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Der Jahresrückblick 2013 – Teil 2


Natürlich könnte sich der cineastische Teil des ANEWFRIEND’schen Jahresresümees wieder eben jene Musikdokumentationen in Erinnerung rufen, die 2013 besonders viel – und nachhaltig – Eindruck hinterließen: „Sound City“ von Sympathieass und Regieneuling Dave Grohl (Foo Fighters, Nirvana etc. pp.), das Oscar-prämierte „Searching For Sugar Man„, die so einfache wie bewegende Black Protopunk-Doku „A Band Called DEATH“ oder das vollkommen den Boss-Jüngern und ihrer Verehrung gewidmete und von Starregisseur Ridley Scott produzierte „Springsteen & I„. Natürlich ließe sich an dieser Stelle eine ellenlange Ode herunterbeten, die auch der zweite Teil von Peter Jacksons „Der Hobbit“-Verfilmung vollkommen verdient hätte. Natürlich… Aber all das wurde bereits vielfach an anderer Stelle, ob nun auf diesem bescheidenen Blog oder anderswo im weltweiten Netz, getan. Stattdessen gibt’s den ANEWFRIEND’schen Filmtippnachschlag für die letzten Tage des alten Jahres…

 

Prisoners“ (2013)

Prisoners posterOh, du trügerische Ruhe… Ein verschlafenes kleines Städtchen irgendwo im Nirgendwo von New England im Nordosten der USA, in dem im Grunde jeder jeden in den uniformen Einfamilienhaussiedlungen kennt und man die Haustüren nie abschließen muss. In dem man schnell Freundschaft mit den Nachbarn schließt und gemeinsam die Feiertage verbringt. So auch die beiden Kumpels Keller Dover (Hugh Jackman) und Franklin Birch (Terrence Howard), die sich in bester Laune zum familiären Beisammensein bei Thanksgivingbraten und Wein treffen. Auch ihre sechsjährigen Töchter Anna und Joy sind beste Freundinnen, und da es den Mädchen im Haus schnell langweilig wird, rennen sie zum Spielen nach draußen. Doch als Keller nach dem Rechten sehen will, fehlt von den Kindern jede Spur. Panik bricht aus, und der einzige Anhaltspunkt ist ein heruntergekommenes Wohnmobil, das Kellers jugendlicher Sohn kurz zuvor nahe der Familienhäuser parkend vorgefunden hat. Schnell kann die verständigte Polizei Wohnmobil und Besitzer ausfindig machen, und wäre dieser Film einfacher gestrickt, dann wäre die Lage schnell klar… Am Steuer des Fahrzeugs finden die Cops um den ermittelnden Detective Loki (Jake Gyllenhaal) den geistig zurückgebliebenen Alex Jones (Paul Dano) vor. Doch aus dem jungen Mann mit dem IQ eines 10-Jährigen ist, vom dem ein oder anderen zusammenhangslosen Wort einmal abgesehen, beim Verhör nichts herauszubekommen. Und so müssen der Detective und seine Kollegen Jones wieder auf freien Fuss setzen. Das kann und will Dover – und das ist bei einem Vater, den die ständige Sorge um seine Tochter um den Verstand zu bringen droht, nur all zu gut nachzuvollziehen – natürlich so nicht geschehen lassen. Also kidnappt er – mehr im Affekt – Jones kurzerhand, und setzt so die Suche nach den Mädchen mit unbarmherzigen Verhörmethoden und auf seine Art und Weise fort…

