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Song des Tages: Zella Day – „Seven Nation Army“


Es gibt Gitarrenriffs, die jeder mitsingen kann. Im Schlaf. Erst recht in bierseliger Laune. Welche Musiker dahinter stehen und wie der entsprechende Song eigentlich heißt, ist den meisten dabei sogar oft verdammt egal. „Smoke On The Water“ von Deep Purple etwa, „Paranoid“ von Black Sabbath sicherlich, „Back In Black“ von AC/DC wohlmöglich, „Smells Like Teen Spirit“ von Nirvana ohne jeden Zweifel – und eben „Seven Nation Army“ von The White Stripes. Letzterer mittlerweile vor allem dank seiner Verbindung zum tumben Volksunterhaltungssport Fußball. Doch nicht so schnell, alles auf Anfang…

Januar 2002, The White Stripes waren gerade auf Tour in Australien. Der Soundcheck vor ihrer Show in Melbourne wurde unerwartet zu einem entscheidenen Moment in der Karriere des Duos. Jack White spielte zum ersten Mal die berühmten sieben Noten des Riffs von „Seven Nation Army“. Der Gitarrist und Bandkopf zeigte es Ben Swank, seines Zeichens Crew-Mitglied und Angestellter bei seiner Plattenfirma Third Man Records, der lediglich ein knappes „It’s OK“ darauf erwiderte. Ganz in Ordnung, Chef, aber irgendwie auch nichts Besonderes…

Nun, so kann man sich irren.

Jack White hoffte zu Beginn der 2000er, in der Zukunft einmal den Titelsong zu einem James-Bond-Film schreiben zu dürfen. Aus diesem Grund fasste er zunächst den Entschluss, das Gitarren-Thema aus Melbourne für ebenjenen Zweck aufzubewahren – eine Idee, die er schnell wieder über den Haufen warf, denn zu unwahrscheinlich erschien ihm dieses Szenario. Und dieses Mal war er es selbst, der sich irrte, schließlich durfte White etwas später tatsächlich den ersehnten Bond-Titelsong schreiben – und wohlmöglich ist das 2008 mit Alicia Keys veröffentlichte „Another Way To Die“ (für den Film „Ein Quantum Trost“) der vielleicht beste Bond-Titeltrack der jüngeren Geschichte…

Aber zurück zum eigentlichen Thema.

Also wurde daraus dann doch ein Song für The White Stripes und nicht für den Spezialagenten seiner Majestät im Vereinten Königreich. Zumindest geografisch rückten Jack und Meg White dabei nicht allzu weit von 007 ab, denn „Elephant“, das vierte, 2003 erschienene Album des Duos aus Detroit, Michigan, wurde in den Toe Rag Studios in London aufgenommen. Und „Seven Nation Army“ wurde von den beiden zum Opener des Albums erkoren.

Auch das Dahinter ist im Grunde recht schnell abgehandelt. So liegt etwa der Name des Liedes bis heute darin begründet, dass Jack White die Wörter „Salvation Army“, zu deutsch Heilsarmee, als Kind nicht richtig aussprach. Kurzerhand machte er „Seven Nation Army“ daraus. Ursprünglich nur als Arbeitstitel gedacht, avancierten die Wörter schließlich zum tatsächlichen Namen des Liedes, welcher sich inhaltlich mit Kleinstadt-Gossip auseinandersetzt. Jack Whites eigene Erfahrungen, insbesondere im Zusammenhang mit seiner Berühmtheit, bilden das Fundament des Textes.

Und das Klangliche? Nun, einem wichtigen Motto blieben The White Stripes auch auf „Elephant“ treu: keine Bass-Gitarren, Ladies und Bluesmänner! Den Sound des ikonischen Riffs von „Seven Nation Army“ erschuf Jack White mithilfe einer halbakustischen E-Gitarre aus den 1950ern, das Ausgangssignal wurde durch ein Effekt-Pedal namens Whammy der Firma Digitech um eine Oktave herunter transponiert. Ausreichend Fachsimpelei?

