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Song des Tages: Michael Shynes & Anica – „Heart Of Glass“


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Manchmal treibt das Schicksal ja schon merkwürdige Blüten…

Michael Shynes aus dem beschaulichen US-amerikanischen 9.000-Einwohner-Städtchen Little Falls, Minnesota lebte ein ziemlich normales Leben als Folk- und Country-Künstler mit überschaubarer Fanbase, schrieb ab und an neue Musik und versuchte, als lokaler Sänger und Songschreiber ein wenig Karriere zu machen. Doch dann, im Sommer 2018, wuchs Shynes‘ Publikum unerwartet weit über die Stadtgrenzen, gar den Bundesstaat hinaus – und bis auf die andere Seite des Atlantiks…

Alles begann damit, dass Michael Shynes über eine Website für Auftragsarbeiten Musik für Komodo, ein polnisches Pop-DJ-Kollektiv, aufnahm. Obwohl er wusste, an wen die Gesangsaufnahmen gehen würden, wusste er nicht, wofür die Gruppe sie verwenden würde.

Komodo setzten den Gesang, den Shynes für sie aufgenommen hatte, in einem Remix und ein Musikvideo von „(I Just) Died In Your Arms“, im Original bekanntermaßen ein Achtzigerjahre-Gassenhauer der britisch-kanadischen Band Cutting Crew, ein. Der Song, welcher zugegebenermaßen dem recht bekannten Prinzip folgt, eine bekannte Oldies-Nummer mit Bums-Beats ins Hier und Jetzt zu recyceln, wurde im gefühlt fernen Polen bald zu einem überaus erfolgreichen Radio-Hit – so erfolgreich, dass Shynes eingeladen wurde, um die Nummer mit dem dreiköpfigen DJ-Kollektiv bei einigen Festivals – unter anderem im polnischen Danzig – zu performen – und die Reise um die Welt antrat, ohne genau zu wissen, wie die Dinge laufen würden, wenn er dort ankam.

„Ich dachte nur: ‚Mann, ich bin 20 Stunden für vier Minuten gereist! Die ganze Reise dreht sich um diese vier Minuten, also sollte ich es besser gut singen'“, so Shynes danach. „Ich fühlte mich wirklich gut dabei, wie ich sang. Ich war überrascht, weil ich dachte, ich würde wirklich nervös sein, mit zittrigen Händen und allem, was dazu gehört. Ich habe noch nie vor 50.000 Menschen gesungen, auch noch nie vor 20.000 Menschen. Ich habe vielleicht höchstens vor ein paar tausend Leuten gesungen, aber ich war einfach unglaublich ruhig. Ich dachte mir: ‚Du bist den ganzen Weg hierher gekommen, da macht es keinen Sinn, dir von deiner Nervosität einen Strich durch die Rechnung machen zu lassen. Du hast ihn so oft gesungen, dass du weißt, dass du den Song singen kannst.‘ Also bin ich einfach rausgegangen und habe gesungen.“

In Polen, sagt Shynes, wurde er wie ein Star behandelt. Er ging auf seine erste Promo-Tournee und fühlte sich trotz einiger Sprachbarrieren von Komodo willkommen.

„Sie sprachen nicht alle Englisch, aber das Gute am Humor ist, dass er universell ist. Einer der Jungs war super komisch, so wie ich, als ob er Charlie Chaplin hätte sein können, weil er all diese lustigen Bewegungen machte“, erzählt er. „Obwohl ich seine Sprache nicht sprach, brachte er mich also die ganze Zeit zum Lachen. Dann gab es in der Gruppe noch einen, der sicherstellte, dass alle da waren, wenn sie gebraucht wurden, und es gab meinen Kumpel Jonasz, der im Grunde mein Übersetzer war und mich über alles, was passierte, auf dem Laufenden hielt.“

Obwohl sich Shynes im heimischen Minnesota eine solide Künstlerkarriere aufgebaut hatte, hätte er freilich nie erwartet, in den Vereinigten Staaten ein Popstar zu werden, und sicherlich hätte er nie gedacht, dass er irgendwo anders in der Welt berühmt werden würde, so dass die ganze Aufmerksamkeit, die er daraufhin in Polen (und Dank dieser ungewöhnlichen Geschichte auch zuhause in den USA) erhielt, einiges an Zeit brauchte, um damit klarzukommen.

„Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, als Künstler stets am Minimum zu leben, ist es einem fast unangenehm, wenn wirklich gute Dinge wie diese geschehen. Als wäre es schwer, einfach zuzuschnappen und zu sagen: ‚Das habe ich verdient!‘ oder ‚Dafür habe ich bezahlt!‘. Es fühlt sich beinahe seltsam an, wirklich gut behandelt zu werden“, so Shynes.

Zuhause in Minnesota stellte Shynes fest, dass die Zusammenarbeit mit Komodo auch seine Karriere als lokaler Musiker einen Schritt nach vorn gebracht hat – etwas, das seine Sichtweise auf seine Arbeit als Künstler verändert hat.

„Es hat mein Profil hier drüben irgendwie geschärft, weil die Leute alles, was ich tue, etwas ernster nehmen. Ich meine, sie haben das Video von mir gesehen, auf dem ich vor so vielen Leuten singe, und nun kann ich an ganz anderen Orten auftreten“, merkt Shynes an. „Ich war ein Typ, der an einem Sonntag in einem Weingut stand und in einer Ecke Songs spielte. Ich versuche jedoch, diese Geschichte ad acta zu legen und darauf zu vertrauen, dass ich mit meiner Musik diesen Ansatz weiterverfolgen kann, um nicht unbedingt das tun muss, was in Polen passiert ist, sondern einige Risiken eingehen kann.“

Doch trotz all des Erfolges, den Shynes in jenem Sommer vor zwei Jahren hatte, vergisst er nicht, wo er angefangen hat, einschließlich einiger seiner großzügigen Fans, denen er auch danach nahe stand. Sie glaubten an seine Musik und halfen bei der Finanzierung seines Albums „The Current, The River And The Undertow„.

Shynes verwendete das Geld, um nach Nashville zu fahren und mit seinem eigenen Produzenten ein Studioalbum aufzunehmen – etwas, wovon er immer geträumt hatte. Und auch seine DJ-Kumpels drüben in Polen hat er keineswegs vergessen. So plant Shynes außerdem, weiterhin mit Komodo an einigen seiner eigenen Songs zu arbeiten, mit der Möglichkeit eines eigenen Vertrags mit Sony. Aber im Moment geht es nur darum, das Beste für seine Musik zu tun.

„Ich erzähle den Leuten, dass ich es schon weiter gebracht habe, als ich jemals gedacht hätte, also ist das jetzt alles das Sahnehäubchen auf dem Kuchen. Jede gute Sache, die jetzt geschieht, empfinde ich als Segen.“

Manchmal treibt das Schicksal schon merkwürdige Blüten.

 

 

Dass Michael Shynes auch danach keinerlei Angst vor Coverversionen hat, beweist seine feine Interpretation des Blondie-Evergreens „Heart Of Glass„, welchen er aus der verschwitzten New Yorker Seventies-Disco auf ein entspanntes sonntägliches Tässchen Kaffee auf die beschauliche heimische Veranda einlädt…

 

Rock and Roll.

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Shazam im Schnelltest…


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(gefunden bei Facebook)

 

Funktioniert einwandfrei.

 

Rock and Roll.

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Artsy-fartsy? Arschlecken! – schon jetzt das wohl hässlichste Albumcover des Musikjahres…


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Zwar sind es noch ein paar Wochen, bis auch auf ANEWFRIEND Bilanz übers zurückliegende (Musik)Jahr gezogen wird – das wohl mit Abstand hässlichste Albumcover der letzten Monate möchte ich spontan dennoch bereits küren.

