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Song des Tages: Dota Kehr – „Kompliziertes Innenleben“


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Foto: Promo / Annika Weinthal

Klare Sache, eigentlich: Dorothea „Dota“ Kehr scheut das Risiko nicht. Für die Berliner Musikerin, die seit über zehn Jahren vor allem wegen ihrer oft genug brillanten, vielschichtigen und lebendigen Texte gefeiert wird (so auch vor einigen Monden auf ANEWFRIEND), hat es schon eine gewisse Fallhöhe, wenn man diesen Bereich – erstmalig – mit Fremdschöpfungen abdeckt. Und auch nicht mit irgendwelchen: Die Texte auf ihrer neuen Platte „Kaléko„, dem Nachfolger zum 2018er Album „Die Freiheit„, welches seinerzeit immerhin Platz 11 der deutschen Album-Charts erreichte, stammen von der jüdischen Dichterin Mascha Kaléko – alle mit einer Hornbrille bestraften Schulstreber freuen sich nun sicherlich schon über Musik-, Deutsch- und Geschichtsstunden in einem, schließlich schuf die Schwester im Geiste eines Joachim Ringelnatz oder Erich Kästner in den 1920 und -30er Jahren in Berlin ihre innige, bisweilen ironische, oft herzblutig beseelte Großstadtlyrik, bevor sie als deutsche Jüdin in den Jahren vor Hitlers Machtergreifung nach New York emigrieren musste. Die verwendeten Texte, welche Kehr in einem Lyrik-Band, dem ihr vor einiger Zeit ein Konzertbesucher überließ, fand, sprühen tatsächlich vor Witz, sind manchmal nachdenklich, aber eigentlich immer eine Bejahung des Lebens und des jetzigen Moments. Dies packt die 40-jährige Liedermacherin mit ihrer Band dem damaligen Zeitgeist entsprechend in eine akustisch gewichtete Musik, die so tatsächlich oft einen Wink in Richtung Weimarer Republik und deren kulturellem Flair bietet. Ja, die schlichte Eleganz und zeitlose Strahlkraft von Kalékos Dichtkunst passt der Hauptstadt-Liedermacherin, welche einst als „Kleingeldprinzessin“ durch bundesdeutsche Fußgängerzonen tingelte, wie angegossen.

61gjjlNSfOL._SS500_Nur eines fällt dann doch auf: So charmant und beseelt Mascha Kalékos Texte auch sind – ein wenig eindimensional erscheinen sie – eventuell (auch) ihres Alters wegen – dann doch, wenn sie etwas platt und zu gewollt in Richtung Wortspiel schielen. Passagen wie „Eines Morgens wachst Du auf / Und bist nicht mehr am Leben“ oder „Die anderen sind das weite Meer / Du aber bist der Hafen“ mag zwar im ersten Moment eine gewisse Wucht innewohnen, doch sind sie auch eine Idee zu naheliegend und plakativ. Schlussendlich  ist „Kaléko“ jedoch ein Musikalbum, und so zählt auch die Kombination mit ebenjener (der Musik) – und da punktet die Platte in vielen Bereichen recht ordentlich. Denn Kehr hat eine Geheimwaffe im Köcher: ihre Gesangspartner, die eine Vielzahl der Songs mit Dota teilen. Der olle Bohemian Max Prosa gibt einen wunderbar beruhigenden Widerpart zu Dotas heller Stimme in „Für einen“ und vermittelt Gemütlichkeit, gar Geborgenheit auf wunderbar unaufgeregte Weise. Auch das fluffig dahin schunkelnde „Kein Kinderlied“ hat einen Schuss Extra-Witz, erhält aber auch dank der Kooperation mit Uta Koebernick gesangliche Harmonie.

Fest steht außerdem: Der kernig knisternde, von müder Lebenserfahrung geprägte Gesangspart Hannes Waders, der in diesem Jahr auch schon 78 Lenze jung wird, in „Auf eine Leierkastenmelodie“ ist ein emotionales Highlight. Die Gitarre tönt hier tatsächlich wie eine alte Drehorgel, Sehnsucht und die Vergeblichkeit derselben wachsen im Zusammenspiel der kontrastreichen Stimmen zu einer dicken Träne, die dem Hörer still die Wange hinunter kullert. „Kompliziertes Innenleben“ mit Konstantin Wecker, eher im abgedämpften Pathos unterwegs, verarztet mit seinem Text über Abschied, Nähe und die widersprüchliche Natur der Sehnsucht sowie durchaus angespannter Songstruktur erneut ein melancholisches Sehnen, das sich erstaunlich weich anschmiegt. Außerdem zu Duetten mit an Bord: Francesco Wilking (Die Höchste Eisenbahn), Karl die Große, Felix Meyer (wobei es ein weiterer Song mit ihm, das feine „Zum Trost„, eigenartigerweise nicht aufs Album geschafft hat) oder die befreundete Singer/Songwriterin Alin Coen (da gilt gleiches für „Gib mir deine kleine Hand„).