Dennoch waren anfangs nicht alle Parteien von dem späteren Evergreen begeistert. Neben Ben Swank musste Jack White auch die Vertreter seiner Partner-Plattenfirmen XL und V2 davon überzeugen, dass „Seven Nation Army“ ein großartiger Song war. Großartig genug sogar, um ihn zur ersten Single-Auskopplung des neuen Albums zu machen. Im Gegensatz zum Band-Frontmann erschien „There’s No Room For You Here“ den Label-Mitarbeitern als geeignetere Wahl – doch White blieb stur und hatte schließlich Erfolg.

Im Oktober 2003 begann dann die „ganze Sache mit dem Fußball“. Der belgische Club FC Brügge spielte in der Champions-League-Gruppenphase auswärts gegen eines der damals besten Teams der Welt: den AC Mailand. Milan hatte im Mai desselben Jahres die UEFA Champions League gewonnen und ging daher als haushoher Favorit in das Match im heimischen San Siro.

Vor dem Spiel vertrieben sich die mitgereisten Fans aus Belgien die Zeit in einer Bar in der Mailänder Innenstadt. Zwischen den Unterhaltungen über die sichere Niederlage gegen den italienischen Giganten, dem feuchtfröhlichen Klirren von Biergläsern und dem nervösen Rücken von Stühlen ertönte plötzlich ein äußerst prägnantes Gitarren-Riff, das sich selbst die betrunkensten Brügge-Fans merken konnten. „Seven Nation Army“ von The White Stripes nahm seinen Lauf – gemeinsam mit dem kleinen Fußball-Wunder am selben Abend, denn in der 33. Minute erzielte Andrés Mendoza das Siegtor für Brügge. Und die in die italienische Modemetropole mitgereisten Fans? Flippten selbstredend aus. Voller Euphorie erinnerten sie sich an die eingängige Melodie, die sie am Mittag gehört hatten (wenngleich auch nicht an den dazugehörigen Text), und grölten ausgelassen ein lautes „Oh…oh-OH-oh oh OHH OHH!“. Verbunden mit der seligen Sieg-Erinnerung nahmen die Anhänger des FC Brügge das Lied mit zurück nach Belgien und etablierten es fortan im eigenen Stadion.

Ein paar Jahre darauf, im Februar 2006, spielte der FC Brügge erneut gegen ein italienisches Team, nun aber zu Hause gegen den AS Rom im kleinen Bruder der Champions League, dem UEFA Cup (welcher sich heute „UEFA Europa League“ schimpft). Zwar verlor Brügge jenes Spiel mit 1-2, doch dies tat der Popularität von „Seven Nation Army“ als Fußball-Song keinen Abbruch – ganz im Gegenteil: Nun fanden auch die Anhänger der Roma Gefallen an dem leicht memorablen Mitgröhl-Riff des Songs und machten ihn sich zu eigen.

Die italienische Fußball-Legende Francesco Totti (785 Spiele mit 307 Toren in 24 Jahren als Profi beim AS Rom) kommentierte das Geschehen auf den Rängen gegenüber einer niederländischen Zeitung mit den Worten: „Ich hatte den Song noch nie gehört, bevor wir in Brügge aufs Feld gelaufen sind. Seitdem kann ich den ‚PO-PO-PO-PO-PO-POO-POO-Song‘ nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Es hat sich fantastisch angehört und die Zuschauer mochten es sofort. Danach habe ich mir schnell ein Album der Band besorgt…“

Gemeinsam mit Totti und den Fans des AS Rom gelangte „Seven Nation Army“ wieder zurück nach Italien. Bei der Weltmeisterschaft im Sommer 2006 wurde das Lied so etwas wie die inoffizielle Hymne der Azzurri auf dem Weg zum Titel in Deutschland. Die Funktionäre der UEFA bemerkten den Trend und machten den White-Stripes-Song zur offiziellen Einlauf-Musik der Mannschaften während der Europameisterschaft 2008. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatten es alle mitbekommen – ob sie nun wollten oder nicht. „Seven Nation Army“ verselbstständigte sich, fernab vom US-amerikanischen Detroit, und wurde zum Mannschaften wie Fanszenen übergreifenden, veritablen Fußball-Hit.

