„Wenn man eure Augen schließt und Karsu lauscht, dann fühlt es sich an, als würde man einer großartigen Jazz-Künstlerin aus New Orleans zuhören…“
In etwa so bezeichnen nicht eben wenige Zuhörer*innen die Musik und Stimme von Karsu Dönmez. Und sie haben nicht einmal Unrecht – obwohl die talentierte 31-jährige Niederländerin mit ihrer Mischung aus Jazz, Blues, Funk, Pop und türkischer Folklore eine keineswegs alltägliche und gerade daher recht einzigartige Melange bietet. Wohl auch deshalb wird ihr an nicht wenigen Stellen nachgesagt, die „niederländische Norah Jones„ zu sein, oder meinetwegen die „türkische Antwort auf Amy Winehouse“ (plus Disziplin, minus fataler Hang zu Drogen). Aber auch ohne diese hoch gegriffenen Vergleiche tönt ihre Musik verdammt faszinierend…
Karsu, geboren 1990 in Amsterdam, findet schon in jungen Jahren ihre Liebe zu Musikstilen, welche andere erst mit Beginn der Grauhaarigkeit erwischt: Jazz, Blues, Soul, Klassik – you name it. Ihre Eltern erkennen ihr Talent und kaufen Karsu im zarten Alter von sieben Jahren daher mit dem Geld, das eigentlich für ein neues Auto beiseite gelegt wurde, ein Klavier. Die junge Türkin übt und übt und beginnt wenig später damit, im Familienrestaurant kleine Konzerte zu geben. „Eigentlich habe ich im Restaurant meines Vaters gekellnert. Da stand ein Klavier. Manche unserer Gäste wussten, dass ich spielen konnte und baten mich darum. Nachdem in Umlauf kam, dass in einem schicken Restaurant ein Mädchen am Klavier musiziert, wurde die Sache etwas größer. Wir haben ein Mikrofon und ein besseres Klavier gekauft und ich begann, jedes Wochenende aufzutreten. Die Leute kamen nun nicht mehr, um das Yoğurtlu Adana Kebap [dt. Adana Kebap mit Joghurt] meines Vaters zu essen, sondern meinetwegen“, wie sie selbst in einem Interview erzählt. Mit siebzehn Jahren erweckt sie zudem das Interesse von Filmregisseurin Mercedes Stalenhoef und ihr Leben wird zum Thema eines Dokumentarfilms. Als sie obendrein noch eine Einladung für ein Konzert in der berühmten New Yorker Carnegie Hall erhält, werden auch immer mehr heimische Medien auf die aufstrebende Sängerin, Pianistin und Lyrikerin aufmerksam… Was sich liest wie eine Bilderbuch-Musikbiografie im Zeitraffer, dürfte wohl einerseits Karsus immensem Talent und musikalischen Gespür, aber auch ihrer Disziplin geschuldet sein.