Mit „Prisoners“ hat der frankokanadische Regisseur Denis Villeneuve ein US-Filmdebüt nach Maß geschaffen. Dabei hätte es den Streifen gut und gern nie geben können. Jahrelang versuchte Warner Bros., den so vielversprechend von Aaron Guzikowski („Contraband“) zu Papier gebrachten Thrillerstoff zu realisieren, hatte mal Christian „Batman“ Bale und Mark „Ted“ Wahlberg für die Hauptrollen im Visier, mal Bryan Singer („X-Men“) oder Antoine Fuqua („Training Day“) für die Regiearbeit im Gespräch. Sieht man das nun endlich von Villeneuve in großartiger Manier zu Ende gebrachte Resultat, so hätte man schwerlich eine bessere Auswahl als die jetzige treffen können. In der Atmosphäre mit all den neblig grauen, alltäglich gleichen Fassaden und dem wolkenverhangenen Wetter spiegeln sich ebenbürtige Werke von David Fincher („Sieben“, „Zodiac“) oder Clint Eastwood („Mystic River“), denen, wie auch in „Prisoners“, zwar der dezente Hang zur minutiösen Überlänge zueigen ist, diese jedoch jederzeit mit offenen Enden, Twists und Turns, Fehlläufen und geradezu irrwitzigen Wendungen einhunderprozentig wett machen. Zum auf schaurige Art und Weise zu Herzen gehenden Schauspiel tragen jedoch vor allem die beiden Hauptdarsteller Hugh Jackman („Wolverine“) und Jake Gyllenhaal („Donnie Darko“) bei, die zwar mit dem gleichen Einsatz versuchen, das Leben der verschwundenen Mädchen zu retten, jedoch mit nahezu komplett unterschiedlichen Waffen.

In seiner Gesamtheit ist „Prisoners“ einer der wohl spannendsten, mitreißendsten und wendungsreichsten Thriller der letzten Jahre, der in seinen zweieinhalb Stunden ebenso viele Fragen wie (bewusst) fehlplazierte Antworten ins Feld wirft, bis der Zuschauer kaum noch weiß, wer zur Hölle hier eigentlich Täter, wer Opfer ist. Natürlich ist weder die zum Äußersten neigende Handlung, noch der sich immer enger schlingende Plot etwas für schwache Nerven (und auch das Ende bietet reichlich Diskussionsstoff), aber dennoch: Wer ein hochkarätig besetztes cineastisches Ratespiel sucht, der sollte sich „Prisoners“ keinesfalls entgehen lassen. Und gut in die Stille hinein hören…

 

 

Byzantium“ (2013)

Byzantium DVD Cover - FSK 16Keine Frage, spätestens seit „Twilight“, jener Filmreiheadaption der keuschen Romanvorlagen der US-amerikanischen, mormonischen Jugendbuchautorin Stephanie Meyer, haben die Vampire das mal mehr, mal weniger blutige Gänsehautzepter der Zombies und Werwölfe übernommen (obwohl zweitere, als muskelbepackte Sixpacker, auch ihren Platz in „Twilight“ bekommen). Dabei waren es gerade die blutsaugenden Fledermauswandler, die als mysteriöse, lichtscheue Wesen seit jeher das cineastische Horrorgenre bestimmt haben – man denke nur an F.W. Murnaus Stummfilmklassiker „Nosferatu“ (von 1922!), dessen 1979-Remake mit Klaus Kinski in der Rolle des spitzzähnigen Bleichgesichts, an Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ (1967), an „Bram Stoker’s Dracula“, das 1992 mit einer bildhübschen Winona Ryder und großartiger Atmospähre aufwartete. Wer nach Action rief, der bekam etwa in der „Blade“-Reihe (1998-2004) einen Wesley Snipes als arschcoolen Vampirjäger oder im unterkühlten Pendant „Underworld“ Kate Beckinsale als um sich schlagende Allzweckwaffe im hautengen Lederdress. Egal welcher Kultregisseur, ob nun Robert Rodriguez („From Dusk Till Dawn“), John Carpenter („John Capenter’s Vampires“) oder Guillermo del Toro („Cronos“) – im Halbdunkel konnte bislang keiner der Verlockung zweier spitzer Eckzähne an schönen Frauenhälsen widerstehen… Und selbst diejenigen Filmfreunde, denen all das längst zu einseitig, stinografisch und vorhersehbar geworden sein mag, dürften mit den so wunderbar anderen Vampirstreifen wie dem schwedischen „So finster die Nacht“ (2008, der nur zwei Jahre später mit dem erstaunlich guten „Let Me In“ sein US-Remake erfuhr) oder dem südkoreanischen „Durst“ (2009, einer der eigensinnigsten Filme in dieser Auszählung) bestens unterhalten worden sein. In den Neunzigern dürfte wohl jedoch vor allem „Interview mit einem Vampir“ (1994) stilbildend gewesen sein, eine epische Erzählung, in der sich das ewig junge und ewig schöne maskuline Vampirduo aus Tom Cruise und Brad Pitt (aka. Lestat de Lioncourt und Louis de Pointe du Lac) durch Zeitalter und Jahrhunderte schlägt, schläft und saugt. Dass nun ausgerechnet Neil Jordan, der Regisseur eben jenes Films, mit „Byzantium“ auf das eigene Meisterwerk antwortet, wirkt anfangs eventuell ein wenig schräg und selbsteingenommen, passt jedoch nur zu gut…

