Schlagwort-Archive: Haldern Pop

Auf dem Radar: The Slow Show


slow-show

„Es gab wohl noch nie eine Band aus Manchester, die sich mit The Slow Show vergleichen lässt. Ihre minimalistischen und dann doch epischen Songs schwingen sich von behutsamen Americana zu tosenden Hooks und Refrains mit Streichern und Trompeten auf. Schwer persönlich sind diese Songs über Liebe und Tod, die es immer wieder schaffen, ihr Publikum zu bedächtigem Schweigen, sogar zu Tränen zu rühren.“

So weit, so Pressetext. Für Schnellklicker ließe sich die fünfköpfige, seit 2010 bestehende Band sogar noch schneller einordnen: benannt nach einem Song der großen Pathetiker The National, das Album im selben Studio wie Elbow aufgenommen. Damit wären die Pole bereits abgesteckt…

TSS_white_water_480pxUnd obwohl der Pressetext einen Glauben lassen mag, dass es „wohl noch nie“ eine vergleichbare Band aus Manchester, jener 500.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Englands, gab, und The Slow Shows Sänger Rob Goodwin gar eine stimmliche Nähe zu Johnny Cash nahe legt, könnte beides falscher kaum sein. Denn zum einen eint The Slow Show und Elbow weitaus mehr als die Aufnahmen in den in einem der typischen Backsteingebäude von Manchester gelegenen Blueprint Studios (nämlich die gleiche detailversessene Herangehensweise an ihr melancholisches Liedgut, sodass es kaum verwunderlich ist dass Elbow die fellow Mancunians bereits in ihr Vorprogramm holten). Zum anderen dürfte Goodwins tiefes, Dark Wave-taugliches Bariton näher bei Lambchop-Frontmann Kurt Wagner stehen als beim großen Countryman Cash (hier und da ist auch eine Grabesstimme wie die von Nick Cave nur einen Spalt weit entfernt). Bewegt man sich jedoch nur ein kleines Stückweit weg von der Bodenständigkeit Manchesters – die Stadt wirft ja nicht erst seit Oasis, Elbow oder I Am Kloot hin und wieder tolle Bands in die Musikwelt (man denke auch an die Happy Mondays, The Stone Roses oder die Inspiral Carpets) -, so öffnen sich im deutlich mehr von US-Vorbildern gefärbten Klangbild von The Slow Show größere Weiten. Freilich mögen auch hier The National mehr als einmal Pate gestanden haben (etwa beim Song „Bloodline“, das mit seinem bedächtigen Aufbau, seiner Steigerung, seinen Fanfare dem The National-Evergreen „Fake Empire“ näher ist, als einem lieb sein mag), wer jedoch The Slow Show bloßen Ideenklau vorwirft, tut der Band unrecht. Vielmehr entwerfen Rob Goodwin und Co. kleine große Americana-Kleinode von spröder Schönheit, deren Kopf im Americana steckt, während das Herz den Northern Soul stolz in der Brust voran trägt. Da darf auch schonmal, wie in „Dresden“, dem Eröffnungsstück des dieser Tage erscheinenden Debütalbums „White Water„, ein sakraler Chor den Song eröffnen, während anderswo Streicher schwelgen, Pianoakkorde bedächtig vor sich her klimpern und die Band Goodwins weihevolle Stimme nie überfrachtet, sondern immer nur dienlichst unterstützt. Klar waten nahezu alle elf Albumsongs knietief im Moll, klar bewegen sich The Slow Show damit konsequent auf einem schmalen Grat zwischen Kitsch und Melancholie, während die Texte kleine Trauerweiden übers Leben, Lieben, Touren und Loslassen malen. „Herbstmusik“ würden wohl die Meisten dick mit Edding aufs Cover kritzeln – Musik, die im Sommer so fremd wirken würde wie ein Schneemann an der Copacabana. Freunde rotweingeschwängerten, melancholischen Liedguts dürften aber an der Band, deren Debütalbum in Deutschland bei „Haldern Pop„, dem Label des exquisiten nordrhein-westfälischen Festivals, zu dessen Rooster Bands und Künstler wie Friska Viljor, Dry The River oder William Fitzsimmons zählen, Gefallen finden…

slow-show-promo

 