Dass ich es sonst meist vermeide, zu viele Worte über kaum erwähnenswerten Schund zu verlieren (und eher versuche, tolle Neuentdeckungen weiterzuempfehlen)? Dass die *hust* Künstlerin hinter dem Cover auf den Namen Krista Papista hört, die sich selbst als „Sordid Pop music producer – video artist based on Berlin“ beschreibt? Dass das dazugehörige Album „Sultana“ heißt? Dass ich bei Songs darauf, die wiederum etwa „I Love The Smell Of My Pussy“ oder „Kurdistan“ tituliert sind, ernsthaft-dezente Furcht habe, ein Ohr zu riskieren? (Spoiler: Ich hab’s natürlich getan. Harmloser Elektro-Pop mit gaaaaaanz viel Kunst-Anspruch und ebenso wenig Plan wie Struktur, geschweige denn Melodien.) Dass auch bei den Musikvideos dieser *jadoch* Künstlerin (eine Form von artsy-fartsy codierter) Nacktheit scheinbar derart eher Gewohn- denn Seltenheit ist, dass es selbst einer gaga Lady in deren besten Zeiten die gepuderte Schamesröte ins durchgestylte Antlitz getrieben hätte?

Druff jeschissen, arschlecken! Ditt is‘ definitiv keene Kunst mehr, ditt kann wech.

 

Rock and Roll.

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Castingleichen aus dem Indie-Keller – die Wahrheit hinter The Postal Service…


The Postal Service - Audition

Jahrelang hatte man es irgendwie geahnt, nun ist es offiziell: The Postal Service, dieses feine, kleine Indie-Projekt aus Death Cab For Cutie-Frontnerd Ben Gibbard und Elektronik-Klangtüfter Jimmy Tamborello (Dntel), ist nicht etwa das Ergebnis einer zufälligen Begegnung sowie dem darauf folgenden freien Austausch kreativer Ideen, sondern das Produkt eines schnöden Castings, welches Tamborello und der „Head“ des Indie-Labels Sub Pop im März 2002 in Hollywood abhielten, um durch eine passende Frontstimme möglichst viele Dollarscheinchen aus den ihnen gutgläubig folgenden Indie-Schäfchen zu pressen… Begrabt endlich den Mythos vom sagenumwobenen Kuschelalternativeduo, das sich Songentwürfe hin und her schickt, um am Ende solch‘ netten Stücken wie „The District Sleeps Alone Tonight“ oder „We Will Become Silhouettes“ über die Veröffentlichungstheke zu reichen! Hier hat immer noch das eiskalt kalkulierende Management das letzte Wort!

Aber Spaß beiseite, natürlich alles Quatsch – und eine Menge gesunde Selbstironie! Die beweisen auch die auftretenden Gaststars Tom DeLonge (Blink-182), Foo-Fighters-Bassist Nate Mendel, Moby, Chanteuse Aimee Mann, Ex-Guns’n’Roses-Gitarrist Duff McKagan, Marc Maron, der Komiker Weird Al Yankovic – und eben das Postal Service-Duo Gibbard/Tamborello, das all das bierernste Hipster-Standing, welches sich mittlerweile um ihr zehn Jahre altes Debütalbum „Give Up“ entwickelt hat, während dieser acht Minuten der Reihe „Funny or Die“ ein wenig ad absurdum führt.

Aber: ein wenig schade ist’s schon um die letztendlich offensichtliche Wahl von Gibbard als Stimme von The Postal Service, oder? Zumindest ich hätte nun doch ganz gern erlebt, wie McKagan das Album – mit Restwut auf Axl Rose im Bauch – kaputt gniedelt, oder Moby „Such Great Heights“ per Urschreitherapie zu Grabe trägt…

 

 

Natürlich gibt es für all den Klamauk auch einen gegebenen Anlass, denn The Postal Service veröffentlichen ihr bisher einziges Album „Give Up“ zum zehnjährigen Jubiläum neu, legen ein paar Bonus Tracks obendrauf und gehen – zumindest für einzelne Konzerte – wieder gemeinsam auf Tour (und das übrigens zum ersten Mal seit 2003). Nicht wenigen wäre jedoch ein neues Album weitaus lieber gewesen…

The Postal Service 2013

 

Mit „A Tattered Line Of String“ kann man sich einen der Bonus Tracks der Jubiläumsedition von „Give Up“, welche im April erscheinen soll, bereits hier anhören…

 

…und sich zur Einstimmung aufs Rerelease hier die Videos zu „The District Sleeps Alone Tonight“…

…“Such Great Heights“…

…und „We Will Become Silhouettes“ anschauen:

 

Rock and Roll.