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Willkommene Einwürfe sind die zwei jazzig angehauchten Instrumentals, welche sich vom recht klassischen Aufbau der eigentlichen Songs entfernen. Hier findet man auch mal jene aus der Reihe tanzenden Verrücktheiten und Spleens, die dem Rest der Platte bei aller sorgsamen Behandlung ein wenig abhanden gekommen sind und bei Dota früher noch recht häufig anzutreffen waren. Ein weiterer Wermutstropfen von „Kaléko” ist auch die Kürze der einzelnen Stücke. Die meisten pendeln sich bei knapp zwei Minuten ein, wodurch der Fokus natürlich verstärkt auf den Texten liegt, obwohl bei einigen Nummern auch deutlich mehr Raum für instrumentale Ausflüge gewesen wäre, denn schließlich gibt es einige Songs auf dem Album, denen genau das gelingt: Gerade einmal sieben Zeilen braucht Kaléko in ihrem Gedicht „Für Chemjo zu Pessach 1944“, um ein Gefühl auf den Punkt zu bringen, über das andere ganze Bücher schreiben. Demnach braucht auch Dota Kehr nicht einmal eine Minute, um den Text, begleitet von zurückhaltender Gitarre und Tastenklängen mit ihrer unaufgeregten Stimme, zu vertonen. Was darauf folgt, sind fast zwei Minuten schönstes Blechbläser-Solo, dessen Melodiebögen und Phrasierungen denen Dotas in nichts nachstehen. Das Stück wirkt wie ein Dialog zwischen den beiden Liebenden, der sich nach dem Gedicht ereignen könnte, und geht erfreulicherweise einen Schritt weiter, als lediglich bloße Vertonung zu sein. Eine Ausnahme? Ja, aber eine gute! Schlussendlich ist „Kaléko“ ein liebevoll ausgearbeitetes Album, welches sich an mancher Stelle jedoch zu voreilig – und eventuell ein wenig zu ehrfürchtig – mit gängigen Strukturen zufrieden gibt. Und so manchmal eben doch das Risiko scheut.

 

„Es ist mir eine ganz besondere Freude, dass Konstantin Wecker bei diesem Lied mitsingt. Wir haben uns in Dresden getroffen und im Backstage-Raum aufgenommen. Das war sehr konzentriert.“ (Dorothea „Dota“ Kehr über die Entstehung des Songs „Kompliziertes Innenleben“)

 

 

(Übrigens: Ein recht gut zur aktuellen Weltlage passendes Reicht aus der Feder von Mascha Kaléko fand sich unlängst am „Gesuche“-Brett eines Leipziger Supermarktes wieder…)

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: DOTA – „Grenzen“


Foto: Sandra Ludewig / Promo

Foto: Sandra Ludewig / Promo

Tagtäglich erreichen mich zig Mails von Promoagenturen, Künstlern und Bands. In jeder von ihnen bittet man mich um Gehör – was wohl – aus so ziemlich vielen Gründen – angebracht erscheinen mag, immerhin gilt es die jeweiligen Künstler, welche sicherlich wiederum ihrerseits viel Zeit, Gedanken, Schweiß und Mühe in ihre Stücke gesteckt haben mögen, zu vermarkten. Leider habe ich zu oft zu wenig Zeit und Energie, jedem Anspielwunsch Folge zu leisten (sorry an dieser Stelle einmal dafür!), immerhin habe auch ich ein Privat-, ein Arbeitsleben außerhalb dieser digitalen Zeilen.

Manchmal jedoch stolpere ich über Zeilen wie diese:

 

„Liebe Medienpartner,

aus aktuellem Anlass heute einmal ein etwas anderer Song, der mir auf Grund der brisanten Lage zur Flüchtlings- und Asylpolitik stark am Herzen liegt. ‚Grenzen‘.

Die Berliner Sängerin Dota Kehr, bekannt für ihre sozialkritischen Songs, hat ‚Grenzen‘ bereits vor einiger Zeit geschrieben. Dota und Band baten mich, ihn in die Welt zu schicken. Selbstverständlich. Ich würde mich freuen, wenn ihr das Gleiche tut.