Hier gibt’s die Musikvideos zu „Bloodline“…

 

…und „Dresden“…

 

…sowie selbigen Song noch einmal in einer Liveversion vom letztjährigen „Haldern Pop Festival“, bei dem die Band einen Chor zu sich auf die Bühne holte…

 

…und das bewegende „Brother“ in einer Live-Session-Variation:

 

THE SLOW SHOW LIVE:

21.05.15 – Köln (DE) / Luxor
22.05.15 – Haldern (DE) / Haldern Pop Bar
23.05.15 – Dortmund (DE) / Way Back When Festival
24.05.15 – Beverungen (DE) / Orange Blossom Festival
25.05.15 – Hamburg (DE) / Prinzenbar
26.05.15 – Berlin (DE) / Privatclub
27.05.15 – Dresden (DE) / Beatpol
28.05.15 – Wien (AT) / Chelsea
29.05.15 – München (DE) / Strom
31.05.15 – Zürich (CH) / Papiersaal

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Das Album der Woche


Sophie Hunger – The Rules Of Fire (2013)

Sophie Hunger - The Rules Of Fire (Cover)-erschienen bei Two Gentlemen Records/Rough Trade-

„Akzeptiere, dass Du nie Jesus oder Leonardo Da Vinci sein wirst! Rechtfertige Dich nie für Deine Arbeit! Denk immer daran, dass Charlie Chaplin ein großartiger Geschäftsmann war und Bob Dylan so aussehen wollte wie er. Versuch niemals zu gefallen! Geh nie mit einem Drink auf die Bühne!“  Oha! Willkommen in der Dogmenschreinerei?

Keine Angst, so weit kommt’s bei Sophie Hunger noch lange, lange nicht! Denn wer die 30-jährige Schweizer Musikerin – besser: ihre Alben und Songs – kennt, der weiß, dass diese Grenzen nur die äußere Hülle berühren. Und doch hat die aus Bern stammende Emilie Jeanne-Sophie Welti, die sich damals, 2006, zu Zeiten der Veröffentlichung ihres ersten Soloalbums „Sketches On Sea„, den Künstlernamen „Sophie Hunger“, zusammengesetzt aus ihren zweiten Vornamen sowie dem Geburtsnamen ihrer Mutter, verlieh, ihr erstes offizielles Livealbum ausgerechnet „The Rules Of Fire“ getauft. Was es mit dem Titel auf sich hat, erklärt die Künstlerin denn auch im begleitenden 60-minütigen Dokufilm des französischen Regisseurs Jeremiah, der Hunger hierfür auf ihrer zurückliegenden Tournee begleitetet, selbst: Zehn Regeln für den Künstler. Zehn Regeln zur Wahrung der Würde und Freiheit. Der Rest? Ist Intuition, ist wandelbar…

Sophie Hunger (Augustin Rebetez)

