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Song des Tages: Die Höchste Eisenbahn – „Gierig“


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Fakt ist: „Wer bringt mich jetzt zu den anderen“ ist eines der speziellsten, gleichzeitig aber auch eingängigsten und daher besten deutschsprachigen Indiepopalben des Jahres 2016.

Fakt ist auch: Die Höchste Eisenbahn ist ein musikalischer Zusammenschluss, welcher – zumindest in Deutschland – seinesgleichen sucht. Klar, solche Charaktere wie  Francesco WilkingMoritz Krämer, Felix Weigt und Max Schröder, die, zusammengenommen, schon so ziemlich alles von „Tatort“-Hintergrundbeschallung (Wilking, nachdem sich seine Band Tele aufgelöst hatte) über feinen, verspulten Singer/Songrwriter-Pop (Krämer), die andere Hälfte von Olli Schulz & Der Hund Marie (Schröder) bis hin zum Bandbetrag für die stets an den Nervenenden sägende Lena Meyer-Landrut (Weigt) gemacht haben, findet man so schnell nicht wieder ein einem Verbund.

Ja logisch ist das alles Fakt – und höchst subjektiv.

487595_z1Ganz und gar nicht subjektiv lässt sich feststellen, dass das, was 2012 einst als lose Idee für ein spontanes gemeinsames Konzert in Dresden zwischen Francesco Wilking und Moritz Krämer begann, vier Jahre später zur festen Band zusammengewachsen ist. Und dementsprechend klingt nun auch Album Nummer zwei: deutlich mehr „nach Band“, nach gemeinsamem Ideensammeln und Haareraufen im Proberaum, deutlich mehr aus einem Guss als noch das drei Jahre zurückliegende Debüt „Schau in den Lauf Hase„, welches damals vor allem Stücke enthielt, die hörbar entweder aus der Feder Wilkings oder Krämers stammten.

Im Jahr 2016 singen die beide Frontmänner des Vierergespanns auf den neuen Stücken von „Wer bringt mich jetzt zu den anderen“ deutlich öfter im Duett, greifen die Ideen und Einwürfe des anderen viel öfter auf, lassen so kaum mehr erkennen, wessen Hirnmasse der jeweilige Song den nun entsprungen ist. Klar sind die Texte noch immer ebenso liebevoll abwegig wie alltäglich wie – im Grunde – kitschig schön. Da singen sie mal von schrulligen Typen wie „Timmy“, der reich ist und irgendwie einsam, dafür jedoch eine riesige Villa auf den britischen Jungferninseln besitzt, mitsamt dem Klavier von John Lennon und einem Speisesaal, durch den Aras fliegen. Oder, wie in „Lisbeth“, von der einstigen Jugendliebe. Dazu spielen nun vermehrt krumme Orgeln, Flöten, ein paar Synthies größer als zuvor auf. Gut also, dass Wilking und Krämer mit Felix Weigt und Max Schröder zwei der begabtesten Multiinstrumentalisten der Republik (zumindest was Indiepop betrifft) zur Seite stehen und den beiden somit den Rücken fürs kreative Wortspiel freihalten.

Besonders schön: „Gierig“, welches chinesisch (?) anmutende Streicher im Gepäck hat und wieder so ein Mädchen, das wohl alles und nichts will, und wieder so einen verschrobenen Typen namens „Louis“, der außen ganz cool und lässig wirken mag, tief drin jedoch ein verunsicherter Softie ist, der immer die falschen Blumen kauft und es nicht übers Herz bringt, dem Mädchen sein Herz auszuschütten. Kitschig, oder? Und wäre das noch nicht genug, baut Halb-Italiener Wilking noch ein, zwei Zeilen über seine italienische Mama ein: „Meine Mutter war neu hier / Vierzig Jahre lang / Satellitenfernsehen / Dass sie überall hin bringen kann“ – 15 Worte, die wohl mehr über die irgendwann in den Sechzigern und Siebzigern nach Deutschland gekommenen Immigranten sagen als zehn Alben von Bushido und Co. Kitsch meets Pop meets Melancholie meets mediterraner Esprit meets Berliner Schnauze – ein riesiger bunter Culture Clash des Indiepop, gespielt von der „wohl kleinsten Supergroup der Welt“ (plattentests.de).

 

Hier gibt’s „Gierig“ samt Musikvideo…

 

…sowie in der auf die Akustische reduzierten „detektor.fm“-Session:

 

„Ist das deine Antwort?
Klar bin ich enttäuscht
Ich hab immer gehofft
Dass was nach uns kommt

Geh wenn du geh’n musst
Woanders ist nicht hier
Du verlässt mich nicht
Ich verletz‘ mich mit dir

Louis ist der Typ mit dem Auto
Louis ist der Typ, der dich abholt
Louis hatte immer schon Freunde
Louis gehört dir seit er 9 ist
Louis soll dir sagen: ‚Ich lieb dich‘
Louis sagt dir immer nur:
‚Sei nicht so gierig, sei nicht immer so gierig‘

Meine Mutter war neu hier
Vierzig Jahre lang
Satellitenfernsehen
Dass sie überall hin bringen kann
Du kannst nicht schlafen
Die Straße rauscht wie ein Meer
Die letzte Telefonzelle
Bis ein Betrunkener heim fährt

Louis ist der Typ mit dem Auto
Louis ist der Typ, der dich abholt
Louis hatte immer schon Freunde
Louis gehört dir, seit er 9 ist
Louis soll dir sagen: ‚Ich lieb dich‘
Louis sagt dir immer nur:
‚Sei nicht so gierig, sei nicht immer so gierig‘

Wir schlagen Haken
Rechts und Links
Die einen werden bezahlt
Und die ander’n wollen gewinnen

Louis ist im Laden und kauft Blumen
Louis kauft immer die falschen
Die kann er behalten

Sei nicht so gierig, sei nicht immer so gierig
Sei nicht so gierig, sei nicht immer so gierig
Sei nicht so schwierig, sei nicht immer so schwierig

Sei nicht so traurig
Bist nirgendwo allein
Jemand, der an dich denkt
Und du wirst zu Hause sein…“

 

Rock and Roll.

