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Song des Tages: Kettcar – „Benzin und Kartoffelchips“


kettcar

Keine Frage – Kettcar dürften mit „Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“ eines der sowohl besten als auch ungewöhnlichsten und wichtigsten Stücke des vergangenen Musikjahres abgeliefert haben, während das dazugehörige Album „Ich vs. Wir“ die Band nach fünf Lenzen der Veröffentlichungsabstinenz genau da zurück verortete, wo Marcus Wiebusch, Reimer Bustorff, Erik Langer, Lars Wiebusch und Christian Hake für (Musik)Deutschland am wichtigsten sind: im kritischen Diskurspop. Denn Meinung und klare Kante  sind auch 2017/2018 rar gesät zwischen all den Gut-Findern, Ja-Sagern und Einweg-Pop-Hits-per-Formel-Schreibern. Umso schöner, dass Kettcar nun wieder Stellung beziehen…

Einer der wohl schönsten Songs auf „Ich vs. Wir“ dürfte „Benzin und Kartoffelchips“ sein,  dem mit seiner erzählten Roadtrip-Story von vier Freunden in der letzten Nacht vor dem vermeintlichen Gang hinter schwedische Gardinen auch ein sentimentales, an selige Neunziger-Jahre-Zeiten und Film-Großtaten wie „Absolute Giganten“ erinnerndes Gefühl anhängt (aber hey – von Sentimentalität konnte und wollte sich Marcus Wiebusch ja noch nie ganz freisprechen!).

Das nun veröffentlichte Musikvideo zur nunmehr vierten Album-Auskoppelung (nach „Sommer ’89“, „Wagenburg“ und „Ankunftshalle„) erzählt nicht die Geschichte aus Gerichtssaal und Auto, sondern die von einer eingeschworenen Gruppe von Teenagern auf einem Schulball, von denen einer aus Liebe zu einem Mädchen mit seinem Konkurrenten in einen handgreiflichen Konflikt gerät, welcher wiederum die Schulfeier aus dem Ruder laufen lässt, während die Band selbst auf der Veranstaltungsbühne steht und somit zu stillen Zeugen der Ereignisse wird. Und obwohl das Musikvideo quasi die Niedlich-Variante des Textes zu „Benzin und Kartoffelchips“ auf der Bildebene abgibt, so ist es jedoch noch immer: sentimental und schön. Kettcar eben.

 

 

500x500„Mama sagte: ‚Achte auf deine Gedanken
Denn sie, sie werden deine Worte‘
Und mit ein paar Worten fing das Ganze an…

Als der Richter sagte: ‚Erheben Sie sich!‘
Standen wir zu viert auf
Obwohl wir nicht alle angeklagt waren
Sondern nur einer, nur Ude

Zwölf Monate, nach sieben dann raus
Wegen einem einzigen Schlag mit der Faust
Der Anwalt meinte: ‚Mildes Urteil, Glück gehabt!‘

Der Haftantritt dann in zwei Tagen
Wir saßen abends zu viert in Friedrichs Wagen
Kein Wort fiel bis einer schrie: ‚Fahr los, verdammt, fahr los!‘

Und nicht eher schlafen bevor wir hier
Heute Nacht das Meer sehen
Spüren wie kalt es wirklich ist
Benzin und Kartoffelchips
Jede Scheiße mitsingen können
Irgendwann ist irgendwie
Ein anderes Wort für nie

Mama sagte: ‚Achte auf deine Worte
Denn sie, sie werden deine Taten‘
Wir waren nicht betrunken, nicht in der Unterzahl

Keiner wusste mehr, wie der Streit begann
Das Schicksal meinte nur: ‚Hey, ihr seid dran!‘
Es hätte jeden von uns, wirklich jeden treffen können

Und hier und jetzt, in Friedrichs Wagen
Das Wissen, ohne es gesagt zu haben
Obwohl wir Brüder, nichts wird mehr wie früher

Heute Nacht kein Film, keine geile Zeit
Kein Erinnerungskitsch, kein Facebook-Like
Wir waren einfach nur beschissen verzweifelt
Und wussten nicht mehr weiter

Und nicht eher schlafen bevor wir hier
Heute Nacht das Meer sehen
Spüren wie kalt es wirklich ist
Benzin und Kartoffelchips
Jede Scheiße mitsingen können
Irgendwann ist irgendwie
Ein anderes Wort für nie
(Ein anderes Wort für nie)

Nicht schlafen bevor wir hier
Heute Nacht das Meer sehen
Spüren wie kalt es wirklich ist
Dosenbier und Chio-Chips
Rauchen bis die Augen brennen
Die ganze Scheiße mitsingen können
Irgendwann ist Wohlfühlmist und graue Theorie
Irgendwann ist immer nur ein anderes Wort für nie“

 

Rock and Roll.