Dabei weiß Sophie Hunger, ihres noch recht jungen Alters zum Trotz, wovon sie spricht. Bereits seit ihrer Jugend macht die Schweizerin, die als Tochter eines Diplomaten nicht selten Länder und Wohnorte wechseln musste, Musik, spielt anfangs in Bands, kollaborierte mit so einigen Künstlern (etwa mit der Schwytzerdütsch-Rapperin Big Zis, dem französischen Jazztrompeter Erik Truffaz oder jüngst mit dem Ex-Freundeskreis’ler Max Herre), verfolgte ansonsten stringent ihre Solokarriere – und sorgte gar als Schauspielerin und Filmmusikkomponistin – wenn auch in kleinerem Rahmen – für Aufsehen (im Zuge der Indie-Produktionen „Der Freund“ und „Der Fremde“). Schon ihr zweites, 2008 erschienenes Album „Monday’s Ghost“ bot einen Großteil der Eigenarten und Faszinationen auf, die Hunger noch heute ausmachen: brillante Dramaturgien zwischen zuckersüßen, süchtig machenden Melodien, kleinen Experimenten und schwermütigen Ernsthaftigkeiten. Die Musikerin legte damit einen Senkrechtstart ins Bühnenlicht der breiten Öffentlichkeit hin, die sich mehr als einmal verwundert die Augen reiben durfte ob der Tatsache, dass eine so weltgewandte und uneitle Person ausgerechnet aus der sonst so kleinlauten und neutralen Schweiz kommen sollte (erinnert sich wer an DJ Bobo?). Bereits zwei Jahre darauf legte Hunger mit „1983“ den nächsten Albumstreich nach, der noch reifer, noch formvollendeter, noch toller, verspielter und ernsthafter ums Eck lugte. Wer Zweifel hegte, der durfte besonders beim absolut zeitgeistig ausformulierten Titelstück oder dem grandiosen Noir Désir-Cover „Le vent nous potera“ (ANEWFRIEND schrieb hier bereits darüber) eines Besseren belehrt werden. Die Qualität blieb denn auch im Ausland nicht verborgen. So waren Sophie Hunger und Band 2010 die erste (!) Schweizer Kombi auf der Bühne des altehrwürdigen Glastonbury Festivals, während man andererseits auch ausverkaufte Ränge beim trés sophistiqué Montreux Jazz Festival oder dem legendären Paris Klub „Cigale“ bespielte. Die Musikerin konnte das, durfte das, denn ihr Mix aus Singer/Songwritertum, Jazz, Pop, Blues und Rock gab es her. Und dennoch schlug sie im vergangenen Jahr mit ihrem bislang letzten Studioalbum „The Danger Of Light“ wieder in eine andere stilistische Kerbe. Mehr den je hieß die Losung des irgendwo zwischen Los Angeles, Montreal und der heimatlichen Schweiz aufgenommenen Songverbunds, auf welchem unter anderem auch der virtuose Red Hot Chili Peppers-Gitarrist Josh Klinghoffer zu hören ist: „Alles kann, nichts muss“. Mal melancholisch, mal bedrohlich, mal beschwingt und mal weltweise – Sophie Hunger wechselte und wechselt Stimmungen wie die Sprachen, in denen sie singt. Und bereits da hat sie von Englisch über Französisch bis zu Deutsch und Schwytzerdütschen Mundarten so Einiges in petto…