Clara Webb (Gemma Arterton) und ihre Tochter Eleanor (Saoirse Ronan) befinden sich seit Jahrhunderten auf der Flucht vor einer geheimnisvollen, unbarmherzigen Bruderschaft. Nachdem die beiden grundverschiedenen Vampirdamen, die sich stets als Schwestern ausgeben (der Alterslosigkeit sei Dank!), einmal mehr übereilt ihr Quartier verlassen mussten, landen sie in einer trostlosen englischen Küstenstadt im heruntergekommenen Hotel „Byzantium“. Während Clara sich nur für das Hier und Jetzt interessiert und versucht, als Prostituierte Geld zu verdienen, hat Elenor das Bedürfnis, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Die auf ewig 16-Jährige erinnert sich, wenn auch nur fragmentarisch und im Traum, daran, dass sie vor ihrer Vampirwerdung in eben diesem Küstenstädtchen in einem Waisenhaus aufwuchs. In einem Schreibkurs bringt sie ihre Lebensgeschichte zu Papier, was bald schon ihren Mitschüler Frank (Caleb Landry Jones) auf sie aufmerksam macht. Als immer mehr Menschen aufgrund von Blutverlust sterben und Eleanors Lehrer (Tom Hollander) sich mit der schier unglaublichen Geschichte seiner Schülerin auseinanderzusetzen beginnt, spitzt sich die Situation für Mutter und Tochter zu. Und auch die eigene Vergangenheit holt sie in Form zweier Gesandter der auf Rache sinnenden Bruderschaft wieder ein…
Wer „Byzantinum“ lediglich als weibliches Pendant zum von Testosteron durchzogenen Epos „Interview mit einem Vampir“ bezeichnet, tut wohl beiden Filmen unrecht. Denn obwohl auch in der Verfilmung von Moira Buffiniaus Drama „A Vampire’s Play“ zwei gleichgeschlechtliche Personen im Fokus stehen – und die eben in diesem Film weiblich sind -, schneidet der irischstämmige Regisseur Jordan jedes Fitzelchen Zelluloid auf das in vollstem Maße überzeugende Darstellerduo Gemma Arterton („James Bond 007 – Ein Quantum Trost“, „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“) und Saoirse Ronan („Abbitte“, „Wer ist Hanna“) zu, die ihrerseits den Fokus dazu nutzen, die beiden Figuren mit einfachsten Gesten mal voneinander weg, mal zueinander finden zu lassen – Ambivalenz in Blutrot. Dass dies zu Lasten der deutlich limitierten Handlung und am offenen Faden hängenden Geschichte geht, ist zwar in der Tat bedauerlich. Man wird jedoch mit der in Masse vorhandenen morbid-melancholischen Atmosphäre und so, so vielen tollen Kameramomentaufnahmen für jede offene Frage entschädigt. Vampirfilme gibt es eh genug. Und den pubertären Jungfrauen bleiben noch immer Edward und Bella und Jacob und „Twilight“…

 

 

Sightseers – Killers On Tour!“ (2012)