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Kettcar live im Alten Schlachthof, Dresden, 1. März 2012: Von Kühen und Flüssen, Barry White und Erwartungen


„Das muss am Fluss liegen.“ Ob die gemeinsame Elbsozialisation nun der (einzige) von Bassist Reimer Bustorff ins Feld geworfene Grund für die konstant gute Stimmung während des Kettcar-Gastspiels im Dresdner Alten Schlachthof war, sein einmal dahin gestellt. Mir würden da noch einige mehr einfallen… Aber von Anfang an.

Zehn Jahre ist es nun her, dass die aus Marcus Wiebusch (Gesang, Gitarre), seinem jüngeren Bruder Lars Wiebsuch (Keyboard), Reimer Bustorff (Bass), Erik Langer (Gitarre) und Christian Hake (Schlagzeug, seit 2010 an Bord) bestehende Hamburger Band ihr erstes, viel beachtetes Album „Du und wieviel von deinen Freunden“ veröffentlicht und dafür mangels Interesse der Majorlabels ihr eigenes Label Grand Hotel Van Cleef gegründet hat (welches, neben Wiebusch und Bustorff, Thees Uhlmann als Co-Chef vorweist). Drei Studio- und ein Live-Album später ist nun vor kurzem „Zwischen den Runden„, welches ANEWFRIEND kürzlich als „Album der Woche“ würdigte, erschienen. Und natürlich haben zehn Jahre auch bei Kettcar einiges verändert. Die eigenen Familien haben sich vergrößert, die Haare sind lichter und die Bäuche fülliger als noch zu Zeiten, als die Jungs in Punk- und Ska-Bands wie …But Alive oder Rantanplan ihre Anfänge machten, aus dem Hobby Musik ist längst ein Full Time Job geworden, das Label läuft Dank einer Menge Enthusiasmus, Engagement und Liebe zum Detail bestens, im Feuilleton und in der Presse findet die Band mittlerweile mit jeder neuen Platte ausreichend Beachtung, das ZDF berichtete kürzlich gar vom Tourstart zum aktuellen Album.

Und auf eben jener Tour machten Kettcar am vergangenen Donnerstagabend Halt im gut gefüllten Dresdner Alten Schlachthof. Die norddeutsche Band Torpus & The Art Directors machten mit ihren an Mumford & Sons erinnernden Songs als Anheizer einen ordentlichen Job, das – offizielle – Debütalbum der Band soll in Kürze erscheinen. Um kurz nach 21 Uhr betraten dann Marcus Wiebusch & Co. die Bühne und eröffneten ihr 21 Lieder starkes und gut 90 Minuten langes Set mit „Rettung“, dem ersten Song ihres aktuellen Albums. Nachfolgend wurden alle Alben, vom Erstling „Du und wieviel von deinen Freunden“ über „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen„, das dezent zynisch gehaltene „Sylt“ bis hin zu „Zwischen den Runden“, berücksichtigt und auch viele Publikumsfavoriten wie „48 Stunden“, „Graceland“, „Balkon gegenüber“, „Ich danke der Academy“ oder eben dem „Mädchen-Song“ (Zitat Marcus Wiebusch) „Balu“ gespielt. Geschickt wurden ruhigere Songs wie das bewegende „Nach Süden“, „In deinen Armen“ oder „Am Tisch“ (in welchem Lars Wiebusch den Album-Gesangspart von Niels Frevert übernahm) ins die Setlist eingebaut und immer wieder zischen kaustischer und elektrischer Gitarre hin- und hergewechselt, ohne das dies den Fluss oder die Stimmung gestört hätte. Kettcar zeigten sich gewohnt spielfreudig und die beiden Vegetarier Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff überrascht, dass die Band während ihrer bundesweiten Tournee in so vielen „Schlachthöfen“ spiele, worauf sie spontan ein „Muh!“ aus dem Publikum ernteten. Während des Konzerts wurden immer mal wieder kurze Anekdoten zu den Songs oder kleine Spitzen hinsichtlich aktueller Plattenkritiken (wonach Wiebusch kürzlich als der „Barry White des Indiepop“ betitelt wurde) geliefert. Nach dem zweiten Zugabenblock und dem Klassiker „Landungsbrücken raus“ wurde das zufriedene Publikum in die milde Märznacht entlassen. „Ich danke der Academy und Standing Ovation.“ Habt ihr euch verdient, Jungs! Es ist schön zu sehen, dass Kettcar voll und ganz „bei sich angekommen“ sind und, ohne auf Erwartungshaltungen oder Sympathiepunkte zu schielen, nach wie vor nach ihrem Gusto agieren. Muss wohl am Fluss liegen…