Jack White selbst freute sich über die Geschichte, die vor nunmehr zwanzig Jahren in Melbourne begann (und irgendwie auch die White Stripes überlebte, welche 2011 ihr Bandende bekannt gaben). Als er auf die Adaption seines Hits durch die italienischen Fußball-Fans angesprochen wurde, unter denen „Seven Nation Army“ als der „PO-PO-PO-PO-Song“ bekannt ist, sagte er: „Ich fühle mich geehrt, dass die Italiener den Song zu einem der ihren gemacht haben. Nichts ist schöner in der Musik als die Annahme einer Melodie durch Menschen, die ihr erlauben, den Pantheon der Folk-Musik zu betreten. Als Songwriter ist so etwas unmöglich zu planen. Besonders in modernen Zeiten. Ich liebe es, dass die meisten Leuten überhaupt nicht wissen, wo die Melodie herkommt, wenn sie sie singen. Das ist Folk-Musik.“

Manchmal nimmt ein Song eben ungewöhnliche Wege…

Womit wir nun auch bei der Künstlerin von ANEWFRIENDs heutigem „Song des Tages“ wären. Bereits 2012 nahm Zella Day eine Coverversion des White-Stripes-Klassikers auf. Dennoch sollte es nahezu eine weitere Dekade dauern, bis ebenjene Neuinterpretation durch die Verwendung in einem Werbespot eines namenhaften südkoreanischen Elektronikherstellers zu weitreichenderer Bekanntheit gelangte. Im Grunde zu Unrecht, denn die Version der mittlerweile 27-jährigen, aus Pinetop-Lakeside, Arizona stammenden und inzwischen – wie so ziemlich viele – in Los Angeles, Kalifornien beheimateten Indie-Pop-Musikerin kann sich als reduziert-schmissige Ballade durchaus hören lassen. Und das nun auch für all jene, die noch nie ein Fussballstadion von innen (oder im Fernsehen) gesehen haben…

Rock and Roll.

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Song des Tages: Norah Jones – „Black Hole Sun“ (live)


Foto: Promo / Vivian Wang

Norah Jones juckt es derzeit mächtig in den Fingern. Nachdem die US-Musikerin wegen der Corona-Pandemie über ein Jahr lang keine Konzerte vor Live-Publikum geben konnte, brennt auch sie förmlich darauf, endlich wieder auf Tournee gehen zu können. Sie wartet nur noch auf ihre zweite Impfdosis und grünes Licht für die Konzertbranche. “Ganz gleich, ob wir nun Musiker oder Fans sind, wir alle vermissen das gemeinsame Erlebnis von Live-Musik”, sagt die neunfache Grammy-Gewinnerin, die vergangenes Jahr für ein Duett mit Mavis Staples ihre nunmehr 17. Nominierung erhielt. “Ich werde auf meiner Facebook-Seite jede Woche auf ein andere Wohltätigkeitsorganisation hinweisen, um den Leuten Respekt zu zollen, die unermüdlich hinter den Kulissen der Live-Musikindustrie gearbeitet haben und deren Jobs auf Eis gelegt wurden. Ich kann es kaum erwarten, wieder mit ihnen allen zusammen zu sein.” Fans von Live-Musik geht es natürlich kaum anders.

Ein bisschen werden sie sich aber voraussichtlich doch noch gedulden müssen. Da kommt ein exzellent aufgenommenes Live-Album der 42-Jährigen, bei der sich Pop-Gelehrte wie Kritiker – mehr als zwanzig Jahre im Musikgeschäft, so einige Nummer-Eins-Alben, zig Auszeichnungen und etwa 35 Millionen verkaufte Tonträger hin oder her – noch immer streiten, ob das einstige Wunderkind nun Jazz, Pop, Soul oder „Adult-Music“ (was böse Zungen wohl gern mit „Fahrstuhlmusik“ übersetzen würden) macht, gerade recht. Auf „‘Til We Meet Again“ – ganz nebenbei tatsächlich das erste wirkliche Live-Album der vielseitigen Pianistin, Sängerin und Gelegenheitsschauspielerin – gibt es so nicht nur einige ihrer größten Hits zu hören, sondern auch eine ebenso überraschende wie bewegende Coverversion von Soundgardens “Black Hole Sun“ (welche vor einiger Zeit aus gegebenem Anlass bereits Platz auf ANEWFRIEND fand).

