Weil Traditionen etwas Schönes sind – und freilich auch irgendwann, irgendwie verpflichten -, verschenkt das britische Indie-Label Big Scary Monsters auch in diesem Jahr – wie bereits 2018 und in den Jahren zuvor – (s)einen satte 23 Auszüge aus dem diesjährigen Veröffentlichungskatalog starken Label-Sampler mit einer bunten Auswahl querbeet durch sein aktuelles Künstlerangebot und Release-Oeuvre irgendwo zwischen Indie- und Punkrock, Emo, Post-Hardcore oder Mathrock.
Mit dabei sind 2019 Bands und Künstler wie The Get Up Kids, Orchards, American Football, Proper., Cultdreams, Great Grandpa, And So I Watch You From Afar, Nervus, Pedro The Lion oder Jamie Lenman (also auch der ein oder andere Name, von dem in diesem Jahr auf ANEWFRIEND zu lesen war). Wohl bekomm’s!
Seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Seafoam“ vor zwei Jahren hat sich im Leben von Lucinda Livingstone und Conor Dawson einiges getan. Allem voran, dass die gemeinsame Band nun nicht mehr Kamikaze Girls, sondern Cultdreams heißt. Aber auch die politisch wie gesellschaftlich schwierige Situation in ihrer englischen Heimat bewog sie dazu, mit dem im August erschienenen Nachfolge-Langspieler „Things That Hurt“ neue Wege zu gehen.
Ihre DIY-Harcore- und Postpunk-Wurzeln im hallverhangenem Unterholz Brightons sind unüberhörbar – auch wenn Conor Dawson mittlerweile in Belgien lebt. Visuell gehen die singende Gitarristin und der Schlagzeuger diesen Weg mit Martyna Wisniewska, die unter anderem im Musikvideo zur Underdog-Hymne „We Never Rest“ die Atmosphäre zum Ausdruck bringt. Zur gesanglichen Verstärkung holten sich Cultdreams für den Song Katie Dvorak und David F. Bello (The World is a Beautiful Place & I Am No Longer Afraid to Die) an Bord. Apropos Underdog: schon mit dem sehr intim-introvertierten Album-Opener „Born An Underdog, Still Living One“ und seinem wunderschönen emotionalen Spannungsbogen ist die Stoßrichtung der Platte sofort vorgegeben. „Things That Hurt“ ist ein Album für und über all jene gesellschaftlichen Gruppen, die heute beinahe täglich als Primärziele alter weißer Populisten herhalten müssen. Die zweite Auskopplung „Not My Generation“ bringt all die angestaute Wut über so viele Missstände lautstark auf den Punkt:
„Put myself into the light Become an advocate for one thing Get ignored for all the rest After years of aggravation In a scene where women are shamed Victims are blamed And older white men reign over minorities Whilst we’re all made their property We see men ignore misogyny As if it’s not their problem to act upon their sisters When they get touched inappropriately Everyone ignores me unless I’m on a stage talking Because they put me on a pedestal And pretend I’m just performing“
Seien es LGBTQ, psychisch kranke Menschen – Sängerin Lucinda Livingstone schreibt aus eigener Erfahrung – oder die Unterdrückten des „Besser! Effizienter! Mehr!“-Konsumdrucks, Cultdreams erzählt persönliche Geschichten als Stimme für alle, die in der Masse der Gesellschaft oft als anders oder schwach gelten. Im Fahrtwind ganz ähnlicher Bands wie Petrol Girls oder Apologies I Have None ist „Things That Hurt“ mit seiner bewusst rohen Produktion, unter der sich allerhand schroffe Liedperlen verstecken, eine mahnende, unbequeme „Political Uncorrectness“-Plakette für die Indie-Kultur. Nur geben sich Cultdreams dabei eben nicht mehr martialisch, wie es ihr früherer Bandname suggerierte, sondern reflektieren öffentliche Entwicklungen mehr im Inneren – und schenken der Musikszene so zehn neue widerhakende Hymnen für ein starkes Streben nach Selbständigkeit und Autonomie. Venceremos. ✊
„Take my meds on time, don’t smoke too many cigarettes Dress appropriately for the binary I’m meant to have Get a job, behind a desk, pay my dues and be oppressed Be forgiven, be forgotten, burn it out until the end We never rest
Just don’t worry Keep on going (We never rest) Everything is fine
I’ll line up with all the rest Pretend it’s the best I’ve ever had Say yes to love outside closed doors ‚cause it doesn’t have to be suppressed We are the means and you are the end We are the ones with better sense Be forgiven, be forgotten, burn it out and make amends We never rest
Just don’t worry Keep on going (We never rest) Everything is fine (We never rest) Just don’t worry Keep on going (We never rest) Everything is fine“