Sightseers posterBeim ersten Mal könnte es noch ein Unfall gewesen sein. Doch schon der eigentümlich selbstzufrieden aufblitzende Ausdruck in Chris‘ (Steve Oram) Gesicht, nachdem er beim Zurücksetzen seines Wagens einen unfreundlichen Umweltverschmutzer über den Haufen gefahren hat, gibt dem verdutzten Zuschauer eine Vorahnung dessen, was da noch kommen wird… Tina (Alice Lowe) ist mit Chris auf Wohnwagen-Tour durch England, für beide ist es mit Mitte Dreißig die erste richtige Beziehung. Chris möchte sich als Autor versuchen und (s)ein Buch schreiben, Tina soll seine Muse sein – welch‘ ein Idyll! Lässt man sich das etwa zerstören von pöbelnden Mittouristen, die möchten, dass man hinter dem – freilich gestohlenen – Hund herputzt? Oder von einem Campingplatznachbarn, der es tatsächlich schon geschafft hat, ein Buch zu schreiben – derer drei sogar! -, und der einen noch tolleren Caravan fährt als man selbst, dieser eitle, ach so perfekte Angeber? Natürlich nicht!
Irgendwie ist diese Melange schon irrwitzig, die Regisseur Ben Wheatley („Kill List“) da auf die Leinwand bringt. Da schickt er ein nach Außen vage zwischen ewigem Backfisch und asozialem Spießertum pendelndes Pärchen auf einen chaotischen Roadtrip quer durch die wohl unschönsten Touristenattraktionen der englischen Insel, während dem sie sich mehr und mehr – und umso inniger! – zu hassen lernen. Und: Chris und Alice hinterlassen in ihrer gesellschaftsfernen Gangart eine wahre Spur von Blut und Verwüstung, die zuerst mit unachtsamen Zufällen beginnt, jedoch schon bald nur noch willkürlich aus reinster Mordslust besteht. Für Zartbesaitete ist diese Mischung aus „Natural Born Killers“ und „Little Britain“ tatsächlich nicht die allerbeste Wahl der Unterhaltung. Vielmehr sollte man bei der schwarzhumorigen Splatterkomödie, beim Publikumsliebling des Fantasy Filmfests 2012, an dessen Drehbuch die beiden Hauptdarsteller selbst mitschrieben, schon einiges an Faibel für Sarkasmus und Ironie mitbringen, um über diesen Streifzug der englischen Vorstadtentsprechung von „Bonnie und Clyde“ lachen zu können… Freunden des oft gerühmten britischen Humors sei „Sightseers – Killers On Tour!“ jedoch bedenkenlos empfohlen.

 

 

Paulette“ (2012)

Paulette posterEigentlich könnte einem Paulette (Bernadette Lafont) leid tun… Vor langer Zeit hatte sie einst scheinbar alles: eine glückliche Familie, einen Mann, Wohlstand, Ansehen und ein eigenes Lokal. Nun ist all das weg, der Mann verstorben, das Lokal längst ein Null-Acht-Fünfzehn-Chinarestaurant und die Tochter mit einem farbigen Polizisten liiert, mit dem sie darüber hinaus noch ein zwar zuckersüßes, jedoch eben immer noch farbiges Enkelkind gezeugt hat. Überhaupt: Fremde, und dann auch noch mit ausländischen Wurzeln, verursachen bei Paulette nur eines: Angst und Unbehagen. Denn die rüstige Rentnerin lebt trotz ihres fortgeschrittenen Alters von 80 Jahren alleine in einem zwielichtigen, heruntergekommenen Pariser Vorort. Zu schaffen macht ihr dabei vor allem der eigene soziale Abstieg und die damit verbundene schmale Pension, über die sie sich immer wieder aufs Neue aufregen könnte… Als ihr eines Abends ein Päckchen Marihuana in die Hände fällt, sieht sie ihre Chance gekommen – Paulette wird zur Haschisch-Dealerin. Da sie früher als Konditorin gearbeitet hat, besitzt sie einen ausgeprägten Geschäftssinn und kann zudem auf ihre grandiosen Backkünste zurückgreifen. Hilfe bekommt sie außerdem von ihren Freundinnen, die ab und zu auf einen Nachmittagstee vorbeischauen. Von so einer Unterstützung kann ihre Lederjacken tragende Konkurrenz im Viertel freilich nur träumen… Innerhalb kürzester Zeit schwingt sich die ruppige Dame zur unumstrittenen Königin des kultivierten Drogenhandels auf – eine Tatsache, die bald auch die mächtigen Hintermänner der lokalen Drogenversorgung hellhörig macht. Um Paulettes Talente für sich nutzen zu können und sie unter Druck zu setzen, entführen sie ihren Enkelsohn Léo (Ismaël Dramé) – doch dabei haben sie die Rechnung ohne die rabiate Rentnerin und ihre Gerontengang gemacht…

