Er kommt halt nie aus der Mode: Der minnesingende Schmerzensmann. Der, der spätabends einsam-allein und von allen guten Geistern verlassen mit seiner Akustischen im Arm und einem Zauselbart im Gesicht, der die magische Drei-Tage-Grenze längst überschritten hat, auf der spärlich beleuchteten Veranda sitzt und vergeblich auf die Angebetete wartet. Der, der in einer lauen Sommernacht am Lagerfeuer hockt und zu reduzierter Gitarrenbegleitung Geschichten von seinem wilden Leben erzählt, während eine wilde Brise vom Meer heraufzieht und die Blicke aller Mädchen an seinen Lippen haften. Machen wir uns nichts vor: Typen wie diese sind – Klischee hin, Klischee her – wahre Frauenmagneten. Nicht erst seit den vor gut 15 Jahren auf die Bühne getretenen Dashboard Confessional und ihrem wohl eher unfreiwillig denn freiwillig zur Masturbationsvorlage aller US-Emo-Teengirls gewordenen Frontmann Chris Carrabba (der damals bei allem Bohei durchaus gute Songs zustande brachte). Nicht erst seit dem „ewigen Wunderkind“ Conor Oberst, der mit seinen mittlerweile 34 Lenzen durchaus zufrieden auf gut zwei (!) Jahrzehnte im Musikgeschäft und das Zutun in einer gut und gern zweistelligen Anzahl von Bands und Formationen zurückblicken kann (trotzdem hören ihm nicht wenige auch heute noch am liebsten zu, wenn Oberst solo und rein akustisch-unverstärkt seine Lieder mit zittriger Stimme vorträgt). Nicht erst seit dem ebenso großen wie abgrundtief traurigen Kloß Elliott Smith, dem legendär (zu) früh verstorbenen Jeff Buckley, der heulenden Nervensäge James Blunt, den aktuell wohl schönsten Leisetretern Bon Iver und William Fitzsimmons, dem hellen Organ eines Cat Stevens, dem engelsgleichen Duo Simon & Garfunkel, den US-Traditionalisten Bob Dylan und Woody Guthrie (wer mag, darf die Liste gern bis ins Mittelalter – oder gar darüber hinaus – ausführen). Girls like guitars. Jüngstes Beispiel, etwa: Mumford & Sons. Sicherlich besitzen Marcus Mumford und seine drei Mitstreiter so einige (musikalische) Qualitäten, die den Erfolg auf den weltweit größten Bühnen schon früh erahnen ließen. Dazu dieses Gespür für zarte Melancholien, welche in den Strophen sanft anschwellen, um in den Refrains mit großem Hymnus und abschließenden Chorgesängen konterkariert zu werden – darauf konnten sich vorm Player wie bei Konzerten so ziemlich alle einigen, von der drögen Bankangestellten über stylische Großstadtpärchen und Punkrocker bis hin zu in Würde ergraute Rentnerpaare. Und wäre das noch nicht genug, ist es den vier englischen Musikern ein Leichtes, den Gegenüber – auch ganz ohne Musik und nur durch ihre natürliche Bodenständigkeit und Unaufgeregtheit – innerhalb von Minuten von sich zu überzeugen. Trotzdem: Auch beim schönsten Genuss setzt irgendwann einmal die gute alte Übersättigung ein. Braucht die Welt also – trotz der aktuellen Pause von Mumford & Sons – wirklich einen Lückenbüßer? Zumal da auch noch Bands wie Dry The River wären…
All das dürfte Reuben and the Dark wohl wenig stören. In Zeiten, in denen es Musikschaffende von Jahr zu Jahr schwerer haben, ihre Kunst an den Konsumenten zu bringen (wobei die „schöne neue Digitalität“ Teufel und Weihwasser gleichzeitig darstellen dürfte), nimmt man jede positiv konnotierte Referenz natürlich gern an. Zudem liest sich der Werdegang von Frontmann Reuben Bullock quasi wie das Non-Plus-Ultra des traumjagenden Barden von Welt: Als einer der Söhne eines kanadischen Wanderpredigers aufgewachsen, verbrachte er seine Kindheit und Jugend sprichwörtlich „auf den