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„The drones work hard before they die“ – Neues Live-Video von The Faint


The Faint (Promo)

„Agenda suicide / Drones work hard before they die / And give up on pretty little homes…“

Was haben wir damals getanzt! Seit seinem Erscheinen im Jahr 2001 fand „Danse Macabre„, das dritte Album der Indie-Elektrorocker The Faint aus Omaha, Nebraska, an jedem Abend, an dem ich den musikalischen Beschaller (sprich: DJ) gab, Verwendung. Egal, ob nun der fantastisch tanzbare Titeltrack lief, oder etwa „Glass Danse“, oder… – sobald sowohl der Fade-In  als auch der Einstieg in den Song absolviert waren, stürmte ich selbst auf die Tanzfläche und mischte mich unter die frenetisch zuckenden Leiber. Hätte mich das nicht selten zu guten Teilen aus – im Grunde freundlichen – langhaarigen, provinziellen Metalhörern bestehende Publikum gelassen, ich hätte gern das lediglich neun Songs und knapp 35 Minuten kurze Album der Band um Sänger Todd Fink, welcher in den Anfangstagen auch der damals blutjunge Bright Eyes-Frontmann Conor Oberst angehörte, durchlaufen lassen. Diese hypnotische Mischung aus technoiden Klängen und angespannt rockenden Gitarren, in welche gar klassisches Streicherinstrumentarium sorgsam eingeflochten wurde! Diese herrlich giftende Stimme, die mir Heranwachsendem da böse Geschichten vom eintönigen Arbeitsalltag und der Hölle des Hamsterrades vortrug! Und obwohl mindestens der drei Jahre später veröffentlichte Albumnachfolger „Wet From Birth“ noch toll war – besser waren The Faint (für mich) weder vorher noch nachher.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte ihr famoses Heimatlabel Saddle Creek das monumentale „Danse Macabre“ – wenn auch für’s Zehnjährige mit einem Jahr Verspätung – neu. Und für all jene, die das Album noch nicht ihr Eigen nennen, lohnt sich die remasterte Deluxe Edition in der Tat, enthält sie doch den zuvor nur auf der „Saddle Creek 50“-Compilation erhältlichen Song „Take Me To The Hospital“ (einen weiteren meiner DJ-Favoriten!), das Sonic Youth-Cover „Mute“, das gemeinsam mit den Bright Eyes aufgenommene Stück „Dust“ (beide waren vorher als Doppel-Single erschienen), den Song „Falling Out Of Love At This Volume“ (ein Bright Eyes-Cover von The Faint) sowie zwei Remixe.

Wer damals hierzu nicht tanzen konnte oder wollte, hatte – meines Erachtens – nix gegriffen. Und dazu stehe ich noch heute. Was haben wir damals getanzt…

Danse Macabre

 

Nun haben The Faint ein Live-Video des aus den Songs „Danse Macabre“ und „Glass Danse“ bestehenden Doppel-Albumeinstieges via pitchforktv online präsentiert:

 

Natürlich will ich euch an dieser Stelle jedoch nicht das „menschliche Hamsterrad von einem Video“, nämlich das Originalvideo zu „Agenda Suicide“, vorenthalten…

 

…ebenso wenig wie das zum gleichsam tollen Song „I Disappear“ (vom Nachfolger „Wet From Birth“)…

 

…oder jenes zum Stück „Desperate Guys“ (ebenfalls von „Wet From Birth“):

 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


The xx – Coexist (2012)

-erschienen bei Young Turks/XL Recordings/Beggars/Indigo-

Was war das doch für ein riesiges Bohei im Frühjahr 2009… Vier Teenager aus dem Südwesten Londons wurden zu den nun-wirklich-definitiv-neusten Heilsbringern des elektronisch gefärbten, clubtauglichen Pop erhoben, ihren nach und nach durch digitale Weiten sinkenden Songs wurde der Anspruch nahe gelegt, das bald anbrechende zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zu prägen und doch bitteschön gleich die ganze marode, (scheinbar) vor sich hin siechende Musikindustrie zu retten. Dabei waren Romy Madley Croft, Oliver Sim, Jamie Smith und Baria Qureshi doch vor allem und eben eines: Teenager, die innovative, im Zwielicht von reduziertem Indie Rock und pluckernder Elektronik spielende Songs geschrieben und in ihrer Freizeit in einer Garage aufgenommen hatten…