Die erzwungene Auszeit im vergangenen Jahr nutzte Norah Jones, die obendrein noch einen recht berühmten Vater hat, um sich durch Mitschnitte ihrer Konzerte der zurückliegenden acht Jahre zu hören. Besonders angetan war sie von einigen Aufnahmen, die im Dezember 2019 – also kurz vor Beginn der Corona-Pandemie – bei Auftritten in Südamerika entstanden waren. “Es war einfach ein tolles Gefühl, vor allem, weil wir keinen Zugang zu Live-Musik hatten und nicht auftreten konnten”, verriet sie „grammy.com“ unlängst in einem Interview. “Deshalb wollte ich die Aufnahmen rausbringen.” Mit den Musikern ihrer Band durchkämmte die New Yorkerin dann ihre Konzertarchive nach Aufnahmen, die sie mit ähnlichen Besetzungen gemacht hatte, um wirklich die besten Versionen der gespielten Songs herauszufiltern. Das Ergebnis präsentiert sie nun auf der Zusammenstellung “‘Til We Meet Again”, die bei einer Laufzeit von fast 76 Minuten vierzehn Songs und einen wunderbaren Querschnitt durch Norah Jones‘ bisherige Karriere enthält, darunter offensichtliche Hits wie “Don’t Know Why”, “Sunrise” oder “Flipside” sowie Titel aus ihrer 2018/19 veröffentlichten Singles-Serie.

Die eine Hälfte der Aufnahmen stammt von besagter Südamerika-Tournee, die Norah Jones, Bassist Jesse Murphy und Schlagzeuger Brian Blade unter anderem nach Rio de Janeiro, São Paulo und Buenos Aires geführt hatte. In Rio präsentierte das Trio als Gäste zwei bestens bekannte brasilianische Musiker – den Perkussionisten Marcelo Costa (Mariza, Maria Bethânia, Michael Bublé) und den Flötisten Jorge Continentino (Bebel Gilberto, Milton Nascimento, Brazilian Girls) – sowie ihren alten Songwriting-Partner und Gitarristen Jesse Harris. Harmonisch kombiniert wurden diese sieben Aufnahmen mit sechs weiteren, die Jones im Jahr zuvor mit dem Hammond-Organisten Pete Remm, Bassist Chris Thomas und wiederum Brian Blade am Schlagzeug in den USA, Frankreich und Italien gemacht hatte.

Den krönenden Abschluss bildet die wahrlich unter die Haut gehende Solodarbietung von Soundgardens “Black Hole Sun”. Norah Jones‘ von Herzen kommende (und genau dahin gehende) Hommage an Chris Cornell wurde am 23. Mai 2017 im Fox Theatre in Detroit aufgenommen – nur fünf Tage nach dem Tod des Soundgarden-Frontmanns, der am 17. Mai 2017 am selben Ort sein letztes Konzert mit der Band gegeben hatte. Vor ihrem Auftritt hatte Norah Jones in ihrer Garderobe den ganzen Tag über an dem Arrangement des Songs herumgefeilt. “Ich war ein bisschen nervös”, gibt sie zu. “Aber ich dachte: ‘Ich werde ihm meinen Respekt erweisen und diesen Song von ihm spielen.’” Das Publikum stand vor lauter Begeisterung kopf, als es die Nummer nach dem Klavier-Intro endlich erkannte. “Es war wahrscheinlich einer der schönsten Live-Momente, die ich je erlebt habe”, erinnert Jones sich. “Ich weiß nicht, ob sein Geist im Raum war oder was auch immer, aber er hat mich auf eine Art durch diesen Song getragen, wie ich es mir nie hätte vorstellen können.” Ergreifend. Gelungen. Soulful.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Dogleg – „Kawasaki Backflip“