Straßen“ Nordamerikas – und träumte mit seinen Brüdern trotzdem von der großen, von einer wilderen Welt. Die Musik bot ihm dabei schon früh einen Fluchthafen vor dem Zuviel an Spiritualität. Bullock begann zu schreiben – Gedichte, eine Gitarre rührte er laut eigenen Aussagen nicht vor dem 21. Lebensjahr an. „Pulling Up Arrows“, sein erstes von bislang zwei Soloalben, nahm er der Legende nach in einer einsamen Holzhütte im Nirgendwo Kanadas auf und reiste mit seinen Songs und der Akustischen durch die Welt. Als Christopher Hayden, seines Zeichens Schlagzeuger bei den ebenso wenig um Pathos und Größe verlegenen Florence and the Machine (auf eine wenig andere Machart), Bullocks Soloalbum zufällig in einem Shop hörte, nahm er Kontakt zu dem Sänger auf und lud ihn zuerst zu sich auf die Bühne und wenig später ins ferne London ein, um gemeinsam an Demoaufnahmen zu arbeiten. Reuben Bullock nahm diesen Karriereschritt zum Anlass, um sich eine Band aus nicht minder talentierten Freunden und Verwandten (etwa seinem jüngeren Bruder) zusammenzustellen – Reuben and the Dark waren geboren. An ihrem kürzlich beim kanadischen Indie Label Arts & Crafts erschienenen Debütalbum (noch nicht hierzulande, dafür bereits in der nordamerikanischen Heimat) arbeiteten sie, neben Hayden, mit Produzentengrößen wie Stephen Kozmeniuk (u.a. Madonna, Nicki Minaj) zusammen, während sich Jim Abbiss (u.a. Adele, Björk, DJ Shadow, Editors) für den finalen Mix verantwortlich zeichnete. „Funeral Sky„, dem elf Songs starken Ergebnis, merkt man schon an, dass es Reuben and the Dark gar nicht erst darauf anlegen, für lange Zeit als „Geheimtipp“ in kleinen Kellerclubs zu versauern. Bullocks markdurchdringendes Gesangsorgan, das zuweilen an jenes von Villagers-Frontmann Conor O’Brien denken lässt, erzählt zu oft spärlicher Gitarren- oder Pianoinstrumentierung Geschichten vom Fern- wie Heimweh, während seine Band für den reichlich sakralen Unterbau sorgt. Wie bei oben genannten Referenzbands auch wird so eine Stimmung erzeugt, die gleichzeitig alt-hergebracht wie absolut zeitgeistig wirkt. Über „Devil’s Time“, einen der zentralen auf „Funeral Sky“, weiß der Frontmann etwa stellvertretend zu berichten: „‚Devil’s Time‘ is one the oldest tunes on this record, written years ago and almost forgotten. It comes from a place of comfortable despair, of being hopeless and free… a theme that has become very present throughout the songs on ‚Funeral Sky‘.“. Wenn Reuben and the Dark auf ihrem Debüt radiofreundliche Uptemponummern vom Stapel lassen, dann auch mit ein wenig Weltschmerz der Marke Dry The River und mit den Handclaps sowie dem Hymnus von Mumford & Sons im Gepäck. Und trotz der Tatsache, dass einem kaum etwas ferner läge, als den Jungs den Vorwurf des Plagiats beziehungsweise Trittbrettfahrertums zur Last zu legen, darf freilich jeder auf die Frage, ob sich diese Band wirklich auf Dauer einen festen Platz in den persönlichen Playlists erspielen kann, seine eigene Antwort finden. Fest steht: Reuben and the Dark setzen zum Sprung an – auf leisen Sohlen von Calgary in die wilde, weite Welt. Tough guys, warm heart – It’s good to be a bard…
Hier gibt’s die Musikvideos zu den Auskopplungen „Black Water“…
…“Rolling Stone“…
…und „Bow And Arrow / A Memory’s Lament“ (übrigens ein Song, den Reuben Bullock zuvor bereits solo aufnahm)…
…sowie eine zehnminütige Acoustic Session in passender Landschaftskulisse anschauen…
…und sich hier mit „Devil’s Time“ eines der Highlights von „Funeral Sky“ anhören:
Rock and Roll.