Dies tat jedoch der folgenden Begeisterungswelle von Kritikern und Hörerschaft keinen Abbruch: das Quartett mit dem wenig klangvollen, dafür umso einprägsameren Namen The xx wurde mit Lob und Preisen geradezu überhäuft (unter anderem gewann man bereits mehrere Brit Awards und den renommierten Mercury Prize für das im Sommer 2009 erschienene, simpel „xx“ betitelte Debütalbum), die Band war ein gern gesehener Gast bei Shows und Festivals rund um den Erdball, Fernsehserien, Filme, Modeschauen, Werbespots, ja sogar Nachrichtensendungen wurden mit ihren Klängen unterlegt. Und alle, ob nun Radiohead, Adele, Rihanna oder der mittlerweile verstorbene Gil Scott-Heron, standen für Remixe des elektronischen Masterminds der Band, den stillen Jamie Smith, Schlange. Diesem Öffentlichkeitsmarathon zollte Qureshi als erste Tribut und verließ die Band Ende 2009 (offiziell aus gesundheitlichen Gründen). Für die verbliebenen Madley Croft, Sim und Smith folgten für mehr als ein Jahr weitere Konzerte auf der ganzen Welt. Danach kam das Trio, welches bis zum Durchbruch noch bei den Eltern gewohnt hatte, im heimatlichen London an und musste feststellen, dass man zwischen Flughäfen, Asphalt und Hotelzimmern erwachsen und doch dem „Leben da draußen“ so fremd geworden war. Zeit also, die Reißleine zu ziehen. Dinge zu ordnen. Alltägliche Dramen nachzuholen. Zu leben.

Nun, drei Jahre nach dem überwältigenden Erfolg „xx“, sind sie zurück. Und obwohl man (oder besser: die Musiklandschaft) sich, gefühlter Dauerberieselung zum Trotz, an Songs wie „VCR“, „Shelter“, „Islands“ oder „Basic Space“ gewöhnt und sich häuslich in ihrer angenehmen Reduziertheit eingerichtet hat, liegt die Messlatte natürlich nicht niedrig für das Zweitwerk „Coexist“ – nicht weniger als „das ‚Nevermind‘ des britischen Indie-Pop“ verspricht sich so mancher Fan und/oder Medienschaffende…

Geändert hat sich nach außen freilich wenig: der ernste, androgyne Look der Drei ist noch fast der selbe, die Mienen an den 80er Jahren und Bands wie The Cure oder Joy Division geschult. Und auch der Klang bietet bestenfalls Verschiebungen um Nuancen – Jamie Smith bereitet als emsiger Tüftler im Hintergrund mit allerlei elektronischen Klängen den Unterbau für klug und reduziert einsetzende Gitarren, Bassläufe, Drumloops und Synthesizerflächen. Dazu der sich nahezu perfekt ergänzende Wechselgesang von Romy Madley Croft und Oliver Sim, welcher jeglicher einsetzenden musikalischen Kälte die Stirn bietet und in allen Songs den Fixpunkt bildet.

Auch thematisch besitzt „Coexist“ einen Überbau: war „xx“ laut Band noch ein „night album“, so ist der Nachfolger ein „dawn album“, also ein Werk, welches kurz vor Ende der Nacht und zum Anbruch des Tages wohl am besten funktioniert. Wer jedoch nun kuschelige Kaffeehausmusik erwartet, der hat sich geschnitten. Das Album erzählt in poesiealbumsreifen Texten von Zweifel, Entfremdung, verblühender Liebe, Beziehungskälte und dem Ringen um alles, was noch bleibt – „Coexist“ als Nebeneinanderher- statt Miteinanderleben. Die größte Party von letzter Nacht ist längst zu Ende, die feierwütige Meute in alle Gassen verstreut. Man selbst wacht zu gnadenlos in die verquollenen Augen scheinendem grellen Sonnenlicht auf und merkt alsbald, dass sich etwas verändert hat: die Liebe. Und: man selbst.