Die Setlist könnt ihr hier sehen:

Bilder vom Konzert findet ihr unter anderem bei DNN.

Und hier noch einer meiner Favoriten vom aktuellen Album, welcher – wie ihr oben sehen könnt – auch gestern in Dresden gespielt wurde: „Schrilles, buntes Hamburg“.

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Besser spät als nie – nachdem ich durch das gestrige Dillon-Konzert in Leipzig (mehr dazu eventuell noch hier) in Verzug gekommen bin, es aber wieder einmal Freitag, und damit Zeit für ein neues „Album der Woche“ ist, möchte ich euch selbiges selbstverständlich nicht vorenthalten…

Kettcar – Zwischen den Runden (2012)

-erschienen bei Grand Hotel Van Cleef-

Es ist schwer, in Würde zu altern. Man ist Mitte Vierzig, hat vieles von dem, wovon man mit Mitte Zwanzig noch träumte, erreicht: Frau, Kind und Eigenheim, ein einigermaßen geregeltes Einkommen. Das Che Guevara-Shirt von damals liegt immer noch im Schrank, muss nun aber immer öfter dem Poloshirt weichen. Einige Freundschaften von „damals“ werden noch in Abständen gepflegt, andere haben den Test der Zeit, aus vielerlei Gründen, nicht bestanden…

Auch Kettcar können mittlerweile ein Lied davon singen… Wurde man noch 2002, als ihr Debüt „Du und wieviel von deinen Freunden“ erschien, zusammen mit Bands wie Wir sind Helden oder den Labelmates von Tomte von Presse und Publikum zur „Speerspitze des neuen deutschen Rocks“ erkoren, muss man sich nun, 10 Jahre später, den Vorwurf gefallen lassen, müde zu werden und sich auf dem Erreichten – meint: mehreren Top 5-Alben und dem Einstieg in die Playlisten von Formatradiosendern – auszuruhen. Nun, dass „die da unten“ (Bands wie 1000 Robota oder Adolar) über „die da oben“ (Tomte oder eben Kettcar) lästern, sei der Jugend vorbehalten, denn so war es schon immer, auch zu Zeiten, als Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch noch in der Punkband …But Alive spielte und Songs sang wie „Ich möchte Ilona Christen die Brille von der Nase schlagen“ oder „Im Rockstadion trifft sich das schlechte Gewissen“. Und doch greift es zu kurz. Denn als Wiebusch Kettcar 2001 zusammen mit Bassist Reimer Bustorff (Ex-Rantanplan), Gitarrist Erik Langer, seinem für Keyboards und Background Vocals verantwortlichen Bruder Lars Wiebusch und dem Drummer Frank Tirado-Rosales, welcher 2010 seinen Platz räumte und die Stöcke an Christian Hake weiterreichte, gründete, war keine Plattenfirma bereit, das Debütalbum zu veröffentlichen. Mit vielen Ideen im Kopf und einer Menge hanseatischem Idealismus im Herzen gründeten Wiebusch und Bustorff also zusammen mit Tomte-Sänger Thees Uhlmann ein eigenes Label namens Grand Hotel Van Cleef. Der Rest ist deutsche Musikgeschichte… Im Jahr 2012 genießt Grand Hotel Van Cleef einen ausgezeichneten Ruf weit über die Landesgrenzen hinaus, sogar Veröffentlichungen international bekannter Bands wie Death Cab For Cutie oder den Weakerthans hat man vorzuweisen, alle Tomte-Alben sind hierüber erschienen, genau wie das letztjährige Thees Uhlmann-Solodebüt oder eben das mittlerweile vierte Kettcar-Album „Zwischen den Runden“ (das Live-Album „Fliegende Bauten“ mal außen vor).

