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Das Album der Woche


Lars Bygdén – One Last Time For Love (2022)

-erschienen bei Massproduktion/Cargo-

Der Schwede Lars Bygdén steckte mitten im Entstehungsprozess eines Albums, als sich der Gesundheitszustand seiner Ehefrau verschlechterte. Die Diagnose: Krebs. Die Aussichten: finster. Während sie gemeinsam die Situation irgendwie zu meistern versuchten, ging es mühevoll weiter mit „Dark Companion„, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahr 2018 schließlich eine unwiderrufliche Botschaft musikalisch verarbeitete: Seine Frau war tot, verstorben am 11. November 2017. Bygdén und die Kinder mussten fortan alleine, ohne die Ehefrau und Mutter, durchs Leben gehen. Über drei schwierige Jahre später legt der Singer/Songwriter nach: „One Last Time For Love“ gerät zum Rückblick, zur in wunderschöne Folk-Noir-Songs gekleideten Trauerbewältigung und zum zaghaften Ertasten neuer Wege – und das auf nicht selten schmerzhaft-schöne Weise.

Bygdén, 1973 in Sundsvall geboren, mag zwar hierzulande etwas weniger bekannt sein als Landmänner wie Kristofer Åström oder Christian Kjellvander, gilt in seiner schwedischen Heimat jedoch als einer der Vorreiter des Alternative Country. Mit seiner Mitte der Neunzigerjahre gegründeten Band The Thousand Dollar Playboys und zwei veröffentlichten Alben sorgte Lars Bygdén für einen Aufschwung dieses Genres im Land der Tre Kronor. Nach deren Ende wagte der Musiker den Alleingang und veröffentlichte 2005 mit „Trading Songs For Happiness“ sein Solo-Debüt, das mit dem Song „This Road“ nicht nur ein feines Duett mit der norwegischen Folk-Sirene And Brun enthielt, sondern auch mit dem Manifest Award für das „beste Singer/Songwriter-Album“ sowie mit Platin ausgezeichnet wurde.

Drei Jahre nach dem bislang letzten Album „Dark Companion“ öffnet der musizierende Witwer und Familienvater nun erneut den Vorhang zu seinem Seelenleben. Der Opener „A Bird And A Star“ beginnt als Gospel-Abschieds-Klage-Chor und geht in einer zarten und berührenden Indie-Folk-Noir-Ballade auf. Piano, Streicher, dezente Bandbegleitung – wer recht nah am Wasser gebaut ist, läuft hier bereits Gefahr, viele Tränen zu vergießen. Und sollte sich noch einige für den Rest des Albums aufheben. Zwar deuten Zeilen wie „There’s a light at the end of the corridor“ zaghaft Hoffnung an, doch ist die Lücke, die sich vor ihm auftut, noch immer übergroß. Auch in „Born Again“ rückt sein persönliches Empfinden der Situation in den Mittelpunkt: „My life never ends / I am born, born again“. Eine kraftvolle Feststellung, die in höchster Intensität vorgetragen wird. In „Forward“ blickt er sehnsuchtsvoll zum Himmel hinauf. „The sky is all clear / Wait for me there“, singt er da, „You are the moon / Oh, look at that moon“, um zu erkennen: „We are all alone again“. Kaum hat man sich jedoch auf die besinnliche Tonlage eingelassen, reißt das Zwischenstück „Back“ alles ruppig ein. Und Bygdén bespielt nun eine vielfältige Klaviatur seines Könnens. Fast beschwingt kommt das herausragende „Into The Light“ daher. „When it’s all over / And the future has begun / Our lives go on so quietly / In the shadow of the moon“ – diese Zeilen hinterlassen bei allem musikalischen Schwung aber auch einen mächtigen Kloß im Hals, der eine ganz ähnliche Tiefenwirkung entfalten mag wie jener, dem ein Nick Cave allen geneigten Hörern mit mächtig ins Gemütskontor schlagenden Alben wie „Skeleton Tree“ oder „Ghosteen“ (die beide den tragischen Unfalltod seines Sohnes verhandelten) vor nicht allzu langer Zeit verpasste.