Foto: © Marco Zanoni, 2007

Foto: © Marco Zanoni, 2007

Nun also zieht Sophie Hunger nach vier Alben Revue. Dabei teilt sich „The Rules Of Fire“ in zwei Seiten: „The Live“ mit zwölf Favoriten aus ihrem Liverepertoire einerseits, „The Archives“ mit elf Raritäten, unveröffentlichten und frühen Stücken andererseits. Am Ende der über 90 Minuten bleibt unterm Strich wohl Hungers größte Stärke hängen, denn wenngleich ihre Studioalben schon eine Menge Virtuosität, Talent und Hintergründigkeit versprühen – auf der Bühne wird all das noch um ein Vielfaches intensiver. Klar sind es auch hier die Albumfavoriten, die herausragen. Über das clevere „Das Neue“ („Dreißig ist das neue Zwanzig / Der Mann ist die neue Frau / Freiheit ist das neue Gefängnis / Und reich ist das neue Schlau / Islam ist die neue katholische Kirche / Und Deutschland die neue Türkei /…/ Zuckerberg ist der neue Kolumbus / Der Bankmann die neue Aristokratie / Gesundheit ein neuer Exorzismus / Et la fatigue c’est la nouvelle follie / Nichtraucher sind die neuen Raucher / Alte fühlen sich neu, immer jünger / Intelektuelle sind neu völlig unbrauchbar / Frei zum bestehlen ist neu,  Sophie Hunger“) könnten sowohl Philosophie- als auch Germanistikstudent ganze Abhandlungen schreiben. Die noch immer großartig apokalyptische Zäsur „1983“ trägt die Musikerin auch hier mit einer Menge Intensität vor – und stellt ihr wohl nicht eben zufällig das beschwingte „LikeLikeLike“ nach. Denn obwohl auch im Bühnengewand von „The Rules Of Fire“ die akustisch reduzierten Instrumente wie Gitarre, Piano oder Upright Bass dominieren, wird schon mal die Posaune losgelassen („Souldier“), setzt das Piano zu einem kurzen Hechtsprungversuch in Richtung Freejazz an („Das Neue“), setzten E-Gitarrensoli kurze, prägnante – und wichtige! – Akzente („Citylights Forever“, „My Oh My“), bei denen sich denn auch Hunger kurze Pausen gönnt. An den Enden der jeweiligen Seiten stehen dann die Stimmen für sich: im schwytzerdütschen – genauer: berndeutschem – „Z’Lied vor Freiheitsstatue“ träumt die Künstlerin zu Gesangsharmonien von der großen weiten Welt, während sie im Gedicht „A Letter To Madonna“ der einstigen „Queen Of Pop“ boshaft augenzwinkernd all ihre Übelkeit ins Gesicht schreibt „I don’t like how you speak to yourself when you speak to someone else. Dear Madonna, changing your clothes every day does not make you special – it just makes you change your clothes a lot…“. Klasse, wem Klasse berührt…

Sophie Hunger (Augustin Rebetez)

The Rules Of Fire“ bietet in Kombination mit dem Dokufilm und dem 48-seitigen Bild- und Wortband einen gelungenen Einblick ins bisherige Schaffen der Schweizer Musikerin. Dabei sind Hungers Songs weltweise, ohne zu belehren (wie schrieb das SRF so schön: „Hungers Texte tragen Frage-, eine Ausrufezeichen“), sind nachdenklich, ohne in unnötig dunkle Gefilde zu verschwinden, sind virtuos, feinsinnig und luftig, jedoch nie gekünstelt oder gar künstlich. Denn bei allem Weltbürgertum hat sich Sophie Hunger noch immer ihre Bodenständigkeit bewahrt, nimmt zwar ihre Musik ernst, sich selbst jedoch nicht – Ironie, Authentizität und die gewisse nötige Prise Anarchie müssen sich schließlich keinesfalls ausschließen. Man darf Vergleiche wie den des „größten Schweizer Exports“ oder den der „Poplyrik in vier Sprachen für emanzipierte Bob Dylan-Freunde“ getrost ad acta legen, denn Sophie Hunger hat längst mehr als das zu bieten. „Never try to please!“ Gefallen, ohne gefallen zu wollen? Wenn’s dann noch gut geht – reife Leistung…

Banner

 

 

Hier gibt’s einen kurzen Trailer zum begleitendenden Dokufilm…

 

…sowie die Musikvideos der jüngsten – und meines Erachtens höchst gelungenen – Zusammenarbeit mit Max Heere in Form des Stückes „Fremde“…

 

…zu „LikLikeLike“, in welchem Miss Hunger fussballkickend wie einstweilen David Beckham durch Paris spaziert…

 

…und dessen filmischer Fortsetzung „Souldier“ (bei beiden Videos führte übrigens der Doku-Verantwortliche Jeremiah ebenfalls Regie):

 

Außerdem findet ihr hier Sophie Hungers Interpretation des Noir Désir-Evergreens „Le vent nous portera“…

 

…und ihr komplettes Gastspiel beim diesjährigen „Haldern Pop“-Festival:

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,
%d Bloggern gefällt das: