Das die letzten Jahre mehr und mehr zum Trend gewordene „Gründen einer Supergroup“ (zumindest darf man’s gern subjektiv so wahrnehmen) hat nun ein weiteres gelungenes Beispiel hinzu bekommen, denn mit Fake Names besteht die nächste Band durchweg aus gestandenen Musikern. Da hat doch die Welt drauf gewartet, oder? Well…
Von Brian Baker (Minor Threat, Dag Nasty, Bad Religion) und Michael Hampton (SOA, Embrace, One Last Wish) – man kann von den beiden aufgrund ihrer Fußstapfen im US-Westcoast-Hardcore mit Fug und Recht von „Legenden“ schreiben – im Jahr 2016 ins Leben gerufen, holte man sich zusätzlich noch Bassist Johnny Temple (Girls Against Boys, Soulside) und Refused-Frontmann Dennis Lyxzén für den Gesang mit ins Boot. Die ersten drei sind alte Schulfreunde, letzterer, der als großer Fan von Minor Threat und Embrace nicht lange überlegen musste, hat mit dieser neuen Combo bei nun schon sage und schreibe zwölf Bands seine Handschrift hinterlassen, von denen man – nebst Refused freilich – am ehesten noch The (International) Noise Conspiracy, The Lost Patrol oder deren jüngste Inkarnation INVSN kennen dürfte.
Klar, für Bands dieser Art geht es natürlich oftmals auch darum, der Erwartungshaltung dessen, was da nun kommen müsste, in gewissem Maße gerecht zu werden. Fake Names treten mit „All For Sale“ und „Driver“, den ersten beiden Nummern des gerade einmal knapp halbstündigen Debüts, der Sache recht entspannt entgegen. Unaufgeregte Midtempo-Nummern, die jedoch mit jedem Hördurchgang ein wenig wachsen. Das Duo Baker / Hampton harmoniert sofort – kaum verwunderlich, da sich die beiden eben schon seit Grundschulzeiten kennen. Um es reduziert zu halten, gaben die beiden Gitarristen lediglich eine einfache Maxime aus: keine Effektpedale.
„It’s two lead guitar players who really know how to work together, with such an incredibly fluid meshing of their individual styles.“ (Johnny Temple)
An Fahrt nimmt das Album dann mit „Being Them“ und der ersten Vorab-Single „Brick“ auf. Klassische Punk-Rock-Nummern, von denen man mit dem abschließenden „Lost Cause“ auch noch eine weitere findet, die man so auch auf einem der letzten Bad Religion-Alben hätte erwarten können – wenig verwunderlich also, dass Bakers Bad-Religion-Bandkollege Brett Gurewitz, den die Band als erstes in ihre Demo-Songs reinhören lässt, die vier für sein Label Epitaph unter Vertrag nimmt. Musikalisch experimenteller geht es hingegen bei „Darkest Days“ oder „Heavy Feather“ zu, bei dem auch der fast zu erwartende Synthesizer zum Einsatz kommt, schließlich steckt das Quartett stilistisch knietief im Achtziger-Punk-Rock. Die weiteren Songs wie „First Everlasting“, „This Is Nothing“ und „Weight“ sind allesamt recht poppig wie melodisch gehaltene Tracks, die ihre Aufwertung in einem perfekten Gitarrensound und einer wiedermal herausragenden Gesangsleistung von Dennis Lyxzén finden (wobei letzteres auch die Hellacopters geschrieben haben könnten).
„Dennis fit right in with us, he’s a great singer and his ears were tuned to the kind of music all our bands were making back in the ’80s, so he knew exactly what to do. All of it made sense of immediately.“ (Brian Baker)
Letztlich ist Fake Names mit ihrem selbstbetitelten Debüt ein kompaktes, lupenreines und dezent hitlastiges Punkrock- und Power-Pop-Album mit leichten Classic-Rock- und frühen UK-Punk-Einschlägen gelungen, welches im Sinne der ersten musikalischen Schritte seiner Protagonisten auf jegliche Effekthascherei verzichtet. Dass all das nicht zu angestaubt gerät, verhindert nicht zuletzt Dennis Lyxzén, der zwar – wie sollte es anders sein – gewohnt scharfzüngig gegen das verdammte kapitalistische System wettert, dabei aber so frisch klingt, als hätte der schwedische Vorzeige-Revoluzzer sich das rote Buch, in dem er im wütenden Mini-Hit „Brick“ die Feinde der Revolution festhält, gerade erst zugelegt. Freilich, wirklich „gebraucht“ hätte es diese All-Star-„Supergroup“ kaum. Da aber auch die wenigsten von uns die Frage nach einer Runde Freibier mit guten Freuden an einem lauen Sommerabend am See mit einem entschiedenen „Nein“ beantworten würden, wäre nun auch das geklärt…
Hier gibt’s das gerade einmal 28 Minuten kurze Punk-Rock-Vergnügen im Stream:
Nicht erst seit bis ins nächste Valhalla höchst funky tönenden und im Text – Populismus hin oder her – wohl auf ewig relevanten Evergreens wie „Capitalism Stole My Virginity“ oder „Communist Moon“ sowie Album-Meilensteinen wie „The Shape Of Punk To Come“ ist Dennis Lyxzén die wohl coolste pro-kommunistische linke Socke im Musikgeschäft (oder zumindest im Dreieck zwischen Lappland, Lettland und Legoland). Isso, verdammt.
Und da der seit eh und je verdammt umtriebige Frontmann von Kapellen wie Refused, The (International) Noise Conspiracy, The Lost Patrol Band oder INVSN, der nebenbei, mit „Ny Våg„, auch noch ein Punk-Rock-Plattenlabel betreibt, bereits etliche Lenze im Musikgeschäft auf dem schwedischen Buckel hat, darf man getrost jede der vielen Zeilen, die der mittlerweile 46-jährige Punkrock- und Hardcore-Verteran da vor einigen Tagen via Facebook vom Stapel ließ, glauben. Denn schließlich erinnert Dennis Lyxzén noch einmal jede und jeden, der oder dem Musik und bestimmte (vor allem kleinere) Künstler wirklich am Musikherzen liegen, noch einmal daran, worum es geht: „Go to their shows.Buy their merch and their records. Tell your friends about them. Like their social media pages.“ Denn gerade Künstler und Bands, welche eben nicht die „dicke Asche“ von den großen Plattenlabels, die mittlerweile einen Großteil des internationalen Musikmarktes unter sich aufteilen, zugeschustert bekommen, sind eben nicht auf Streams (welche ohnehin nur vergleichsweise kleines Geld einbringen) angewiesen, sondern auf den möglichst direkten Support. Wahre, weise gebrüllte Worte, mein oller Schweden-Punker!
Hier Lyxzéns komplette, sympathisch-direkte Brandrede im Wortlaut:
„WARNING! WARNING! WARNING! Rant incoming. I usually don’t rant that much on social media but here’s one for you. I’ve been playing music for a long time now and I’ve been privileged enough to be able to do this more or less for a living for the past 20 years. I’ve travelled the world, meet amazing people and created some music that I can be really proud of. However; every year that goes by it gets harder and harder to what we are doing as an independent artists/musicians. The musical landscape has changed immensely the last 10 years. Some things have been for the better and some things definitely for the worse. With diminishing record sales and a clickbait economy comes a slew of problems. Everyone needs to tour cause that’s how we are supposed to make any type of money. But with everyone on tour it’s actually harder to get shows and the fees have gone down the last couple of years due to this. Record-labels are less prone to work with smaller acts and the independent labels don’t have enough power or economy to push artist the way they used to. So for every year the margins for people like us keep shrinking. Making it harder for bands like INVSN to tour and to record and to actually be a band. And yeah; it’s not about the money, it’s never been. But we need cash to be able to tour, to be able to record music. Most of the people in INVSN have full-time jobs and we still manage to do about 100 shows per record.
Another one of the more frustrating aspect of this is that you as an artist has to become your own press outlet. Through social media we can reach each other and communicate but it has also lead to the realization that this is how your music reaches people. Specially if you are a smaller artist. We have to rely on the kindness or stranger to be heard. We have to rely on people following us on social media to get people to come to the shows. Which can be amazing but also frustrating. Most people don’t ‚like‘ posts with tour-dates or new releases. So what am I getting at here: Well, if you’re like me and you love music, independent music, alternative music, creative music with ideas then we really need to step up our game in supporting bands and artists that we like. If you are into a band there’s a bunch of things that you can do to support them: Go to their shows. Buy their merch and their records. Tell your friends about them. Like their social media pages. Like their social media posts. With the strange algorithms that facebook and Instagram has it is imperative that you actually like the posts not only scroll by them. The more people like a post the more it spreads and the bigger the chances are that someone outside of an already established fanbase will discover the band. Be open and curious about new music and new bands.
Mit Comebacks im Musikgeschäft ist es ja so eine Sache… Die einen können besseren Wissens gar nicht aufhören zu touren und lassen das „Comeback“ im eigentlichen Sinne – mangels Auszeit – erst gar nicht zur Sprache kommen (Rolling Stones, The Who), andere wiederum raffen sich nach Jahren des steten Tantiemenflusses und der Trauer um ihr wichtigstes Mitglied – freilich den Frontmann, die Stimme, das Sprachrohr – wieder auf und zusammen, um mit einem neuen Fronter auf Tournee oder ins Studio zu gehen (The Doors, Alice In Chains, Queen). Fakt ist: beim Großteil ebenjener Beispiele hat vieles, was sie tun (oder eben: nicht tun), längst den roten Bereich des Peinlichkeitsradars überschritten und müffelt bereits seit Jahren unschön nach der bloßen Geldscheffelmaschinerei alter Männer, die gar nicht anders können, als immer und immer wieder Abend um Abend dieselbe Show aus (zu) oft gehörten „Greatest Hits“ zu spielen. Denn mal ehrlich: wer möchte schon die Doors ohne ihren charismatisch unberechenbaren Derwisch Jim Morrison hören, wem kann Queen tatsächlich ohne den ewig großen Freddy Mercury gefallen? Eben. Da ist es fast ein Segen, dass sich mit John Lennon und George Harrison die Hälfte der Beatles zu früh ins Nirwana verabschiedeten, dass sich Nirvana-Frontmann Kurt Cobain im sagenumwobenen 27. Lebensjahr in den Musikerhimmel verabschiedete – und seine beiden verbliebenen Bandmitglieder Krist Novoselic und Dave Grohl die Grunge-Heroen vor zwei Jahren mit einer (hoffentlich) einmaligen Reunion-Show im Rahmen der Einführung der Gruppe in die „Rock and Roll Hall of Fame“ mit Gastsängerinnen wie Joan Jett, St. Vincent, Lorde oder Kim Gordon endgültig ad acta legten. Apropos: Was machen nun eigentlich Led Zeppelin? Deren Gitarrist Jimmy Paige würde ja nichts lieber tun, als deren monumentales Erbe für ein Comeback nach dem Comeback (die einmalige Show 2007 in der Londoner O2 Arena) auf Spiel zu setzten. Glücklicherweise stellt sich Sänger Robert Plant dem ganzen Reibach (bislang) vehement in den Weg, weiß er doch, dass die Band spätestens seit dem Tod von Schlagzeuger John „Bonzo“ Bonham im Jahr 1980 ausgespielt hat. Unterm Strich darf jedoch gelten: Ist der Ruf erst ruiniert, tourt es sich ganz ungeniert…
Foto: Dustin Rabin / Promo
Nun sind Refused bei all diesen großen Namen, in dieser Aneinanderreihung mehr oder minder legendärer Bands vergleichsweise kleine Lichter. Und trotzdem haben die Hardcore-Punks aus dem schwedischen Umeå 1998 ein Stückweit das Musikgeschäft auf den Kopf gestellt, als sie der Welt unvermittelt ihr drittes – und für 17 lange Jahre letztes – Album „The Shape Of Punk To Come“ vor den Latz knallten. Darin enthalten: zwölf Stücke, hochpolitisch und auf bittere Art und Weise ebenso zeitgeistlig wie zeitlos, ein purer Genre-Mindfuck aus alles und jedem, sodass man nach 55 Minuten derart geplättet und aufgewühlt war, dass man gleich zum Barrikadensturm auf Pflastersteinbett loslegen wollte. Ja, an „The Shape Of Punk To Come“ riss sich seitdem jede Band, die auch nur versuchte, stilistisch in dessen Nähe zu kommen, erfolglos den Allerwertesten auf. Ein Klassiker? Ohne Umschweife – und das nicht nur wegen dem Instant Hit „New Noise„, dessen dengelndes Gitarren-Intro auch fast zwanzig Jahre später alle Jungen und jung Gebliebenen auf die Tanzflächen von Indiedissen zwischen Stadt und Land zieht, um den Boden innerhalb weniger Augenblicke in einen Moshpit aus umher fliegenden Armen und Beinen zu verwandeln. Unerreicht? Sicher. Greifbar? Noch heute nicht. Noch größer wurde das Album nur, nachdem Refused während der Tournee zum Werk nahezu unvermittelt den Stecker zogen und die Welt in einem abrechnenden Abschiedsbrief wissen ließen: „Wir hoffen, dass wir der letzte Nagel im Sarg des faulenden Kadavers namens Popmusik sein konnten.“ Aus, Schluss, vorbei. (Und man munkelte, dass unerfüllte Erwartungen und interne Spannungen für den Split verantwortlich waren.) Für lange Zeit schien eines unumstößlich: Refused are fuckin‘ dead.
Dass die Band im Jahr 2012 ein – freilich umjubeltes – (Bühnen-)Comeback wagte, dürfte zumindest bei dessen charismatischem Frontmann Dennis Lyxzén nicht an dessen vermeintlicher Unterbeschäftigung gelegen haben, immerhin hatte der heute 43-Jährige nach dem Ende von Refused mit den nicht minder tollen Garage-Rockern von The (International) Noise Conspiracy oder The Lost Patrol Band, die 2003 das ewig großartige Northern-Alt.Country-Meisterwerk „Songs About Running Away“ in die Plattenläden stellten und erst kürzlich eine Transformation zu Power-Punkrockband INVSN durchmachten, – um nur mal zwei von Lyxzéns Bands zu nennen – genug musikalisches Projekte um die Ohren. Nein, die Band machte von Anfang an keinen großen Hehl daraus, dass die umfassende Tournee durch viele große Festivals (ich hatte etwa die Gelegenheit, die Schweden vor drei Jahren bei dänischen Roskilde-Festival zu sehen) eindeutig finanziell motiviert war. Natürlich darf auch ein Musiker, darf eine Band jederzeit seinen „Rücktritt vom Rücktritt“ erklären, darf wieder auf Tour gehen, um damit Geld zu verdienen – Miete, gewisse Freiheiten und die täglichen Brötchen für die Familie müssen ja auch irgendwie bezahlt werden. Wie titelten einst die Manic Street Preachers so großartig: „Freedom of choice won’t feed my children“. Und doch hinterlässt gerade bei einer Band wie Refused, die sich zu Zeiten ihrer ersten Bandphase zwischen 1991 und 1998 immer eindeutig links (man mag bei dem ein oder anderen Text aus Dennis Lyxzéns Feder unumwunden von Faszination für die Ideale des Kommunismus sprechen/schreiben) präsentiert hatte, eine dem schnöden Mammon geschuldete Entscheidung ein überaus schales Gefühl. Wurde da gerade der erste Nagel wieder aus dem modrigen Sargdeckel gezogen? Nach den Konzerten von 2012 schien die Band aber schon wieder die Hardcore-Schaunze voll zu haben. „We’re going home and we’re doing it in style“. Einfach so? Einfach so.
Nun aber: der Rücktritt vom Rücktritt vom Rücktritt. Und diesmal nicht nur auf Konzertbühnen, sondern sogar mit einem neuen Album. „Freedom“ haben die vier Schweden Dennis Lyxzén (Gesang), Kristofer Steen (Gitarre), Magnus Flagge (Bass) und David Sandström (Schlagzeug) ihr erstes Studiowerk seit geschlagenen 17 Jahren vielsagend betitelt. Was wohlmöglich schwerer wiegt: nicht nur Gitarrist Jon Brannström hatte darauf keinen Bock und verließ die Band, sie haben sich mit Landmann Karl Schuster (aka. Shellback) einen Mann als Co-Songwriter und Produzenten ins Boot geholt, der vorher eher mit glattgebügelten Pop-Konserven á la Maroon 5 oder Taylor Swift zu tun hatte – wenn auch nur für zwei der zehn neuen Stücke (den Rest der Produktion übernahm der schon eher Indierock-kredible Nick Launay). Trotzdem: gerade bei den ehemaligen ultralinken Politrock-Vortänzern von Refused legen spätestens seit dem Meilenstein „The Shape Of Punk To Come“ sowohl Fans als auch die gesamte Journailie (Print, Online, sonstwo) jeden Akkord, jede Silbe, jede musikalische Wasserstandsmeldung auf die Goldwaage. Was auch völlig legitim ist, immerhin hatte sich die Band Ende der Neunziger mit markigen Worten Knall auf Fall aus dem Musikgeschäft verabschiedet. Capitalism stole their virginity also? Bring it on…
Dass die 43 Minuten neuer Musik bei der Debatte um das Für und Wider der Rückkehr dieser (einstmals) mit so hohen, hehren (politischen) Zielen gestarteten Band zurückstecken müssen, bleibt nahezu unvermeidlich. Dass „Freedom“ gegen seinen monumentalen Vorgänger einfach nur verlieren kann, ebenso. Trotzdem passiert in dem ein oder anderen neuen Stück so allerhand. Dabei erweist sich das Eröffnungsstück „Elektra“ (entstanden gemeinsam mit Shellback) mit metallischer Hardcore-Schlagseite als der mit Abstand konventionellste Song auf dem neuen Werk, sodass fast en wenig Studioluft von „The Shape…“ herüber weht. Bereits Song Nummer zwei, „Old Friends / New War“, ist ein mit verstörend verzerrter Stimme eingeleiteter, unter allerlei Effektgewitter begrabener akustischer Protestsong, der trotz leiernder Westerngitarren und Rap-Parts eingängig daherkommt. „Dawkins Christ“ beginnt mit verträumt-bedrohlichem Frauengesang und ist danach einfach nur pure Wut, „Françafrique“ beschert uns einen – leider albernen – Kinderchor, untergelegte Beats, Red Hot Chili Peppers-Funk-Gitarren und Pop-Refrain (ähnlich wird’s später noch einmal bei „366“) wieder einen dieser grenzgenialen Refused-Momente. „Just another word for genocide“ hallt es zum Ende zudem gewohnt bitter und zutiefst politisch aus den Boxen – ein Musik-Text-Kontrast, der (bewusst) verstört. Der Chili-Peppers-Funk fegt dann noch einmal das feine „Servants Of Death“ durch, bevor das sechseinhalbminütige „Useless Europeans“ den verschrobenen halbballadesken Rausschmeißer spielen darf. Dazwischen: viel Wut, ab und an Experimente, eine Prise Hardcore-Pop, jedoch auch reichlich Füllmaterial, das den Hörer dezent ratlos zurück lässt. Wie übrigens auch Dennis Lyxzéns Texte, die mal von „denen da oben, uns da unten“ erzählen möchten, mal „Schwerter zu Pflugscharen“ schmieden möchten, mal die ehemals linken Barrikaden wieder neu hochzuziehen scheinen, um allem zwischen Globalisierung, Völkermord und kaltem Kapitalismus die Stirn zu bieten (Überraschung, Überraschung: der Hund beißt sich in den eigenen Schwanz!). Plattitüden? Leider viele. Refused ziehen derweil unter Krawall weiter die Nägel aus dem eigenen Sarg. Opa Hardcore schüttelt sich kurz. Und riecht so schön modrig nach den Neunzigern. Entdecke die Möglichkeiten…
Hier kann man sich mit den Musikvideos zum Albumopener „Elektra“, zu „Françafrique“ sowie zu „Dawkins Christ“ bereits einen ersten Vorgeschmack von „Freedom“ machen:
Dabei zeigen die Desaparecidos mit ihrem Comeback-Album „Payola“, wie man es so viel besser machen könnte…
Obwohl: „Comeback“? Immerhin war Desaparecidos-Frontmann Conor Oberst nie weg. Viel mehr noch: der heute 35-Jährige ist Musiker aus Beruf und Berufung, veröffentlicht seit jungen Teenager-Jahren Platte um Platte, Single um Single – zuerst allein, dann mit seinem immer umfangreicher gestalteten Bandprojekt Bright Eyes (neun Alben seit 1998, das letzte, „People’s Key“, erschien 2011), zwischendrin und später solo (ebenfalls mehr oder minder neun Werke seit den frühen Neunzigern), nebenan als Teil anderer Bands, wie etwa den Monsters Of Folk, zu denen unter anderem auch My Morning Jacket-Kopf Jim James oder Alt.Country-Barde M. Ward gehör(t)en (das selbstbetitelte Debüt erschien 2009). Und da Oberst mit seinem Werdegang vom gefeierten Indie-Wunderkind der Nullerjahre zum krediblen Singer/Songwriter (mit einem kurzen Abstecher in die Klatschspalten durch seine zeitweise Beziehung zu Schauspielerin Winona Ryder) und verheirateten Familienvater nicht ausgelastet war, machte er sich als Mitbegründer des kaum weniger krediblen Indie-Labels „Saddle Creek“ oder als Vertreter humanistischer wie politischer Botschaften einen Namen (etwa als Befürworter von PETA oder der Wahl des demokratischen Kandidaten Barack Obama zum US-Präsidenten im Jahr 2008).
Eines von Obersts musikalischen Ventilen zur Zementierung eindeutig politischer Botschaften waren in der Vergangenheit die Desaparecidos. Die tragen das Statement ja per se bereits im Namen: „Die Verschwundenen“ – in Mittel- und Südamerika seit jeher ein trauriger Sammelbegriff für all jene, die mutmaßlich dem Krieg aus Drogen und Korruption zum Opfer gefallen sind. Bereits 2002 machte die Band aus Nebraska von sich reden, als sie mit „Read Music / Speak Spanish“ ein fröhlich-angepisstes, knapp 36-minütiges Stück Musik veröffentlichte, das perfekt aus Rooster ihres (damaligen) Stammlabels „Saddle Creek“ passte: vom Klang her zutiefst im ehrlichen Lo-fi-Sound der Neunziger verhaftet, als „Emo“ noch mit Bands wie Fugazi, Mineral, Knapsack oder Sunny Day Real Estate verbunden schien und weniger mit dem späteren hohlen Kajal-Bombast á la My Chemical Romance, von den Texten her abgrundtief zeitgeistig und auf beissende Art und Weise politisch. Und mitten drin Conor Oberst, der bei den Desaparecidos wohl zum ersten Mal seine Bright Eyes-Weinerlichkeit abschütteln konnte, um in den hektischen Songs von „Read Music / Speak Spanish“ (ganz groß, noch immer: „Greater Omaha“) den politischen Post-Hardcore-Schreihals heraus zu kehren. Dennoch blieb die Band ein zeitweises Projekt mit Liebhaberwert, von der sich Oberst, dieser umtriebige Tausendsassa, schnell abwendete, um fortan sowohl Bright Eyes (drei Jahre nach dem Desaparecidos-Debüt setzte er sich mit dem vielseitigen Album-Doppelschlag aus „I’m Wide Awake It’s Morning“ und „Digital Ash In A Digital Urn“ bereits früh selbst ein musikalisches Denkmal) als auch sich selbst zu festigen.
Erst acht Jahre darauf fand Conor Oberst wieder Zeit für seine Desaparecidos. Im Juli 2010 fand die Band für einen zunächst einmaligen Auftritt im Rahmen eines Charity-Konzerts im heimischen Omaha wieder zusammen. Man mag’s wohl der Energie zuschreiben, die die fünf Köpfe der „Verschwundenen“ an diesem Abend wieder gespürt haben dürften, denn schon zwei Jahre darauf veröffentlichte die Band in unregelmäßigen Abständen insgesamt sechs neue Songs als Singles. So überraschend also kommt das zweite Album „Payola“ also gar nicht, immerhin gab es ja drei Siebtel des Werkes schon vor Jahren zu hören.
Foto: Lindsey Best / Promo
Trotzdem – oder: überhaupt – ist es schön, dass die Desaparecidos nun nach 13 Jahren auch ihre Rückkehr im Albumformat feiern. Warum? Nun, man nehme nur einmal die Einstiegszeilen des ersten Songs „The Left Is Right“ (der bereits vor zwei Jahren als Single erschien): „It begins when we chain ourselves to the ATMs / Make a mess when we pitch our tents on the statehouse steps / Now we’re taking it, now we’re taking it back / Now we’re taking it, now we’re taking it back / For the greater good / Goddamn Robin Hoods“. Dazu gehen Oberst und seine vier Verbündeten mit schneidenden Gitarren, zackigen Melodien und rumpelnden Drums noch rotziger, noch direkter zu Werke als noch 2002. Die Band vermittelt eindeutige Botschaften, schlägt sich auf die Seite von Hackern und der Occupy-Bewegung, wettert gegen rechte, kleingeistige Ideologen und leicht zu Radikalisierende, womit ausdrücklich auch diejenigen gemeint sind, die daheim via Facebook aus der Anonymität heraus dümmliches Gedankengut verbreiten. Die Stücke von „Payola“ legen Finten zu tatsächlichen Ereignissen und Missständen, poltern gegen Turbokapitalismus, Konsumterror und Überwachungsstaat, erzählen vom Kampf Davids gegen Goliath, schwärmen von Aufruhr und Widerstand. Dabei bedienen sie sich zwar der bekannten Topoi des Politpunk, übersetzt diese aber wunderbar ins Hier und Jetzt: „So we buy and we sell for your corporate cartel/ And we vote when the contestant sings/ A mind control mix for our obedience/ Strong sleep aids and hard energy drinks“. Der Frust ist real, und Krach nötig. Notfalls auch, wie in „Ralphy’s Cut“ oder „Radicalized“, bis die Saiten und Stimmbänder zu Bruch gehen.
Nein, die Welt, sie ist keine bessere als damals, 2002, unter der US-Führung und dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Auch unter dem vorab gefeierten vermeintlichen Hoffnungsträger Barack Obama nicht. Umso wichtiger sind die Songs von „Payola“, welches zwar auf „Epitaph“, dem Punk-krediblen Label von Bad Religion-Gitarrist Brett Gurewitz, erscheint (wie übrigens das Refused-Comebackwerk auch), für das jedoch der „Saddle Creek“-Haus-und-Hof-Produzent Mike Mogis wieder die Studioregler bediente, während Conor Obersts Kumpel Tim Kasher (The Good Life, Cursive) einen kleinen Gastauftritt abliefert (beim Song „City On The Hill“, anderswo gibt es auch Against Me!-Frontfrau Laura Jane Grace zu hören). Und ehrlich: bei allem gebotenen Ernst macht all das verdammt viel Spaß. Man merkt deutlich, wie sehr diese Band gefehlt hat. Scheiß doch auf Comebacks – solange die Desaparecidos nie, nie mehr verschwinden…