Bereits im ersten Song „Angels“ zeigt Romy Madley Croft die Janusköpfigkeit der neuerlichen Gefühls(nicht)regungen anhand von Zeilen wie „Being in love with you as I am“ und „And the end comes too soon / Like dreaming of angels / I’m leaving without them“ auf, bevor sie im folgenden „Chained“ im Wechselgesang mit Oliver Sim und zu leichten Synthesizerflächen, Drumloops, Bassbegleitung und einer in der Mitte einsetzenden einsamen Gitarre erste Einsichten trifft („We used to be closer than this / We used to get closer than this / Is it something to miss?“). „Fiction“ bricht zugunsten morgendlicher Ausflüchte mit dem kalten Morgengrauen („I wake up alone / With only daylight between us“), „Try“ wagt einen noch immer verträumten Blick zurück in die letzte durchtanzte Stroboskop-Dunkelheit und erzählt von allerlei wunderbaren Konjunktiven der Zweisamkeit, bei denen der Hörer jedoch schnell merkt: es wird wohl nur ein Tagtraum im grellen Morgenlicht bleiben. Das von einer Steeldrum getragene „Reunion“ berichtet vom Warten auf den einen neuerlichen Beziehungsfunken und macht mit all den dezent pulsierenden Beats einen Remix seiner selbst fast schon unnötig (und wird nichtsdestotrotz kommen). In „Sunset“ stehen sich zwei ehemals Liebende plötzlich als Fremde gegenüber („I always thought it was a shame / The way we act like strangers / It felt like you really knew me / Now it feels like you see through me“), bevor Sim und Madley Croft in „Missing“ zu leidenen Background Vocals des jeweils anderen in der eigenen Hoffnungslosigkeit versinken. „Tides“ stellt mit fatalistischen Zeilen wie „You leave with the tide / And I can’t stop you leaving / I can see it in your eyes / Some things have lost their meaning“ den Nullpunkt emotionaler Gemeinsamkeiten und Gefühlsregungen dar, denn das darauf folgende „Unfold“ ist ein kurzer K(r)ampf für und um den letzten Funken Gefühl und gegen das Vergessen von allem, was einmal so schön und gut und unendlich war, und „Swept Away“ gibt zu Clap-Beats bereits ein neurliches  Versprechen ab („I’m right here / I’ll always be“) – ob nun als Liebende oder als Freunde. „Our Song“ ist ein beinahe zärtlicher, melancholisch-versöhnlicher Abschluss und lässt anhand memorabler Zeilen wie „When no one wants you / I will give you me / And we’ll be… us“ die Herzen aller zitierwütigen Tattooträger und tumblr-Schreiber um einige Frequenzen höher schlagen.

Hat man sich einmal an den gleichsam von Soul, R&B, Elektro und Indie Rock beeinflussten Klangkosmos von The xx gewöhnt, so ist „Coexist“ keinesfalls eine Überraschung. Man muss jedoch dem 38-minütigen, im eigenen Studio aufgenommenen und selbst produzierten Nachfolger zu „xx“ zugute halten, dass das Trio keineswegs vor den eigenen und von außen an sie überschwappenden Ansprüchen kapituliert und ein gleichsam homogenes wie interessantes Werk aufgenommen hat, dass bei aller Schwere und Bedeutungshaftigkeit weder zu niederschmetternd für den Vordergrund noch zu schade für den Hintergrund erscheint. „Coexist“ ist ein möglicher Soundtrack für den mit großen Schritten nahenden Herbst. „Coexist“ erzählt vom Herbst einer Liebe (wenn auch freilich aus der Sicht von Menschen Anfang Zwanzig), vom Ende der Unschuld, vom Erwachsenwerden, vom Morgen danach. Musicforthemorningafter. Der Schädel brummt, die Augen schmerzen, der Beat sitzt.

 

Hier der Albumopener „Angels“ in angenehm dezent visualisierter Form…

 

…ein Live-Mitschnitt von „Infinity“ vom Debütalbum…

 

…das offizielle Video zu „Basic Space“…

 

…und ein inoffizielles Video zu „VCR“:

 

Rock and Roll.

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