Dass Karsu nicht nur mit ihrer nahezu einzigartigen Mischung aus Jazz Pop und türkischsprachigem Liedgut, sondern auch in anderen Sprachen zu überzeugen weiß, bewies die Musikerin aus Amsterdam im vergangenen Jahr in der niederländischen TV-Sendung „Beste Zangers“ (welche in etwa das Äquivalent zu der hierzulande recht populären VOX-Sendung „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ darstellt). Dort gab Karsu nicht nur Songs auf Niederländisch und Englisch, sondern auch ein bekanntes spanischsprachiges Stück zum Besten: „Hijo de la luna„, das hierzulande 1998 durch die Interpretation von Loona ein hinlänglich bekannter Nummer-eins-Hit wurde, eigentlich jedoch von der spanischen Band Mecano stammt und bereits stolze 35 Lenze auf dem Songbuckel hat. Doch anstatt das stimmlich nicht eben simple Stück einfach nachzuträllern, verleiht Karsu dem Song, der im Laufe der Jahre auch von Größen wie Montserrat Caballé oder Sarah Brightman (sowie der ein oder anderen Metal-Kapelle) gecovert wurde, ihre ganz eigene Note, die modernen Jazz’n’Funk ebenso einfließen lässt wie ihre türkischen Wurzeln. Das Phrasenschwein frohlockt wahrscheinlich schon, wenn der Schreiberling zu der Behauptung ansetzt, dass sich hier der Orient und Okzident auf einen spätabendlichen Mojito treffen. In jedem Fall gelingt der talentierten, vielseitigen Musikerin mit ihrer Interpretation wunderschönes, ganz großes Kino…
Kaum verwunderlich, dass Karsu den Song mittlerweile scheinbar auch in ihre Konzert-Setlist aufgenommen hat, wie dieser Auszug aus ihrer kürzlich gespielten Show beim ESNS Festival im niederländischen Groningen beweist. Und auch da bekommt ihre Coverversion zwar andere, aber ebenso eigene Noten verliehen…
Wer etwas mehr über Karsu Dönmez erfahren mag, dem sei – neben dem oben erwähnten Dokumentarfilm – dieser zwar nicht ganz aktuelle, jedoch recht informative Beitrag empfohlen:
USA – quo vadis? Die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2020 ist für den 3. November 2020 vorgesehen, und wenn es nach den meisten deutschen Medien geht, scheint die Sache – Stand jetzt, natürlich – beinahe schon geritzt: Mit 9,4 Prozent liegt Joe Biden vor Amtsinhaber Donald Trump, obwohl der Kandidat der Demokraten wegen der Corona-Pandemie auf den üblichen Wahlkampf verzichtet.
Dazu das Corona-Desaster, die „Black Lives Matter“-Bewegung, eine drohende Amtsenthebung, immer neue verbale und politische Fehltritte des Präsidenten… Es mag ein recht eindeutiges Stimmungsbild sein, das hierzulande gezeichnet wird – ähnlich wie vor der letzten Präsidentschaftswahl, bei der dann bekanntlich alles anders kam als gedacht…
Also: „Was sind das eigentlich für Leute, die jetzt noch Donald Trump feiern?“ – Diese Frage stellte sich die TV-Journalistin Katja Döhne vom YouTube-Reportageformat „Y-Kollektiv„, die Antwort sucht sie in einer bemerkenswerten Reisereportage.
In ihrem jetzt unter anderem via Facebook veröffentlichten Beitrag „Vier Jahre US-Präsident Donald Trump: Wer sind seine Wähler und Wählerinnen?“ erzählt Döhne in weniger als 20 Minuten eine Menge über die politischen und gesellschaftlichen Realitäten im vermeintlichen „Land of the Free“. Und, Überraschung: Auf ihrer Mission, Trump-Fans kennenzulernen, hat es die Reporterin mitnichten nur mit dem aus hiesiger Perspektive wohl erwarteten Kuriositätenkabinett zu tun, sondern sie trifft in weiten Teilen auf recht normale Leute…
Die von einer Kamera begleitete Reise beginnt Mitten im Corona-Juni in Chicago. „Merkwürdige Zeit“, meint Katja Döhne, die auch Kamera und Schnitt selbst übernahm: „Kaum einer auf der Straße.“ Immerhin eine kleine „Black Lives Matter“-Demo… – Illinois ist eigentlich ein „blauer Staat“, eine Hochburg der Demokraten.
Doch draußen im Umland wird die Reporterin fündig. Katja Döhne trifft Dale, einen attraktiven Mittdreißiger. Ein schwuler Landwirt, der jetzt Konservativer geworden ist und Trump wählt, wie er selbst bekennt. Mit Sonnenbrille sitzt Dale auf seinem riesigen John Deere-Traktor und gibt mit ruhiger, selbstbewusster Stimme sein Interview, in dem deutlich wird, wie eng auch in den Staaten das Politische immer auch mit dem Persönlichen verbunden ist. Er habe viele Freunde in der Stadt aus der LGBT-Community, erklärt der Mann mit dem ausgewaschenen Stars’n’Stripes-Shirt. Viele dieser Freunde, so habe er nun erkennen müssen, seien scheinheilig. „Linke verurteilen andere Denkweisen viel zu schnell“, sagt Dale und schimpft über die Intoleranz, die sich immer mehr breitmache. Er sei stolz darauf, ein Farmer zu sein, sagt der Bauer, der genetisch veränderte Sojabohnen anbaut – in Deutschland ist das verboten. „Jede Geschichte hat zwei Seiten, und die Medien erzählen dir am liebsten nur eine Seite“, meint er. „Wenn Dale so erzählt, möchte ich ehrlich gesagt ganz oft widersprechen“, wirft Katja Döhne im Off-Text ein. Sie sei immerhin ein Teil von „The Media“… Aber, so Döhne, sie habe sich vorgenommen, zuzuhören – auch wenn es schwerfalle. Schwul sein und Trump-Fan? – Die Frage, wie das zusammengeht, muss die Reporterin im Grunde gar nicht stellen. Bauer Dale macht keinen Hehl aus seiner Begeisterung: „Trump macht das, was er gesagt hat“, schwärmt er. Die letzten vier Jahre hätten ihn überzeugt. Als die Frage dann doch gestellt wird, schimpft Dale über „zu viele moralische Vorschriften von links“ und antwortet mit einer Anekdote: Ein Bäcker aus Oregon, der einem schwulen Paar das Backen einer Hochzeitstorte mit zwei Männern darauf verweigert hätte, sei von eben diesem Paar verklagt worden. Dale erklärt, warum er ein solches Gerichtsverfahren für „unsinnig“ hält: Wäre ihm das passiert, sagt er, wäre er mit seinem Geld eben zu einem anderen Bäcker gegangen, denn „es gibt Tausende andere Bäcker da draußen“. Er verklage jedenfalls „niemandem, weil er nicht bereit ist, mir diese Torte zu machen“. Das genau sei ja „das Schöne am Leben in Amerika: Es ist deine Entscheidung, du kannst dich dazu entscheiden, etwas zu tun.“ Als die Reporterin insistiert, dass es hier doch auch um prinzipielle Fragen gehe, fällt Dale ihr ins Wort: „Zwingt nicht alle dazu, an die gleiche Sache zu glauben.“
Der Beitrag ist spätestens hier bei der Political-Correctness-Debatte angekommen, die in den USA zu guten Teilen wohl doch ein wenig anders geführt wird als hierzulande in Good Ol‘ Europe. In Richmond, einst Hauptstadt der Südstaaten, dreht Katja Döhne am – aufgrund von bunten Parolen, die auf den Sockel geschmiert wurden – nicht mehr ganz so prunkvollen Denkmal des Konföderiertengenerals Robert E. Lee. Dort prallen gerade die Fronten aufeinander: „Black Lives Matter“-Demonstranten treffen auf eine kleine Schar Gegenprotestler von Rechtsaußen. Auf beiden Seiten gibt es Bewaffnete – Virginia ist ein sogenannter „Open-Carry-State“. Immerhin: Die Rechten stellen sich nicht als Ku-Klux-Klan-Vertreter vor, sondern als „Waffenverein“. Dann entwickelt sich eine aus deutscher Perspektive ganz und gar absurde Situation: Weil keiner eine Eskalation herbeiführen möchte, einigt man sich auf ein gemeinsames, geradezu beängstigend urtypisch US-amerikanisches Gesprächsthema: Waffen! Alles bleibt friedlich.
Ein paar Kilometer abseits dieses Geschehens sprechen die Leute von der Gegendemo offener. Sie seien überzeugte Südstaatler, „Confederates“, erklären sie: „Manche nennen uns auch ‚Nazis'“, das sei ihnen aber egal. Hier sind sie also: Menschen, die sich genauso gerieren und die genauso aussehen, wie manche(r) sich bei uns Trump-Wähler vorstellt. Und sie liefern: „Meiner Meinung nach ist er der größte Präsident meines Lebens“, doziert der eine, und sein Kumpel mit dem Erscheinungsbild eines eher hippiesken Altrockers ergänzt: Trump habe „alles getan, was er versprochen hat“. Und dann schmettert er der deutschen Reporterin einen Satz dagegen, der es in sich hat und der vielleicht mehr aussagt als mehrere Stunden TV-Talk und -Doku zusammen: „Ihr bringt eure gescheiterte Politik, um sie in Amerika zu implementieren!“ Aus dem Off kommentiert Katja Döhne später dazu: „Was soll ich machen? – Die beiden sind nun mal wirklich so.“
Die letzte Station liegt fünf Autostunden weiter im Westen. In West Virginia besucht Katja Döhne eine der ärmsten Regionen der USA. McDowell County ist eine Region, in der, als es der Kohleindustrie noch gut ging, mit großer Mehrheit die Demokraten gewählt wurden. Nun ist auch dieser Landkreis voller Trump-Wähler. Denn Donald „Grab them by the pussy, you can do anything“ Trump weckte Hoffnungen – gerade in den Menschen, die sich überwiegend am unteren Rand der Gesellschaft bewegen. Und jetzt? Sieht es dort nicht besser aus. Doch eine Anti-Trump-Stimmung macht die deutsche Reporterin nicht gerade aus. Sheriff Martin West, der seit 36 Jahren in der Stadt Welch seinen Dienst tut, spricht von massiven Drogenproblemen und großer Armut.
Genau dort setzt der Alltag von Sandy, einer vom Fleck weg sympathischen und äußerst engagiert wirkenden Lady in den besten Jahren, an. Sie koordiniert die kostenlose, spendenfinanzierte Lebensmittelausgabe für Bedürftige. Und sie bekennt sich zu Trump. Würde man diese Frau nicht sehen und hören, man würde es kaum für möglich halten. Doch es ist, wie es ist. Nicht immer kommt man in den Staaten mit dem klassischen Rechts-Links-Denken deutscher Prägung weiter – jeder Amerika-Kenner weiß das. Sandy sagt, sie würde Trump gerne treffen, sie habe mit ihm ein paar Dinge zu bereden. „Zuerst würde ich ihm danken“, denn er sei „einfach ein guter Präsident“. Es sei nicht alles schlecht in Amerika, behauptet Sandy, während sie die Kisten mit Spielsachen für die Kinder packt: Amerika sei das beste Land in der Welt, und so sei es immer gewesen. Sandy, nach eigener Aussage eine tiefgläubige Christin, sagt, sie wisse nicht, ob Trump ein Christ sei. Aber am Ende werde auch er „vor seinem rechtschaffenen Gott“ stehen. „Genau wie ich. Ich hoffe, ich bin Gott würdig.“
Die Reporterin zieht ein vielsagendes Fazit: „Man findet in den USA viele Menschen, die Donald Trump super finden. Der Rest der Nation verachtet ihn. Aber über den Kandidaten der Demokraten, Joe Biden, spricht im Moment kaum einer.“
Natürlich ist ihr Film nur ein kleiner Ausschnitt aus einer machmal verdammt komplexen Realität. Aber ein aussagekräftiger, der eingefahrene Perspektiven neu zu justieren vermag. Man spürt den Puls – keinesfalls einer Nation, auch nicht einer Gesellschaft, aber den der Protagonisten. Um Trump und die US of A zu verstehen, muss man seinen Wählern ein Gesicht geben. In den deutschen Medien geschieht dies sonst – leider – fraglos in nur sehr geringem Maße.
Hinfahren, fragen, zuhören und aus nächster Nähe berichten: Dass es für guten TV-Journalismus nicht zwingend die ganz große Ausholbewegung, sondern oft lediglich etwas Mut und die Fokussierung auf handwerkliche Grundtugenden braucht, beweisen die Reportagen und Web-Dokus des sogenannten „Y-Kollektiv“ in schöner Regelmäßigkeit. Die mehrfach für ihre Beiträge ausgezeichneten Reporter zeigen nach eigenem Selbstverständnis die Welt, wie sie sie erleben. Ihre oft politisch-brisanten Beiträge, etwa über Massentierhaltung oder die Seenotrettung für Flüchtlinge, machen auf YouTube, Facebook und im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots „funk“ Furore. Über die Sendereihe „Rabiat“ schaffen es die „Y-Kollektiv“-Reporter mittlerweile auch immer wieder ins Erste Programm der ARD. „Wir erzählen die Geschichten so, wie wir sie erleben“, heißt es in der Selbstbeschreibung der Macher.
Die aus Austin, Texas stammende Band Los Coast hat eine gemeinsam mit Gitarrist Gary Clark Jr. aufgenommene Coverversion von „A Change Is Gonna Come“ veröffentlicht. Ihre Variante des Sam Cooke-Evergreens folgt ihrem im vergangenen Jahr erschienenen Psychedelic-Alt.Soul-Debütalbum „Samsara„, über welches der „Rolling Stone“ schrieb, dass dieses „den funky 1970ern zunickt und den Gospel-beeinflussten Gesang von Frontmann Trey Privott mit stetigen Grooves, fettem Keyboard und Wolken von Hall mischt.“ Aufgrund ihrer hypnotisierenden Live-Auftritte als Support von Gary Clark Jr., St. Paul & The Broken Bones und anderen, die der Band einiges an Aufmerksamkeit einbrachten, schrieb „NPR“: „Man mag nicht in der Lage sein, ihrem Sound ein Evergreen-Label aufzudrücken, aber die fünf Musiker werden sicherlich Ihren Puls in die Höhe treiben und Ihr Hinterteil im Handumdrehen zum ‚Schütteln‘ bringen.“ Mit ihrer Mischung aus Genres wie R&B, New Wave, Funk und Weltmusik haben Los Coast einen Sound geschaffen, der ihre enormen Einflüsse widerspiegelt und sie dabei zu etwas Einzigartigem macht.
Nun also feierte ihre Version von „A Change Is Gonna Come Come“ mit Gary Clark Jr. an den Saiten Premiere – eine durchaus dem Zeitgeist angepasste, aber ebenso bewegende und kraftvolle Interpretation des Cooke-Klassikers von 1964. In einem Gespräch mit „SPIN“ sagte Los Coast-Frontmann Trey Privott: „Wir haben uns letztes Jahr entschieden, unsere Version dieses Songs zu machen. Ich glaube, wir waren der Ansicht, dass wir, anstatt einen eigenen Song zu schreiben, viel lieber den Größen vor uns Tribut zollen wollten. Unser Produzent Jacob Sciba und ich begannen also mit der Arbeit an einigen Cover-Ideen. Wir dachten: ‚Lasst uns etwas von Sam Cooke nehmen!‘ Meiner Meinung nach ist er einer der besten Sänger der Geschichte, und ich habe seine Songs gesungen, seit ich 16 war. Wir waren Anfang des Jahres mit Gary Clark Jr. auf Tournee, und wir hatten beschlossen, dass wir bald gemeinsam an etwas arbeiten sollten. Jacob nahm Kontakt zu ihm auf, um zu sehen, ob er mitmachen wollte – und er sagte zu! Nachdem wir fertig waren, spielte Gary diese Benefizveranstaltung namens ‚Voices for Justice‘ mit The Chicks. Es war eine Benefizveranstaltung, um Menschen, die zu Unrecht für Verbrechen verurteilt worden waren, die sie nicht begangen hatten, Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Danach erzählte mir Gary eine Geschichte über diesen Mann, der ihn aus dem Gefängnis anrief. Der Mann erzählte ihm, er habe sich jeden Tag ‚A Change Is Gonna Come‘ angehört, um die Hoffnung aufrechtzuerhalten, während er im Gefängnis saß. Solche Menschen gibt es überall in den Vereinigten Staaten in unserem Gefängnissystem. Darum geht es in dem Song. Er ist ein Schrei nach Gleichheit im Justizsystem. Er ist ein Plädoyer für eine faire Chance auf den amerikanischen Traum.“
Alle Einnahmen aus der Veröffentlichung von „A Change Is Gonna Come“ kommen DAWA zugute. Auf der Website der Organisation heißt es: DAWA ist ein Sicherheitsnetz für farbige Menschen, die sich in einer kurzfristigen Lebenskrise befinden. Genauer: für farbige Menschen, welche als Musiker, Künstler, Sozialarbeiter, Lehrer, Heilpraktiker oder in der Dienstleistungsindustrie arbeiten. Denn dies sind die Menschen, die tagtäglich hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten und ihr Bestes geben, um anderen zu helfen – und dabei selbst oft das höchste Risiko für eine Krise der psychischen Gesundheit tragen.
Der frühe Vogel hört frische Töne. Oder: Manchmal entdeckt man schon früh morgens tolle neue Bands – in meinem Fall waren das just gestern Black Pumasim ARD Morgenmagazin, als die Band aus Austin, Texas zu früher Stunde im Kölner Studio der Öffentlich-rechtlichen Halt machte, um das im Juni veröffentlichte Debütalbum zu bewerben. Der Song dafür? „Colors“. Spontanes Urteil beim ersten Kaffee des Tages? Macht Bock auf mehr.
Also mal eben Dr. Google und Co. bemüht, und in weitere Stücke hinein gehört. Danach wundert es kaum, dass der renommierte Radiosender NPR die Band als „The Breakout Band Of 2019“ nannte und KCRW den Sound der Black Pumas als „Wu-Tang Clan meets James Brown“ beschrieb. Beim SXSW Festival im heimischen Austin, Texas bekam die Band weiteres, durchweg positives Feedback und sogar die Auszeichnungen für „Song Of The Year“ („Black Moon Rising“, die Eröffnungsnummer des selbstbetitelten Debüts) sowie „Best New Band“. Doch obwohl Black Pumas auf dem (digitalen) Papier der neuste „heiße Scheiß“ der Musiksaison sein mögen, ist der Geist dieser Band ist schon sehr viel älter, und – wenn überhaupt – lediglich in Petitessen innovativ. Das Besondere liegt vielmehr im Zusammenspiel des Quasi-Duos…
Bislang spielte der Grammy-prämierte Produzent und Gitarrist Adrian Quesada bei einigen außerhalb des Genres (sowie über Austins Grenzen hinaus) eher mittelbekannten Latin-Rock-Formationen wie Brownout oder Grupo Fantasma. Für eine neue Band, für die ihm bereits die ein oder andere Idee durch die Hirnwindungen spukte, suchte er vor etwa zwei Jahren noch eine Stimme – und fand diese durch den Tipp eines Freundes in Eric Burton (nicht zu verwechseln mit Eric Burdon, dem ehemaligen Sänger der Animals und War). Burton wuchs im kalifornischen San Fernando Valley in einer sehr kirchlichen Umgebung auf und machte seine ersten kreativen Gehversuche zunächst in kleinen Musiktheaterstücken, dann als Straßenmusiker in Santa Monica und später in Austin. Im Grunde also eine Entdeckung, ein Newcomer – doch wer seine Stimme hört, die so voller Volumen, so voller Wärme ist, der denkt wohl unweigerlich weniger an die musikalische Formatradio-Stangenware von heute, sondern weiter zurück: an die goldenen Zeiten von Soulgrößen der Siebziger, wie den legendären James Brown. An Marvin Gaye. An Al Green. Eventuell noch an heutige Künstler wie Michael Kiwanuka oder Charles Bradley (der eine, Kiwanuka, steht mit seinem Talent beinahe allein auf weiter Flur, der andere, Bradley, wurde sträflichst spät entdeckt und verstarb 2017 viel zu früh). Wie weiches Vinyl auf digitalen Spuren…
Gemeinsam kreieren Adrian Quesada und Eric Burton auf dem Debütwerk zehn Songs, die ihre Bezüge wohl auf eine ganze Heerschar von großen Nummern der (Rock-)Musikhistorie nehmen. Mal spielt ein Titel auf Creedence Clearwater Revival an (der Opener „Black Moon Rising“ lässt einen wohl unweigerlich an deren „Bad Moon Rising“ denken). Mal gemahnt der E-Gitarren-Sound eines Stückes wie „Know You Better“ an die Beatles zu „Abbey Road“-Zeiten. Mal gelingt Quesada und Burton wie mit „Fire“ ein astreiner Neo-Western-Song, der durch die Kombination von Soul und dem typischen Ennio-Morricone-Fuzz-Sound direkt auf Soundtracks von „Shaft“ oder einem der vielen Quentin-Tarrantino-Filme gepasst hätte. Ansonsten? Bläser. Standesgemäßer Backgroundgesang. Ab und an ein paar Streicher. Und es gibt „Colors“, das Herzstück des Albums, mit seinen schönen Gitarrenakkorden, einem Boom-Bap-Beat und dem gegen Ende hin ausrastenden Piano, in dem Burton „It’s a good day to see my favorite colors“ singt – und kurioserweise mit seiner Stimme mal nicht im Zentrum steht.
Alles in allem ist das selbstbetitelte Debüt von Black Pumas eine feine Mischung aus klassischem Soul und Funk mit Elementen von East-Coast Hip-Hop und Jazz. Und hat dabei alles, was ein ordentlich groovendes Album braucht. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger (wer mag, darf natürlich im Kopf noch den obligatorischen „Retro“-Sticker drauf pappen). Es lässt den Fuß wippen und den Kopf nicken, während man sich die Spätsommersonne ins Gesicht scheinen lässt. Dafür lohnt es sich glatt, früher aufzustehen…
Das komplette Album kann via Bandcamp gestreamt werden…
…während man hier ein recht interessantes Interview mit Adrian Quesada und Eric Burton findet.
Foto: Facebook / Isaac Sterling (Live at the Apollo)
Im September 2017 verstarb Charles Bradley. Mit ihm verstummte nicht nur eine der größten, viel zu spät entdeckten Stimmen des Soul’n’Funk, sondern auch einer der wohl warmherzigsten Menschen des Musikgeschäfts. (Und nun lasse ich die Superlative und verweise einmal mehr auf die großartige Dokumentation „Charles Bradley: Soul Of America“, welche auf ANEWFRIEND bereits hier vorgestellt und wasweißichwieoft angepriesen wurde – wer mag, findet sie etwa hier in Gänze auf YouTube).
Als Bradleys im Herbst 2016 diagnostizierte Magenkrebserkrankung, die ihn zwang, seine anstehende US-Tournee zu seinem dritten Album „Changes“ abzusagen, bereits fortgeschritten war, raffte sich der Soulmusiker by heart trotz schwacher Gesundheit noch einmal auf, um in einem Studio im heimischen Queens, New York gemeinsam mit Produzent James Levy, Multi-Instrumentalist Paul Defiglia sowie Seth Avett und Mike Marsh (Avett Brothers) an Akustikgitarre und Schlagzeug einige Songs aufzunehmen – seine wohl letzten…
Heraus kamen „Lonely As You Are“ und „Lucifer“. Ersterer, welcher nun als Single veröffentlicht wurde, ist eine schlichtweg herzzerreißende Ballade, die noch einmal alle Stärken Charley Bradleys offen demonstriert: seine zwar merklich angegriffene, jedoch noch immer markerschütternde Powerhouse-Stimme, sein Gefühl für den Soul, dazu der typische, am Country kitzelnde Soul-Groove. “No one can chain me, if it call for me to die,” ruft Bradley aus. “I’m so lonely, lonely as hell.” Der Song schließt mit einer ergreifenden Botschaft des erst vom Schicksal gebeutelten, dann belohnten, doch zeitlebens positiven US-Musikers an seine Mutter, Großmutter und andere Nahestehende: “One day, when God says well done, please be at the gate, waiting for me.”
“Charles knew ‘Lonely as You Are’ could comfort people and help them find a way to deal with their own loneliness,” so Bradley’s ehemaliger Co-Manager, Morton Lorge. “He was always looking for ways to make people feel better, even when he was confronting his own pain and suffering. He asked that ‘Lonely’ be played at his funeral; he wanted to share it with the world.”
