur Einschätzung der Tragweite muss der interessierte Hörer nur einmal kurz Wikipedia bemühen:

jeff-buckley-grace„Das Album ist dem Alternative Rock zuzurechnen, die Gitarre ist das dominierende Instrument. Bemerkenswert ist die stilistische Brandbreite, die Buckley und seine Band auf dem Album verarbeiten: neben dynamischen Post-Rock-Balladen wie ‚Mojo Pin‘, Jazz-Klassiker wie ‚Lilac Wine‘ (bekannt durch Nina Simone) lassen sich ein Stück von Benjamin Britten, zügigem Folk-Rock wie ‚Last Goodbye‘, eine Solodarbietung von Leonard Cohens ‚Hallelujah‘ (dessen Arrangement er von John Cale übernahm und stark reduzierte) und Dream Brother, das von klassischer indischer Musik beeinflusst ist. Ebenso lässt sich ein Lied im zeitgenössischem Grunge-Stil ausmachen (‚Eternal Life‘).

Neben der stilistischen Vielfalt beruft sich Buckley auf zahlreiche Einflüsse, die sich auf dem Album wiederfinden: unter anderem Nina Simone, Nusrat Fateh Ali Khan, Morrissey, Bob Dylan, Leonard Cohen, Alex Chilton, Led Zeppelin, Joni Mitchell, Van Morrison, Stevie Wonder, Edith Piaf, Judy Garland und Freddie Mercury.

Beim größten Teil der Lieder handelt es sich um längere Balladen (durchschnittlich fünf Minuten) in mäßigem Tempo, die vor allem dazu dienen, Buckley einen Raum für seinen Gesang zu geben, um den das Album klar konstruiert ist. Die Lieder sind auf Buckleys enormen Stimmumfang (etwa vier Oktaven) sowie auf sein klares Falsett und die Alteration zwischen verschiedenen Registern hin ausgelegt. Buckleys Stimme ist als hoher Tenor und als Countertenor zu klassifizieren. Die metaphorischen Texte des Albums handeln von der Allgegenwärtigkeit des Todes, von hingebungsvoller Liebe, vom Verlassen werden und auch von der Beziehung zu seinem entfremdeten Vater.“

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Der Kenner von Buckleys Kunst jedoch weiß: Viel mehr als im unterkühlten Interieur von Studios wusste Jeff Buckley live und auf kleinen Bühnen zu überzeugen. Bereits seit Anfang der Neunziger – kurz nach Buckleys Umzug von sonnigen Orange County, Kalifornien in die vor allem dazumal kulturell überbordende Metropole New York City – nutzte der aufstrebende Musiker nahezu jede sich bietende Chance, seine Kunst zu verfeinern und mit anderen Musikern in Kontakt zu treten. Kaum eine noch so kleine Coffeeshop-Bühne zwischen dem Manhattaner East Village, Greenwich Village, Williamsburg und Brooklyn blieb von ihm unbespielt. Tagsüber schlug er sich als gesprächsfreudiger Kaffeekocher hintern Tresen durch, abends stöpselte er seine elektrische Gitarre an den bereit stehenden Verstärker, um allein mit der am Rock, Blues und Jazz geschulten Fingerkunst und seiner glockenhellen Stimme ein immer größer werdendes Publikum zu begeistern – wohlgemerkt in einer Zeit, als das weltweite Netz noch in den Kinderschuhen steckte und Facebook, Twitter und ihre Kumpane noch feuchte Träume in den Hirnen von Eliteuniversitätsstudenten waren. Näher als auf dem 2003 erstmalig komplett als Doppel-Live-Album erschienenen Kaffeehaus-Konzert „Live at Sine-É“ (seine Erstveröffentlichung erfuhr es als sträflichst verknappte EP im Jahr 1993 als Appetizer auf das Debüt „Grace“) wird man Buckleys Kunst und Talent – ja: seiner Seele – nicht kommen. Kaum ein Hauch im Publikum, kaum je ein Gläser- oder Kaffeetassenklirren durchbricht die Stille in den Pausen zwischen den Songs, während der Verstärker verschwörerisch brummt und der Musiker mal launige, mal eigenartige Kommentare zu seinem Leben und seinen Idolen vom Stapel lässt und ebenso eigene Kompositionen („Grace“, „Mojo Pin“, „Eternal Life“…) zum Besten gibt wie für sich vereinnahmte Fremdkompositionen (Bob Dylans „Just Like A Woman“ und „I Shall Be Released“, der gespenstische Jazzklassiker „Strange Fruit“, natürlich Leonard Cohens „Hallelujah“). Große Kunst, die von Können und Begabung zeugt und – ebenso wie der postum veröffentlichte zweite Albumentwurf „Sketches For My Sweetheart The Drunk„, an dessen Songs Buckley buchstäblich bis zu seinem Tod gearbeitet hatte (er kam gerade aus einem Aufnahmestudio in Memphis, Tennessee, als er sich spontan dazu entschloss, ein Bad im Wolf River zu nehmen) – eine leise Ahnung davon vermittelt, was noch alles von Jeff Buckley hätte kommen können. Das Schicksal hatte jedoch seine eigenen Pläne…