Freilich bietet „Paulette„, die Komödie von Regisseur Jérôme Enrico („Prêt-à-Porter“), keine Neuerfindung des frankophilen Filmrades an. Dafür sind die Figuren zu explizit angelegt, dafür ist die Handlung einfach zu vorhersehbar. Vielmehr greift der Film mit der Versöhnung über soziale wie ethnische Gesellschaftsbarrieren hinweg ein durchaus beliebtes Grundthema des französischen Kinos auf (man erinnere sich etwa an den internationalen Publikumserfolg „Ziemlich beste Feunde“ oder die unterhaltsame Polizeiklamotte „Ein Mordsteam“) und wandelt so als Culture Clash der „Fabelhaften Welt der Amélie“ mit „Banlieue 13“ auf recht großem Fuße. Dass „Paulette“ dabei außerordentlich unterhaltsam geraten ist, spricht im Grunde nur wieder einmal für den Charme des franzöischen Films, der es sich weiterhin vorbehält, etwas anders – im besten Sinne! – zu sein…

 

 

Auch toll in ANEWFRIENDs Filmjahr waren etwa… 

 

„In ihrem Haus“ (2012)

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„Der Geschmack von Rost und Knochen“ (2012)

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„This Ain’t California“ (2012)

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Rock and Roll.

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Flimmerstunde – Teil 24


„Der Geschmack von Rost und Knochen“ (2012)

Der Geschmack von Rost und Knochen (Plakat)It’s a hard knock life. Ali (Matthias Schoenaerts), ehemaliger Gelegenheitsboxer und hauptberuflicher Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter, flüchtet gemeinsam mit seinem fünfjährigen Sohn Sam (Armand Verdure) vor der Arbeitslosigkeit und Kälte des französischen Nordens an die warme Côte d’Azur, zu seiner Schwester Anna. Beide haben wenig mehr mit sich als die Kleidung, die sie am Leib tragen, sehen aus wie zwei Gestrandete, die sich kaum kennen. Und obwohl sich Ali und Anna Jahre nicht gesehen haben, nimmt diese ihn – wenn auch mit einem befremdlichen Gefühl der Anonymität im Magen – bei sich auf. Fortan schlägt sich Ali, mehr schlecht als recht, mit Kurzzeitjobs durch, ist mal Wachmann, mal Türsteher, und vögelt – man entschuldige die hier nur allzu passende Wortwahl – praktisch alles, was ihm vor die gestählten Muskeln und den dauerharten Schwellkörper läuft. Eines Abends lernt er vorm Eingang einer Diskothek Stéphanie (Marion Cotillard) kennen, die tagsüber als Schwertwal-Trainerin in einem Vergnügungspark arbeitet. Nach einer Schlägerei bringt er sie nach Hause, steckt ihr im Gehen seine Telefonnummer zu. Und siehe da: Stéphanie ruft einige Wochen später tatsächlich an. Und doch weiß auch Ali längst, dass sie nicht mehr die lebenslustige Kleinstadtschönheit ist, die er an jenem Abend durch die Nacht gefahren hat…