Beim ersten Hören könnten die Unterschiede zum vor vier Jahren erschienen Vorgänger „Sylt“ kaum größer sein: wurde damals mit bitterem Unterton und stellenweise deutlichen Worten hart mit der Gesellschaft ins Gericht gegangen, stellt „Zwischen den Runden“ nun im Großen und Ganzen eine deutlich persönlichere Bestandsaufnahme dar. Klar, die Jalousien zur Außenwelt bleiben stets einen Spalt geöffnet, wie in Songs wie „Im Club“ oder dem tollen „Schrilles, buntes Hamburg“, welches mit dezenten Elektronik- und Banjo-Einschüben den musikalischen Kosmos der Band im positiven Sinne erweitert. Und doch wandert der Blick hier öfter zum eigenen Umfeld. Im Albumeinstieg „Rettung“ geht es etwa darum, die „Liebe des Lebens“ auch dann noch in gleichem Maße zu lieben, auch wenn er/sie nach einer durchzechten Nacht kotzend über der Kloschüssel kauert… In „Nach Süden“ holt ein Mann seinen Bruder nach langer Zeit aus dem Krankenhaus ab und bringt in zurück in die Heimat. Im wohl besten Song des Albums, „Zurück aus Ohlsdorf“, erzählt Bustorff, der sich auf „Zwischen den Runden“, erstmals die Text-Credits gleichberechtigt mit Wiebusch teilt, von der viel zu frühen Beerdigung eines guten Freundes, welchen er lange nicht mehr gesehen hatte. Es darf den Gedanken nachgehangen („Schwebend“) oder vom Meer geträumt werden („Erkenschwick“). Musikalisch nimmt sich die Band, im Vergleich zu den Vorgängern, oft deutlich zurück, was wohl auch den durch das 2010 live aufgenommene Akustik-Album „Fliegende Bauten (Live)“ gesammelten Erfahrungen „geschuldet“ ist. Da dürfen es an der einen oder anderen Stellen, wie etwa in „In deinen Armen“, auch schon mal Streicher sein… Man muss zugeben, dass Kettcar während der 52 Minuten (gemeint ist natürlich die Deluxe Edition mit 15 Songs und ausführlichem Booklet) ein ums andere Mal haarscharf am Kitsch vorbei schrammen und nicht auf allen Songs ein durchgängig hohes Niveau halten können, trotzdem sind Vorwürfe, Kettcar würden sich nun per „Befindlichkeitsrock“ ans Formatradio verkaufen oder in eine Indie-Variante von Pur verwandeln, Unsinn. Hier wirkt nichts auf Krampf zurechtgebogen oder gestellt. Und wer den Werdegang der Band seit den Anfangstagen verfolgt, der kennt Wiebuschs dezenten Hang zur Überhöhung – was wohl einfach seine persönliche Art ist und oft dazu beträgt, gewisse Sachverhalte deutlicher zu machen. Wie sang Thees Uhlmann einst: „Du nennst es Pathos, ich nenne es Leben.“ Und genau um jenes Leben geht es hier. Wer erwartet denn ernsthaft, dass Kettcar auf ewig Dränger-Hymnen wie „An den Landungsbrücken raus“ schreiben? Kleine Revolutionen wurden bereits besungen, die Band wiederholt sich glücklicherweise nicht, sondern entwickelt sich weiter. Der Straßenkampf bleibt der Jugend vorbehalten (und im musikalische Sinn gibt es da ja auf nationaler Ebene einige hoffnungsvolle „neue“ Bands und Künstler). „Zwischen den Runden“ ist ein Album vom Innehalten und Älterwerden. In Würde.

Wie bereits erwähnt, haben Kettcar zu jedoch der 12 regulären Albumsongs ein Video anfertigen lassen. Hier könnt ihr euch nun alle Titel mit den dazugehörigen bewegten Bildern zu Gemüte führen:

1.  Rettung

2.  Im Club

3.  Schwebend

4.  R.I.P.

5.  Kommt ein Mann in die Bar

6.  Weil ich es niemals so oft sagen werde

7.  Schrilles, buntes Hamburg

8.  Nach Süden

9.  In deinen Armen

10. Der apokalyptische Reiter und das besorgte Pferd

11. Erkenschwick

12. Zurück aus Ohlsdorf

 

Ab dem 23. Februar sind Kettcar auf Tournee, bei Interesse findet ihr hier alle Termine und Infos.

 

Rock and Roll.

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