Es gibt ja so Bands, mit denen werde ich in Gänze – trotz etlicher Versuche und Anläufe – einfach nicht warm. The Decemberists etwa. Oder Arcade Fire. Oder The Mountain Goats. Nope, es will mit der Aufmerksamkeitsspanne auf Albumlänge einfach nicht klappen mit der Indiefolk-Band aus Claremont, Kalifornien und mir.
Dass Frontmann John Darnielle nicht eben schlechte Songs schreibt, beweist er etwa mit „Love Love Love“, welches 2005 auf dem neunten Mountain-Goats-Werk „The Sunset Tree“ erschien. Mag lange her sein? Klar, auch in der Diskografie der umtriebigen US-Band, die mittlerweile bereits 16 Studioalben sowie unzählige EPs, 7“, 12“ oder Singles dazu zählen darf. Allerdings machte mich erst dieser Tage eine der neusten Folgen von „Fear The Walking Dead“ auf dieses musikalische Kleinod aufmerksam (worauf die Serien-Klugscheißer erwidern mögen, dass die „The Walking Dead“-Macher in der 4. Staffel der großen Bruderserie bereits einen Mountain-Goats-Song eingesetzt haben). Besser spät als nie.
„King Saul fell on his sword when it all went wrong And Joseph’s brothers sold him down the river for a song And Sonny Liston rubbed some Tiger Balm into his glove Some things you do for money And some you do for love, love, love
Raskolnikov felt sick, but he couldn’t say why When he saw his face reflected in his victim’s twinkling eye Some things you’ll do for money and some you’ll do for fun But the things you do for love Are gonna to come back to you one by one
Love, love is going to lead you by the hand Into a white and soundless place Now we see things as in a mirror dimly Then we shall see each other face to face
And way out in Seattle, young Kurt Cobain Snuck out to the greenhouse, put a bullet in his brain Snakes in the grass beneath our feet, rain in the clouds above Some moments last forever But some flare out with love, love, love“
Es gibt Konzeptalben, in die ich mich bereits nach dem ersten Hördurchgang schwerst verliebt habe. Spontan fallen mir da „De-Loused In The Comatorium“ von The Mars Volta, „The Devil And God Are Raging Inside Me“ von Brand New oder „Album Of The Year“ von The Good Life ein – von der ersten Sekunde bis zum Schlussakkord perfekt und tief in meine musikalische DNA gewachsen, bis heute. Andere Alben mit konzeptuellem Überbau musste ich mir jedoch hart erarbeiten, einfach weil in ihnen zu viel Geschichte in – vergleichsweise – sehr kurzer Zeit drin steckt. Oder gibt es unter den 7,442 Milliarden Erdbewohnern auch noch irgendjemanden, der Pink Floyds „The Wall“ oder „In The Aeroplane Over The Sea“ von Neutral Milk Hotel beim ersten Mal verstanden hat? Eben. Trotzdem sind auch das großartige Werke, die mich auch noch in Jahren, ja vielleicht Jahrzehnten bewegen werden wie kaum ein zweites…
Ganz anders sieht es mit „Hospice„, dem dritten Werk des New Yorker Indierock-Trios The Antlers aus. Und dabei ist es keineswegs so, dass wir zwei – das Album und ich – es nicht oft genug miteinander probiert hätten. Seit der Veröffentlichung im Jahr 2009 (oder meinetwegen irgendwann kurz danach) haben wir uns immer wieder die ein oder andere Chance, den ein oder anderen angesetzten Hördurchgang gegeben. Und auch die vermeintliche Hintergrundgeschichte birgt ordentlich potentiell fesselnde Dramatik: „‚Hospice‘ erzählt die Geschichte einer emotional ausfälligen Beziehung, welche durch die Analogie eines Hospizmitarbeiters (oder Ehemanns – nicht genau geklärt) und einer Patientin namens Sylvia erklärt wird. Sylvia ist an unheilbarem Knochenkrebs erkrankt und wird im real existierenden Memorial Sloan-Kettering Cancer Center behandelt. Durch die weiteren Songs klärt sich, dass sich die beiden schon länger kannten und Sylvia bereits eine Abtreibung hinter sich hat. Am Ende des Albums stirbt Sylvia und der Hospizmitarbeiter bleibt einsam zurück.“ wie Wikipedia weiß. Langeweile sieht wohl anders aus…
Trotzdem mögen die 52 Albumminuten als Ganzes nie wirklich bei mir zünden, nie – und das trotz der emotionalen Schwere der Storyline – so ganz mein Hörerherz erreichen. Ob es an der Machart der Songs liegt, welche Antlers-Frontmann Peter Silberman zunächst allein und abgeschottet von der quirligen Außenwelt des Big Apple in seiner Brooklyner Wohnung erarbeitete, um sie dann mit seinen Bandkumpanen Darby Cicci und Michael Lerner mit Leben zu füllen? Klar passiert von Song eins bis zehn, vom „Prologue“ bis zum „Epilogue“, eine ganze Menge, während die Band ihre Lo-Fi-Instrumentierung mit Post-Rock-Strukturen und shoegazenden Indiepop-Folk-Momenten anreichert. Nur irgendwie wirkt „Hospice“ als überaus durchdachtes Gesamtkunstwerk auch wie einer dieser Krankenhausflure, in denen sich ein guter Teil der zugrundeliegenden Story abspielt: von all den hell erleuchteten Neonröhren anonym gehalten, steril, kalt und in analoger Qualität lediglich von irgendwo fern her flirrend. Vielleicht mag’s auch an Peter Silbermans durchaus gewöhnungsbedürftigem Gesang und der bewusst auf Lo-Fi getrimmten Indie-Produktion (für die sich die Band selbst verantwortlich zeichnete) liegen – beides nicht my cup o‘ tea.