Kris-Hermann

Ganz zum Schluss, als alles bedauerlicherweise schon wieder vorbei ist, packen sie die Streicher aus. Dann geht der Closer „Ender“ voll Anmut und Eleganz von der Bühne. Mir nichts, dir nichts. Als ob nix gewesen wäre. Die Bühne nämlich kann als solche kaum mehr bezeichnet werden. Wenn diese außergewöhnlichen 35 Minuten und 40 Sekunden zwischen laut und lauter schlussendlich den letzten Ton ausgespuckt haben, liegt alles erstens kreuz und quer in Trümmern und zweitens man selbst schweißgebadet und für längere Zeit tief beeindruckt irgendwo am Boden (so man denn nicht längst einem Votum der Ärzte – Aus Berlin! Auuuuus Berlin! – zum Opfer gefallen ist). Doch der Reihe nach: Dogleg, das ist ein Quartett aus Detroit, Michigan, dessen Sänger Alex Stoitsiadis wohl sein nicht recht junges Leben dafür geben würde, nochmal mit Fugazi oder Crash Of Rhinos touren zu dürfen, der aber zugleich Bock auf The Strokes, Modest Mouse, At The Drive-In oder Jawbreaker hätte. Eigentlich klar, dass die Band ihr kürzlich erschienenes Langspieler-Debüt „Melee“ irgendwo in diesem nicht eben kleinen Spannungsfeld, zu dem unbedingt und überhaupt und sowieso und gern noch …And You Will Know Us By The Trail Of Dead, Cloud Nothings oder Japandroids gezählt werden sollten, platziert…

Melee_DoglegAllerdings: Allein der großartig garagenrockende Opener „Kawasaki Backflip“ nimmt – bei aller Fülle – lasche Positionsbestimmungen wie eben diese, schleift sie ein paar Mal durch den in Stoitsiadis‘ Haus aufgenommenen und selbstverständlich in weltbester DIY-Manier selbstproduzierten, über alle Genregrenzen erhabenen Punk Rrrrrrrrock – und lächelt jedes Attribut lässig riffend weg. Und man selbst? Hat wieder treffsicher am Ziel vorbei beschrieben und ist dem punktgenau gelandeten Zweieinhalbminüter dabei doch in keinster Weise gerecht geworden. Man kann natürlich lang und breit darüber sinnieren, dass „Melee“, der Nachfolger zur 2016er „Remember Alderaan? EP„, klingt wie ein wild durcheinander stiebendes Pogoknäuel aus The Get Up Kids, Shook Ones, Joyce Manor und Crash Of Rhinos, dass man seit Spanish Love Songs‘ noch immer hervorragendem Zweitling „Schmaltz“ nicht mehr so dermaßen viel Dringlichkeit in einem Album gehört hat, dass man manchmal wartet, ob nicht bald jemand We won’t stand for hazy eyes anymore! über die Songs skandiert und dass man Schwierigkeiten mit der sich aufdrängenden Frage hat, ob man hier denn jetzt Punk, Post Hardcore, (Midwest-)Emo oder doch irgendwie Indie Rock über das Dargebotene kritzeln soll.

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Man kann aber auch die imaginäre Referenzhölle einfach einfrieren. Weil ein Song wie „Prom Hell“ schlicht und ergreifend viel zu gut ist, um überhaupt irgendwelchen Vergleichen standhalten zu müssen – Newcomer-Band hin oder her. Von der ersten Sekunde an ist da so viel an unwiderstehlicher Melodie im Spiel, schiebt da später ein nervöses Schlagzeug den Song nach vorne, baut sich konsequent die Spannung auf, bis das Stück vor Kraft kaum noch laufen kann und sich mit allerlei Glanz, Gloria, Krawall und Remmidemmi ins Ziel eskaliert. Herrschaftszeiten, was für ein wilder Gangshout-Ritt! Den die Band jederzeit zu wiederholen in der Lage ist. Man nehme nur das unmittelbar folgende „Fox„, das sich ein feines Mäntelchen aus Hitpotential umhängt, mitsamt ausladendem „Hey!“-Geschrei die Beine in die Hand nimmt und im Finale einmal mehr der hemmungslos-juvenilen Raserei fröhnt. Auf Hörerseite machen sich da zwar keine Verschleißerscheinungen, jedoch wohl die ersten Konditionsprobleme bemerkbar, während man gleichsam in freudigem Entsetzen feststellt, dass noch nicht einmal die Hälfte von „Melee“ den autonomen Indierockschuppen-Boden mit einem aufgewischt hat.