Szene #1

Regisseur Jacques Audiard, der 2010 für seinen unbedingt sehenswerten Vorgänger „Ein Prophet“ bereits für einen Oscar nominiert war, zeichnet in „Der Geschmack von Rost und Knochen“ in mal ruhigen, mal rastlosen Bildern das Portrait von zwei im ersten Teil ihrer Leben gebrochenen Menschen, denen nun die Chance zuteil wird, sich am ungleichen Gegenüber aufzurichten. Auf der einen Seite der grobe und – scheinbar – gefühlskalte Ali, personifiziertes Opfer der französischen Wirtschaftskrise, der jedoch auf seine Weise – und in einer Art Überlebensmechanismus – alles daran setzt, nicht unter die gesellschaftlichen Räder zu kommen: er nutzt seine Kraft und Erfahrung und lässt sich bei illegalen Wettkämpfen gut bezahlt die Fresse polieren (und teilt freilich noch mehr aus). Auf der anderen Seite Stéphanie, der durch einen Arbeitsunfall plötzlich alles Lebenswerte genommen scheint, und die sich am Ende ihrer Kräfte an Ali wendet – ebenfalls eine Art Automatismus. Das schöne Häufchen Elend und das grobschlächtige Biest mit den traurigen Augen – ein ungleiches Paar, dem erst das Schicksal die Köpfe einschlagen muss, um sie das Leben spüren zu lassen…

Szene #2

Das wohl Beste an „De rouille et d’os“ (der französische Originaltitel) ist, dass Audiard hier eine gut zweistündige, herzzerreißende Liebesgeschichte erzählt, welche gänzlich ohne Kitschfaktoren auskommt – und das kann man ihm im an Erbauungsschmonzetten á la „Ziemlich beste Freunde“ nicht eben armen französischen Kino gar nicht hoch genug anrechnen. Des Weiteren beweist Oscar-Preistträgerin Marion Cotillard („La vie en rose“) einmal mehr, dass sie nicht ohne Grund zu den talentiertesten Schauspielerinnen ihrer Generation zählt. Mit jedem Blick, jeder Bewegung, jeder Geste verleiht sie Stéphanies schlussendlich unbedingtem Kampf zurück ins Leben eine Tiefe, die – national wie wohl auch international – ihresgleichen sucht – und stellt dabei sogar die Leistung ihres belgischen Leinwandpartners Matthias Schoenaerts, der mit seiner Wandlung von Kälte zu Erkenntnis ebenfalls zu überzeugen weiß, in den Schatten. „Der Geschmack von Rost und Knochen“ (ganz nebenbei mal ein gelungener deutscher Filmtitel!) mag zwar für Audiard bei den letztjährigen Filmfestspielen in Cannes – skandalöserweise – keinen Preis eingebracht haben. Der Film beweist jedoch wieder einmal, dass französische Filme zwar durchaus unbequem sein können, aber vor allen Dingen beinahe immer auch eines: unbedingt sehenswert und ungewöhnlich anders. Was obendrein seit jeher auf Filme mit Madame Cotillard zutrifft… Großartig und hiermit uneingeschränkt empfohlen!

 

 

 

„After Earth“ (2013)

After Earth (Plakat)Will Smith, M. Night Shyamalan – beide Männer waren mal wichtig, beide waren mal richtig gut. Smith setzte sich in den Neunzigern als klamaukiger „Prinz von Bel-Air“ selbst ein TV-Denkmal, und bewies in zurecht erfolgreichen – da mit überaus feinem Popcornkino-Unterhaltungswert versehenen – Filmen wie „Bad Boys“, „Men In Black“ oder „Independence Day“ seinen international anwendbaren Unterhaltungswert. Der indischstämmige Regisseur Shyamalan bewies 1999 mit seinem zweiten Werk „The Sixth Sense“, in welchem der damals 11-jährige Haley Joel Osment an der Seite von Bruce Willis den Satz „Ich sehe tote Menschen!“ zu geflügelten Filmspruch machte, zumindest ein Mal – dafür jedoch umso effektvoller -, dass er in der Theorie durchaus befähigt ist, das willige Filmpublikum mit einer ganzen Reihe von großen Horror-, Suspense- und Mysteryschockern das Fürchten zu lehren. Stattdessen fügte er mit Filmen wie „Unbreakable“, „Signs“, „The Village“ oder „The Happening“ Schauspielern wie Samuel L. Jackson, Mel Gibson, Joaquín Phoenix oder Mark Wahlberg herbe Verrisskratzer in der jeweils eigenen Vita zu. Und auch bei Will Smith lief es kaum besser: Klar waren Filme wie „I, Robot“, „Das Streben nach Glück“, „I Am Legend“ oder „Hancock“ Erfolge – jedoch schlichen sich insgeheim böse Gerüchte ein: Was läuft da mit Scientology? Nutzte der Schauspieler etwa seine Filme als Medium, um die – völlig zu recht – fragwürdigen Psychotechniken von L. Ron Hubbard ins Unterbewusstsein der Zuschauer zu schleusen? Nun, wo man gerade wie Filme wie „Das Streben nach Glück“ oder „Hancock“ zumindest noch skeptisch sein musste, wird man nun bei Smiths neustem Film „After Earth„, zu dem dem Schauspieler selbst (offiziell) die alleinigen Story-Credits zugeschrieben werden, praktisch mit dem Indoktrinationsvorschlaghammer geprügelt…

