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Song des Tages: Farin Urlaub Racing Team – „Die perfekte Diktatur“


Generationen von Deutschrock-affinen Musikhörern dieser bescheidenen Bundesrepublik wissen es eh schon, der tumbe Rest hat zumindest irgendwann, irgendwie, irgendwo ein informatives Lüftchen wehen hören: die ärzte (aus Berlin! auuuuus Berlin!) sind nahezu vierzig Lenzen eine Bank, wenn’s um mindestens unterhaltsame deutschsprachige Musike geht, wa. Mögen sich an vielen anderen Bands und Künstler*innen auch die Geister scheiden, auf BelaFarinRod können sich seit eh und je (fast) alle einigen…

Ebenso geläufig dürfte sein, dass das Punkrock-Dreiergespann mit seinen Songs die komplette Klaviatur zwischen Albernheit und heiligem Ernst zu bespielen weiß – sowohl gemeinsam als auch solo. Letzteres trifft vor allem auf das Œuvre von Farin Urlaub zu. Gloobste nich, Keule? Im Zweifel sei man etwa auf ein Stück wie „Die perfekte Diktatur“ verwiesen, seinerzeit (also: 2014) eine B-Seite zu „Herz? Verloren„, welches wiederum vom jüngsten Langspieler „Faszination Weltraum“ seines Farin Urlaub Racing Team stammt. Vordergründig eine von Urlaubs vielen In-medias-res-Erzählungen, hinterrücks ein Song über den Überwachungswahn eines Staates, den damit einhergehenden schleichenden Verlust der Freiheit und die paranoiden Ahnungen einer alles und jeden umfassenden Weltverschwörung. Und obwohl man an mancher Stelle durchaus an aktuelle (Russland, Nordkorea, China – you name it) wie vergangene Unrechtssysteme (DDR) denken darf, lässt der 58-jährige ärzte-Gitarrist am Ende wie so häufig völlig offen, welche Zeilen augenzwinkernder Jux sind und welche bitterernste Pille – können hierzulande auch nur ganz, ganz wenige…

(Und mal ehrlich, all ihr Reptiloid-Theoretiker und Schwurbler: Der Urlaub hat’s nicht „erkannt“ oder „endlich mal in tönende Worte gefasst“, sondern wandelt hier einfach auf dem ihm eigenen Ironiepfad. Denn wenn wir hier in Deutschland – jaja, GmbH, PERSONALausweis, pipapo, blablabla, Hirsehitler, Naidoo heult um die Kinder… – in einer solchen „Diktatur“ leben würden, dann dürfte jener Urlaub-Farin nach Zeilen wie denen aus „Die perfekte Diktatur“ kaum noch Nummer-eins-Alben mit Bela B und Rodrigo González bejubeln… Die Tatsache, dass ihr Deutschland „Diktatur“ schimpfen dürft, ohne auf nimmerwiedersehen zu verschwinden, beweist im Grunde vor allem zwei Sachen: dass es sich hierzulande – alle anderen durchaus zu kritisieren Missstände mal außen vor – eben nicht um eine solche handelt. Und natürlich euren eigenen Wirrsinn. Und wer’s nicht glaubt, der darf aktuell gern einmal versuchen, auf dem Roten Platz zu Moskau lauthals „Russischer Angriffskrieg auf die Ukraine! Nieder mit Putin!“ zu skandieren. Eben.)

„Ich geh‘ nicht mehr ans Telefon, es klingelt jeden Tag um vier
Ich fahr‘ nicht mit der Straßenbahn, ich lauf‘ den ganzen Weg zu dir
Das Telefon wird abgehört und in der Bahn sitzen Spione
Sie tragen stets dieselbe Uhr und wissen alle, wo ich wohne
Wir treffen uns in einem Park, um diese Zeit ist niemand hier
Wir können reden, ungestört und es gibt keine Mikrophone

Sie kommen meistens nachts, um die Leute zu holen
Und hinterher steht wieder eine Wohnung leer
Die Zeitungen sind voll mit Durchhalteparolen
Aber Zeitung liest sowieso keiner mehr
Überall sind Kameras angebracht
Alles wird rund um die Uhr überwacht
Die Grenzen sind geschlossen, seit Jahren schon
Dir bleibt nur noch die innere Emigration

Ich kenn‘ dich, seit wir Kinder sind, ich weiß, ich kann dir auch vertrau’n
Wir planen schon seit einem Jahr zusammen von hier abzuhau’n
Du hast uns Dynamit besorgt, jetzt brauchen wir noch ein paar Waffen
Du sagst, du hältst es nicht mehr aus und du hoffst sehr, dass wir es schaffen
Zum Abschied darf ich dir noch einmal tief in deine Augen schauen
Ich denk‘ den ganzen Weg nach Haus an dich – ich werd‘ wohl nicht viel schlafen

Sie kommen meistens nachts, um die Leute zu holen
Und hinterher steht wieder eine Wohnung leer
Die Zeitungen sind voll mit Durchhalteparolen
Aber Zeitung liest sowieso keiner mehr
Überall sind Kameras angebracht
Alles wird rund um die Uhr überwacht
Trotzdem ist es heute Nacht wieder passiert:
In der Innenstadt sind Bomben explodiert

Und das Radio sagt:
‚Es besteht keine Gefahr für die Öffentlichkeit…‘
Und trotzdem wissen irgendwie alle Bescheid

Ich ging auch heut wieder zu dir, die Straßen waren völlig leer
Dein Name stand nicht an der Klingel, in der Tür stand irgendwer
Er gab mir einen Brief von dir, in dem du schriebst, es tut dir leid
Und außerdem wünscht du mir Glück und dankst mir für die schöne Zeit
Ich weiß, du musstest mich verraten – doch das nützt dir jetzt nichts mehr
Du wusstest nicht: Ich arbeite seit Jahren für die Sicherheit

Und wir kommen meistens nachts, um die Leute zu holen
Und hinterher steht wieder eine Wohnung leer
Die Zeitungen sind voll mit Durchhalteparolen
Aber Zeitung liest sowieso keiner mehr
Überall sind Kameras angebracht
Alles wird rund um die Uhr überwacht
Die Grenzen sind geschlossen, seit Jahren schon
Und morgen früh besuch‘ ich deine Exekution“

Rock and Roll.

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Moment! Aufnahme.


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Foto: dpa

 

Eine Demonstrantin kniet vor bewaffneten Einsatzkräften in den Straßen des weißrussischen Minsk – wenn ein Bild mehr zum Ausdruck bringt als viele (nichtsdestotrotz wichtige) Berichte…

 

Rock and Roll.

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Zitat des Tages


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(gefunden hier)

 

(Hamed Abdel-Samad, *1972 bei Kairo, ägyptisch-deutscher Politikwissenschaftler und Publizist, der der Öffentlichkeit vor allem als Autor islamkritischer Werke bekannt ist)

 

Rock and Roll.

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