Gut vier Minuten, die einem, ebenso wie Teile seines vierten, im vergangenen Jahr postum erschienenen Albums „Black Velvet„, wieder einmal vor allem eines ins Gedächtnis rufen: einen wie Charles Bradley, den „Screaming Eagle of Soul“, wird es nie wieder geben. Ein Unikum. Ein Großer. Er wird vermisst.
Mal ein kleines Experiment: Schaut euch den Herrn auf dem Bild an. Welchem musikalischen Genre würdet ihr ihn ganz spontan und per erstem optischen Eindruck zuordnen? HipHop vielleicht? Elektronische Gefilde gar? Bildet euch eure eigene Meinung… Und dann schaut euch das Musikvideo zur aktuellen Single „Human“ an (welches ihr auch weiter unten findet) – und seid wohlmöglich ebenso überrascht wie ich…
Ganz klar: Das Optische mag bei Rory Graham aka Rag‘n’Bone Man trügen. Die Stimme keinesfalls. Denn mit seinem herrlich rauen Gesangsorgan und einem umwerfenden Gespür für den richtigen Groove changiert der aus dem englischen Brighton stammende Newcomer scheinbar mühelos zwischen Blues, Soul, HipHop oder Funk hin und her.
Überhaupt: das Phänomen Blues. Entstanden in der afroamerikanischen Gesellschaft der USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in den folgenden Jahrzehnten von jeder Musikergeneration immer wieder neu interpretiert, verändert, wiederbelegt, modernisiert, aufgehübscht, recycled und wieder auf seine wesentlichen Bestandteile reduziert (u.a. wären da Gun Club, die White Stripes, die Black Keys, Kanye West oder Kendrick Lamar zu nennen), ist die amerikanische Ur-Musik, aus der einst Soul, Jazz, Rock’n’Roll, Jazz oder HipHop erwuchsen und immer mehr mit dem popkulturellen Massengeschmack verschmolzen, auch 2016 lebendig wie eh und je. Immer wieder widmen sich junge Musiker auf der ganzen Welt der Aufgabe, das musikalische Erbe der Muddy Waters, John Lee Hookers, Bo Diddelys, Howlin‘ Wolfs, Son House oder Big Bill Broonzys in der Gegenwart fortzuführen und dem Genre neue Wege in die Zukunft weisen. Einer der großen Hoffnungsträger und Erneuerer diesseits des Atlantiks trägt – ganz stilecht bluesig – den Namen Rag’n’Bone Man (deutsch: Lumpensammler).
Zu seinem Künstlernamen ließ sich Graham von der britischen TV-Serie „Steptoe & Son“ inspirieren, welche in Großbritannien in den Sechzigern und Siebzigern gezeigt wurde. An diese Zeit erinnern auch seine vielen Tätowierungen, die man auch im bereits erwähnten Musikvideo zu „Human“ bestauen kann (auf den Knöcheln seiner Hände sind übrigens die Worte „Soul“ und „Funk“ unter die Haut gebracht). Der Song, welcher mit einem schleppenden Beat und Südstaaten-Blues-Samples startet, ist der erste Vorgeschmack aus dem Major-Debütalbum, das in Kürze erscheint (mit „Wolves“ erschien 2014 bereits sein Indie-Einstand, welchem 2015 die „Disfigured EP“ folgte). Dass der Mann Einiges an in die Wiege gelegtem Talent (die Mutter ist selbst Sängerin, der Vater Gitarrist), Charisma und Live-Präsenz mitbringt, welche sich kaum auf ein Genre beschränken mag, war ebenso beim Hamburger „Reeperbahn Festival“ im vergangenen Jahr zu sehen wie im kürzlich stattgefundenen „Montreux Jazz Festival„.
Ganz klar: Menschlichkeit hat viele Gesichter. Das von Rory „Rag’n’Bone Man“ Graham lehrt uns, einen Menschen nicht gleich auf dem ersten Eindruck fest und ad acta zu legen, während seine Stimme hoffentlich dafür sorgen wird, dass man ihn so schnell nicht wieder vergisst.
Hier gibt’s das Musikvideo zur aktuellen Single „Human“…