„Das Album macht da weiter, wo mein vorheriges Werk ‚Dark Companion‘ endete: nach der Beerdigung meiner Frau. Wenn Verwandte und Freunde endlich wieder in ihr normales Leben zurückgekehrt sind, nachdem sie ihre Kräfte auf mich und die Trauer meiner Kinder konzentriert hatten. Wenn man alleine auf dem Sofa sitzt und versucht zu verstehen, was passiert ist. In den Songs geht es um Trauer und unendlichen Verlust, aber auch um die Befreiung, die der Tod bedeuten kann, sowohl für den Erkrankten als auch für die Hinterbliebenen. Es geht darum, dass wir die Dunkelheit brauchen, um das Licht sehen zu können und umgekehrt. Für mich geht es auch um die apokalyptischen Zeiten, in denen wir leben, und um den letzten Krieg, der kommen wird oder vielleicht schon da ist.“ (Lars Bygdén)

Immer wieder sind in den Texten Spuren der Erinnerung, Momente der Trauer, Einblicke in Bygdéns Seelenlage zu finden. „One Last Time For Love“, das Titelstück, unterstreicht seine Ratlosigkeit über das Schicksal, das ihm das Erlebte so unbarmherzig-kalt vor die Füße geworfen hat: „Maybe the beauty / Lies in the pain / Just keep moving / There is no plan“. Und dann sind da ja noch die Kinder, denen er in „Under The Bean Tree“ eine musikalische Brücke zur Mutter baut. „Your little son is the sweetest one / He looks just like you“ und „Your little girl, the kindest in the world / Through her your heart remains“: So betrachtet er durch die Augen des liebenden Vaters seinen Nachwuchs in einem wunderbaren Song, stilvoll von Emma Ahlberg-Ek auf der Violine begleitet. „Fall Into The Night“ liefert dann kurz vor Schluss noch einmal intensive Gänsehautmomente. Und wer wissen möchte, wie man sanfte Grandezza perfekt inszeniert, sollte sich „Amnezia“ zu Gemüte führen, den Abschluss eines sowohl im Coverbild als auch in den darin steckenden Tönen wahrlich somnambulen Albums, welches alle Zeit und Konzentration der Welt verdient hat.

Mit „One Last Time For Love“ hat Lars Bygdén seiner verstorbenen Ehefrau Ulrika ein weiteres musikalisches Denkmal gesetzt, welches dem düsteren Vorgänger dieses Mal etwas mehr vorsichtigen Optimismus sowie Glanz und Wärme entgegen stellt. Er hat all seinen Schmerz, all seine Trauer, all seine Emotionen in neun zu Herzen gehende Stücke von erhabener Schönheit gegossen und die Zuhörerschaft mit einem ungemein intensiven Album beschenkt, das nicht nur in der Tradition eines Nick Cave, sondern auch in der von Scandinavian Cowboys wie Christian Kjellvander (dem er auch stimmlich recht nahe steht), Kristofer Åström, Kristian Harting, Jonas Carping oder Madrugada steht. Ein wahrhaft großer Sänger und noch größerer Songschreiber, der uns auf ganz besondere Weise an seinem Schicksal teilhaben lässt und dabei doch immer wieder Spuren der Hoffnung auslegt, denen zu folgen ihm gewiss alles andere als leicht fällt. Wünschen wir ihm und seinen Kindern also alle denkbare Kraft, um das Leben auch weiterhin zu meistern – und uns noch möglichst viel Musik wie diese aus seiner Feder.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Ane Brun – „You’ll Never Walk Alone“


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In Deutschland wohl vor allem distinguierten Kammerfolk-Connaisseuren, die auch nicht davor zurück scheuen, in feiner Abendrobe zum schnieken Bestuhlt-Konzert zu watscheln, bekannt, in ihrer norwegischen Heimat längst ein mit Gold-, Platin- und mehreren Nummer-eins-Alben dekorierter Star: Ane Brun.