Alledem zum Trotz ist „Kettering“, die Quasi-Eröffnungsnummer von „Hospice“, auch heute noch ein feines Stück Musik, welches auch losgelöst vom Album großartig funktioniert und als Einzelnes berührt. Dieser behutsame Pianoeinstieg, zum dem Peter Silberman Zeilen wie „And walking in that room / When you had tubes in your arms / Those singing morphine alarms / Out of tune“ beisteuert, bei denen es einem fast die Kehle zuschnürt (oder sich zumindest ein dicker, dicker Kloß im Hals bildet), während die androgyne Stimme des Sängers fast an Tearjerker-Größen wie Antony Hegarty (der sich nun Anohni nennt), Maximilian Hecker oder Keaton Henson erinnert! Diese dramatische musikalische Steigerung jenseits der Zweieinhalb-Minuten-Marke, auf welche selbst Bands wie Sigur Rós für ein, zwei Tage mit stolzgeschwellter Brust durchs isländische Gebirge laufen würden! Kein Wunder, dass sich der Song über die Jahre zu einem der bekanntesten der Band entwickelt hat und auch immer mal wieder von findigen Serien-Machern aufgegriffen wird. So war „Kettering“ mittlerweile in emotionalen Momenten von Serien wie „Chuck“, „The 100“, „Fear The Walking Dead“ oder in einer der Folgen der ersten Staffel von „Sense8„, der 2015 von den Wachowski-Geschwistern (Sie wissen schon, die beiden, denen „Matrix“ durchs Haupthirn gespukt ist) für Netflix produzierten Sci-Fi-Drama-Serie (in welcher ich auch kürzlich wieder auf das Stück gestoßen bin), zu hören. Und bevor man sich versieht, steht für mindestens viereinhalb Minuten die Welt still…
„I wish that I had known in That first minute we met The unpayable debt That I owed you‚Cause you’d been abused By the bone that refused You and you hired me To make up for that
And walking in that room When you had tubes in your arms Those singing morphine alarms Out of tune
They had you sleeping and eating and And I didn’t believe them When they called you a hurricane thunderclap
When I was checking vitals I suggested a smile You didn’t talk for a while You were freezing
You said you hated my tone It made you feel so alone So you told me I had to be leaving
But something kept me standing By that hospital bed I should have quit but instead I took care of you
You made me sleep and uneven And I didn’t believe them When they told me that there Was no saving you…“
Es gibt kein Entrinnen, nirgends! Wohin man auch blickt und klickt, wird man mit Resümees, Rekapitulationen, Highlights, Lowlights und Schlussstrichen geradezu überschüttet und kopftechnisch nahezu übersättigt. ANEWFRIEND stimmt nun auch in diesen Reigen ein und präsentiert, wie bereits in den vergangenen Jahren schon, einige höchst subjektive Glanzlichter aus Bild und Ton.
In guter Tradition startet die ANEWFRIEND‘sche Jahreszäsur auch 2015 mit den Serien…
„The Walking Dead“
Dem treuen Jahresfazitleser erzähle ich wohl nix Neues wenn ich schreibe, dass die Zombieapokalypse-Serie seit fünf Jahren in schöner Regelmäßigkeit läuft. Freilich musste der TWD-Zuschauer über kurz oder lang auch den ein oder anderen Durchhänge überstehen (Staffel vier), aber spätestens seit der letzten Season ziehen die Macher der Comicbuch-Adaption die Spannungsschraube gekonnt an. Schön außerdem anzusehen, dass man selbst in Staffel sechs einen Hauptcharakter wie Rick Grimes (Andrew Lincoln) nie so ganz einzuschätzen weiß beziehungsweise einem noch immer nicht einhundertprozentig klar ist, ob man für sein Überleben die Daumen drücken oder ihn gern der nächsten Zombiehorde zum Frass vorgeworfen sehen würde. Und, klar – am Setting stimmt nach wie vor alles, die hundertfachen Untoten-Kostümierungen sind Hollywood-Qualitätswerk.
Ebenso klar auch, dass „The Walking Dead“ nach Staffel sechs, welche gerade die traditionelle Midseason-Pause bis Februar 2016 einlegt, noch weitergehen wird – wenn es nach Produzent David Alpert geht, gern noch bis „Staffel 11 oder 12“. Dass bei allem Erfolg auch ein Ableger kommen würde, hat im August diesen Jahres, als das TWD-Spinoff „Fear The Walking Dead“ in seine erste, sechs Folgen kurze Staffel ging, wohl auch niemanden verwundert. Erstes Urteil da: Obwohl die Serie ja im Grunde die Vorgeschichte zur großen Schwester liefern soll, hielt sich „Fear The Walking Dead“ lange, lange an Sentimentalitäten auf – und war ausgerechnet dann (vorerst) zu Ende, als es anfing, so langsam spannend zu werden… Clever? Warten wir’s ab.
