Nach etwa zwei Jahren Funkstille meldet sich der kanadische Folk-Rock-Singer/Songwriter Dan Mangan mit der neuen Single „In Your Corner (for Scott Hutchison)“ zurück. Und dieser Song ist nicht irgendeiner, sondern – wie der Titel es bereits vermuten lässt – eine Hommage an den 2018 zu früh verstorbenen Frightened Rabbit-Frontmann Scott Hutchison.
Mehr dazu verrät der Musiker aus Vancouver in einem Statement: „Zwar sind wir uns nur einmal begegnet, aber Scotts Tod hat mich tief getroffen. Er war in meinem Alter und sehr eng mit einigen lieben Freunden von mir befreundet. Entweder konnte er nicht sehen, wie sehr er von der Welt geliebt wurde, oder er fühlte sich dieser Liebe nicht würdig. Wie kam es, dass er so vielen Menschen Freude bereiten konnte, aber sich selbst nicht? Ich erinnere mich, dass ich weinte, als ich an jenem Morgen Müsli für meine Jungs machte… Dieser Song entstand sehr schnell in den darauffolgenden Tagen.“
Die zarte Akustikballade wurde von Drew Brown (Radiohead, Beck, Blonde Redhead) produziert und ist, mehr oder minder, als Antwort auf den Frightened Rabbit-Song „The Woodpile„, Dan Mangans erklärtes Lieblingsstück der schottischen Indie Rock-Band, zu verstehen, welcher die Textzeile „Will you come back to my corner? / Spent too long alone tonight“ enthält. Zudem soll er auf das Thema Depressionen aufmerksam machen.
Obwohl Mangans jüngstes Album mit neuem Material – „More Or Less“ von 2018 – bereits etwas länger zurückliegt, war der Kanadier in den letzten Jahren nicht komplett untätig, veröffentlichte seitdem Zehn-Jahres-Jubiläumsausgaben seiner Alben „Nice, Nice, Very Nice“ und „Oh Fortune„, das Coveralbum „Thief“ sowie den Anti-Trump-Protestsong „There’s A Tumor In The White House„.
„Why Why can’t the seer see a way out? When they drown in information When they’re stranded at the station When they’re filmed against a fadeout
Now we’re crying in the shower Crying in the carpark Crying in the office towers They were trying not to get dark Trying hard to fight that darkness Trying not to count the hours
So come find us if you can We’ll be unified and sad We’ll be in your corner Leave a light on when it’s bad We will congregate and make a plan And we’ll be in your corner We’ll all be in your corner
What What leads the best of us to suffer? Do they know their pain and write it down To help the rest of us recover?
We’re crying in the shower Crying in the carpark Crying in the office towers Yeah, we were trying not to get dark Trying hard to fight that darkness Trying not to count the hours
So come find us if you can We’ll be unified and sad We’ll be in your corner Leave a light on when it’s bad We will congregate and make a plan And we’ll be in your corner We’ll all be in your corner
Leave a light on if you can Till it’s crystal-clear And do you understand? We’ll all be in your corner„
Im Song „No Depression“ nähert sich Afie Jurvanen aka Bahamas dem derben Stimmungskiller Schwermut mit entspanntem Soul- und Gospel-basiertem R’n’B. Was die leicht anzuhörende Akustiknummer vom vierten, 2018 erschienenen Album „Earthtones“ vermeintlich an Tiefgang vermissen lässt (Hey, ist halt immer noch Popmusik!), das macht das dazugehörige Musikvideo von Regisseur Ali J Eisner in seiner durch und durch sehenswerten Umsetzung wett…
Selbiges spielt am Ufer eines Sees im Norden Ontarios, der Heimat des kanadischen Musikers mit finnischen Vorfahren. Doch Afie Jurvanen selbst ist zunächst gar nicht zu sehen und wird von einer Puppe dargestellt. Jene Puppenpersönlichkeit darf seiner statt mit der Natur um ihn herum interagieren: auf einem Steg sitzen und aufs Wasser hinaus starren, Holz im Wald hacken oder Vögel beobachten. Heile Welt also? Denkste. Angesichts des Titels und des Themas des Songs, welcher sowohl melancholische Momentaufnahme als auch Mutmacher ist, fällt es nicht schwer, sich Jurvanens Puppe als Metapher für Afie selbst vorzustellen, der sich fühlt, als sei er nur ein Platzhalter in seinem eigenen Leben und keine echte Person – jedes Mal, wenn seine Depressionen einmal mehr unvermittelt zuschlagen.
Schön auch, dass das preisgekrönte Musikvideo (in Kanada gab’s 2019 hierfür verdientermaßen den Juno Award fürs „Video of the Year„) trotz des nicht eben leichtfüßigen Themas und Textes dennoch versöhnlich endet, da Puppen-Jurvanen langsam beginnt, die kleinen Freuden im Leben wiederzuentdecken – wohl nicht zuletzt dank jenes Puppen-Eichhörnchens, das da im Wald neben seiner Hütte lebt. Und: In der Schlussszene bekommt man den 40-jährigen Indie-Folk-Musiker endlich in natura zu sehen, als er und sein Puppen-Ich in passenden Trainingsanzügen Seite an Seite sitzen, während sie gemeinsam Hot Dogs über einem offenen Feuer rösten…
„I feel it through my shoes They used to call that the blues Now they call it depression
Everywhere I go Yes, I get to feel so low If I got depression
My wife don’t want no part of me And yes, that fact is hard on me That’s true I give the doctor a description And he just writes a prescription Or two
Peace and quiet were here before But they both walked out the door And left me with depression
I hardly leave my room Most days I sleep ‚till noon If I got depression
Most folks think I’m fine But the truth is I’m suprised I’ve got depression
To all those girls I’ve loved before I’m sorry I love this one more That’s true If she would just stay with me Her presence can only lift me And get me through
I start to come around And stop putting myself down That’s called progression“
Rückblick in den Februar: Das Jahr 2020 war gerade mal ein paar Wochen alt, aber schon fühlte es sich mit all den weltlichen Entwicklungen an, als ob wir mindestens schon wieder Halbzeit gehabt hätten: Die USA mit ihrem Ex-Reality-Show-Darsteller im Weißen Haus waren einmal mehr aufs militärische Säbelrasseln aus, Australien brannte lichterloh, Flüchtlinge ertranken im Mittelmeer und das Coronavirus machte sich auf, für die nächste große Panikwelle zu sorgen (welche uns bekanntlich noch immer im Griff hält). Mehr als genug also, um den Kopf in den Sand stecken zu wollen, oder? Wer in solch sowieso schon niederschlagenden Zeiten voll düstrer Wasserstandsmeldungen dann auch noch mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte, konnte sich nur allzu schnell komplett am gefühlten absoluten Tiefpunkt wiederfinden…
Ein Glück, dass sich Spanish Love Songs genau zum richtigen Zeitpunkt mit neuem Material zurückmeldeten. Zwei Jahre nach dem von Kritikern wie Fans gefeierten Zweitlingswerk „Schmaltz“ lieferte die Combo aus Los Angeles wieder den gewohnten und geliebten Emo-Punkrock in Perfektion. Und zugleich eine für alle zugängliche Katharsis, die mit dem Weltgeschehen am Hadern waren. “Es ist tröstend zu wissen, dass wir uns alle auf dem selben sinkenden Schiff befinden. Wir wollen uns das mit dem Album eingestehen und die Welt damit ein kleines bisschen erträglicher machen, wenn sie es auch nur für vierzig Minuten ist“, so Frontmann Dylan Slocum.
Wie schon sein 2018 erschienener Vorgänger, ist auch „Brave Faces Everyone“ der wohl schönste und hörbarste Win-Win-Deal der Indie-Musikszene. Slocum singt und schreit sich einmal mehr mit massig Emphase das eigene Chaos aus Gedanken und Dämonen aus Hirn und Leib, bis die Stimme kurz davor ist vollends weg zu brechen. Kein Wunder, schließlich ist er diesmal mit noch eindeutigeren Songtiteln wie “Routine Pain”, “Self-Destruction” oder “Losers” wieder Sprachrohr einer stetig wachsenden Bevölkerungsschicht mit Mental Health-Problemen und anderen inneren wie äußeren Kämpfen.
„Stuck working at that third job driving Well-meaning moms to protest for minimum wage Still depressed, still living for the weekend Still terrified to die at your age No cancer, no crash It better all go as planned One day soon you’re not gonna get by You know damn well they’re ain’t a promised land The cost of living means It costs to stay alive…“
Und in der Tat liefert „Brave Faces Everyone“ zehn neue Beweise dafür, dass das Quintett weitaus mehr ist als ein mit großem Momentum von der Szene abgefeiertes “One-Trick-Pony” und auch “Schmaltz” eben nicht nur ein feiner Zufallserfolg voller melodieseliger Punkrock-Hits war. Schon die 2019 veröffentlichte (Vorab-)Single “Losers” hatte gezeigt, wohin die Reise mit “Brave Faces Everyone” gehen sollte – Sänger Dylan Slocum betonte darin: “We’re mediocre / We’re losers forever”. Für alle Wegbegleiter wenig überraschend, zieht sich diese Thematik doch wie ein roter Faden durch das Schaffen der 2013 gegründeten Band, die das Vorgänger-Album übrigens zunächst “The Fear Of Being Normal” nennen wollte. So überrascht es auch nicht, dass der Album-Opener “Routine Pain” mit der gleichsam großartigen wie lakonischen und trivialen Zeile “On any given day I’m a 6/10” beginnt – sechs von zehn Punkten, das ist natürlich nicht ganz schlecht, aber auch nicht besonders gut, sondern eben: “mediocre”. So braucht es nur Sekunden um festzustellen: Der Weltschmerz hält Dylan Slocum und seine Spanish Love Songs weiter fest im Griff.
Was auf “Brave Faces Everyone” jedoch als neue Zutat dazukommt, ist zwar zaghafter, jedoch zum Teil fast schon versöhnlicher Optimismus (welchen man auch aus Slocums „Selbes sinkendes Schiff“-Zitat weiter oben herauslesen kann). Dieser zeigt sich in Songs wie dem grandiosen “Beachfront Property”, “Optimism (as a radical life choice)” oder „Self-Destruction (as a sensible career choice)“ sehr deutlich: „It won’t be this bleak forever / And I hope you’re right…“.
Obwohl sich im Bandsound – vom tieftraurigen Americana-Abschweif „Dolores“ einmal abgesehen – einmal mehr Punkrock-Brett an Punkrock-Brett reiht und somit all jenen gefallen dürfte, die auch schon Platten von The Gaslight Anthem, The Menzingers, The Smith Street Band, Hot Water Music, Against Me! oder – natürlich – Bruce Springsteen (dessen „Born To Run“ Slocum völlig zurecht verehrt, wie er verriet) in ihrer Sammlung haben, verändern Spanish Love Songs also ihre Sichtweise – weg von reiner Selbstbeobachtung und einer Menge Selbstkritik hin zu Blick auf das große Ganze. Immer wieder tauchen dabei Themen wie beispielsweise der Verlust einer geliebten Person („Generation Loss„), Klimawandel oder Konsumkritik auf, wenn Slocum entwaffnende Zeilen wie “Can’t even have my coffee without exploiting someone / Or making another millionaire a billionaire” singt. Und auch Kritik an dem heute so oft vorherrschenden Selbstoptimierungszwang beziehungsweise der tumben “Wir können alles sein und schaffen”-Mentalität bleibt ein wichtiger Pfeiler, wie die zweite Single “Kick” beweist: “Say ‘Keep your head up, if you’re not okay’ / But not okay is what’s expected”.
Spanish Love Songs zeigen auf ihrem dritten Langspieler, der übrigens von Gitarrist Kyle McAulay produziert wurde, wie wichtig es gerade in turbulenten, unsicheren Zeiten wie diesen ist, weniger zu urteilen, mehr Empathie zu zeigen – und auch einfach mal den Mund zu halten und zuzuhören. Dabei zeigt sich oft, dass positive wie negative Wendungen im Leben selten plötzlich und unerwartet passieren, dass es immer Zeichen gibt, auf die man achten, auf die man hören sollte. Dass eben niemand als rundum perfektes Sonnenscheinchen geboren wurde und alle unsere Fehler uns zu dem machen, was wir sind. Die zehn Songs dazu sind eine auf Tonträger gepresste Audio-Therapie, ein Dampfablassen ohne den Mund aufzumachen oder irgendetwas kaputthauen zu müssen. Selten (und schon gar nicht in diesem Jahr) hat sich ein Bad in süßer Melancholie, schmerzender Nostalgie und harter Selbstreflexion so gut, so erlösend angefühlt wie auf „Brave Faces Everyone“, mit dem Dylan Slocum, Kyle McAulay, Ruben Duarte, Trevor Dietrich und Meredith Van Woert weitaus mehr geschaffen haben als ein „Schmaltz 2.0“ und sich sogar noch dringlicher, noch hymnischer, noch melodiöser, noch mitreißender präsentieren – ein durchaus emotionaler Vollgastrip. Gut vierzig Minuten wie ein Gespräch nach einer extrem beschissenen Woche – dafür mit dem besten Freund bei ein paar Bier.