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Review: „Wir sind vorbei“ von Enno Bunger – oder: Anfangs Schwester heißt Ende…


Enno Bunger – Wir sind vorbei (2012)

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Dieses Hesse-Zitat umreißt im Großen und Ganzen auch die Botschaft von „Wir sind vorbei„, dem zweiten, soeben erschienenen Album des aus Ostfriesland stammenden Liedermachers Enno Bunger (nach dem Erstling „Ein bisschen mehr Herz“ von 2010). Denn eben jenes sei ein „Trennungsalbum“ – und das hört man auch. Doch bei allem Leiden, Erstarren, Verharren und sich winden ob der Aussichtslosigkeit der soeben verendenden Beziehung steckt im Großteil der zehn Songs eine Menge Optimismus und, nun ja, sogar „Euphorie“. Schon im Eröffnungssong „Blockaden“ heißt es „Ich fühle mich befreit / Ich fühle mich bereit“, im nächsten Lied, eben jenem programmatisch betitelten „Euphorie“ sogar „Ich schmiede neue Pläne / Ich reiße Wände ein“.
Halt! Das soll ein Trennungsalbum sein? Doch keine Angst, in den nachfolgenden Stücken erfolgt rückblickend die Aufarbeitung der gescheiterten Zweisamkeit: In „Regen“ stellt der Enttäuschte fest, dass die Liebe zu einem Trümmerhaufen zerfallen und längst verglüht ist („Jetzt bleiben nur Schutt und Staub / Ich gehe jetzt nach Hause / Ruf‘ mich an, wenn du was brauchst / Und wenn man die Augen zumacht, klingt der Regen wie Applaus“), während er im darauffolgenden „Abspann“ noch wie gelähmt war ob des bevorstehenden Endes („Wir fragen und seit Tagen: bleiben oder gehen? / Ich kann es nicht ertragen dich so leiden zu sehen / … / Ich sehe unsere Namen in ’nem Abspann / Ich schreibe Abschiedszeilen auf Papier“). Obwohl da noch irgendwo Gefühle sind, und sei es nur durch’s Aneinander-gewöhnt-sein oder durch Vertrautheit, scheint alles Reden zwecklos, alle Bemühungen von Vornherein zum Scheitern verurteilt („Nichts ist für immer / Sag mir: wann hört das auf? / Du fehlst hier“ – aus „Leeres Boot“). Doch irgendwann muss er einsehen, dass Innehalten, Zurückblicken und Trauern doch nur dem Moment nützt und der Neuanfang bereits wartend vor der Tür steht. Es hilft nur eins: „Die Flucht“, denn: „Lieber frei als eingeengt“. Er stürzt sich in lange Nächte, neue Bekanntschaften, neue Abenteuer, und stellt schon bald fest: „Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung“. Obgleich auch das sich aus „Ein Astronaut“ und dem instrumentalen „Präludium“ ziehende Fazit wieder ungleich melancholischer ausfällt, ist „Wir sind vorbei“ auf der Textebene ein optimistisches Album, welches den Schmerz im Rückblick keineswegs ausblendet, jedoch immer wieder feststellt, dass dieser ebenso dazugehört, denn „das Süße ist niemals so süß ohne das Saure“ (Zitat aus dem Film „Vanilla Sky“). Und alles ist endlich, alles hat, so sehr man auch an Liebgewonnenem festhalten mag, seine Zeit. Bleibt nur, zu genießen.


Musikalisch gibt das Klavier hier, oft unterstützt von Bass, Schlagzeug und Gitarre, den Ton an. In „Euphorie“ gesellen sich an Coldplay erinnernde Chöre dazu, „Regen“ verwandelt sich gen Ende hin zu einem bedrohlich großen Post Rock-Sturm, „Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung“ ist mit seinen dezenten Elektronik-Einschüben ein aussichtsreicher Bewerber für’s nächste Beischlaf-Mixtape. Viele Songs sind jedoch in Moll gehalten und werden von Enno Bunger allein an den Tasten dargeboten. Schön melancholisch ist das Ganze, und lässt etwa in „Ein Astronaut“ erahnen, wie sich Major Tom gefühlt haben muss, nachdem er feststellte, dass alles Hoffen vergebens ist und er sich einfach treiben lassen und den Anblick genießen sollte. So auch hier.
„Wir sind vorbei“ mutet vom Titel her wie eine vertonte Schlussmach-SMS an, stellt jedoch auch Bezüge zu Klassikern wie Hesse oder Goethe her. An einigen Stücken mag Enno Bunger nur knapp am Kitsch vorbei schiffen, jedoch nimmt man ihm Euphorie und Trauer immer ab. Alles in Allem klingen die Songs aufgrund der Stimme und der Bedeutungsschwere so sehr nach Kante, dass man schwören könnte, die Hamburger Band würde nun verdeckt und unter neuem Namen musizieren – was ja nun nicht die schlechteste Referenz ist. Stellenweise mag man auch an Erdmöbel denken. Und wie sagen die einst: „Anfangs Schwester heißt Ende.“ Genauso sieht’s aus!

Hier könnt ihr euch „Regen“, einem meiner Album-Favoriten, anhören…

 

…euch das Video zu „Euphorie“ ansehen…

 

…und euch den Song „Abspann“ in der Detektor.fm-Akustik Session-Version anschauen:

 

Rock and Roll.

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