„American Horror Story: Hotel“
Ähnlich treu bin ich bin seit 2011 auch „American Horror Story„, hat die US-Horor/Mystery-Reihe doch ein ganz eigenes Konzept: ein Gros der Darstellerriege, welche aktuell aus – unter anderem – Kathy Bates, Evan Peters, Angela Bassett, Chloë Sevigny, Sarah Paulson, Wes Bentley und – Obacht! – Lady Gaga besteht, wird von Staffel zu Staffel übernommen und treibt sein nicht selten höchst perfides Spiel in einem ganz anderen Horrorambiente und Jahrzehnt. Nach einem Spukhaus in Staffel eins, einer Irrenanstalt in Staffel zwei und einem Südstaatenhexeninternat in Staffel drei, einer Freakshow-Zerkustruppe in Staffel vier sind wir nun, der Titel sagt’s bereits, in einem Hotel angekommen – dass es auch in diesem nicht ganz mit rechten Dingen zugehen wird, dürfte sich von selbst verstehen…
Doch neben dem Konzept lebt die Serie seit ihrem Start auch und vor allem von ihren ausgezeichneten Darstellern. Dass Lady Gaga da keine Ausnahme macht, wird der Fan der gelernten Popmusikern an deren wandelbarem Talent festmachen, der regelmäßige Zuschauer jedoch bemerken, dass die Serienmacher der Gaga ihre Rolle als Vampir-Countess auf den maßgeschneiderten Luxusleib geschrieben haben.
„Les Revenants“
Die Handlung der französischen Mystery-Serie von 2012 ist im Grunde schnell erzählt: In einem kleinen, verschlafenen französischen Bergdorf kommt es zu mysteriösen Ereignissen. Verstorbene Personen tauchen plötzlich wieder im Kreise ihrer Familien auf. So etwa Camille, ein junges Mädchen, das vor ein paar Jahren bei einem tragischen Busunglück starb. Plötzlich findet sie sich selber an der Unfallstelle wieder. Ohne Erinnerung an den Unfall macht sie sich auf den Heimweg, wo sie alsbald für entsprechende Aufregung sorgt. Doch Camille bleibt nicht die einzige, die aus dem Jenseits zurückkehrt…
Viel spannender als das Was (was jedoch beim Mystery-Genre – allem Nebulösem zum Trotz – nie zu kurz kommt) ist das vielmehr das Wie. Denn die wahren Monster sind während der acht Folgen nicht die gerade noch Totgeglaubten, sondern die Lebenden. Das alles erzählt die Serie in (fast schon unwohl machend) ruhigen Bildern, langsamen Sequenzen, zu denen ausgerechnet die legendären Postrock-Schotten von Mogwai die grandiose musikalische Untermalung liefern. Staffel zwei übrigens wurde vom produzierenden Sender Canal+ jüngst im September und Oktober ausgestrahlt und dürfte wohl auch hoffentlich bald auf deutsch zu haben sein (während im März in den USA ein ebenso unvermeidliches wie unnötiges Remake der Serie lief)…
Und 2016?
Dürfen wir uns auf neue Folgen der großartigen BBC-Serien „Luther“ (deren Hauptdarsteller Idris Elba mal sowas von der neue James Bond werden sollte!) und „Sherlock“ gefasst machen – wobei erstere ja vor wenigen Tagen bereits in die traditionell kurze vierte Staffel gestartet ist. Außerdem kehren – man sollte es kaum glauben – ausgerechnet unser aller Lieblings-FBI-Agenten Mulder und Scully zurück, um in „The X-Files“ ab Ende Januar – vorerst für sechs Folgen – wieder Aliens, mysteriösen Kreaturen und Geheimdienstverschwörungen hinterher zu jagen. Apropos Mystery: da passt es des Weiteren nur zu gut, dass selbst die große Schwester der Grand Dame des Mystery-Genres seine Schatten voraus wirft, denn auch David Lynchs „Twin Peaks“ wird 2017, eventuell jedoch sogar schon 2016 in eine nie für möglich gehaltene dritte Season gehen. Außerdem geht es im Januar – nach beinahe einem Jahr Sendepause – endlich wieder mit „Shameless“ weiter, und man wagt sich kaum auszumalen, was Frank Gallagher (William H. Macy) und seine Sippe in der sechsten Staffel der US-Sitcom-Dramaserie für Chaos stiften werden. Dass das Serienfach Hollywood in Punkto optischer wie erzählerischer Qualität längst den Rang abgelaufen hat (und die üppigen Serienbudgets längst mit denen der abendfüllenden Zelluloidstreifen mithalten können), brauche ich wohl nicht noch einmal erwähnen, oder? Für beste Serienunterhaltung dürfte also auch in den kommenden zwölf Monaten gesorgt sein…