Am gestrigen 23. August jährte sich nun die Veröffentlichung von Buckleys einzigem zu Lebzeiten veröffentlichtem Album „Grace“ zum 20. Mal. Der Begriff „Klassiker“ mag gültig erscheinen, stellt aber im Licht der zehn Songs, von denen ausgerechnet und vor allem Buckleys Variante des Leonard Cohen-Songs „Hallelujah“ (danach tausendfach im Filmen und Serien verwandt und gar vom Urheber selbst als „besser als dessen eigene Version“ geadelt, jedoch stets unerreicht) alle anderen überstrahlt, eine glatte Untertreibung dar. Obwohl so oft versucht, ist dem Mysterium Jeff Buckleys – und hier wären wir wieder am Anfang angelangt – mit Worten schwerlich beizukommen. Und auch wenn man nicht selten dazu geneigt ist, zu viel in die Songs des Musikers herein zu interpretieren, so spiegelt sich in Buckleys mal lauten, mal leisen, jedoch immer melancholiegetränkten Stücken der Abschied im Leben. Es ist nunmal so: Manchmal verleiht erst der Tod selbst der schaurig-schönen Tragik des Lebens die rechte Würze. Der Rest ist Vermissen. Der Rest ist Lauschen…

Jeff Buckley In NYC

Zum 20. Jahrestag von „Grace“ hat David Chiu, einer der Autoren der Seite brooklynbased.com, kürzlich einen Streifzug durch New York City (und seine eigene Biografie) unternommen und elf Orte, die Buckleys Karriere und Wirken im „Big Apple“ maßgeblich mitbestimmt haben dürften, besucht – und so – leider – auch allerhand (unvermeidliche) Veränderungen in der „Stadt, die nie schläft“ festgestellt… Nachzulesen hier.

 

 

 

Rock and Roll.

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„Drown in my own tears“ – zum 16. Todestag von Jeff Buckley


Jeff Buckley

Vor 16 Jahren entschied sich ein junger Mann, im Wolf River (Memphis, Tennessee) schwimmen zu gehen, während aus dem Radio des in der Nähe geparkten Wagens Led Zeppelins „Whole Lotta Love“ tönte, und ihm ein Freund am Ufer dabei zusah, wie er sich treiben ließ und lauthals mitsang. Plötzlich wurde er von der Bugwelle eines nahenden Schiffes erfasst und unter Wasser gezogen. Sein lebloser Körper wurde erst fünf Tage später gefunden. Dieser junge Mann hieß Jeff Buckley