Tatsächlich sind Alex Stoitsiadis (Gitarre, Gesang), Parker Grissom (Gitarre), Chase Macinski (Bass, Gesang) und Jacob Hanlon (Schlagzeug) so freundlich, mit „Headfirst“ zumindest das Tempo ein kitzekleines Stück weit in moderatere Gefilde zu drosseln. Weniger intensiv wird es jedoch keinesfalls, wenn Stoitsiadis alles andere als optimistisch „Time will let you down“ über das dichte Songgeflecht leidet. Und wenn „Cannonball“, welches tatsächlich zum ersten Mal eine Akustikgitarre klingen lässt, das Feld mit viel Dynamik und tatsächlich noch mehr Dramatik für das große Finale bestellt, kann man schon ganz genau einschätzen, womit man es bei „Melee“ zu tun hat – und ist entsprechend (halbwegs) bereit für diesen Irrwitz von Schlusspunkt, den „Ender“ dann setzt. Von der ersten Sekunde an fliegt da alles wüst durcheinander, wird einigermaßen sortiert, in neue Formen und schließlich sogar für einige Momente zur Ruhe gebracht, nur um Stück für Stück wirklich alles an Emotion, Pathos und Leidenschaft in einen furiosen Parforceritt zu werfen, was unter Aufbringung sämtlicher letzter Reserven verfügbar scheint. Und man hofft, Dogleg, diese noch so junge Band, die optisch auf Milchbubi-Nerds macht und auch schonmal einen Song nach einem Pokémon benennt („Wartortle“), mögen bitte, bitte niemals aufhören. Und dann? Packen sie die Streicher aus. Und das Herz, es schlägt. Für einen wilden, lauten, ungeschliffenen, leidenschaftlichen potentiellen Meilenstein. Gern weitersagen!

 

 

Rock and Roll.

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Song des Tages: Norah Jones – „Black Hole Sun“


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Eine Woche nach Chris Cornells Tod trat Norah Jones im Fox Theatre in Detroit und damit genau an jenem Ort auf, an dem Cornell mit Soundgarden am 17. Mai, wenige Stunden vor seinem Tod, sein letztes Konzert spielte. Zu dessen Ehren coverte die vielseitige Soul-Jazz-Sängerin mit „Black Hole Sun“ den Hit von Soundgarden, dem sich in den vergangenen Tagen schon viele Künstler vor ihr annahmen – die einen mehr, die anderen weniger gut (unter anderem versuchten sich auch Ryan Adams, Bush, Incubus, Metallica oder Aerosmith am Soundgarden-Klassiker, in Toronto sang gar ein 225-köpfiger Chor „Black Hole Sun“ ein). Jones aber ist viel mehr als „nur“ ein Cover, sondern eine ganz eigene, ergreifend entschleunigte Interpretation gelungen. Soulful.

 

 

 

Rock and Roll.

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High and lonesome sounds – zwei Download-Tipps für Freunde von The Gaslight Anthem und Brian Fallon zur angekündigten Bandpause


Foto: Danny Clinch

Foto: Danny Clinch

„Wir wollten euch mitteilen, dass wir mit The Gaslight Anthem nach unserer Europa-Tour im August eine Pause einlegen werden. Wir werden in der Zwischenzeit andere Projekte verfolgen, auch musikalischer Art, der Band aber eine Pause gönnen, bis wir entschieden haben, was wir als nächstes tun wollen.

Anstatt eine neue Platte aufzuznehmen, nur um eine neue Platte zu haben, wollen wir lieber unsere Batterien aufladen und abwarten, bis wir uns wieder richtig inspiriert fühlen. Wir denken, das ist zum jetzigen Zeitpunkt die beste Entscheidung, die wir treffen können.“