Der Geschichte selbst ist schnell erzählt: Eintausend Jahre in der Zukunft hat die Menschheit die Erde – natürlich – längst unbewohnbar gemacht und musste sich auf dem Planeten „Nova Prime“ einen neuen Lebensraum aufbauen. Dummerweise hat davon auch eine außerirdische Spezies Wind bekommen, welche nun blinde Kampfbiester – die „Ursas“ – zur Menschenjagd einsetzt. Die „Ursas“ können jedoch nur jene Menschen jagen, die sie aufgrund ihrer Angst riechen können – was so ziemlich alle Menschen sein dürften, nur einer nicht: General Cypher Raige (Will Smith). Der besitzt freilich Legendenstatus, liegt aber mit seinem – scheinbar – schwächlichen 13-jährigen Sohn Kitai (Jaden Smith) im Clinch, dem er noch immer die Schuld am Tod seiner Tochter zuschreibt. Auf einem Übungsflug stürzt ihr Raumschiff auf – natürlich – der wilden, menschenfreien Erde ab, beide überleben als einzige. Da Cypher Raige verletzt ist, muss sich Kitai nun allein durch die ihm fremde Natur kämpfen, um Hilfe zu rufen…

Szene aus "After Earth"

Nach „After Earth“ braucht’s keine offizielle Bestätigung mehr, ob Will Smith und sein Clan nun dem Bespiel von Tom Cruise, John Travolta und Konsorten gefolgt sind und sich in den behüteten Schoss von Scientology gegeben haben (zumal der Fakt, dass Smith der Sekte vor geraumer Zeit eine nicht eben kleine Summe als Spende zukommen ließ, ebenfalls für sich sprechen dürfte). Smiths neuster Film, welcher zu allem Überdruss noch nicht einmal übermäßig spannend oder gar unterhaltsam gelungen ist, trieft nur so vor theoretischen Anleihen aus „Dianetics“, L. Ron Hubbards Scientology-Machwerk aus dem Jahr 1950: Wir sind die Auserwählten! Die Angst ist eine Illusion! Hinterfrage nichts, unterwirf‘ dich einem Automatismus! (An dieser Stelle soll nicht tiefer ins Detail gegangen werden. Wer sich informieren mag, dem stehen freilich alle erdenklichen Medien zur freien Information wie Desinformation zur Verfügung…) Entschuldigung, aber: Was zur Hölle soll die Scheiße?!? Will Smith selbst verkommt zum seelenlos auftretenden Nebencharakter, lässt seinen ältesten Spross Jaden nun Werbung für Scientology laufen. M. Night Shyamalan setzt erwartetermaßen seinen freien Niveaufall fort. So weit, so ärgerlich. Von Shyamalan erwartet man schon längst keine positive Überraschung á la „The Sixth Sense“ mehr. Für mich persönlich hat’s jedoch Will Smith mit „After Earth“ – man entschuldige erneut – endgültig verkackt. Nicht ausschauen, keinesfalls – großer Mist, langweilige Sektenscheiße, welche als hirnrissig-primitive SciFi-Geschichte getarnt wird, das Ganze… Das. Musste. Raus.

 

Rock and Roll.

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