Das Stück ‚Grenzen‘ ist der Diskursbeitrag der Berliner Band DOTA zu Rechtsruck und Flüchtlingsthema. Ein bedingungsloses Plädoyer für Menschlichkeit und ein gut durchdachter Text, der dem aktuellen Elend ein Stück hoffnungsvolle Vision entgegen trotzt. ‚Ich melde mich ab, ich will einen Pass, wo Erdenbewohner drin steht…‘ „

 

Man muss die Songs der 36-jährigen Hauptstadt-Liedermacherin Dorothea „Dota“ Kehr, die sie nun schon seit mehr als zwölf Jahren und etwa acht Alben unters Hörervolk bringt, im Gros nicht mögen, darf sie auch gern mal anstrengend finden. Fair enough. Das angesprochene „Grenzen“, welches Kehr bereits vor einigen Monaten schrieb (den Text dazu etwa postete sie bereits im Januar auf ihrer Facebook-Seite), jedoch ist eines dieser Stücke, die in Zeiten einer dermaßen akuten menschlichen Schieflage wichtiger kaum sein könnten.

Eventuell mag manch einer von euch ein Statement von mir zu all den aktuellen Geschehnissen erwartet (oder auch befürchtet) haben. Und obwohl ich in der Tat eine Meinung, eine Haltung (und als Betreiber eines eigenen Blogs wohl auch einen guten Teil gesteigertes Mitteilungsbedürfnis) habe – es wird keins geben. Nicht für den Moment. Nur zwischen den Zeilen.

Vielmehr möchte ich „Grenzen“ für sich sprechen lassen. Der Song ist Statement genug – und ein starkes obendrein, für das manch anderer Liedermacher meucheln würde. Denn selbst und gerade in Zeiten wie den heutigen sollten wir uns eines vor Augen führen: Die Würde des Menschen ist unantastbar – oder sollte es zumindest sein. Über sieben Milliarden von uns – und keiner kommt so ganz durch das, was wir hier oft genug „Leben“ nennen… „Es gibt Grenzen.“

 

 

„Wer ist drinnen, wer ist draußen?
Ich mal eine Linie. Du darfst nicht vorbei.
Da trifft Luft auf Luft,
Da trifft Land auf Land.
Da trifft Da trifft Haut auf Blei.
 
Wo ist oben, wo unten?
Wer könnte, wer wollte das ändern?
Was geschieht in den Ländern, 
An ihren Rändern?
 
Es gibt Frontex und push-backs,
Zäune, Waffen, Flüchtlingsabwehrkonferenzen.
Das Mittelmeer wird ein Massengrab.
Es gibt Grenzen.
 
Sie führen zu Nationalismus mit seinen
bekloppten Konsequenzen,
Man entrechtet Leute, nur weil sie von irgendwo kamen.
Es gibt Grenzen.
 
Könnten Sie diese Antwort bitte
sinngemäß richtig ergänzen:
Was liegt möglicherweise im Kern des Problems?
Es gibt Grenzen.
 
Ich melde mich ab, gebt mir einen Pass,
wo ‚Erdenbewohner‘ drin steht.
Einfach nur ‚Erdenbewohner‘.
Sagt mir bitte, wohin man da geht.
Ich melde mich ab, ich melde mich um,
Das kann doch so schwierig nicht sein.
Schreibt einfach nur ‚Erdenbewohner‘ da rein.
 
Wir ziehen eine Grenze im Himmel,
Ein Gott ist hier und einer ist dort.
Dann drohen sie sich mit den Fäusten,
In Ewigkeit und so fort.
 
Da muss es was Besseres geben,
Frieden bringt kein Götterbote.
Wir haben es ein paar tausend Jahre mit Grenzen versucht,
Das gab sehr viele Tote.
 
Nennt mich naiv, es ist mir egal,
Aber ich finde es reicht.
Ich suche das Land, in dem jeder dem andern
in Staatsunangehörigkeit gleicht.
 
Ich melde mich ab, gebt mir einen Pass,
wo ‚Erdenbewohner‘ drin steht.
Einfach nur ‚Erdenbewohner‘.
Sagt mir bitte, wohin man da geht.
Ich melde mich ab, ich melde mich um,
Das kann doch so schwierig nicht sein.
Schreibt einfach nur ‚Erdenbewohner‘ da rein.
 
Ich schließe die Tür und genieße die Stille,
Ich grenze mich ab, das muss sein.
Jeder hat seine Grenze, die ihn umgibt,
Sie schließt ihn schützend ein.
 
Jeder Übergriff, jeder Schlag
verletzt ein Menschenrecht.
Warum schützt man die Grenzen der Staaten so gut
Und die Grenzen der Menschen so schlecht?
 
Sie müssen nicht zwischen den Ländern verlaufen,
Aber zwischen den Menschen.
Nicht aus Stacheldraht sollen sie sein,
Sondern aus Respekt.
Es gibt Grenzen.“

 

Rock and Roll.

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