Foto: Joey Maloney

Foto: Joey Maloney

Mal ehrlich: Diese Meldung, die The Gaslight Anthem vor gut zwei Wochen über ihre Facebook-Seite verbreiteten, überraschte wohl die Wenigsten. Immerhin wurden die letzten Alben der Band – angefangen beim dritten Werk „American Slang“ (2010) über  „Handwritten“ (2012) bis hin zum bisher letzten Studiozeugnis „Get Hurt“ (2014) – von Kritikern wie auch Fans immer zwiespältiger aufgenommen. Klar war nicht alles auf diesen Alben schlecht. Klar muss keine Band – auch nicht der Punkrock-Vierer aus New Brunswick, New Jersey – seine Meilensteine (in diesem Falle „Sink Or Swim“ und „The ’59 Sound„, 2007 und ein Jahr darauf erschienen) immer und immer wieder in unterschiedlichsten Variationen wiederholen. Aber wie viel hatten die jüngsten Songs noch mit Gassenhauern für die ewigen Rock-Jagdgründe, die einem noch immer Entenpelle auf die Unterarme zaubern, mit Stücken wie „Great Expectations“, „We Came To Dance“, „Blue Jeans And White T-Shirts“, „1930“ oder „Old White Lincoln“ gemeinsam? Oftmals: zu wenig, um einem Tränen der Begeisterung in die Augen zu zaubern – leider. Trotz all der Liebe, die der Band (auch meinerseits) noch entgegenschlägt, scheint zunächst einmal die Luft raus…

Trotzdem werden die einzelnen Teile von The Gaslight Anthem – Frontmann Brian Fallon, Gitarrist Alex Rosamilia, Bassist Alex Levine und Schlagzeuger Benny Horowitz – kaum stillstehen. Fallon – für mich seit jeher der einzig kredible Anwärter auf den Thron vom „Boss“ Bruce Springsteen – hatte ja auch in den letzten Jahren bereits das ein oder andere Betätigungsfeld abseits seiner Hauptband, etwa The Horrible Crowes, bei dem ihm TGA-Gitarrentechniker Ian Perkins zur Seite stand, oder das bislang vielversprechende Bandprojekt Molly and the Zombies. Es bleibt also trotz allem spannend…

11787320_10207551032240545_252736424_nWer auch in der Bandpause auf unbestimmte Zeit nicht auf The Gaslight Anthem und Brian Fallon verzichten möchte, dem seinen zur Minute zwei Konzertmitschnitte ans Hörerherz gelegt. Ersterer stammt von einer Show von The Gaslight Anthem in der Saint Andrew’s Hall in Detroit, MI, welche die Band am 1. April 2009 spielte (also noch bevor das dritte Werk „American Slang“ erschien und die Punkrocker in größere Venues überwechselten). Hit folgt auf Hit folgt auf Hit folgt auf Hit – 18 Stücke lang. Zweiterer Mitschnitt ist deutlich neuer und präsentiert den TGA-Frontmann a.D., Brian Fallon, (beinahe) solo und akustisch und bestens aufgelegt beim diesjährigen „Newport Folk Festival“ in Newport, Rhode Island im Juli diesen Jahres. Unterstützt von einigen Freunden (etwa Gaslight-Gitarrist Alex Rosamilia und Horrible-Crowes-Kumpan Ian Perkins) gibt Fallon während der 45-minütigen Show insgesamt neun Songs zum Besten, welche vor allem vom 2011 veröffentlichten Horrible-Crowes-Debüt „Elsie“ stammen, mit „Steve McQueen“ und „Smoke“ sind gar zwei neue Stücke dabei. Rein qualitativ handelt es sich bei beiden Bootlegs um Soundboard-Mitschnitte, welche in Bootlegger-Kreisen wohl die Note A- oder B+ bekommen würden (bei der Gaslight-Show sind die Fallon’schen Vocals, welche vor sechs Jahren noch etwas windschief-punkiger ums Eck kamen als etwa heute, wohl etwas zu sehr in den Vordergrund und der Rest der Band zu sehr in den Hintergrund gemischt, bei der von der Festival-eigenen „Newport Folk Festival“-Internetradiostation mitgeschnittenen Solo-Show gibt es die ein oder andere kleine Übertragungsinterferenz). Alles in allem zwei feine geschenkte Gäule, die die Wartezeit fürs Erste überbrücken sollten – Für den Rest gibt es (mindestens) zwei Alben für die Ewigkeit…

 

 

 

Rock and Roll.

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