jeff buckley newsNatürlich mag ein nicht unerheblicher Teil der Bekanntheit und Verehrung Buckleys darin begründet liegen, dass dieser so jung (er war zum Zeitpunkt seines Todes gerade einmal 30 Jahre alt) und unter so mystischen wie tragischen Umständen ums Leben kam. Natürlich mag manch einer aus dessen nicht weniger tragischer und geradezu „Rockstar-liker“ Familientragödie (sein leiblicher Vater, der bekannte Folk- und Jazzsänger Tim Buckley, starb 1975 im Alter von 28 Jahren an einer Überdosis Heroin) oder aus Jeff Buckleys durchaus tränenreicher Musik in Nachhinein verhängnisvolle Zukunftsomen lesen. Doch am Ende bleibt uns „Grace“ – jenes einzige Album, das Buckley zu Lebzeiten fertig stellte (als er starb, befand er sich mitten im Schreibprozess für den Nachfolger „Sketches For My Sweetheart The Drunk„, dessen Demo-Aufnahmen nach seinem Tod von Freunden und Verwandten vervollständigt wurden und 1998 postum veröffentlicht wurden). Klar, Buckleys Version des (zu) oft gecoverten Leonard Cohen-Stückes „Hallelujah“ wird wohl auch in 100 Jahren noch jeglichen anderen Interpretationsversuch mit Leichtigkeit überstrahlen (und nicht nur Cohen selbst ist sich sicher, dass diese Version besser ist als das eigene Original!). Dennoch besitzen die zehn Stücke der regulären Albumversion (2004 erschien die überaus empfehlenswerte und um etliche Bonus Tracks sowie eine DVD mit Musikvideos erweiterte „Legacy Edition“) auch 19 Jahre nach Erscheinen eine annähernde Perfektion, Emotionalität und Strahlkraft, die wohl keinen Hörer kalt lassen kann. Jeff Buckley sang mit der markerschütternden Stimme eines in die Gosse gefallenen Engels, spielte Gitarre, als hätte er es Robert Johnson – der Legende nach – gleichgetan und dem Teufel seine Seele an jener Kreuzung im ländlichen Mississippi ebenso im Tausch für zehn bluesgetränkte Finger vermacht – und trotz allem war er auch im Punk, im Grunge, in der Weltmusik, dem Jazz und dem Songwritertum Dylans tief verwurzelt. Die eierlegende musikalisch-manische Wollmilchsau, quasi. Auf Konzerten vor und nach dem Erscheinen seines Debütalbums (hier sei besonders auf die 2003 erschienene Komplettversion des „Live At Sin-é“-Konzertes verwiesen, wo man Buckleys Genialität während eines mehr als zweieinhalbstündigen Solo-Auftritts bewundern kann) deutete der meist scheue und in sich gekehrte Musiker all die Großtaten, die wohl noch von ihm zu erwarten gewesen wären, oftmals an…

Heute jährt sich der Todestag von Jeff Buckley zum 16. Mal. Ohne Frage war er zu Lebzeiten ein aufstrebender Musiker, ein Talent, das seinesgleichen suchte (und wohl nichts und niemanden weit und breit gefunden hätte). Wer weiß – vielleicht würden Gitarrengrößen wie Eric Clapton, Jimmy Page, Jeff Beck oder Keith Richards heute neidvoll auf das Schaffen und Können des Kaliforniers herabblicken. Doch uns bleibt lediglich „Grace“. Und die Legende von einem jungen Mann, der sich vor 16 Jahren dazu entschied, im Wolf River schwimmen zu gehen…

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Natürlich sollten und müssen beim Gedenken an Jeff Buckley die Töne für sich sprechen. Hier also seine Version des Cohen-Klassikers „Hallelujah“ in Bild und Ton…

 

…sowie meine persönlichen Favoriten „Dream Brother“…

 

…“Last Goodbye“ (in einer 1995 für MTV aufgenommenen Live-Variante)…

 

…und „Forget Her“:

 

(Einen guten Überblick auf das leider zu geringe Schaffen Buckleys bietet außerdem die 2007 – also zum 10. Todestag – erschienene Zusammenstellung „So Real: Songs from Jeff Buckley„.)

 

Rock and Roll.

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