“Brave Faces Everyone” appelliert dabei daran, die Hoffnung nicht aufzugeben, egal wie mies es derzeit aussehen mag. „Wenn man etwas laut und lang genug singt,“ so Slocum, „finden die Leute hoffentlich etwas Frieden darin.“ Passend dazu endet der Titelsong ganz zum Schluss mit den Zeilen „We don’t have to fix everything at once / We were never broken, life’s just very long / Brave faces, everyone„.
„No Halo“, der in im wahrsten Sinne todtraurige Opener des aktuellen Albums der aus dem US-amerikanischen Connecticut stammenden Emo-Punks Sorority Noise, dreht sich um einen Freund, der sich das Leben genommen hat, sowie die Themen Verlust, Depressionen und die eigenen Suizidgedanken. Im intensiven Musikvideo werden diese nicht eben erbaulichen Themen sehr passend, sehr eindrücklich symbolisch dargestellt: tanzende Menschen in Selbsthilfegruppen, unkontrollierte Autofahrer, ein weinendes Pärchen beim Liebesakt oder überlaufende Waschbecken. Menschen in den unterschiedlichsten Situationen: im Krankenhaus, auf einer Beerdigung, in der Kneipe – irgendwie im Leben, irgendwie am Ende.
Das Leid all dieser Menschen und ihr offensichtlicher Wunsch, all ihre Verzweiflung herauszuschreien, wird dabei vom starken und erschreckend real erscheinenden Video von Regisseur Kyle Thrash, dem bittersüß-depressiven Emo-Rock von Sorority Noise und Zeilen wie „God called you to fulfill a vacancy / I tried to see why it wasn’t me“ untermalt. Das Gefühl, am eigenen Leben und Alltagstrott zu ersticken, vermittelt einem all das auf eindrucksvolle Weise.
„You’re not as… as what? Happy, jealous, sad, lucky, fucked up?“
Sorority Noises aktuelles, drittes Album „You’re Not As _______ As You Think“ – rein musikalisches vor allem Indierock mit Anklängen an den guten alten Neunziger-Jahre-Emo, ein wenig windschiefem Slacker-Pop und mitreißendem Post-Rock – ist im März beim Indie-Label „Big Scary Monsters“ erschienen. Die Platte liefert eine zehnteilige emotionale Achterbahnfahrt, während der Frontmann Cameron Boucher ebenso intensiv wie offen Einblicke in seine Gefühlswelt gibt – die Band selbst bezeichnet all das als „emotionalen Bulldozer“. Dass dort nicht alles eitel Sonnenschein ist und Boucher auf dem Werk vor allem lauthals über Ängste, Depressionen, den Tod und die Kämpfe gegen die eigenen Dämonen singt, ist eben (s)eine Art, mit den Schattenseiten des Lebens ins Reine zu kommen. Und irgendwann lässt wohl hoffentlich jeder Schmerz nach…
„This last week I slept 8 hours total, I barely sleep Maybe that’s why I’ve been weak The same things that plague you still plaguing me God called you to fulfill a vacancy I tried to see why it wasn’t me
So I didn’t show up to your funeral But I showed up to your house And I didn’t move a muscle I was quiet as a mouse And I swore I saw you in there But I was looking at myself
I’m placing bets against myself And honestly I’m a mess With the car engulfed in flames I am a wreck Things I should have said through call or text I’ve just really been so busy and I regret
Cause if there’s no rest for the wicked I’m as evil as it gets Thing I should have said
So I didn’t show up to your funeral But I showed up to your house And I didn’t move a muscle I was quiet as a mouse And I swore I saw you in there But I was looking at myself
So when you show up to my funeral Will you be wearing white or black? And I know the voice is in you It’s the energy I lack So if there’s a race to heaven I will surely come in last And if there’s a race to heaven I will always come in last“