Und in der Tat kann die 43-jährige Indiefolk-Popperin mit der so besonderen, so speziell wie elfenhaften Stimme, die mittlerweile ihre privaten wie kreativen Zelte im schwedischen Stockholm aufgeschlagen hat, auf eine recht beeindruckende Karriere zurückblicken, die einst, 1998, mit einer Akustikgitarre in den Fußgängerzonen von Barcelona und San Sebastian sowie später in der zwar kleine, jedoch recht umtriebigen Künstlerszene im norwegischen Bergen ihre ersten zarten Gehversuche hinein ins Musikgeschäft unternahm. Seitdem hat sich viel mit Leben von Ane Brunvoll, die 1976 im norwegischen Molde das Licht der Welt erblickte, getan: acht Alben (zuletzt 2017 das feine Cover-Album „Leave Me Breathless„), eine knappe Handvoll Live-Werke (die aufgrund der gesanglichen Stärken Bruns durchaus auch für Diskografie-Einsteiger empfehlenswert sind), ein einiges Plattenlabel (Balloon Ranger Recordings) – mal widmet sich Ane Brun Duetten (etwa mit Ron Sexsmith, Madrugada, Teitur, Syd Matters, José González, Wendy McNeill oder Peter Gabriel), mal ihrer eigenen, von ihrer auf Eindringlichkeit und die Unmittelbarkeit gemünzten Stimme garnierten Version des Folk Noir-Pop, mal eben Coverversionen (auch hier ist die Palette mit Neuinterpretationen von Foreigner über Radiohead, Bob Dylan, a-ha, Mariah Carey, Nick Cave, Tom Petty oder Joni Mitchell recht breit). Klar, Ane Bruns Kreativität mag zuweilen ebenso fordernd wie einnehmend sein. Schlussendlich bekommt man Norwegens wohl schönste Antwort auf artverwandte Künstlerinnen wie Björk, PJ Harvey, Florence and the Machine, Feist oder Emiliana Torrini.

43562433_500_500Dass Ane Brun das Covern nicht eben kleiner Nummern aus dem Effeff versteht, zeigt sich einmal mehr an ihrer nun veröffentlichten zart besaiteten Version von „You’ll Never Walk Alone„, ebenjenes 1945 im Broadway-Musical „Carousel“ uraufgeführten und in den Sechzigern von Garry & The Pacemakers populär gemachten Songs, der mittlerweile vor allem an der Anfield Road des Liverpool FC oder im Signal-Iduna-Park (oder eben dem Westfalenstadion), der Heimstätte meines geliebten BVB, aber auch überall sonst, wo guter, traditionsbewusster Fussball gespielt wird, seine Heimat gefunden hat (wer mag, findet hier einen interessanten Artikel). Und auch bei Brun ist die Wahl ebenjenes Fussball-Gänsehautstücks eine persönliche, wie sie via Facebook zu verstehen gab:

„I don’t really follow sports on a daily basis but I enjoy watching a great football match!! And when I really love someone who really loves Liverpool FC ⚽️ then I just had to record the team’s most famous song ‚You’ll Never Walk Alone‘ for this person’s birthday! And now I wanted to share it with you all. Recorded in a hotel room in Hamburg missing my ❤️“

Keine drei Minuten Spielzeit, in denen ein bestens bekanntes Gänsehautstück auf eine der außergewöhnlichsten Gänsehautstimmen trifft. Passt wunderbar.

 

 

„When you walk through a storm
Hold your head up high
And don’t be afraid of the dark
At the end of a storm is a golden sky
And the sweet silver song of a lark

Walk on through the wind
Walk on through the rain
Tho‘ your dreams be tossed and blown
Walk on, walk on with hope in your heart
And you’ll never walk alone
You’ll never, ever walk alone

Walk on, walk on with hope in your heart
And you’ll never walk alone
You’ll never, ever walk alone“

 

Rock and Roll.

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